Strassenmagazin Nr. 536 21. Okt. bis 3. Nov. 2022
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Obdachlosigkeit
Auf und davon
Wenn Naomi es im Heim nicht mehr aushielt, haute sie ab. Einmal blieb sie drei Monate weg. Seite 8 Surprise 000/22
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Kultur
Solidaritätsgeste
Kultur
Solidaritätsgeste
STRASSENCHOR STRASSENCHOR
CAFÉ SURPRISE CAFÉ SURPRISE
Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Sozialwerke Entlastung Sozialwerke
BEGLEITUNG UND BEGLEITUNG BERATUNG UND BERATUNG
Unterstützung Unterstützung
Zugehörigkeitsgefühl Zugehörigkeitsgefühl Entwicklungsmöglichkeiten Entwicklungsmöglichkeiten
Job
Expertenrolle
Job
Expertenrolle
STRASSENMAGAZIN STRASSENMAGAZIN Information Information
SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT
STRASSENFUSSBALL STRASSENFUSSBALL
Erlebnis Erlebnis
SOZIALE STADTRUNDSOZIALE GÄNGE STADTRUNDGÄNGE Perspektivenwechsel Perspektivenwechsel
Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN 0900 0000 1255 1455 3 wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen inCH11 der Schweiz. Unser Angebot und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
Helfen tut gut. Zeit, zuzuhören. Zeit, abzuwarten. Zeit für Rückschläge. Zeit, zu helfen. All das gibt es in der Sozialberatung und -begleitung, die Surprise an seinen drei Standorten in Basel, Bern und Zürich anbietet. Die Verkäufer*innen des Strassenmagazins sowie die Stadtführer*innen, die Spieler*innen des Strassenfussballs und die Chormitglieder erhalten hier nicht nur ihre Hefte, gratis Kaffee oder Internetzugang, sondern wenden sich mit ihren Sorgen und Fragen an die Surprise-Mitarbeiter*innen. Ob bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Schulden, beim Umgang mit Behörden und administrativer Korrespondenz, bei familiären Krisen oder Suchtproblemen – für rund 450 armutsbetroffene Menschen ist diese umfassende und niederschwellige Begleitung eine unentbehrliche Stütze im Alltag.
Surprise hilft individuell und niederschwellig. Spenden Sie heute. Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 surprise.ngo/spenden 2
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TITELBILD: KLAUS PETRUS
Editorial
Dach überm Kopf «Weh dem, der keine Heimat hat», heisst es im Gedicht «Vereinsamt» von Friedrich Nietzsche, zeit seines Lebens ein Hoffnungs- und Heimatloser. Daheim sein, in den eigenen vier Wänden, gekommen um zu bleiben – für viele mag das selbstverständlich sein. Doch wer kein eigenes Zuhause hat, der oder dem fehlt nicht bloss das oft zitierte Dach überm Kopf; es gibt unzählige Weisen des Verlorenseins, die damit einhergehen: Verunsicherung, Vereinsamung, Krankheit, ein Gefühl des Versagens, Unsichtbarkeit.
Oder von Menschen in Amsterdam, die keinen bezahlbaren Wohnraum finden und deswegen leerstehende Häuser besetzen – was früher einmal erlaubt war, in zwischen aber verfolgt wird, ab Seite 14. Von Thayaparan aus Sri Lanka, dessen Asylgesuch abgelehnt wurde. Nun muss er von der Nothilfe leben und findet nicht mehr heraus aus einem Loch voller Ängste, ab Seite 18. Und von Dominik Bloh, der viele Jahre in Deutschland auf der Strasse lebte und zu einem Beststellerautor wurde, ab Seite 22.
In diesem Heft berichten wir von Menschen, die kein eigenes Zuhause haben oder hatten, die dieses Gefühl des Sichverlierens nur zu gut kennen, die daran erkranken oder die sich wehren oder denen eine Hand gereicht wird, im richtigen Augenblick. Von Naomi etwa, die von einem Heim ins nächste geschoben wurde und als Jugend liche auf der Strasse landete – und hof fentlich diese Tage endlich die Zusage für ihre erste eigene Wohnung bekommt, ab Seite 8.
Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist ein Thema, über das wir immer wieder berichten. Armut, Ausgrenzung, Sucht und Flucht sind weitere, zu denen wir recherchieren. Um noch mehr in die Tiefe zu gehen und noch näher zu den Betroffenen, haben wir neu den Surprise Recherchefonds gegründet, mehr dazu auf Seite 29.
4 Aufgelesen
8 Obdachlosigkeit
KL AUS PETRUS
Redaktor
18 Asyl
Mit einer Jugendlichen Leben in Nothilfe 5 Vor Gericht unterwegs auf der Raue Mengen 22 Obdachlosigkeit Strasse «Jetzt braucht 6 Verkäufer*innenkolumne 13 Belegte Betten es Wohnraum» Ein schlechter 14 Hausbesetzung 25 Kino Begleiter Kampf um Wohnraum Ausser Atem 7 Die Sozialzahl in Amsterdam Wir brauchen 25 Buch Schwebendes Grenzgänger*innen Schwergewicht
26 Veranstaltungen 27 Tour de Suisse
Pörtner in St. Gallen 28 SurPlus Positive Firmen 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Internationales Verkäufer*innen-Porträt
«Ich habe gelernt, für mich selbst zu sprechen»
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Aufgelesen
News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Mehr als nur Lebensmittel «Essen bietet uns allen mehr als nur Nahrung. Essen nährt unseren Geist. Essen ist gesellig, ein kulturelles Bindeglied, das uns einander näherbringt. Die Zubereitung, das Servieren und der Verzehr von Essen ist eine Kunstform, die es uns ermöglicht, zu entdecken, zu schaffen und Vertrauen aufzubauen. Für nicht privilegierte Menschen, wie Einzelpersonen oder Familien, die obdachlos sind, ist das gemeinsame Essen nicht nur notwendig, sondern unerlässlich. Es ist eine Chance, sich von anderen mit Fürsorge und Mitgefühl umarmt zu fühlen und Bedürfnisse zu erfüllen, die lebenswichtiger sind als Ernährung allein.» Der italienische Star-Koch Massimo Bottura, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, gründete am Rande von Mailand das Refettorio Ambrosiano, einen Speiseraum für Menschen, die von Obdachlosigkeit und Armut betroffen sind. 4
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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER
BILD (1): CARITAS AMBROSIANA; BILD (2): EMANUELE COLOMBO; BILD (3+4): PAOLO SAGLIA; BILD (5): SIMON OWEN RED PHOTOGRAPHIC
Keine Entlastung für Geringverdienende
Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom Mai zufolge sinkt infolge der Inflation vor allem das Realein kommen von Geringverdienenden rapide; Besserverdienende dagegen würden insgesamt deutlich we niger belastet. Daran änderten auch die Entlastungen wenig. «Der grösste Teil der 23,6 Milliarden Euro an Hilfen für Privathaushalte geht nicht an die Menschen mit dem grössten Bedarf, sondern an Menschen mit hohen Einkommen», so das vernichtende Fazit. Das DIW fordert weitere Entlas tungen. Unter anderem solle das von der Koalition geplante Klimageld zur Kompensation der CO2-Bepreisung für Einkommen bis maximal 4000 Euro brutto im Monat schnell auf den Weg ge bracht werden. Vorgesehen ist das ab Januar 2023 – über die kon krete Ausgestaltung streitet die Ampel noch. Im Gespräch sind der zeit 200 Euro pro Kopf und Jahr – viel zu wenig, kritisiert DIW-Chef Marcel Fratzscher und regt stattdes sen 100 bis 150 Euro pro Monat und Familie an.
DROBS, DRESDEN
Zu wenig Lohn
9,50 Pfund pro Stunde verdienten rund 400 000 Care-Arbeiter*innen im Juni in England, weniger als Angestellte in vielen Supermarkt ketten, fand eine Studie der auf Gesundheit und Pflege spezialisier ten Denkfabrik King’s Fund heraus. 165 000 freie Stellen gebe es derzeit in der britischen Pflegebranche; wie Inspektor*innen bemängeln, sei dies eine der Hauptursachen für ungenügende Pflegeleistungen. Neun von zehn Supermarktriesen zahlten besser: Aldi, Tesco, Lidl und Asda entlöhnen mit 10,10 Pfund.
BIG ISSUE NORTH, MANCHESTER
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Vor Gericht
Raue Mengen Der Beschuldigte steht am Empfang des Obergerichts Zürich. Er ist gross gewach sen, schlank, ein Gesicht wie von Künstler hand gemeisselt, sein Blick sanft. Er ist ein richtig schöner Mann. Oder war: Seine Zähne sind schlecht, sein Haar schütter. Ob wohl er erst 31-jährig ist, wirkt er Jahr zehnte älter. Ein paar Meter weg spricht sein Anwalt mit der Rezeptionistin. Sie telefoniert, es herrscht allgemeine Konfusion. Denn der Beschuldigte ist mit einer knappen Stunde Verspätung aufgetaucht – und sein Fall ist vor einigen Minuten zu Ende verhandelt worden. Das Gericht hat sich bereits zur Urteilsberatung zurückgezogen. Was nun? Die Rezeptionistin legt das Telefon auf und sagt: «Es ist gelaufen.» Die Befragung des Beschuldigten zu seiner Person und zur Sache werden nicht nachgeholt. Schade. Gern hätte man mehr darüber erfahren, wie der studierte Physiker mit guten Zukunfts chancen in seiner Heimat Brasilien nun ein karges Dasein in der Schweiz führt – als Security-Mann mit einem Einkommen un ter dem Existenzminimum. So begnügt man sich mit der einfachen Antwort: Meth amphetaminchloryd, kurz Crystal Meth. Es zählt zu den gefährlichsten Drogen überhaupt, zu den Substanzen mit einem der höchsten Suchtpotenziale. Betroffene berichten, bereits nach den ersten Einnah men süchtig geworden zu sein. War es beim Beschuldigten auch so? Hat er das weisse Pulver einfach mal probiert, ohne gross über die Gefahren nachzudenken? Damals, als er seinen Schweizer Lover kennenlernte, für den er später nach Bern zog, wo beide immer tiefer im Drogensumpf versanken?
Fest steht nur: Beide wurden süchtig. Sie haben die Droge geraucht, gesnifft, ge spritzt. Jeden Tag, zwei bis drei Gramm pro Kopf. Es war der Beschuldigte, der das Crys tal Meth besorgte, in rauen Mengen. Weil es so billiger war und sie ja jede Menge des Stoffs brauchten. Teils verkaufte sein Freund das Crystal weiter, um den Konsum mitzufinanzieren. Als der Beschuldigte verhaftet wird, hat er fast 300 Gramm bei sich. Das gehört in die Kategorie Verbrechen. Der Polizei sagt der Beschuldigte nichts von seinem Freund. Der arbeitete damals noch bei einer Gross bank, und der Brasilianer nimmt die Schuld ganz auf sich, will ihm nicht schaden. Vor erster Instanz gab es dafür zwei Jahre Frei heitsstrafe teilbedingt, wegen Drogenhan del und -konsum. Sein Anwalt versucht in zweiter Instanz, die Strafe zu halbieren. Wenigstens zu er wirken, dass der Beschuldigte nicht ins Ge fängnis muss. Er habe nicht wissen können, dass das Crystal Meth über den Weiterver kauf an viele Konsument*innen gelangen würde, und er so deren Gesundheit mitge fährdet hat – ein Kriterium für einen schwe ren Fall. Zudem sei sein Mandant sehr ko operativ gewesen, er habe sofort ein Geständnis abgelegt und es seit der Verhaf tung geschafft, drogenfrei zu bleiben. Die Oberrichter*innen lassen Gnade walten und reduzieren die Strafe auf 20 Monate bedingt. Ins Gefängnis muss er nicht, aber die Schweiz für fünf Jahre ver lassen. Sein Freund erholt sich derzeit in einer Rehaklinik.
Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin
in Zürich. 5
ILLUSTRATION: LEAH VAN DER PLOEG
Verkäufer*innenkolumne
Ein schlechter Begleiter Seit Mitte März 2020, seit dem Corona- Lockdown, sind die Medien nur noch damit beschäftigt, Angst zu verbreiten. So scheint es mir jedenfalls. Surprise ist aber nicht dazu da, die gleichen Schlagzeilen zu publizieren wie sämtliche Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und Internet. Als kleines Kind, bei ersten Gehversuchen, lernte ich, Gedanken an die Angst wegzulassen. Angst ist für mich der schlechteste Begleiter. Einmal sagte meine Mutter: «Hans, berühr die Herdplatte nicht, sie ist noch heiss.» Genau deshalb berührte ich die Herdplatte natürlich mit dem Finger, es schmerzte sehr. Hätte Mutter mich nicht extra gewarnt, ich wäre nie auf eine solche Idee gekommen. 6
Die Pandemie war für mein Lebensgefühl einschneidend. Die Plakate, die Mass nahmen, die Masken, die Impfung: Ich fühlte mich als Mensch der Planung ausgeliefert. Da war die Frage, wie die Menschen das Heft mit Bargeld bezahlen sollen. Ob sie das Heft überhaupt noch kaufen. Ob es noch genügend Passant*innen geben würde. Die Angst vor Kon takten. Wir haben aber täglich mit Menschen zu tun. Als Surprise-Verkäufer habe ich die Situation, die Hilflosigkeit, die Angst sehr direkt wahrgenommen. Das hat mir ein Stück Urvertrauen in die Welt genommen. Kriege gibt es nur unter Menschen. Es sollte keine Autokraten geben können, die eine Diktatur führen. Corona, Kriege. Ich kann daran nichts ändern, aber ich
fühle mich ausgeliefert. Ich wünsche mir wieder vermehrt positive Weltgeschehnisse. Manchmal steht für mich auch im Surprise zu viel Negatives, Problema tisches. Das kann Angst machen. Aber Angst ist ein schlechter Begleiter. Das gilt im Kleinen, Persönlichen, wie im Gros sen, für eine Gesellschaft. «Hans, die Herdplatte ist heiss!» Es stimmte, aber ich habe falsch darauf reagiert.
HANS RHYNER, 68, Surprise-Stadtführer in Zürich und Verkäufer in Schaffhausen und Zug, ist ein fröhlicher Mensch. Aber als Beobachter auf der Strasse nimmt er Grundstimmungen sehr direkt wahr. Und er merkt, dass es etwas mit ihm macht.
Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration. Surprise 536/22
INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK: GRENZGÄNGERSTATISTIK
Die Sozialzahl
Wir brauchen Grenzgänger*innen Rund 1,7 Millionen Erwerbstätige sind Ausländer*innen. Sie machen ein Drittel der ganzen Erwerbsbevölkerung aus. Die meisten von ihnen wohnen in der Schweiz. Dazu kommen ausländische Arbeitskräfte, die von ihren F irmen für einen Auftrag in die Schweiz «gesendet» werden. Schliesslich gibt es die Grenzgänger*innen, von denen die meisten in den um liegenden Ländern wohnen, aber regelmässig in die Schweiz pendeln, um hier zu arbeiten. Im zweiten Quartal 2022 waren dies rund 370 000 Personen, etwa ein Fünftel der auslän dischen erwerbstätigen Bevölkerung. Ihre Zahl hat über die letzten 20 Jahre deutlich zugenommen. 2003 waren es noch 168 000 Personen, 2013 bereits 280 000. Ein Drittel sind Frauen, zwei Drittel Männer. An der Spitze der Herkunftsländer steht heute nicht etwa Deutschland, sondern Frankreich mit rund 207 000 Grenzgän ger*innen, gefolgt von Italien mit 87 400, Deutschland mit 63 800, Österreich mit 8500 und Liechtenstein mit 600 pen delnden Erwerbstätigen. Grenzgänger*innen arbeiten in vielen Branchen. Trotzdem ragen einige Wirtschaftszweige deutlich heraus. So sind rund 45 000 von ihnen im Gross- und Detailhandel beschäftigt. Weitere 47 000 sind im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswe sen angestellt und nochmals fast 30 000 auf dem Bau. Dazu kommen 17 000 in der Gastronomie und Hotellerie. Im indus triellen Sektor finden sich 19 000 Grenzgänger*innen in der Uhrenindustrie, 8600 in der Metallindustrie und weitere 8500 in der Chemie.
Grenzgänger*innen sind oft in einer Win-win-Situation. Sie beziehen Schweizer Löhne und leben in Ländern mit deutlich tieferen Lebenshaltungskosten. Doch auch die Schweiz profitiert von ihnen. Die grosse Bedeutung der Grenzgän ger*innen für die hiesige Wirtschaft, die staatliche Infrastruk tur sowie die soziale Sicherheit zeigte sich exemplarisch zu Beginn der Pandemie. Auch im Lockdown war für sie das Pen deln möglich. Selbst die Grenze zu Italien blieb trotz der Bilder aus Bergamo offen. Die Erwerbstätigkeit der Grenzgänger*in nen wurde als systemrelevant anerkannt. Ohne ihre Arbeit würde vor allem in den Grenzkantonen manches nicht mehr funktionieren. Sozialpolitisch verbindet sich mit den erwerbstätigen Grenz gänger*innen ein interessantes Faktum. Sie sind allesamt der Quellensteuer unterstellt. Die Firmen ziehen ihnen direkt vom Lohn einen bestimmten Teil ab und überweisen diesen an das kantonale Steueramt. Viele Länder haben Quellensteu ern, die Schweiz setzt noch immer auf Eigenverantwortung. Man kann von diesem Mechanismus halten, was man will, eines aber erreicht diese Massnahme: Grenzgänger*innen haben kaum Steuerschulden. Steuerschulden sind aber neben offenen Rechnungen bei den Krankenkassen und ausstehenden Miet zinszahlungen eine der häufigsten Verschuldungsarten in der Schweiz. Die Schuldenberatungsstellen fordern darum seit geraumer Zeit, auch für alle anderen in- und ausländischen Er werbstätigen die Quellensteuer einzuführen. Ein Vorstoss in Basel-Stadt scheiterte vor wenigen Jahren nur knapp im kanto nalen Parlament.
PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Grenzgänger*innen nach Herkunftsland 2003–2022 (Zahlen für das 2. Quartal, gleitender Durchschnitt über drei Jahre) 250 000 Frankreich
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Als es ihr im Heim zu viel wurde, verbrachte Naomi ihre Nächte draussen – wie hier in einem Gebüsch am Vierwaldstättersee.
Nur das Beste für Naomi Obdachlosigkeit Wie viele Jugendliche in der Schweiz auf der Strasse übernachten, kann niemand beziffern. Eine von ihnen ist Naomi. TEXT LEA STUBER
Tusche auf den Wimpern, eine Packung Marlboro Golf in der Ledertasche, Trainerhose. Vor ihr die Ufschötti, dieser Fleck Paradies am Vierwaldstättersee, hügelige Liegewiese, Strand aus Sand, glitzerndes Seewasser. Wie Naomi diese federnden, leichten Schritte macht, sieht sie aus, als sei sie auf dem Weg, um wenn nicht die ganze Welt, dann immerhin Luzern zu erobern. Luzern, ihre Stadt, ihre Menschen. Naomi, bald 18 Jahre alt, wohnt seit April bei ihrem Freund, kennengelernt haben sie sich auf Instagram, und macht in einer Handyreparaturwerkstatt ein Praktikum, wo sie geduldig alle Fragen der Kund*innen beantwortet, auch die dummen, sagt Naomi und schmunzelt. Vor wenigen Tagen war sie an der Chilbi, der Luzerner Herbstmesse beim KKL, und ass mit einer Freundin Churros. Sie trinkt jetzt nicht mehr so viel Alkohol, kifft nur einmal alle paar Monate. Seit sie 12 Jahre alt ist, raucht sie, mit 13, als sie in der geschlossenen Abteilung war, kiffte sie zum ersten Mal. Naomi setzt sich auf eine Bank und sagt: «Ich bin froh: Ich bin 17 und habe das alles schon hinter mir.» Die Depressionen und sechs Jahre Heim, die Wutausbrüche und Anzeigen, die geschlossene Abteilung und das Abhauen. Am Anfang für ein paar Stunden, am Ende für drei Monate. Sie war «auf der Kurve», sagt Naomi, so haben das die Sozialarbeiter*innen genannt. 18 Prozent der obdachlosen Menschen in der Schweiz sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz über Obdachlosigkeit (siehe Surprise 525 und 526). Das ist deutlich höher als in der gesamten Bevölkerung und könnte bedeuten, dass unter Obdachlosen sehr viele junge Erwachsene sind, sagt Jörg Surprise 536/22
FOTOS KLAUS PETRUS
Dittmann, einer der Autor*innen der Studie. Menschen unter 18 Jahren wurden für die Studie nicht befragt. Wie viele Minderjährige obdachlos sind, warum sie von zuhause oder dem Heim weggehen und weshalb sie auf der Strasse schlafen, das ist ungeklärt. Ehrlich, selbständig und sehr selbstbewusst sei sie, sagt Naomi und zündet sich eine Zigarette an, wie sie das oft macht, wenn sie einen Moment für sich braucht, Eminem oder Linkin Park hört und zur Ufschötti kommt. Dann erzählt sie ihre Geschichte. Brot und Aufschnitt Die Eltern streiten viel, da ist Naomi noch klein. Der Vater kommt oft erst am Morgen nach Hause, ist betrunken. Die Eltern trennen sich, mit sechs Jahren bekommt Naomi einen Beistand. Die Mutter, bei der Naomi lebt, hat nicht viel Geld, manchmal ist der Kühlschrank leer. Dann muss Naomi, die Rosenkohl und Fenchel nicht leiden kann, dafür Brokkoli liebt, Nachbar*innen um Brot und Aufschnitt fragen. Einmal sperrt die Mutter sie in ihr Zimmer ein. Die Tür öffnet sie nur, um Naomi das Frühstück, Mittag- und Abendessen zu geben. Naomi, Lieblingsfarben babypink und babyblau, spielt mit Baby, so heisst ihre Puppe, die ihr die Grossmutter geschenkt hat und die sie überallhin mitnimmt. Sie füttert sie, duscht sie, legt sie in den Puppenwagen und geht mir ihr spazieren. In der Schule meldet die Mutter Naomi krank. Erst nach einer Woche darf Naomi wieder aus dem Zimmer. In der Schule ist Naomi aggressiv, sie geht auf andere Kinder los. Zuhause wirft ihre Mutter Gegenstände nach ihr, schlägt ihr mit einem Gürtel auf den Rücken. In der 5. Klasse fällt auf, dass Naomis Augen häu-
fig geschwollen sind. Es sind schliesslich Nachbar*innen, die bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) eine Gefährdungsmeldung machen. «Meine Mutter», sagt Naomi, «wurde als Kind auch geschlagen, meine Eltern meinten es nicht böse.» Das Kinderheim, heisst es, ist das Beste für dich, Naomi. Sie, 11 Jahre alt, will nicht weg von ihrer Mutter. Sie vermisst sie, weiss aber: Wenn sie nach Hause ginge, bekäme ihre Mutter Probleme. Jedes zweite Wochenende fährt Naomi, das Stadtkind, aufs Land auf den Bauernhof ihrer Pflegefamilie. Nach drei Monaten darf Naomi zum ersten Mal wieder zu ihrer Mutter, sie gehen ins Hallenbad und essen. Am nächsten Tag kommt sie ein paar Minuten zu spät vom Training. Ihre Mutter will ihr eine Ohrfeige geben, Naomi bekommt Angst und sperrt sich in ihr Zimmer ein. Sie öffnet das Fenster und steigt hinaus. Ihr Vater will sie nicht bei sich haben, zu ihm kann sie nicht. Sie nimmt ein Taxi und fährt zu ihrer Pflegefamilie. Zum ersten Mal ist Naomi von zuhause abgehauen. Einen Tag vor ihrem 13. Geburtstag zieht ihr Vater mit seiner Partnerin ins Ausland. «Er hat mir nicht einmal mehr zum Geburtstag gratuliert», sagt Naomi. Später, 2021, wird auch die Mutter die Schweiz verlassen. Naomi fällt in ein Loch. In der Oberstufe macht sie bei Schlägereien mit. Zwei Wochen darf sie dann nicht in die Schule gehen. Sie bekommt eine schwere Depression, ritzt sich, versucht sich das Leben zu nehmen. Sie schauspielere, finden die Eltern. Trotzdem kann sie eine Tagesklinik besuchen. Im Kinderheim, wo sie weiterhin lebt, hat sie «gar keinen Bock» mehr, sagt 9
Naomi. Einmal sagt ein Kind etwas gegen ihren Vater, sie sticht ihm ihre Gabel in den Oberschenkel. Ein anderes Mal rennt ihr ein Mädchen nach, Naomi knallt die Tür hinter sich zu und klemmt seinen Daumen ein. Das Mädchen schreit. Immer wenn sich Naomi schlecht fühlt oder sie wütend ist, haut sie ab. Wenn sie nach ein paar Stunden zurückkommt, muss sie das Handy, ihren wertvollsten Besitz, abgeben. Statt die Mutter zu sehen, muss sie am Wochenende zur Pflegefamilie. Bald heisst es: Naomi, die geschlossene Abteilung ist das Beste für dich. Sie versteht nicht, warum. In die geschlossene, denkt Naomi, müssen doch nur die wirklich Schlimmen, die schon Anzeigen bekommen haben und Drogen nehmen. Sie aber rauche nur und haue ab und zu mal ab. Einen Monat verbringt Naomi, mit 13 Jahren die Jüngste, ohne Kontakt nach draussen in der geschlossenen Abteilung einer Institution für weibliche Jugendliche in Basel. Kaum darf sie in die offene Abteilung wechseln, haut sie mit einer Freundin ab. Zum ersten Mal kommt sie erst am nächsten Morgen zurück. Wenn Naomi jetzt abhaut, macht sie die Nächte durch, dreht sich einen Joint, hört den Rapper Luciano und sein «Geh meinen Weg». Eine Woche lebt sie in Basel auf der Stras se. Wenn sie duschen will, geht sie zu Freund*innen und bekommt von ihnen frische Kleider. In die Schule, die 8. Klasse, geht sie nicht. «Mein Zeugnis ist eine Katastrophe», sagt Naomi. Das zweite Semester der 7. Klasse verpasste sie, weil sie in der geschlossenen Abteilung war, das zweite der 8. und das erste der 9. Klasse auch. Schulabschluss hat sie keinen. Wenn sie sich für Lehrstellen bewirbt, heisst es: Ihre Schulnoten reichten nicht aus. Einmal auch: Man habe Angst, sie könnte stehlen. Am liebsten würde sie eine Ausbildung in der Pflege machen. Sie hat Bewerbung um Bewerbung verschickt, irgendwann auch für ein KV, als Coiffeuse, für den Detailhandel, die Logistik, Informatik oder für die Betreuung. Sie hat bisher aber nur Absagen bekommen. «Wenn ich keine Lehre 10
Am liebsten würde Naomi eine Ausbildung in der Pflege machen. Sie hat Bewerbung um Bewerbung verschickt, bisher aber nur Absagen bekommen.
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abschliessen kann, wird es schwer. ‹Nimm die Schule ernst›, würde ich der elfjährigen Naomi heute sagen.» Ende 2018 darf Naomi, jetzt 14, wieder zu ihrer Mutter nach Luzern. Mit ihren Freund*innen verbringt sie Abende und Nächte bei der Ufschötti. Sie kommt, wie sie sagt, in die Drogenszene, probiert Koks aus. Ohne Joint kann Naomi nicht aufstehen, bis zum Abend werden es fünfzehn Stück. Nach einem Monat geht ihre Mutter mit dem Messer auf sie los. Naomi hat Angst, bleibt eine Woche weg. Die Freundin, mit der sie an der Chilbi Churros ass, schickt ihr per Whatsapp eine Vermisstenmeldung der Polizei. Ein paar Tage später geht Naomi zurück, niemand ist zuhause. Am frühen Morgen kommt ihre Mutter, schleift sie aus dem Bett, schlägt mit den Fäusten auf sie ein, Naomi blutet im Gesicht. «Ich wollte meine Mutter nicht schlagen, aber irgendwann musste ich mich wehren.» Die Mutter ruft die Polizei – sie sei von ihrer Tochter geschlagen worden. «Nach allem, was sie mir angetan hat, komme ich doch immer zurück – und dann macht sie das.» Naomi beleidigt sie als «psychisch krank», als «Schlampe». In Hand- und Fussschellen kommt sie auf die Polizeistation. Immer wieder wird sie angezeigt. Zwei Mal wegen Drohung, einige Male wegen Körperverletzung, Beamtenbeleidigung, Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln. Sie muss zurück in die geschlossene Abteilung nach Basel. Nach einem Monat heisst es: Eine offene Wohngruppe in einer Institution nahe Bern ist das Beste für dich, Naomi. Chance und Endstation Die Institution, spezialisiert auf Massnahmenvollzug im Jugendbereich, ist Chance und Endstation zugleich, die nächste In stitution wäre das Jugendgefängnis. Es gibt viele Regeln, und alle sind streng. Naomi sagt: «Hier haben mir die Erwachsenen endlich zugehört und mich ernst genommen.» In diesen zwei Jahren hier hat Naomi Wutausbrüche, demoliert ihr Zimmer, haut Surprise 536/22
«Ich wollte meine Mutter nicht schlagen, aber irgendwann musste ich mich wehren.» NAOMI
oft ab und muss von der offenen Wohngruppe auf die geschlossene Abteilung wechseln. Einer Psychologin sagt sie beim Mittagessen, sie sei eine «schwanzgesteuerte Hure». Sie muss für mehrere Tage in den strengen Einschluss: ein Zimmer mit Bett und Tisch, WC und Dusche. Die Türe wird nur für den Hofgang geöffnet und eine Stunde später wieder geschlossen. Einmal am Tag rastet sie aus, sagt Naomi. «Irgendwann gehen dir deine Gedanken auf die Nerven.» Sie nimmt das Bett auseinander, schlägt mit der Faust ein Loch in die Türe zum Badezimmer. «Meine Mutter warf mir alles, was ihr in die Hände kam, nach. Ich mache alles, was mir in die Hände kommt, kaputt.» Manchmal fragt sie sich, wieso gerade sie das durchmachen muss, sagt Naomi. Drei Mal greift sie Sozialarbeiter*innen an. Einem schlägt sie die Nase blutig, als sie festgehalten wird und mit den Armen um sich schlägt. Eine fällt zu Boden, nachdem Naomi sie geschubst hat. Einer anderen wirft sie einen Stuhl entgegen. Im Winter 2021 meint Naomi, inzwischen 17 Jahre alt, dass sie nach drei Monaten nach Hause dürfe. Nein, heisst es, es gebe noch keine Entscheidung der Kesb, sie müsse erst zurück in die offene
Abteilung. Immer wieder, erzählt Naomi, habe sie gesagt, dass sie gerne in ein betreutes Wohnen wechseln würde. Sie sei zu jung, hiess es. Hier verarschen mich alle, denkt Naomi, und nach dem freien Wochenende im Januar kommt sie nicht mehr zurück. Mit einer Freundin, die sie von der Institution in Bern kennt, fährt sie zu einer anderen Freundin ins Berner Oberland. Dann zurück nach Luzern, sie ist mal in Bern, mal in Basel, St. Gallen, Aarau, Frankfurt. Als sie merkt, dass die Polizei ihr Telefon ortet, lässt sie das Telefon in Luzern und fährt nach Genf. Sie kifft viel und isst wenig. Wenn sie, die sehr gerne Sushi isst, doch Hunger hat, lässt sie im Supermarkt etwas mitgehen oder bestellt bei einem Take-away einen Döner und rennt, bevor sie zahlen muss, davon. Im Gebüsch oder im Solarium Sie schläft oft bei Freund*innen. Manchmal hat aber niemand Zeit – viele machen eine Lehre, Naomi fühlt sich abgehängt. Sie macht dann die Nacht durch oder schläft auf der Strasse, oft im Gebüsch bei der Ufschötti. Sie zieht sich eine Kappe an, zwei Pullover, Leggins, darüber Jeans und fünf Paar Socken. «Am nächsten Tag», sagt Naomi, «fühlst du dich dreckig.» Manchmal wecken Junkies sie auf. Warum gehst du nicht nach Hause, fragen sie. Wenn es sehr kalt ist, geht Naomi in ein Solarium, das rund um die Uhr geöffnet ist, und schläft in der Jacke am Boden. Einmal fragt sie auf Snapchat und Instagram nach einem Schlafplatz. Ein Mann, den sie nicht kennt, schreibt ihr. Als sie vor seiner Türe steht, sagt er, du weisst, wenn du hier schläfst, musst du mit mir ficken. Dann schlafe ich lieber auf der Strasse, sagt Naomi und geht wieder. Susanne Meier, Rechtsanwältin und Kindsvertreterin in Bern, versucht im Austausch mit Beiständ*innen und der Kesb herauszufinden, was das Beste für die Jugendlichen ist, die oft wegen einer Vernachlässigung der Eltern oder wegen ihrer psychischen Gesundheit in einer Institution sind. Jugendliche, die abhauen, fühlten 11
sich zu fest eingeschränkt, das erzählen sie Meier oft. «Ein enger Rahmen mit klaren Regeln», sagt sie, «ist nicht für alle Jugendlichen falsch. Wenn sich aber jemand über Wochen nicht auf darauf einlassen kann, müssen wir uns fragen: Ist das wirklich der richtige Rahmen?» Gerade in dieser Situation findet Meier eine Notschlafstelle, wo junge Menschen unterkommen können, wertvoll. Anfang 2021, als Naomi «auf der Kurve» ist, gibt es in der Schweiz eine einzige Notschlafstelle für Minderjährige: Nemo in Zürich. Ende Mai hat in Bern mit Pluto nun eine zweite eröffnet (siehe Seite 13). Naomi kannte Nemo nicht. Wenn sie sich das aber jetzt überlegt, wäre sie in Nächten, in denen sie keinen Schlafplatz hatte, zu Nemo oder Pluto gegangen. «Wahrscheinlich hätte ich aber Angst gehabt, verpfiffen zu werden.» Von so vielen wurde sie verpfiffen, sagt sie. Einmal erzählte sie ihrem Bruder, dass sie abgehauen ist. Kurz darauf war die Polizei bei ihr. «Er habe es nur gut gemeint, sagte er. Es sei das Beste für mich – diesen Satz kann ich nicht mehr hören», sagt Naomi. Kaum jemand, sagt sie, höre wirklich zu, kaum jemand sehe, dass sie versuche, ihr Bestes zu geben. Was sie nicht gut mache, sehe man viel schneller. Es wird Februar, dann März. Sie ist bei einer Freundin zuhause, da kommt die Polizei. «Sind Sie Naomi?» Sie schüttelt den Kopf und fragt die Freundin, ob sie sie verpfiffen habe. «Haben Sie einen Identitätsnachweis?» Naomi werden Handschellen umgelegt, sie muss in den Kastenwagen steigen. Sie ist wütend, sie weint. Sie will nicht zurück ins Heim. Oktober 2022. An diesem Nachmittag wird Naomi eine Wohnung besichtigen, eineinhalb Zimmer in Emmen. Wenn alles klappt, lebt sie bald in ihrer ersten eigenen Wohnung – die Miete würde das Sozialamt zahlen. Und wenn sie 18 ist, bekommt sie bei der Handyreparaturwerkstatt eine Festanstellung. «Es könnte mir besser gehen», sagt Naomi, «aber ich bin stabil. Und ich kann duschen, habe Geld, Essen und Kleider.» 12
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Belegte Betten Die Erfahrungen der Berner Notschlafstelle Pluto für junge Menschen zeigen: Es gibt mehr Minderjährige als erwartet, die draussen schlafen müssen.
Schlichte Zimmer, ein gemütlicher Wohnraum für alle: jede Nacht schlafen sieben bis neun Jugendliche im Pluto in Bern.
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Als Naomi mit 16 Jahren auf der Strasse (siehe Haupttext), wäre sie in manchen Nächten froh um eine Notschlafstelle gewesen. Sie hätte aber, sagt sie, wohl Angst gehabt, dass die Notschlafstelle dem Heim gemeldet hätte, wo sie ist. Bei Pluto, der Berner Notschlafstelle für junge Menschen, werde nichts ohne vorherige Absprache mit den Nutzer*innen getan, sagt Sozialarbeiterin Nicole Maassen. «Wenn eine Nutzerin minderjährig ist und sich wiederholt bei uns aufhält, besprechen wir mit ihr, welche Personen über den Aufenthalt informiert werden müssen.» Grundsätzlich muss bei Minderjährigen die obhutsberechtigte Person kontaktiert werden. Es reicht aber die Information, dass die Person an einem sicheren Ort ist – ohne genauer darauf einzugehen, wo dieser Ort ist. Seit Ende Mai ergänzt Pluto das Angebot an Notschlafstellen in Bern. Im Gegensatz zum Sleeper und zum Passantenheim der Heilsarmee dürfen im Pluto auch Minderjährige übernachten. Willkommen sind alle zwischen 14 und 23 Jahren, unabhängig davon, wo sie leben und angemeldet sind. Das Pilotprojekt, das drei Jahre läuft und von Spenden, Stiftungen, der Kirche und der öffentlichen Hand finanziert wird, ist für die Nutzer*innen kostenlos. In Einer- und Zweierzimmern gibt es sieben Betten, die Couch und eine Matratze können als zwei zusätzliche Notschlafplätze genutzt werden. In den ersten Monaten schliefen Nacht für Nacht sieben bis neun Menschen im Pluto, sagt Nicole Maassen. Dass direkt ab der Eröffnung und nicht erst nach einer Anlaufzeit so selten ein Bett frei bleibt, überrasche, sagt Maassen. «Das zeigt, wie gross die Versorgungslücke des Systems ist.» Der Blick in andere Länder zeigt: Obdachlose Jugendliche kommen überdurchschnittlich oft aus finanziell armen Fami-
lien, erleben häufiger Vernachlässigung, körperlichen, sexuellen und emotionalen Missbrauch. Häufiger als der Durchschnitt werden sie von Schule, Ausbildung und sozialstaatlichen Systemen ausgeschlossen und haben rechtliche Aufenthaltsprobleme. Sie haben überdurchschnittlich oft Gesundheits- und Suchtprobleme und erleben Diskriminierung, etwa weil sie einer Minderheit angehören oder wegen ihrer sexuellen Orientierung. Die Notschlafstelle Pluto zählte bis Ende August 542 Übernachtungen, verteilt auf 35 junge Menschen. Längst nicht alle stammen aus der Stadt und dem Kanton Bern, viele kommen aus den umliegenden Kantonen. Die meisten sind volljährig und männlich. «Wir wollen», sagt Maassen, «weiblich gelesene Menschen noch stärker ansprechen. Auch für sie bieten wir einen Schutzraum.» Eine professionelle Evaluation erhebt Daten wie Anzahl der Übernachtungen oder Gründe für den Besuch. So soll aufgezeigt werden, wie gross die Lücke im staatlichen Angebot für Jugendliche ist. Im Durchschnitt, zeigt die Auswertung der ersten drei Monate, bleibt eine Person 15,5 Nächte, das Maximum wären drei Monate. Ziel ist es, dass sich die jungen Menschen im Pluto erholen können und danach – unterstützt von Fachpersonen – überlegen, wie es weitergehen soll. Etwa in einem betreuten Wohnen oder einer anderen Institution, einer eigenen Wohnung oder mit der Rückkehr nach Hause. LEA
Pluto an der Studerstrasse 44 in Bern hat von 18 bis 9 Uhr geöffnet, inklusive Abendessen und Frühstück. Weitere Infos unter pluto-bern.ch und auf Instagram, Snapchat, Tiktok und Facebook. 13
Erst erlaubt, dann verboten Hausbesetzung Wohnraum ist knapp in Amsterdam. Früher nahm man leerstehende
Häuser einfach in Beschlag und wurde in Ruhe gelassen. Heute landen Menschen mit knappem Budget in unsicheren Mietverhältnissen oder in der Illegalität. TEXT JULIUS E. O. FINTELMANN
FOTOS DAVID MEULENBELD
NIEDERLANDE
Amsterdam
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Das alternative Kulturzentrum OT301 steht in Amsterdam auch für einen langen Kampf für bezahlbaren Wohn- und Freiraum: 1999 wurde das mehrstöckige Haus besetzt und 2006 der Stadt abgekauft.
Die Zahl 301 prangt gross über einer sperrigen Metalltür. An an tifaschistischen Stickern, leeren Bierkanistern und Aushängen mit veralteten Coronaregeln vorbei erreicht man einen Innenhof. Hier am Overtoom 301 befindet sich das alternative Kulturzen trum OT301. Neben Wohnraum im Vorderhaus gibt es hier zahl reiche Studios, ein alternatives Kino, eine Konzerthalle und eine Bar, wo das Bier kostendeckend verkauft wird. Ivo Schmetz war dabei, als 1999 das vierstöckige Gebäude be setzt wurde. «Kurz vorher wurden wir aus einem besetzten Kran kenhausflügel rausgeworfen. Fast 130 Menschen waren damals mit dabei. Die Kerngruppe wurde dann hier fündig.» Doch das Haus stand erst seit einigen Wochen leer. Hausbesetzungen wa ren damals aber nur erlaubt, wenn das entsprechende Gebäude mehr als ein Jahr leergestanden war. «Glücklicherweise wusste die Stadtverwaltung nicht, was sie mit dem Haus anfangen sollte, und tolerierte uns», erklärt Schmetz in der Bar des Kreativzent rums. «Und wir wollten wirklich was machen mit dem Haus. Na türlich ging es auch darum, irgendwo wohnen zu können. Aber im Grunde wollten wir einen Freiraum schaffen, in dem Leute ihre Kreativität ausleben können.» Als ehemalige Filmakademie bot das Gebäude dafür eine perfekte Grundlage. Nach zwei Jahren tolerierter Bestzung bot die Stadt den Be wohner*innen einen fünfjährigen Mietvertrag an, zu günstigen Konditionen. Nach Ablauf des Vertrags im Jahr 2006 schloss sich die Gruppe zu einem Verein zusammen und kaufte der Stadt das Gebäude ab. Seitdem befindet sich das OT301 in kollektivem Ei gentum. Eigentum bedeutet auch Verantwortung: Die Betrei ber*innen der Kulturinstitutionen und der Studios zahlen ge Surprise 536/22
nauso normal Miete wie die Menschen, die im Vorderhaus wohnen – allerdings nur so viel, dass die laufenden Kosten ge deckt werden. «Eigentum ist nicht gleich Freiheit. Diese neoliberale Defini tion ist Quatsch», sagt Schmetz, der früher in einer Elektropunk band spielte. Er produziert momentan einen Dokumentarfilm über kollektives Eigentum. «Wenn sich Menschen zusammentun und gemeinsam Häuser kaufen, entziehen wir diese der Speku lation. Das ist schon fast eine Art legales Besetzen, vor allem weil das Besetzen heute komplett kriminalisiert ist.» Der ausgebildete Grafikdesigner Schmetz kam in den 1990er-Jahren aus Maastricht nach Amsterdam und hatte Schwie rigkeiten, eine Wohnung zu finden. Wie viele junge Menschen schloss er sich der Hausbesetzer*innengruppe an. Heute ist er immer noch Teil des OT301 und dessen Programmleiter, führt aber hauptberuflich ein Grafikstudio und ein Plattenlabel. Schmetz engagiert sich mit Herzblut für eine alternative Stadt. Er gründete auch das Netzwerk Amsterdam Alternative, eine Platt form für die Untergrundszene der niederländischen Hauptstadt, deren Vielfalt sich auch in einer eigenen Zeitung niederschlägt. Findige Anwälte, hartnäckige Besetzer*innen Dunkle Fenster oberhalb von Touristenläden, verbarrikadierte Zugänge: In der Amsterdamer Innenstadt fällt der Leerstand auf. Für Spekulanten sind leere Wohnungen oder die Vermietung über Airbnb günstiger als Langzeitvermietung. Vor allem der Bedarf an günstigem Wohnraum ist riesig, mehr als 300 000 Wohnun gen fehlen im ganzen Land. In den Niederlanden ist das nicht 15
«Wir wollten einen Freiraum schaffen, in dem Leute ihre Kreativität ausleben können.» IVO SCHME T Z
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Neues, schon vor dreissig Jahren fehlten Wohnungen. Doch da mals gab es noch die Möglichkeit, neuen Wohnraum durch Haus besetzungen zu schaffen. Und Orte, die wie das OT301 durch eine Hausbesetzung zu einem florierenden Kulturzentrum geworden sind, gibt es in Amsterdam einige. Über viele Jahre galten die Niederlande in Bezug auf Haus besetzungen als eines der liberalsten Länder in Europa. Die recht liche Grundlage für die laxe Haltung gegenüber Hausbesetzun gen war ein Urteil des Höchsten Gerichtshofes, welcher 1914 entschied, dass ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch ausreichten, um Wohnnutzung zu markieren. 1971 erwirkten findige Anwälte ein weiteres grundlegendes Urteil, welches das Konzept des soge nannten Hausfriedens, niederländisch «Huisvrede», auch auf besetzte Häuser ausdehnte. Nun war auch für das Betreten eines besetzten Hauses erst die Erlaubnis der Bewohner*innen nötig. Hausbesitzer*innen mussten jetzt eine Zwangsräumung per Gerichtbeschluss erwirken und vor Gericht zudem beweisen, dass sie das Gebäude unmittelbar nach der Räumung wieder nutzen oder renovieren würden. Und selbst wenn die Eigentü mer*innen vor Gericht Erfolg hatten: Den Besetzenden drohte keine Strafe, solange nichts zerstört wurde. Ab 1994 wurde dieses Recht dann eingeschränkt: Hausbeset zungen waren nur noch erlaubt, wenn das Gebäude mehr als ein Jahr leergestanden war. Doch zwischen den Behörden und den Besetzer*innen etablierte sich eine Art Kooperation: Besetzende kontaktierten die Behörden im Vorfeld einer Aktion, um auszu loten, ob ein betreffendes Gebäude bereits ein Jahr leergestanden war. Diese Praxis missfiel den Abgeordneten verschiedener christ licher und konservativer Parteien. Jahrelang lobbyierten sie für ein komplettes Verbot, 2010 kamen sie schliesslich damit durch. Seither drohen strafrechtliche Konsequenzen mit einem Höchst mass von bis zu zwei Jahren und acht Monaten, wenn die Haus besetzer*innen Gewalt anwenden oder damit drohen. Auch der Soziologe Hans Pruijt besetzte als Student Häuser. Heute forscht er an der Erasmus-Universität Rotterdam zur glo balen Hausbesetzerbewegung. Für ihn ist das Verbot das Para debeispiel für einen neuen Kulturkampf: «Rechtskonservative wollen die Uhr zurückdrehen und linksliberale Freiheiten aus den 1960er-Jahren kriminalisieren. Die Debatte handelt längst nicht mehr von Kapital gegen Arbeit, sondern dreht sich um eine kulturelle Frage: Hausbesetzungen werden als Freiheit der so wieso verdammten 1960er-Jahre angesehen, und Freiheit muss per se begrenzt werden.» Über lange Zeit seien Hausbesetzungen im nationalen Diskurs schlicht nicht relevant gewesen, sagt Pru ijt. Seit den 1980er-Jahren gab es kaum noch Gewalt, sogar die Sozialdienste hätten auf Hausbesetzungen zurückgegriffen, um Menschen unterzubringen. Und die Polizei habe diese toleriert, auch um Vandalismus an leerstehenden Gebäuden zu vermeiden. Die Polizei stand auch nicht hinter dem Verbotsvorhaben, da sie ihre Aufmerksamkeit lieber auf andere Probleme richten wollte. Insgesamt gingen die Zahlen so stark zurück, dass Pruijt schätzt, es habe in den Nullerjahren zehnmal weniger Besetzungen ge geben als noch in den späten 1980er-Jahren. Als jedoch 2008 bei einer Zwangsräumung eine von den Be setzer:innen selbstgebastelte Sprengfalle mehr oder weniger versehentlich explodierte und die Polizei in dem Gebäude Waf fen fand, wurde das Thema wieder virulent. Verletzt wurde nie mand. «Man muss festhalten, dass das einer der ganz wenigen gewalttätigen Vorfällen war. Nichtsdestotrotz entfesselte er einen Surprise 536/22
Kulturkrieg, in dem die Konservativen die Oberhand behalten sollten», meint Pruijt. «Hausbesetzer entziehen sich dem Woh nungsmarkt. In den meisten Fällen werden Funktionsgebäude besetzt oder Gebäude, in denen sowieso eher wohlhabende Leute wohnen. Dadurch wird der legale Zugriff auf bezahlbaren Wohn raum tendenziell einfacher.» Das ist Hausbesitzer*innen, die mit ihren Liegenschaften Pro fit machen wollen, ein Dorn im Auge. Besonders dann, wenn es um Teile der Bevölkerung geht, mit denen sich nichts verdienen lässt. «Obwohl es natürlich Unterschiede im sozialen und kultu rellen Kapital in der Hausbesetzerbewegung gibt, so sind doch die meisten Aktionen, die ich erlebt habe, sehr solidarisch mit Obdachlosen. Viele Menschen handeln entsprechend, gerade weil sie sonst obdachlos wären», beschreibt der Soziologe Pruijt die Durchmischung der Szene. So erlebte es auch Mathijs (Name geändert), der sich in den 1990er-Jahren mit Anfang zwanzig auf der Strasse wiederfand. Davor durchlebte er eine schwierige Kindheit, er wohnte in ver schiedenen Jugendheimen, aus denen er immer wieder floh. Als er volljährig war, schloss er sich einer Hausbesetzer*innengruppe an. «Diese Gemeinschaft half mir, wieder auf die Beine zu kom men», meint er. Er nahm verschiedene Jobs an, arbeitete auf dem Bau, auf einem Schiff und als Koch. Die Gruppe zog von einem Haus zum nächsten – doch dann ging es bergab. Einige von Ma thijs’ Freund*innen starben an Überdosis, er verlor immer wieder seine Arbeit, was er auf seine traumatische Kindheit zurückführte, die bei ihm Probleme mit Autorität hinterliess. Und dann kam das Hausbesetzungsverbot. Noch 2010 wurde Mathijs mit seinen Freunden aus dem be setzten Haus geworfen. Sie landeten vor Gericht, er kam jedoch ohne Strafe davon. Nun aber war sein Zuhause weg. Und bis heute hat er keines mehr gefunden. Die finanzielle Unterstützung, die er vom Staat erhält, reicht nicht für eine Miete, sondern gerade mal fürs Essen. Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen nach 2010 ein ähnliches Schicksal ereilt hat, gibt es nicht. Erst die Kirche, dann ein ganzer Wohnblock Stattdessen etablierte sich nach 2010 ein neuer Geschäftszweig. Sogenannte Anti-Kraak-Agenturen – «kraken» ist das niederlän dische Wort für besetzen – vermieten übergangsweise leerste henden Wohnraum, um Hausbesetzungen zu verhindern. Wäh rend diese Zimmer und Wohnungen sehr günstig sind, fehlt es oft an Grundausstattung wie Warmwasser, Heizungen oder intakte Fenster. Die Agenturen können den Mietvertrag jederzeit mit ei ner zweiwöchigen Frist kündigen. Für den Soziologen Pruijt ist das eine Folge des Verbots: «Es macht Sinn, dass Unternehmen hier eine Geschäftsidee sahen. Schade ist es natürlich trotzdem.» 2012 mischte sich ein neuer Akteur ins Spiel. Die Aktion «Wij Zijn Hier» (dt. Wir sind hier), gegründet von Sans-Papiers, orga nisierte die zersplitterten migrantischen Hausbesetzer*in nen-Gruppen und besetzte in den letzten zehn Jahren über 35 Grundstücke. Johannes van der Spek, Spitzname JoJo, sitzt in seiner Wohnung im Amsterdamer Osten und hält seine Zwil lingsdachshunde im Arm. «Ich sehe mich eindeutig als Aktivist und setze ich mich für Anarchie und die Störung des Systems ein.» Seit bei einem Brand in einem Ausschaffungsgefängnis nahe dem Flughafen Schiphol 2005 elf abgelehnte Asylbewer ber*innen starben, setzt sich JoJo für eine menschliche Migrati onspolitik ein. Er ist einer der Mitbegründer von Wij Zijn Hier. Surprise 536/22
«Ich sehe mich als Aktivist und setze mich für Anarchie und die Störung des Systems ein.» JOHANNES VAN DER SPEK
«2012 besetzte eine Gruppe von Irakis eine Kirche. Ich half ihnen, Elektrizität und WLAN zu besorgen, unterstützte sie in Presse belangen und beriet sie bei ihren politischen Zielen», erzählt der 55-Jährige. Von den 158 Menschen, die damals an der Kirchen besetzung beteiligt waren, fanden 100 später eine permanente Unterkunft. Aus der Kirche mussten sie wenig später wieder raus, weiter ging es in eine leerstehende Schule. Es sind grosse Akti onen, die Wij Zijn Hier organisiert, auch weil diese auf grosse Sympathie treffen. Studierende arbeiten als Freiwillige, helfen bei Sprachproblemen, der Versorgung mit Nahrungsmitteln und demonstrieren. Später besetzte Wij Zijn Hier noch einen ganzen Wohnblock, der abgerissen worden wäre. Die Menschen, für die sich Wij Zijn Hier einsetzt, sind nicht alle politisch motiviert. JoJo, der selbst einen jungen Mann aus dem Irak beherbergt, meint: «Viele wollen ein ganz normales Leben. Sie haben Familie, ihnen geht es nicht darum, ein politisches Signal zu senden. Da aber der Staat daran scheitert, sie adäquat zu versorgen, finden sie sich gezwungenermassen in Protestgruppen wieder.» 17
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Allein und gebrochen Asyl Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, geht es
psychisch schlechter als der restlichen Bevölkerung. Auch Thayaparan kommt gerade aus der Psychiatrie zurück. TEXT LEA STUBER
FOTOS ANNETTE BOUTELLIER
Wann er die erste Panikattacke hatte, kann er nicht genau sagen. Irgendwann Anfang Jahr, sagt Thayaparan. «Ah, doch!» Es sei Mitte Februar gewesen. Thayaparan, der eigentlich anders heisst, Turnschuhe, Jeans, die Kapuze des kobaltblauen Pullovers über den Kopf gezogen, setzt sich neben dem Bahnhof Ins im Berner Seeland auf eine kalte Metallbank. Er ist mit dem Fahrrad, ein Geschenk vom Migrant Solidarity Network, eine Viertelstunde von Gampelen nach Ins gefahren, vorbei an Feldern und Wiesen. In Gampelen am Neuenburgersee ist das sogenannte Rückkehrzentrum. Hier lebt Thayaparan, Anfang 30 und Vater einer vierjährigen Tochter, seit August 2020; am See war er in diesen zwei Jahren noch nie. Sein Asylgesuch wurde zwei Mal abgelehnt, eigentlich müsste er die Schweiz verlassen. Er vermisse seine Tochter und seine Frau, die Brüder und Eltern, doch in Sri Lanka, wo er herkommt, würde er sich nicht sicher fühlen. Arbeiten darf Thayaparan nicht. Bis 2008 erhielten abgewiesene Asylsuchende Sozialhilfe. Heute bekommt Thayaparan in der Notunterkunft nur noch das, was die Bundesverfassung in Artikel 12 als «für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich» definiert: Ein Bett in einem Mehrbettzimmer, medizinische Grundversorgung und acht Franken pro Tag (ab November 2022 werden es zehn Franken sein). Statt die Zutaten für Kottu Roti und Biryani, seine liebsten srilankischen Gerichte, kauft sich Thayaparan mit den acht Franken im Aldi Tiefkühlpizzas und weiteres Essen, Hygiene- und Gesundheitsartikel, Zugtickets und Kleider. Für Gemüse reiche das Geld nicht, sagt er. Glücklicherweise bekämen sie von einem Supermarkt Gemüse, das dieser nicht mehr verkaufen dürfe. Die Haare schneidet ihm nicht ein Coiffeur, sondern ein anderer Bewohner. Die Nothilfe soll eine vorübergehende Lösung für einige Monate sein. Trotzdem beziehen von den 527 Menschen, die im Kanton Bern Ende September mit Wegweisungsentscheid leben, 280 seit mindestens zwei Jahren Nothilfe, 25 sogar seit mindestens zehn Jahren. Die meisten, 97 nämlich, kommen aus Sri Lanka, 45 aus dem Iran und 44 aus Eritrea. Da Thayaparan keine Deutschkurse besuchen kann, habe er versucht, sich Deutsch selber beizubringen – «ein Messer», «eine Gabel» –, aber er habe kaum Energie. Immerhin spreche er nun besser Englisch, sagt er. Er fühle sich «alone» und «broken». Die Septembersonne wärmt kaum, strahlt aber in den ersten Vormittag, an dem er zurück im Rückkehrzentrum ist. Die vergangenen drei Wochen war Thayaparan in der Psychiatrie. Heute Morgen, erzählt er, wurde er vom Klopfen an die Türe geweckt. Die Polizei. Sie suchte seinen Zimmermitbewohner, ebenfalls aus Sri Lanka. Wer die Schweiz nicht freiwillig verlässt, kann ausgeschafft werden. Manchmal sind Ausschaffungen nicht Surprise 536/22
möglich, etwa wenn eine Person aus einem Land kommt, mit dem die Schweiz kein Rückübernahmeabkommen hat, wie Algerien, Marokko, Äthiopien oder Iran. Manche Staaten akzeptieren zudem keine Zwangsausschaffungen. Nach Sri Lanka führt die Schweiz trotz der politisch instabilen Lage sowie der Wirtschaftskrise – Nahrungsmittel und Treibstoff sind knapp, der Zugang zu medizinischer Versorgung schwierig – weiterhin Ausschaffungsflüge durch. «Viele Menschen aus Sri Lanka sind im Ausschaffungsstress und verstecken sich», sagt Thayaparan. Der von der Polizei gesuchte sowie die beiden anderen Zimmermitbewohner kämen nur zum Unterschreiben ins Zentrum und gingen dann wieder. Nur wer jeden Tag zwischen 8.30 und 10.30 Uhr unterschreibt, bekommt die Nothilfe (am Sonntag zwischen 19 und 20 Uhr). Thayaparan kann im Moment nicht ausgeschafft werden, weil er ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht hat, das hängig ist. Wenn der Magen sich zusammenzieht «Ich bin eine Nacht zurück in Gampelen und schon beginnt es wieder», sagt Thayaparan und lacht kurz. Dann schüttelt er den Kopf. Wenn die Polizei kommt und jemanden sucht, löse das bei ihm Stress aus. Sein Magen zieht sich zusammen, er wird nervös, ist angespannt und ängstlich. Er hatte wieder eine Panikattacke. Im Zentrum seien viele aggressiv. Eines Nachts, als Thayaparan schon schläft, klopft jemand an die Tür, ein Bewohner fragt nach Zigaretten. Er habe keine, sagt Thayaparan, er rauche nicht. Der Bewohner will den Mann im nächsten Bett wecken, Thayaparan versucht die Tür zu schliessen und sagt, er solle ihn am nächsten Morgen fragen. Der Bewohner kickt die Tür auf und schreit, wer er sei, so zu reden. Einige Tage später, als Thayaparan in der Küche gebratenen Reis mit Ei kocht, will der andere Bewohner mit einem Messer auf ihn los. Wenn er Thayaparan sieht, beleidigt und bedrängt er ihn. Thayaparan wagt sich nicht mehr in die Küche. Stattdessen bittet er seinen Zimmermitbewohner, ihm etwas zu kochen und das Essen ins Zimmer zu bringen. Erst als der Bewohner nach ein paar Monaten nicht mehr da ist – vielleicht verhaftet und ausgeschafft, vielleicht in einem der vier anderen Berner Rückkehrzentren –, endet für Thayaparan die «Albtraum-Zeit». Eine Blutprobe in der Psychiatrie zeigte, dass sein Cholesterinspiegel hoch ist. Er sollte sich mehr bewegen, er weiss das. In Sri Lanka spielte er Badminton. In Gampelen bekam er von einem Freund einen Kricketschläger und drei Tennisbälle, sie spielten zu dritt, doch nach zwei Tagen kamen die anderen nicht mehr. «Sie sind auch gestresst, viele sind nicht in Spiellaune.» Zwei Mal pro Woche kommt eine Pflegefachfrau ins Rückkehrzentrum. Welches die häufigsten physischen und psychischen Beschwerden der Bewohner*innen sind, dazu gibt der 19
Im Rückkehrzentrum Gampelen teilen sich 82 Männer und 4 Frauen Küche, Aufenthaltsund Fitnessraum.
Berner Migrationsdienst, der für die Rückkehrzentren verantwortlich ist, keine Auskunft. Das unterliege der beruflichen Schweigepflicht für Gesundheitsfachpersonen. Mitte Februar formulieren über 400 Psychiater*innen, Psycholog*innen, Therapeut*innen und Ärzt*innen einen offenen Brief an den Bundesrat, Sozialdirektionen und Migrationsbehörden. Darin schreiben sie, dass viele abgewiesene Asylsuchende unter chronischen psychischen Beschwerden und post-traumatischen Belastungsstörungen leiden. Die Liste der Beschwerden, die die Fachleute als Folgen des Lebens in der Nothilfe behandeln, ist lang. Aufgezählt werden unter anderem Schlaflosigkeit, Stress und Angst, Apathie, sozialer Rückzug, Depressionen, Aggressivität, erhöhte Suizidalität oder Sucht. Ihre Forderung: Die psychisch gefährdenden Bedingungen in den kantonalen Nothilferegimen müssen beendet werden. Tatsächlich zeigt eine Studie von 2018: 66 Prozent der befragten abgewiesenen Asylsuchenden hatten Angststörungen, 84 Prozent Depressionen und 62 Prozent eine vollständig ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung, ein Drittel hegte Suizidgedanken. Der Gesundheitszustand der Menschen in der Nothilfe, kommt die Autorin zum Schluss, sei verglichen mit der restlichen Bevölkerung in der Schweiz schlecht. Ihr Gesundheits20
zustand sei nicht alleine eine Folge von schlimmen Erlebnissen vor und auf der Flucht, sondern gewisse Symptome würden erst durch die Belastungen in der Nothilfe hervorgerufen. Die Kantone, die für die abgewiesenen Asylsuchenden zuständig sind, setzen das Bundesgesetz unterschiedlich um. Bern, neben Zürich und St. Gallen einer der restriktivsten Kantone, müsste abgewiesene Asylsuchende nicht täglich unterschreiben lassen – im Kanton Obwalden tun sie dies nur einmal in der Woche. Manche Kantone zahlen zwölf Franken Nothilfe am Tag, andere nur acht. Erst nach Kritik der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), wonach der Umgang des Kantons Bern mit abgewiesenen Asylsuchenden «menschenunwürdig» ist, erhöhte die Sicherheitsdirektion von Regierungsrat Philippe Müller (FDP) den Betrag auf zehn Franken. Mitte Februar, zur gleichen Zeit wie die Fachleute den Brief verschicken, hat Thayaparan zum ersten Mal eine Panikattacke. Kurz vorher, an einem Dienstag um drei oder halb vier Uhr, habe er, sagt Thayaparan, in der Küche für alle Schwarztee gekocht. Sein Zimmermitbewohner, ebenfalls aus Sri Lanka, schaute kurz vorbei und sagte, er gehe hinaus. Er treffe, fügte er im Scherz hinzu, seine vielen Freundinnen. Als er nicht zurückkam, hatte Thayaparan Angst, dass er von der Polizei abgeholt worden sei Surprise 536/22
und ausgeschafft werde. So oft hatte er schon erlebt, dass Menschen, die er erst vor Kurzem kennengelernt hat, wieder weg waren – untergetaucht, verhaftet, ausgeschafft. Drei Tage später, als Thayaparan zum Denner ging, sah er überall Polizei. «Wie viele müssen noch sterben?» Thayaparans Zimmermitbewohner war war im Wasser treibend im Islerenkanal gefunden worden. Als Todesursache, schreibt die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, wurde Ertrinken oder eine Unterkühlung festgestellt. Ob es ein Unfalltod war oder Suizid, bleibt offen. Sein Zimmermitbewohner, sagt Thayaparan, sei gestresst gewesen, habe immer darüber nachgedacht, dass er die Schweiz verlassen müsste. «Werden die Menschenrechte im Land, wo der UN-Menschenrechtsrat seinen Hauptsitz hat, respektiert? Wie viele müssen noch sterben?» Auch in Sri Lanka habe er den Tod von Menschen miterlebt, die ihm wichtig waren. Der Tod seiner Grossmutter, von Freund*innen, eines Mitstudenten. «Kein Tod brachte mich so an den Rand wie dieser», sagt Thayaparan. Vorher habe er nie Angst vor dem eigenen Tod gehabt. Wenn er jetzt aber unter der Dusche stehe, habe er auf einmal Angst zu sterben. Es fühle sich an, als würde jemand sein Herz zusammendrücken. Oft sitzt er Surprise 536/22
den ganzen Tag alleine in einer Ecke. Auf Youtube schaut er sich Videos an, über die politischen Ereignisse in Sri Lanka und der Welt, von Tourist*innen in Sri Lanka – es interessiert ihn, was sie über sein Land denken. In Sri Lanka, wo er Computerwissenschaften studiert hatte und dann eine Druckerei eröffnete und Rechner reparierte, habe er sich auch Filme angesehen. Zwei Stunden konzentrieren, das sei im Moment aber nicht möglich. Morgens und abends telefoniert Thayaparan mit seiner Frau und der Tochter. Die Tochter war ein Jahr alt, als er Sri Lanka verliess, inzwischen spreche sie «wie eine Expertin» Tamilisch. Jeden zweiten Donnerstag besucht Thayaparan ein Mittagessen der katholischen Kirche in Bern. Das Zugticket, 16.20 Franken, zahlt die Kirche. Wo er hinkommt, fühlt er sich als der Komische, als der, der anders ist. Er gehe nicht auf andere Menschen zu. Wenn er sich nicht sicher fühlt, zieht er die Kapuze über den Kopf. Das helfe sehr, sagt Thayaparan. Ein Sozialarbeiter der Kirche empfiehlt ihm, zu einer Psychotherapeutin zu gehen. Anfang Sommer schliesslich, als alle nötigen Unterlagen beisammen und geprüft sind, kann er zum ersten Mal in die Therapie gehen. Die Diagnose der Psychotherapeutin: Panikattacken, Ängste sowie eine Depression, ausgelöst durch das Miterleben von Ausschaffungen und den Todesfall. Thayaparan nimmt Escitalopram 10 mg, ein Antidepressivum, und gegen Anspannung und innere Unruhe das Neuroleptikum Quetiapin 25 mg. Ende Sommer hat er immer häufiger Panikattacken, er hat das Gefühl, es nicht mehr auszuhalten. «Dieses Asylsystem», sagt Thayaparan, «hat aus einem gesunden jungen Mann eine psychisch und physisch kranke Person gemacht.» Die Psychotherapeutin weist ihn einer Psychiatrie zu. Er hatte geplant, am Sonntag noch die Messe in der Kirche in Bern zu besuchen. Doch am frühen Morgen hat er wieder Panik. Wenn er in die Kirche ginge, so seine Angst, werde er nicht zurückkehren, er werde sterben. Er versucht, aus dem Gefühl herauszukommen, er geht ins Bad, um seine Zähne zu putzen. Doch die Angst bleibt.Drei Tage später bekommt er einen Platz in der Psychiatrie. Drei Wochen Krisenintervention. In der Musiktherapie hat er, der in der Schulband Trompete spielte, Spass am Ausprobieren all der Instrumente. Klavier, Gitarre, Schlagzeug, auch Harfe und Bassgeige. Zurück im Rückkehrzentrum fragt sich Thayaparan, wie es weitergehen soll. «Ich konnte weg von diesem Ort, der mir nicht guttut, und jetzt haben sie mich doch wieder hierhergesteckt.» Im Kanton Bern können abgewiesene Asylsuchende statt in einem Rückkehrzentrum auch bei Privatpersonen leben. Thayaparan weiss allerdings nicht, ob es eine gute Idee ist, mit Menschen zusammenzuwohnen, die er nicht kennt. Bei Familien, deren Dynamik er nicht kennt. «Was um mich herum passiert», sagt er, «geht mir nahe.» Zwei Tage nach dem Treffen in Ins. Er habe den Plan, schreibt Thayaparan, das Rückkehrzentrum zu verlassen und in eine WG in Bern zu ziehen. Er sei der vielen Panikattacken müde. «In mir drin passiert etwas, das ich nicht beschreiben kann.» Zwei Tage später holt ihn ein Freund ab, damit er seine Kleider, Deutschbücher und Medikamente nach Bern transportieren kann. Doch nach fünf Minuten wird Thayaparan nervös, sein Herz rast, wieder fürchtet er, dass sein Herz nicht mitmacht. Was ist dein Problem, fragt der Freund. Thayaparan schafft es nicht und bleibt in Gampelen. Er dachte immer, das Rückkehrzentrum mache ihn krank, sagt Thayaparan. Jetzt denke er: Vielleicht bin ja ich das Problem. 21
«Jetzt braucht es Wohnraum» Obdachlosigkeit Dominik Bloh lebte in Hamburg auf der Strasse und
schrieb ein Buch über diese Zeit. Im Gespräch sagt er, warum grundsätzliche soziale Veränderungen nötig sind. INTERVIEW DIANA FREI
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FOTO: ZVG
Auszug aus dem Buch
Dominik Bloh, in Ihrem Buch steht der Satz: «Die Strasse bleibt in meinem Kopf.» Seit seinem Erscheinen sind nun fünf Jahre vergangen. Ist die Strasse immer noch da? Dominik Bloh: Es gibt einen bekannten Spruch aus dem Hip Hop, der heisst: «Du kannst den Jungen von der Strasse holen, aber die Strasse nicht aus dem Jungen.» Das war zehn Jahre lang mein Leben und ich war so konditioniert darauf, dass bis heute Anzeichen davon da sind. Bis heute habe ich keinen Kühlschrank, sondern lagere mein Essen immer noch auf dem Balkon. Da sind so viele Konditionierungen, die sich nur langsam ändern lassen. Und darum ist es mir ein Anliegen zu sagen, dass es nie einfach das Happy End ist, wenn man einen Schlüssel in die Hand gedrückt bekommt. Das Ankommen ist mit sehr viel Zeit und Geduld verbunden.
«Meine Gedanken rasen, doch ich kann nichts sagen» Ich komme ein paar Minuten zu spät in die Schule. Der Unterricht hat bereits angefangen. Mein Lehrer verlangt eine Erklärung für die Verspätung und fordert eine Entschuldigung. Ich denke nur: «Für was in den letzten Stunden soll ich mich entschuldigen?» Ich bringe kein Wort heraus. Zur Strafe fliege ich aus der Klasse und muss bis zur Pause auf dem Gang warten. Ein paar Stunden vorher ging es für mich raus auf die Strasse. Meine Mutter setzte mich vor die Tür. Endgültig, mit meiner gesamten Habe, es passte alles in zwei Koffer. Es war finster, als ich nach draussen trat. An der Hauptstrasse drehte ich mich noch einmal um und guckte zurück auf die Wohnung. In der hohen Schneedecke waren nur die Spuren der Räder der Rollkoffer und meine Fussabdrücke zu sehen. Aber hier war ich auf mich alleine gestellt. Die ersten Schritte ging ich noch mit einem Ziel durch die dunklen Strassen. Ich hatte einen Plan. Nicht weit weg wohnte ein Freund. Er hatte eine eigene Wohnung. Es brannte Licht, als ich bei ihm vor der Tür stand und klingelte. Ich sah in sein Zimmer, und er schaute hinunter. Ich winkte hoch und klingelte erneut. Das Licht ging aus. Die Tür blieb zu. Da wusste ich nicht mehr, wohin. Die Nacht war eiskalt, und Schnee fiel. Ich floh nur noch zum immer nächstwärmeren Platz. Es trieb mich zum Bahnhof in Barmbek. Mit zwei Koffern sass ich auf einer Bank an der Busstation. Dort begegnete ich später meiner Mutter wieder. Sie holte sich Frühstück beim Bäcker. Ich fragte, ob sie mir auch etwas holen könne. Sie verneinte. Der Tag brach an. Bald würde die Schule beginnen. Direkt nebenan wohnte Björn, ein Mitschüler und Kollege vom Basketball. Dort durfte ich meine Koffer stehen lassen. Der Lehrer schaut mich erwartungsvoll an. Ich stehe nur da mit meinen durchnässten Klamotten, in der Hand meinen Schreibblock und meinen Stift. Das, was ich aus dem Koffer mitgenommen habe. Meine Gedanken rasen, doch ich kann nichts sagen.
Sie schreiben über die Beleidigungen, die Sie sich als Obdachloser anhören mussten: «Worte sind Gewalt.» Die Art und Weise, wie wir über Menschen reden, bestimmt, wie wir sie behandeln. Bis hin dazu, dass Obdachlose getötet werden, weil man sie für wertlos hält. Was machen Beleidigungen und Blicke mit einem? Beleidigungen und Spott sind Alltag. Eine sehr gängige Formulierung ist «Such dir einen Job». Da spielt auch das Narrativ des neoliberalen Denkens mit hinein, das stark in den Köpfen verankert ist. Es ist mit dem Gedanken verknüpft, dass du selbst verantwortlich bist und nur genügend kämpfen musst. Es gibt das Verbale, aber es sind auch die Blicke, die mir sehr weh getan haben. Gerade dann, wenn ich mich eh schon für mich geschämt habe. Weil ich zum Beispiel drei, vier, fünf Tage nicht geduscht hatte und mich auch nicht richtig waschen konnte. Wenn ich so dastand, und die Menschen mich anguckten, dann fühlte ich mich nicht nur dreckig, sondern hatte irgendwann auch innerlich das Gefühl, ich sei Dreck. Oft dachte ich, ich sei unsichtbar. Aber immer dann, wenn ich sichtbar wurde, war es mit Verachtung oder Ekel verbunden. Das hat weh getan. Daran geht man ein. Das ist eine Form der Einsamkeit und der Scham, die dich irgendwann überzieht. Surprise 536/22
FOTO: ZVG
Sie haben als Kind psychische wie physische Gewalt erlebt. Die depressive Mutter, die den Kühlschrank abschloss und Sie mit sechszehn auf die Strasse stellte. Der Stiefvater, der Sie schlug und einsperrte. Man hätte davon ausgehen können, dass Sie die Gewalt zu reproduzieren beginnen. Sie tun es nicht. Was ist Ihre Erklärung dafür? Es gab Zeiten, in denen ich sehr frustriert und wütend war. Es war der Bezug zu meinen Grosseltern, die mir noch etwas anderes mit auf den Weg gegeben haben und für das Gute im Menschen standen, der für mich immer viel stärker war als die Gewaltanwendung. Es gibt aber auch Dinge, die mir nicht so gut gelungen sind. Mein Stiefvater ist ein toxischer Mann. Er hat mich auch manchmal zu anderen Frauen mitgenommen und mir gesagt, Fremdgehen sei das Normalste der Welt. In meinen ersten Beziehungen habe ich dann tatsächlich ab und zu auch mal jemand anders geküsst, als sei nichts dabei. Heute weiss ich, dass manches auch mit patriarchalen Strukturen zusammenhing, und gebe meiner Mutter weniger Schuld.
Dominik Bloh liest «Unter Palmen aus Stahl», Mi, 2. Nov., 20 Uhr, Parterre One, Klybeckstrasse 1b, Basel; parterre.net. Im Anschluss an die Lesung tauschen sich Surprise-Stadtführende mit dem Autor über ihre Erfahrungen mit Obdachlosigkeit und dem Leben auf der Strasse aus.
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«Es waren auch die Blicke, die mir sehr weh taten. Gerade dann, wenn ich mich eh schon für mich geschämt habe.» DOMINIK BLOH, 34, lebte über zehn Jahre auf den Strassen Hamburgs. Sein Buch «Unter Palmen aus Stahl» wurde zum Bestseller und ist seit letztem Jahr Schulbuch in Deutschland. Bloh hat den Duschbus «GoBanyo» initiiert und arbeitet heute als Autor und Aktivist. Er ist Vater eines 8 Monate alten Sohnes.
Sie haben einen Duschbus für obdachlose Menschen initiiert. Was sind Ihrer Meinung nach andere Projekte, die Menschen auf der Strasse unterstützen können? Gar keine mehr. Es ist nun Zeit, aufzuhören, auch mit dem Duschbus. Wir müssen uns alle hinterfragen, auch die Strassenmagazine. Wir sind systemerhaltend, aber es bräuchte Transformation, und die müsste meiner Meinung nach sehr radikal aussehen. Da braucht es nicht die nächste Suppenausgabe, es braucht nicht die nächste Kleiderkammer. Jetzt braucht es Wohnraum, wir müssen Housing First implementieren – Obdachlosen erst mal bedingungslos ein Dach über dem Kopf geben. Wir brauchen eine Gesetzgebung, die Würde in Form von Lebensraum schafft. Alles andere wird nur dazu führen, dass wir weiter Symptome bekämpfen, uns aber nicht mit den Ursachen der Ungleichheit beschäftigen und diese aus dem Weg räumen. Deswegen: Ich freue mich über alles, und vieles dient als akute Hilfe. Aber auch der Duschbus ist nur ein Tropfen auf den Asphalt. Es gilt jetzt, die volle Aufmerksamkeit auf eine beständige Lösung zu richten, und ich bin der Meinung, dass Housing First die Obdachlosigkeit in Europa beenden wird. In Ihrem Buch werden ein paar Anlaufstellen genannt, ein Winternotprogramm etwa, aber meistens waren Sie auf sich allein gestellt. Auch als Jugendlicher. War da gar nichts, wo Sie hätten Hilfe holen können? Da war ganz viel. Der Kinder- und Jugend-Notdienst, das Jugendamt, die Familienbehörde, die alle ihre Verant24
wortung nicht wahrnahmen, sondern sagten: Da sind andere zuständig. Das Problem der Zuständigkeiten ist Alltag bei den deutschen Behörden. Das sagen auch die Sozialarbeiter*innen im Hilfesystem. Die Frage ist, warum es keine bessere Finanzierung fürs Hilfesystem gibt. Warum gibt es nicht mehr Personal, warum schafft man nicht mehr Schnittstellen? Sozialarbeiter*innen müssen vor einem Stapel Akten von 50 Fällen entscheiden: Wo gehe ich denn als Erstes hin? Ist es das Kind mit häuslicher Gewalt, ist es das Kind mit sexuellem Missbrauch? Und dann ist da noch ein Kind, das ist hinausgeschmissen worden von seiner Mutter und ist irgendwie draussen unterwegs. Naja – wie priorisieren wir das denn jetzt? In all den Fällen fehlt es an der Struktur, weil die Ressourcen fehlen. Gerade die übergreifende Zusammenarbeit wäre wichtig – dass man nicht nur an die nächste Anlaufstelle verweist, sondern beispielsweise sagt: «Auch wenn du mit 16 nicht hierher gehörst, dann bleib trotzdem erst mal beim Kinder- und Jugendnotdienst im Heim, bis wir geklärt haben, ob du vielleicht beim Jugendamt in eine betreute Wohngruppe kannst.» Ich habe ganz oft nur Notizzettel mit der nächsten Anlaufstelle aufgeschrieben bekommen. Aber Konflikte entstehen zwischen Zeit und Raum. Das ist der Moment, in dem Menschen fallen und irgendwann ganz unten landen. Und daher ist es mir so ein grosses Anliegen, dass wir dieses soziale Netz, das ja grundsätzlich vorhanden ist, engmaschiger machen. So, glaube ich, würden wir viel weniger Menschen verlieren. Surprise 536/22
Schwebendes Schwergewicht Ausser Atem
Buch Das Bilderbuch «Nil, Nil, ich komme!»
erzählt von Heimweh und Sehnsucht.
Kino Wegen eines Generalstreiks gerät das Leben
einer alleinerziehenden Mutter im Spielfilm «À plein temps» gewaltig aus dem Takt.
Das Nilpferd ist sehr dick, sehr klein – und kreuzunglücklich. Es hat auch allen Grund dazu. Denn das Gehege, in dem es hinter Gitterstäben lebt, ist furchtbar öde. Nichts als ein Tümpel, drei Grasbüschel und viel Staub. Kein Wunder also, dass es Heimweh hat. Heimweh nach der Ferne, nach Himmel und Sonne, Herde und Erde und nach dem grossen, breiten Fluss. Dem Nil! Davon träumt es mit offenen Augen und flüstert: «Nil, Nil, ich komme.» Und eines Tages hat es genug. Genug von der Giraffe, die das Nilpferd verspottet, weil es keinen so langen Hals hat und nicht so weit in die Ferne sehen kann wie sie. Genug vom Geschimpfe des Wärters Bratbüttel. Genug vom Tümpel, den drei Grasbüscheln, dem Staub und den Gitterstäben. Als sich die Vögel versammeln, um in die Ferne zu ziehen, und als die Träume wachsen und Heimweh und Sehnsucht nicht mehr auszuhalten sind, senkt das Nilpferd den Kopf und rennt los, durch die Gitterstäbe und von dort aus immer weiter und weiter. «Nil, Nil, ich komme!» So beginnt diese Geschichte, erzählt von der vielfach ausgezeichneten deutschen Autorin Jutta Richter und illustriert von der Basler Buchgestalterin, Zeichnerin und Künstlerin Petra Rappo, deren Buch «Baum an Baum» 2016 in die Liste der «schönsten deutschen Bücher» aufgenommen und deren gezeichnete Reportage über Orang-Utans auf Sumatra 2020 als «outstanding picture book» ausgezeichnet wurde. Aus dieser Zusammenarbeit ist ein ganz besonderes Bilderbuch entstanden. Ein Buch, das zwei poetische Erzählweisen vereint. Den wunderbar lyrischen Text von Jutta Richter, der spielerisch und mit grosser Leichtigkeit eine schlichte, klare Erzählung mit einem Gedicht verbindet, dessen Verse wie unabsichtlich entstehen. Aber gerade das ist ja die eigentliche Kunst. Und anderseits die ebenso poetischen Bilder von Petra Rappo, die mit nicht weniger Leichtigkeit der Geschichte und nicht zuletzt auch dem Nilpferd die Schwere nehmen, ohne die Wehmut auszublenden. Mit feinen Umrisslinien und zarten, aber dennoch leuchtenden und kraftvollen Farben. Dieses gelungene Miteinander von Text und Bild, das auch mal seitenweise ohne Worte auskommt, verleiht der Geschichte, trotz des schwergewichtigen Protagonisten, etwas Schwebendes. Und zugleich sprüht dieses Buch vor Witz und Lebensfreude. Eine ansteckende, mitreissende Lebensfreude, die es zu einem Vergnügen macht, dem Nilpferd auf seiner Reise ins Glück zu folgen. CHRISTOPHER ZIMMER
«À plein temps», Regie: Éric Gravel, F 2021, 88 Min., mit Laure Calamy, Olivier Faliez, Evelyne El Garby-Klaï u. a. Läuft zurzeit im Kino. Surprise 536/22
FOTO: ZVG
FOTO: ZVG
Der minutiös durchgeplante Tagesablauf von Julie (Laure Calamy) erlaubt keine Abweichungen. Bereits wenn ihre Kinder frühmorgens trödeln, bevor sie sie zu einer Tagesmutter bringt, steigt ihre Nervosität. Denn die alleinerziehende Julie muss pünktlich bei ihrer Arbeit als Hausdame in einem Luxushotel in der Pariser Innenstadt erscheinen. Dorthin gelangt sie jeden Morgen mit dem Pendelzug. Ausgerechnet als sie zu einem Vorstellungsgespräch für eine bessere Stelle eingeladen wird, bringt ein Generalstreik den Nahverkehr komplett zum Erliegen. Julies sorgsam durchgetakteter Alltag droht im Chaos zu versinken, als sie verzweifelt versucht, trotzdem all ihren Verpflichtungen nachzukommen. Oft ist Autostopp ihre einzige Möglichkeit, um irgendwie doch noch von A nach B zu gelangen. Eines Abends schafft sie es wegen der Demonstrationen und gestrichenen Zugverbindungen nicht mehr aus der Stadt hinaus und muss in einem schäbigen Hotel übernachten. Was wiederum die Tagesmutter verärgert, die je länger, je weniger bereit ist, die Kinder unter solchen Umständen zu hüten. Anstatt endlich einmal früh schlafen zu gehen, füllt Julie im Hotel bis spät in die Nacht Personalbewertungen aus, auf die ihre Vorgesetzte schon lange ungeduldig wartet. Und als wäre das nicht genug, stehen auch noch die Unterhaltszahlungen ihres Ex-Mannes aus. Regisseur Éric Gravel hat mit «À plein temps» einen gnadenlosen Wettlauf gegen die Zeit inszeniert, der seiner Hauptfigur Julie kaum einen Moment des Durchatmens gönnt. Laure Calamy spielt die unter ihrer Mehrfachbelastung langsam zusammenbrechende Mutter mit einer beeindruckenden Intensität. Eine Leistung, für die sie 2021 in Venedig in der Sektion Orizzonti als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. MONIK A BET TSCHEN
Jutta Richter (Text), Petra Rappo (Illustrationen): Nil, Nil, ich komme! Hanser 2022, CHF 23.90
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BILD(1): MIKE NIEDERHAUSER, BILD(2): MABOART BOHREN & MAGONI, BILD(3): ZVG
Veranstaltungen Niederwangen Bern «Mark Jenkins – fight or flight», Ausstellung, bis Fr, 31. März, Mo bis Fr, 7.15 bis 12 Uhr und 13 bis 17 Uhr, zone contemporaine, Freiburgstrasse 580. zonecontemporaine.ch
In einem Industriequartier im Westen von Bern zeigt die zone contemporaine seit 2012 auf über 350 m2 zeitgenössische Kunst unterschiedlichster Medien und Formate. Mark Jenkins verwandelt sie nun in einen Erfahrungsraum mit lebensgrossen, hyperrealistischen Skulpturen. Die Figuren sind Metaphern für die zeitgenössische Gesellschaft. Der Mensch und sein Abbild: Die Gesichter durch Masken oder Kapuzen verdeckt, lösen sie statt Empathie Gefühle der Entfremdung, Überraschung, Irritation aus. Jenkins fertigt die Figuren in Handarbeit: Das menschliche Modell – in dieser Ausstellung der Künstler selbst – wird erst mit Klarsichtfolie und danach mit Klebeband umwickelt. Diese Tape-Form wird danach mit Bauschaum, Zement und einem Holzgerüst ausgefüllt. Abschliessend zieht Jenkins den Figuren seine eigenen Kleidungsstücke an. Er machte bereits mit Installationen an öffentlichen Plätzen auf sich aufmerksam und befasst sich mit sozialkritischen und tabuisierten Themen wie Gewalt, Suizid, Isolation und Umweltzerstörung. Kunsthistorisch knüpft er an Arbeiten von Juan Muñoz, George Segal oder Duane Hanson an. Jenkins’ Werk wird international gezeigt, die Ausstellung in Bern ist seine erste Einzelpräsentation in der Schweiz. DIF
Basel «Kunst im Gartenbad Eglisee», Ausstellung, Sa, 29. Okt. bis So, 26. Feb., Mo bis So, 10 bis 17 Uhr, Eintritt frei, Gartenbad Eglisee, Egliseestrasse 85. jetztkunst.ch
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Ein Gartenbad wird zum Ausstellungsraum. Hier gehen etliche Themenbereiche elegant ineinander über, Freizeit- und Konsumkultur, Körpertechniken, Architektur, Natur und städtischer Raum. Künstler*innen aus den Kantonen Basel-Stadt und Baselland haben sie aufgegriffen und spezifisch für den Ort angefertigte Werke geschaffen. Bald werden hier also Skulpturen vom Turm springen oder seltsam geschwungene Stangen übers Gras schwimmen. Die Kunst an nicht-musealen Ausstellungsorten soll auch ein Publikum erreichen, das nur selten in Berührung mit kulturellen Institutionen kommt. Kuratiert wurde das Ganze von der Stiftung Jetzt Kunst, die seit den 1980er-Jahren Ausstellungen im öffentlichen und halböffentlichen Raum organisiert. Sie betreut «Kunst im Gartenbad Eglisee» zusammen mit dem Sport amt Basel-Stadt. DIF
Zürich «Karl*a der*die Grosse – Marah Rikli macht Unsichtbares sichtbar», Talk-Reihe, Do, 3. Nov. mit Agota Lavoyer zum Thema sexualisierte Gewalt; Do, 1. Dez. mit Sibylle Felber und Steffen Eychmüller zum Thema Sterben, je 19 Uhr, Erkerzimmer, Karl der Grosse, Kirchgasse 14. karldergrosse.ch Sexualisierte Gewalt fängt bei der unangenehmen Berührung in der Schule an und kennt viele weitere Ausformungen: ein ungebetenes Nacktbild per Handynachricht bis hin zu Vergewaltigung oder sexueller Ausbeutung von Kindern. Marah Rikli, Buchhändlerin und Autorin, spricht mit der Opferberaterin, Autorin und Kolumnistin Agota Lavoyer über das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Thema und was wir trotzdem tun können. Thema ist auch Lavoyers erstes Kinderfachbuch «Ist das okay?» sowie die Prävention, die wir als Gesellschaft leisten müssen. Auf ganz andere Art und Weise macht auch der Tod sprachlos. Im Dezember spricht Marah Rikli mit Steffen Eychmüller, Professor für Palliativ medizin, und Sibylle Felber, Kommunikationswissenschaftlerin und Mitwirkende beim Aufbau eines Zentrums für Palliativpflege, über ihre Erfahrungen, ihre Wünsche an die Gesellschaft und ihr gemeinsames Buch «Das Lebensende und ich». – Und wofür wünschen Sie sich mehr Sichtbarkeit? Vorschläge zu Themen und Personen für weitere Veranstaltungen können an karl.debattieren@zuerich.ch geschickt werden. DIF
Online «Timezones», Podcast von Norient und dem Goethe- Institut; neuste Folge: «DIY or Die: Budapest Beneath the Surface»; auf Spotify, Apple Podcasts und allen gängigen Podcastportalen, Sprache: Englisch.
Die von Norient und dem Goethe- Institut koproduzierte Podcast- Serie Timezones startet mit einer Folge zu Budapest in die dritte Staffel. Wie reagieren Künstler*innen auf die Parlamentswahlen in Ungarn im April 2022? Die Folge hört sich in Budapests freier Kunstund Musikszene um, die einer düsteren Zukunft unter dem erstarkten Orbán-Regime entgegenblickt. Der Titel spielt auf die Do-it-yourself-Ästhetik der Punkszene an. «DYI or Die» hört sich vielleicht etwas gar krass an, aber im Grunde bilden die Worte die Bedingungen ab, unter denen die Kulturszene in Budapest aktuell arbeitet. Die Journalistin Lucia Udvardyová und der Klangkünstler Máté Elod Janky treffen unabhängige Künstler*innen, die nach kreativen und kollektiven Wegen suchen, um die letzten Freiräume ihrer Stadt zu verteidigen. DIF
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Winterjacken hervorgeholt, während andere noch im T-Shirt unterwegs sind. Langsam, aber stetig erobert die Sonne weitere Teile des Platzes und scheint den Kurzärmligen recht zu geben. Eine Kinderwagenburg bildet sich, die Kleinen scheuchen die Tauben über den Platz, was beiden, Kindern wie Tauben, zu gesunder Bewegung verhilft. Nach einer Weile dieses Spiels werden alle zwi schenverpflegt. An einer Litfasssäule ist die Kultur in St. Gallen angeschlagen, oben die Gross-, unten die Kleinkunst.
Tour de Suisse
Pörtner in St. Gallen Surprise-Standort: Neumarkt Einwohner*innen: 80 503 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 31,8 Sozialhilfequote in Prozent: 2,1 Tradition: Die Brauerei Schützengarten von 1779 ist die älteste Bierbrauerei der Schweiz
Der Neumarkt ist ein von 1 bis 5 durch nummeriertes Einkaufszentrum, das sich in verschiedenen Gebäuden rund um den Vadianplatz gruppiert. Es ist einer dieser Tage, an denen die Tempera turunterschiede zwischen Schatten und Sonne beträchtlich sind, in der Sonne herrscht Spätsommer, im Schat ten Frühherbst, es weht ein kühler Wind. Entsprechend sind die Sitzgele genheiten auf dem Platz belegt. Leer bleiben die schattigen Aussenplätze des Bäckerei-Restaurants, besetzt sind die Abschnitte der kreisrunden Bänke, die in der Sonne liegen. Der Sockel der bunten Eisenplastik ist ein beliebter Nieder lassungsort, bis ein Lastwagen anfährt und eng davor parkiert. Das Einkaufs zentrum verfügt über ein Parkhaus und einen grossen Velounterstand, bei dem die Fahrräder maximal 48 Stunden Surprise 536/22
stehen dürfen. Für Kund*innen des Einkaufszentrums ist das eindeutig zu lang, möglicherweise ist der gedeckte Unterstand bei Pendler*innen beliebt, der Bahnhof ist nah. Aus dem Lastwagen wird Kühlgut ausgeladen. Eine Anzahl rotblättriger Bäumchen steht in Töpfen genau auf der Linie zwischen Sonne und Schatten, die Pflanzen haben den trockenen Sommer überstanden. Ein Mann stellt sich in den Baumschat ten, der wahrscheinlich angenehmer ist als der Gebäudeschatten. Offensicht lich führt ein Veloweg über den Platz, immer wieder fahren schnittige E-Bikes vorbei, viele davon mit prallen Sattel taschen ausgerüstet. Die Bevölkerung ist praktisch veranlagt. Die Leute haben an solchen Tagen entweder zu heiss oder zu kalt. Die einen haben bereits die
Das Einkaufszentrum selber ist ver schachtelt und verwinkelt. Neben den üblichen Läden gibt es auch einen Coiffeur-, einen Nagel- und einen Beau tysalon, alles auf der gleichen Ebene. Es gibt eine Sprachschule und ein Elekt ronikgeschäft, aus dem eine Frau mit einem neu erworbenen Akkustaubsauger tritt, ein etwas unhandliches Paket, das sie jedoch elegant davonträgt. Men schen mit klobigen Kopfhörern und Sonnenbrillen essen in der Sonne ste hend Sandwiches oder ziehen an diesen modernen Rauchgeräten, die zusehends die Zigarette verdrängen. Um die Ecke gibt es eine Fixzone, es han delt sich aber nicht um einen Raum, in dem Drogen konsumiert werden dürfen, sondern um einen Handy-Reparaturbe trieb. Eine junge Frau ist für eine Werbeaktion mit einer würfelförmigen Kartonschach tel bekleidet. Sie muss über den Platz gehen und die Leute auffordern, den auf die Schachtel aufgedruckten Code zu scannen. «Scan me», steht auf dem Wür fel. Die Menschen, die sich solche origi nellen Werbe-Ideen ausdenken, müssten selber in Schachteln gesteckt den ganzen Tag über den Platz gescheucht werden. Aber nur auf der Schattenseite.
STEPHAN PÖRTNER
Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist. 27
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06
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07
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13
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hervorragend.ch | Grusskartenshop
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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur
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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Zürich
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Madlen Blösch, Geld & so, Basel
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Fontarocca Natursteine, Liestal
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Maya-Recordings, Oberstammheim
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Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Christina Baeriswyl, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Annette Boutellier, Julius E. O. Fintelmann, David Meulenbeld, Sara Ristić, Hans Rhyner, Milica Terzić, Leah van der Ploeg
E. KOCH, ohne Ort
#Strassenmagazin
Danke für die interessanten und informativen Beiträge. Danke auch den freundlichen Verkäufer*innen. JOEL, ohne Ort
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FOTO: SARA RISTIĆ
Internationales Verkäufer*innen-Porträt
«Ich habe gelernt, für mich selbst zu sprechen» «Ich hörte von einem Bekannten von der serbischen Strassenzeitung Liceulice und begann kurz vor der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 dort als Verkäuferin zu arbeiten. Gerade als ich so richtig in Schwung kam, musste ich aufhören. Ein ganzes Jahr verbrachte ich mehr oder weniger in Isolation in einem Altersheim. Das war sehr schwierig für mich. Ich fühlte mich wie eine Gefangene und verstand überhaupt nicht, was da draussen vor sich ging. Wenn ich für einmal das Haus verliess, regnete es. Aber ich war so glücklich, dass ich mich ein wenig in der frischen Luft bewegen konnte. Die Pandemie erinnerte mich an die Zeit, als ich in einem Heim für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen in Sremčica, einem Vorort von Belgrad, untergebracht war. Auch damals durften wir das Haus nicht verlassen. Ich verbrachte in dem Heim sechzehn Jahre. Geboren wurde ich in Bačka Palanka, einer kleinen Stadt im Nordwesten Serbiens, aber ich habe dort nur die erste Klasse besucht, eine Sonderklasse. Nach dem Tod meiner Mutter wurde ich wegen des schlechten Verhältnisses zum Vater in ein Heim gesteckt, zusammen mit meiner Schwester. Ich war sieben Jahre alt. Nach der Grundschule machte ich eine Lehre zur Coiffeuse. Damals wurde ich vom Sozialamt in das andere Heim nach Belgrad geschickt und so von meiner Schwester getrennt. Nun haben wir wieder Kontakt – ich bin zufällig über Facebook auf sie gestossen. Vor einigen Jahren konnte ich endlich das Heim verlassen und in eine Wohnung ziehen, da ich in ein Programm für Betreutes Wohnen aufgenommen wurde. Dort lernte ich kochen, waschen und mich in der Stadt zurechtfinden. Ich war noch nie so glücklich. Ich fühlte mich frei, ich konnte tun, was ich wollte, ich konnte heimkommen, wann ich wollte, durfte einladen, wen ich wollte. Doch leider ging das Programm zu Ende, und ich hätte wieder in einer Art Heim leben müssen. Da schlug mir eine Sozialarbeiterin vor, in ein Altersheim zu ziehen, obwohl dort hauptsächlich Senior*innen untergebracht sind. Ich willigte ein. Zwar bin ich nicht sonderlich zufrieden mit dem Leben hier, aber derzeit habe ich keine andere Lösung. Das Problem ist, dass sich kaum jemand um uns Jüngere kümmert. Das macht mich traurig, und deshalb ist es für mich sehr wichtig, dass ich hier rauskomme und meine Beschäftigung habe. Ich treibe Sport, spiele Fussball und Basketball, ich bin viel unter Leuten und gehe auch in Therapie. All das sind meine persönlichen Lebensretter. Und ich verkaufe das Strassenmagazin, was mir sehr wichtig ist. Seit Kurzem besuche ich sogar von Liceulice organisierte Englischstunden, 30
Anica verkauft in Belgrad die Strassenzeitung Liceulice, treibt viel Sport und wünscht sich nichts mehr als eine eigene Wohnung.
aber das Lernen bereitet mir Mühe. Früher hatte ich keine Probleme damit, in der Schule hatte ich sogar eine 2 (entspricht Schweizer Note 5); warum ich jetzt derart Schwierigkeiten habe, weiss ich nicht. Und ich besuche einen Kurs zum Thema Menschenrechte, das interessiert mich sehr. Doch am meisten erfüllt mich, dass ich gelernt habe, für mich selbst zu sprechen, aufzustehen und lautstark für meine Rechte zu kämpfen. Ich wünsche mir, dass alle, die ähnliche Probleme haben wie ich, ihre Stimme erheben und sich Gehör verschaffen. Ich hoffe, dass ich bald alle Formulare und Papiere zusammenhabe, um mich in Belgrad für eine Wohnung zu bewerben; so könnte ich nämlich endlich das Altersheim verlassen. Ich denke oft daran, wie schön es doch wäre, wenn ich eines Morgens in meiner eigenen Wohnung aufwachen würde. Ich hoffe sehr, dass mein Wunsch bald in Erfüllung geht.
Aufgezeichnet von MILICA TERZIĆ Übersetzt von KL AUS PETRUS Mit freundlicher Genehmigung von LICEULICE Surprise 536/22
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Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren. BETEILIGTE CAFÉS IN AARAU Rest. Schützenhaus, Aarenaustr. 1 | Rest. Sevilla, Kirchgasse 4 IN ALSTÄTTEN SG Zwischennutzung Gärtnerei, Schöntalstr. 5a IN ARLESHEIM Café Einzigartig, Ermittagestrasse 2 IN BACHENBÜLACH Kafi Linde, Bachstr. 10 IN BAAR Elefant, Dorfstr. 1 IN BASEL Bäckerei KULT, Riehentorstr. 18 & Elsässerstr. 43 | BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Bioladen Feigenbaum, Wielandplatz 8 | Bohemia, Dornacherstr. 255 | Elisabethen, Elisabethenstr. 14 KLARA, Clarastr. 13 | Flore, Klybeckstr. 5 | frühling, Klybeckstr. 69 | Haltestelle, Gempenstr. 5 | FAZ Gundeli, Dornacherstr. 192 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreff Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreff Lola, Lothringerstr. 63 | Les Gareçons to go, Bad. Bahnhof | L’Ultimo Bacio Gundeli, Güterstr. 199 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12 | Café Spalentor, Missionsstr. 1a | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | Shöp, Gärtnerstr. 46 Tellplatz 3, Tellplatz 3 | Treffpunkt Breite, Zürcherstr. 149 | Wirth‘s Huus, Colmarerstr. 10 IN BERN Äss-Bar, Länggassstr. 26 & Marktgasse 19 | Burgunderbar, Speichergasse 15 | Generationenhaus, Bahnhofplatz 2 | Hallers brasserie, Hallerstr. 33 | Café Kairo, Dammweg 43 | MARTA, Kramgasse 8 | MondiaL, Eymattstr. 2b Tscharni, Waldmannstr. 17a | Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa, Lorrainestr. 23 | Luna Llena, Scheibenstr. 39 | Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 Dreigänger, Waldeggstr. 27 | Löscher, Viktoriastr. 70 | Sous le Pont, Neubrückstr. 8 | Rösterei, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 DOCK8, Holligerhof 8 | Café Paulus, Freiestr. 20 | Becanto, Bethlehemstrasse 183 | Phil’s Coffee to go, Standstr. 34 IN BIEL Äss-Bar, Rue du Marché 27 Inizio, Freiestrasse 2 | Treffpunkt Perron bleu, Florastrasse 32 IN BURGDORF Bohnenrad, Bahnhofplatz & Kronenplatz | Specht, Hofstatt 5 IN CHUR Café Arcas, Ob. Gasse 17 | Calanda, Grabenstr. 19 | Café Caluori, Postgasse 2 | Gansplatz, Goldgasse 22 | Giacometti, Giacomettistr. 32 | Kaffee Klatsch, Gäuggelistr. 1 | Loë, Loestr. 161 | Merz, Bahnhofstr. 22 | Punctum Apérobar, Rabengasse 6 | Rätushof, Bahnhofstr. 14 | Sushi Restaurant Nayan, Rabengasse 7 Café Zschaler, Ob. Gasse 31 IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstr. 3a IN FRAUENFELD Be You Café, Lindenstr. 8 IN LENZBURG Chlistadt Kafi, Aavorstadt 40 | feines Kleines, Rathausgasse 18 IN LIESTAL Bistro im Jurtensommer, Rheinstr. 20b IN LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 Meyer Kulturbeiz & Mairübe, Bundesplatz 3 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Quai4-Markt, Baselstr. 66 & Alpenquai 4 | Rest. Quai4, Alpenquai 4 | Bistro Quai4, Sempacherstr. 10 | Pastarazzi, Hirschengraben 13 | Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Sommerbad Volière, Inseli Park | Rest. Brünig, Industriestr. 3 Arlecchino, Habsburgerstr. 23 IN MÜNCHENSTEIN Bücher- und Musikbörse, Emil-Frey-Str. 159 IN NIEDERDORF Märtkaffi am Fritigmärt IN OBERHOF Adler, Adlerplatz 72 IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestr. 47 IN RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 IN SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN WIL Caritas Markt, Ob. Bahnhofstr. 27 IN WINTERTHUR Bistro Dimensione, Neustadtgasse 25 | Bistro Sein, Industriestr. 1 IN ZUG Bauhütte, Kirchenstrasse 9 | Podium 41, Chamerstr. 41 IN ZÜRICH Café Noir, Neugasse 33 | Café Zähringer, Zähringerplatz 11 | Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | das GLEIS, Zollstr. 121 | GZ Bachwiesen, Bachwiesenstr. 40 Kiosk Sihlhölzlipark, Manessestrasse 51 | Quartiertr. Enge, Gablerstr. 20 | Quartierzentr. Schütze, Heinrichstr. 238 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 jenseits im Viadukt, Viaduktstr. 65 | Freud, Schaffhauserstr. 118 | Kumo6, Bucheggplatz 4a | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistr. 76 | Zum guten Heinrich Bistro, Birmensdorferstr. 431
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