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THE FRANKFURTER @ LUNCH: CARMELO GRECO
THE CONNOISSEUR
Eleganter die Gläser nie klingen. THE FRANKFURTER bat Mikael Horstmann, Kurator am Deutschen Museum für Kochkunst und Tafelkultur in Frankfurt, zum stilvollen Tischgespräch ins Sternerestaurant Carmelo Greco. Ein Austausch über Manieren, das Dienen und esskulturelle Besonderheiten, die sich heute kaum ein Gourmet zu zeigen wagt.
The glasses have never sounded more elegant. THE FRANKFURTER asked to meet up with Mikael Horstmann, curator at the German Museum for Culinary Art and Table Culture in Frankfurt, for some stylish table talk at the Michelin-starred restaurant Carmelo Greco. An exchange about manners, serving, and dining etiquette peculiarities that hardly any gourmet dares to display today.
THE FRANKFURTER
TEXT: DR. JUTTA FAILING PHOTOS: BETTI KLEE @ LUNCH
Eben erst ist er mit dem Nachtzug aus Turin, seinem zweiten Wohnsitz, zurück nach Frankfurt geeilt. Der elegante Oldschool-Anzug, der Hut und gewählte Worte, die von Belesenheit zeugen. Mikael Horstmann erinnert mich an den Schauspieler und Musiker Ulrich Tukur, der ebenfalls ein Mann guter Manieren ist. Im Sternerestaurant Carmelo Greco will ich mit unserem Gast über die alte und neue Kunst des stilvollen Genusses sprechen. Und hoffe im Stillen, dass ich mich unter seinen Kenneraugen an alle Benimmregeln in der Königsklasse der Sternegastronomie halte. Küchenchef und Namensgeber des Sachsenhäuser Restaurants, Carmelo Greco, ein gebürtiger Sizilianer, räumt mit seinem Team regelmäßig einen Michelin-Stern ab – und seine Spitzenküche verdient Respekt, auch beim Umgang mit dem exklusiven Robbe & Berking-Silberbesteck. He has just rushed back to Frankfurt on the night train from Turin, his second home. The elegant classic suit, the hat and the carefully chosen words testify to his erudition. Mikael Horstmann puts me in mind of the actor and musician Ulrich Tukur, who is also a man of exemplary manners. At the Michelin-starred restaurant Carmelo Greco, I want to talk to our guest about the old and new art of stylish pleasure. And I silently pray that, under his expert eye, I will adhere to all the rules of etiquette demanded by this regal class of starred gastronomy. Chef of the Sachsenhausen-based restaurant, Carmelo Greco, after whom the place is named, is a native of Sicily. He regularly gains a Michelin star with his team – and his top cuisine deserves respect, also when handling the exklusive Robbe & Berking silver cutlery.
Etiquettewithout the Elitist
Knigge is like a Language
Mikael Horstmann ist kein Oberlehrer, sondern einer, der Tischmanieren und Tafelgeschirr weit über die Jahrhunderte verorten kann und auch um deren Modernisierung weiß. Er will „der Etikette das Elitäre nehmen“, denn: „Es geht bei der Etikette nicht darum, sich durch ein bestimmtes Verhalten von anderen abzugrenzen, sondern dass man miteinander konfliktfrei umgeht. Es gibt drei Grundregeln: Nichts schmutzig machen, nichts kaputt machen, sich und andere nicht verletzen.“ Dieser Ursprung der Tisch-Etikette geht bei ihm mit einer Nonchalance einher, die sogar erlaubt, einen Suppenteller auszutrinken. Dazu später mehr. Wir starten mit einem Espresso Tonic, also Tonic Water mit Eis, über das man vorsichtig (es schäumt!) den Espresso ins Tumbler-Glas einlaufen lässt. Service-Juwel Antonio erfüllt uns diesen Wunsch und erkundigt sich höflich, wo man so etwas trinke. „In Turin“, bekommt er von unserem Gast zur Antwort. Mikael Horstmann is not some know-it-all, but someone who knows about table manners and tableware across the centuries and also knows what their modern-day versions look like. He wants to “take elitism out of etiquette,” because: “Etiquette is not about setting oneself apart from others by behaving in a certain way, but about dealing with each other without conflict. There are three basic rules: Don’t get anything dirty, don’t break anything and don’t hurt yourself or others.” This origin of table manners goes hand in hand with a certain nonchalance that even allows you to drink out a soup plate. More on that later. We start with an espresso tonic, which is tonic water with ice, over which you carefully pour the espresso into the tumbler glass (it foams!). Our polished server Antonio fulfills our request and politely inquires where one drinks such a thing. “In Turin,” is the reply he gets from our guest.
Nachdem Mikael Horstmann und seine Freundin, eine Medizinerin, über viele Jahre immer wieder die Region Piemont und deren Hauptstadt Turin besuchten, entschieden sie sich zum Kauf einer Wohnung in der für ihre hervorragende Küche bekannten Metropole. „Turin ist unsere absolute Lieblingsstadt – nach Frankfurt. Sie hat eine tolle Lebensqualität, nicht nur gastronomisch. Vieles ist zu Fuß erreichbar und die Leute sind entspannt“, schwärmt er. Wir stoßen an. Rand oder Bauch? „Wie man Schaumwein trinkt, ist eines meiner Lieblingsthemen. Es kommt darauf an, sage ich. Bei Tisch fasst man das Glas hoch am Stiel an, bei einer Stehparty ist es am Bauch sicherer. Trinkgläser sind in den letzten einhundert Jahren viel größer geworden, wodurch sich der Kipppunkt verändert hat. Knigge und Etikette sind wie eine Sprache permanent kleineren und größeren Änderungen ausgesetzt.“ Wir stoßen die Gläser am Bauch an und es klingt – ganz wie es sein muss – wie eine helle Glocke. After many years of visiting the Piedmont region in Italy and its capital Turin, Mikael Horstmann and his girlfriend, a physician, decided to buy an apartment in the metropolis that’s known for its excellent cuisine. “Turin is our absolute favorite city – after Frankfurt. It has a great quality of life, not only gastronomically speaking. A lot of things are within walking distance and the people are relaxed,” he enthuses. We toast. Rim or bowl? “How to drink sparkling wine is one of my favorite topics. It depends, I say. Seated at a table, you grip the glass high on the stem; at a standing party, it’s safer to hold it by the bowl. Drinking glasses have gotten much bigger in the last century, which has changed the tipping point. Like a language, etiquette and its rule book are constantly subject to major and minor changes.” We clink glasses bowl to bowl and the resultant sound is like a bright bell – just what you’d expect.
Curtain up
Großmutter und Großvater des Frankfurters waren „zu Diensten“. Sie waren in der Hotellerie tätig. Im Grandhotel Frankfurter Hof zum Beispiel. „Bei ihnen zuhause habe ich Tischkultur als Alltag erlebt. Selbst mit einfachem Geschirr war ihr Tisch immer sorgfältig gedeckt. Und meine Großmutter legte Wert darauf, dass das ‚gute Geschirr‘ jeden Sonntag benutzt wurde. Bei Familienfeiern liebte ich es, der Mundschenk für die Gäste zu sein.“ Später als Schüler und Student der Angewandten Theaterwissenschaft jobbte er in Fünf-Sterne-Häusern, auch im Frankfurter Hof, ein Kreis schloss sich. “Die Gastronomie ähnelt dem Theater, es gibt drei Ebenen, auf denen die Inszenierung abläuft: Raum, Tisch, Teller. Es ist das schönste Mitmachtheater.“ Tischkultur ist ihm auch im eigenen Haushalt wichtig, betont er: „Meine Partnerin und ich essen immer mit Silberbesteck.“ So nutzen sie alte, teils geerbte Löffel („wo noch richtig Suppe drauf passt“) und Messer („die selbst nach Jahren des Gebrauchs noch scharf sind“).
The Frankfurter’s grandmother and grandfather were “in service.” They worked in the hotel business. At the Grandhotel Frankfurter Hof, for example. “At their home, I experienced table culture as part of everyday life. Even with simple dishes, their table was always carefully set. And my grandmother made a point of using the ‘good dishes’ every Sunday. At family gatherings, I loved being the ‘cupbearer’ for the guests.” Later, as a high school student and a student of applied theater, he worked in five-star hotels, including the Frankfurter Hof, and the circle closed. “Gastronomy is rather like the theater. There are three levels on which the production takes place: the room, the table and the plate. It’s the most beautiful participatory theater.” Table culture is also important to him in his own household. As he stresses: “My partner and I always eat with silverware.” So they use old, partly inherited spoons (“in which soup still fits properly") and knives (“that are still sharp even after years of use”).
Peter Schamberger, Inhaber À Table
Silberbesteck von Robbe & Berking zu anspruchsvoller Kulinarik ist die perfekte Symbiose aus Genuss und Handwerkskunst.
www.atable-manufakturen.de
City of Tea & Marzipan
Über Jahre war Horstmann ehrenamtlicher Leiter des Deutschen Museums für Kochkunst und Tafelkultur. Da ihm zunehmend die Zeit fehlt, engagiert er sich weiter als Kurator. Das Nischenmuseum, 2015 eröffnet, mit Wurzeln, die bis ins Jahr 1909 zurückreichen, hat einen schweren Stand. „Die Stadt Frankfurt zeigt kein Interesse an dem Museum und so bekommt es auch keine Unterstützung. Alles basiert auf ehrenamtlicher Arbeit“, erklärt er. Dabei sind die Sammlungen durch Stiftungen und Geschenke reichhaltig, allein historische 50.000 Menü- und Speisenkarten gibt es. Außerdem unzählige wertvolle Kochbücher, historische Küchengeräte, Bestecke, Gläser und vieles mehr, was die Gepflogenheiten der Tischkultur vergangener Zeiten dokumentiert. Dass ausgerechnet in Frankfurt ein solcher Schatz beheimatet ist, hat gute Gründe: „Bereits im Mittelalter hatte man hier eine Kulinarik wie kaum eine andere. Es ist die Stadt mit der ältesten noch lebenden Marzipantradition, gut zwei Jahrhunderte vor Lübeck. Die Kochkunst wurde hochgehalten, durch die Messen und Köche, die aus Italien und Frankreich abgeworben wurden, um in Frankfurter Haushalten zu kochen. Das erste Teehaus im deutschsprachigen Raum im Jahr 1726 war in unserer Altstadt, ‚Tee Schmidt‘ in der Schnurgasse.“ For years, Horstmann was the honorary director of the German Museum for Culinary Art and Table Culture. As he increasingly lacks time, he continues to be involved as a curator. The niche museum, opened in 2015, with roots dating back to 1909, is struggling. “The city of Frankfurt shows no interest in the museum and so it gets no support. We rely on volunteers for everything,” he explains. Yet the collections are lavish thanks to donations and gifts; there are 50,000 historic menu and food cards alone. In addition, there are countless precious cookbooks, historical kitchen utensils, cutlery, glasses and much more that document the customs of table culture in days gone by. There are good reasons why Frankfurt, of all places, is home to such a treasure: “As early as the Middle Ages, this city had a culinary culture like no other. It’s the city with the oldest living marzipan tradition, a good two centuries before Lübeck. The art of cooking was held in high esteem by the fairs and cooks who were poached from Italy and France to cook in Frankfurt households. The first tea house in the German-speaking world, ‘Tee Schmidt’ in Schnurgasse, opened its doors in the old part of our town in 1726.”
Inner Values
Faire Chabrot
Man könnte ihm stundenlang zuhören, er ist tief in die Historie eingetaucht und vermittelt diese auch bei Stadtführungen: „Was in Frankfurt am meisten geschlachtet wurde, waren Schafe. Sie lieferten Wolle, Fleisch, Milch und ‚mähten‘ die Streuobstwiesen.“ Dann, zwischen einem der fabelhaften Greco’schen Gänge, rückt Horstmann mit der Sprache heraus: Er habe schon selbst geschlachtet. „Wer das nicht einmal mindestens gemacht hat, sollte kein Fleisch essen. Schlachten, um ein Wertgefühl für das Fleisch zu bekommen.“ Dann legt er nach: Er mag Innereien. „Das ist Respekt. Warum nur die besten Teile verwenden und den Rest nicht? Ich war eine Weile in Wien und habe dort Lungenhaschee kennengelernt. Auch Hühnerherzen sind lecker.“ You could listen to him for hours; he is deeply immersed in history and also imparts his knowledge in tours of the city. “What was slaughtered most in Frankfurt were sheep. They provided wool, meat, milk and ‘mowed’ the orchards.” Then, between one of Greco’s fabulous courses, Horstmann spills the beans: He’s done his own slaughtering. “Anyone who hasn’t done that at least once shouldn’t eat meat. One should slaughter an animal to get a sense of the value of meat.” Then he adds that he likes offal. “That shows respect for the animal. Why use only the best parts and not the rest? I was in Vienna for a while and got to know lung hash. Chicken hearts are also very tasty.”
Er empfiehlt, den „Knigge“ bewusst zu lesen: „In den Schriften des Freiherrn von Knigge geht es kaum um Tischregeln, sondern um das konfliktfreie Miteinander. Daher mein provokanter Satz: Als Knigge-Trainer muss man Demokrat sein. Denn im Mittelpunkt steht das Zwischenmenschliche und Gemeinschaftliche.“ Er schildert das ‚Lufttranchieren‘ der Hühner, das er nach vielem Üben beherrscht, vom Tranchieren überhaupt (früher gehörte dies zur Herren-Ausbildung in Adelskreisen) und einigem mehr. Der Kochkultur-Experte kann anschaulich erzählen und schickt - bevor es betulich wird - immer mal einen amüsanten (Schock-)Moment rein. Wie das mit dem Teller austrinken (unter den Augen von Carmelo Greco, natürlich nur rein theoretisch). „Faire chabrot ist eine ländliche französische Art, das Essen einer Suppe zu beschließen, indem ein Teil des zur Suppe getrunkenen Weins zum Rest in den Teller geschüttet wird. Anschließend wird der Teller an die Lippen geführt und ausgetrunken. Bei einem Essen mit den Eltern meiner Partnerin bei uns zuhause war es soweit. Nach anfänglichem ‚Schock‘ ihrer Mutter, tranken wir alle so den Teller aus – und alle fanden es toll.“ He recommends reading the Knigge, Germany’s etiquette book, consciously. “Baron von Knigge’s writings are not really about table manners, but about conflict-free coexistence. Hence my provocative sentence: As an etiquette trainer, you have to be a democrat. Because the focus is on the interpersonal and communal.” He describes carving chickens while holding them up in the air, a skill he mastered after much practice, of carving in general (in the past part of a gentleman’s training in aristocratic circles) and much more. The cooking culture expert is a vivid storyteller and before any tale becomes too sedate, he always comes up with an amusing twist. Like the one about how to finish a plate of soup (under the watchful eye of Carmelo Greco only in theory, of course). “Faire chabrot is a rural French way of ending a meal of soup by pouring some of the wine drunk with the soup into the plate with whatever is left. The plate is then brought to the lips and its contents drunk. At a dinner with my partner’s parents at our home, it was time to introduce them to the custom. After her mother’s initial shock, we all finished the plate that way – and everyone loved it.”
Mikael Horstmann, Jg. 1975, Kurator am Deutschen Museum für Kochkunst und Tafelkultur in Frankfurt, lizenzierter Knigge-Trainer (www.herr-mika.com), Concierge in der Villa Orange, Gästeführer zur historischen Frankfurter Esskultur und Demokratiegeschichte, ehrenamtlicher Stadtrat in Frankfurt (VOLT). Studierte Angewandte Theaterwissenschaft. Mikael Horstmann, born 1975, Curator at the German Museum for Culinary Art and Table Culture in Frankfurt, licensed etiquette trainer (www.herr-mika.come), concierge at Villa Orange, tour guide on Frankfurt‘s historical food culture and history of democracy, honorary city councilor in Frankfurt (VOLT). Studied Applied Theater.