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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

BILD (1): CARITAS AMBROSIANA; BILD (2): EMANUELE COLOMBO; BILD (3+4): PAOLO SAGLIA; BILD (5): SIMON OWEN RED PHOTOGRAPHIC

Keine Entlastung für Geringverdienende

Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom Mai zufolge sinkt infolge der Inflation vor allem das Realein­ kommen von Geringverdienenden rapide; Besserverdienende dagegen würden insgesamt deutlich we­ niger belastet. Daran änderten auch die Entlastungen wenig. «Der grösste Teil der 23,6 Milliarden Euro an Hilfen für Privathaushalte geht nicht an die Menschen mit dem grössten Bedarf, sondern an Menschen mit hohen Einkommen», so das vernichtende Fazit. Das DIW fordert weitere Entlas­ tungen. Unter anderem solle das von der Koalition geplante Klimageld zur Kompensation der CO2-Bepreisung für Einkommen bis maximal 4000 Euro brutto im Monat schnell auf den Weg ge­ bracht werden. Vorgesehen ist das ab Januar 2023 – über die kon­ krete Ausgestaltung streitet die Ampel noch. Im Gespräch sind der­ zeit 200 Euro pro Kopf und Jahr – viel zu wenig, kritisiert DIW-Chef Marcel Fratzscher und regt stattdes­ sen 100 bis 150 Euro pro Monat und Familie an.

DROBS, DRESDEN

Zu wenig Lohn

9,50 Pfund pro Stunde verdienten rund 400 000 Care-Arbeiter*innen im Juni in England, weniger als Angestellte in vielen Supermarkt­ ketten, fand eine Studie der auf Gesundheit und Pflege spezialisier­ ten Denkfabrik King’s Fund heraus. 165 000 freie Stellen gebe es derzeit in der britischen Pflegebranche; wie Inspektor*innen bemängeln, sei dies eine der Hauptursachen für ungenügende Pflegeleistungen. Neun von zehn Supermarktriesen zahlten besser: Aldi, Tesco, Lidl und Asda entlöhnen mit 10,10 Pfund.

BIG ISSUE NORTH, MANCHESTER

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Vor Gericht

Raue Mengen Der Beschuldigte steht am Empfang des Obergerichts Zürich. Er ist gross gewach­ sen, schlank, ein Gesicht wie von Künstler­ hand gemeisselt, sein Blick sanft. Er ist ein richtig schöner Mann. Oder war: Seine Zähne sind schlecht, sein Haar schütter. Ob­ wohl er erst 31-jährig ist, wirkt er Jahr­ zehnte älter. Ein paar Meter weg spricht sein Anwalt mit der Rezeptionistin. Sie telefoniert, es herrscht allgemeine Konfusion. Denn der Beschuldigte ist mit einer knappen Stunde Verspätung aufgetaucht – und sein Fall ist vor einigen Minuten zu Ende verhandelt worden. Das Gericht hat sich bereits zur Urteilsberatung zurückgezogen. Was nun? Die Rezeptionistin legt das Telefon auf und sagt: «Es ist gelaufen.» Die Befragung des Beschuldigten zu seiner Person und zur Sache werden nicht nachgeholt. Schade. Gern hätte man mehr darüber erfahren, wie der studierte Physiker mit guten Zukunfts­ chancen in seiner Heimat Brasilien nun ein karges Dasein in der Schweiz führt – als Security-Mann mit einem Einkommen un­ ter dem Existenzminimum. So begnügt man sich mit der einfachen Antwort: Meth­ amphetaminchloryd, kurz Crystal Meth. Es zählt zu den gefährlichsten Drogen überhaupt, zu den Substanzen mit einem der höchsten Suchtpotenziale. Betroffene berichten, bereits nach den ersten Einnah­ men süchtig geworden zu sein. War es beim Beschuldigten auch so? Hat er das weisse Pulver einfach mal probiert, ohne gross über die Gefahren nachzudenken? Damals, als er seinen Schweizer Lover kennenlernte, für den er später nach Bern zog, wo beide immer tiefer im Drogensumpf versanken?

Fest steht nur: Beide wurden süchtig. Sie haben die Droge geraucht, gesnifft, ge­ spritzt. Jeden Tag, zwei bis drei Gramm pro Kopf. Es war der Beschuldigte, der das Crys­ tal Meth besorgte, in rauen Mengen. Weil es so billiger war und sie ja jede Menge des Stoffs brauchten. Teils verkaufte sein Freund das Crystal weiter, um den Konsum mitzufinanzieren. Als der Beschuldigte verhaftet wird, hat er fast 300 Gramm bei sich. Das gehört in die Kategorie Verbrechen. Der Polizei sagt der Beschuldigte nichts von seinem Freund. Der arbeitete damals noch bei einer Gross­ bank, und der Brasilianer nimmt die Schuld ganz auf sich, will ihm nicht schaden. Vor erster Instanz gab es dafür zwei Jahre Frei­ heitsstrafe teilbedingt, wegen Drogenhan­ del und -konsum. Sein Anwalt versucht in zweiter Instanz, die Strafe zu halbieren. Wenigstens zu er­ wirken, dass der Beschuldigte nicht ins Ge­ fängnis muss. Er habe nicht wissen können, dass das Crystal Meth über den Weiterver­ kauf an viele Konsument*innen gelangen würde, und er so deren Gesundheit mitge­ fährdet hat – ein Kriterium für einen schwe­ ren Fall. Zudem sei sein Mandant sehr ko­ operativ gewesen, er habe sofort ein Geständnis abgelegt und es seit der Verhaf­ tung geschafft, drogenfrei zu bleiben. Die Oberrichter*innen lassen Gnade walten und reduzieren die Strafe auf 20 Monate bedingt. Ins Gefängnis muss er nicht, aber die Schweiz für fünf Jahre ver­ lassen. Sein Freund erholt sich derzeit in einer Rehaklinik.

Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


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