KUNST
Berliner Gallery Weekend: Unterdrückte Frauenpower Wie inzwischen jedes Jahr, so auch diesen Frühling: Das Berliner
Gallery Weekend präsentiert sich als ambitionierte Leistungsshow dem nationalen und internationalen Publikum. Dieses Jahr fällt da besonders die Unterpräsentation von Künstlerinnen ins Auge – und die hohe Qualität der wenigen dennoch in den 45 Galerien gezeigten weiblichen Positionen, die hier nun vorgestellt werden.
Schon im Vorfeld wurde das diesjährige Berliner Gallery Weekend in den Sozialen Medien wegen seiner schlechten Frauenquote angegriffen, mehr als 70% der dort vorgestellten Künstler seien skandalöserweise männlichen Geschlechts, hieß es auf Facebook z. B. in einem Post der international erfolgreichen Videokünstlerin Candice Breitz. Somit entspricht dieses Jahr die Künstlerinnenquote auf dem Gallery Weekend in etwa der im Kunstbetrieb auch sonst üblichen Quote, sie ist also im schlechten Sinne repräsentativ. Diese männliche Dominanz ist aber, auch wenn Galerien Privatunternehmen sind und so klarerweise selbst entscheiden können, wen sie ausstellen und wen nicht, natürlich immer wieder scharf zu kritisieren. Als »Trost« bleibt vielleicht, dass gerade die wichtigen Ausstellungen auf dem Gallery Weekend heuer von Künstlerinnen erarbeitet wurden. Dieser bemerkenswerte Umstand zeigt auch eindrucksvoll, wie ungerecht dessen miserable Frauenquote ist. In der Galerie Barbara Thumm in der Markgrafenstraßen sind gleich zwei herausragende Künstlerinnen zu sehen: die Britin Fiona Banner aka the Vanity Press und Anne-Mie Van Kerckhoven. Banner arbeitet bereits seit den 1990er Jahren konsequent an einer Kunstpraxis, in der Text und Bild, Buch und Kunstobjekt sich zu einer dynamischen Einheit verbinden. Immer wieder gibt die Britin dann auch Bücher und Poster heraus, so jüngst ihr sehenswertes Font Book. Jetzt zeigt sie »aufblasbare Satzpunke«, die durch den Ausstellungsraum schweben. Van Kerckhoven arbeitet wie Banner in überaus unterschiedlichen Medien, die Bandbreite reicht von kleinen Zeichnungen über vielschichtigen Collagen bis hin komplexen Leuchtkästen. Immer wieder steht hier der weibliche Körper inklusive sexuelle Begierden im Widerstreit mit technoider Logik, etwa wenn computergenerierte Zeichnungen auf von der niederländischen Künstlerin selbst-, also handgemachte Notate treffen. Überaus bemerkenswert ist auch die Ausstellung Ostalgie von Henrike Naumann in der Galerie KOW, die in den alten Räumen der Galerie in der Brunnenstraße ein letztes Mal während des Gallery Weekend zu sehen ist. Naumann spürt in ihrer beeindruckenden Installation dem Phänomen der sogenannten »Ostalgie« nach und fragt mit ihrer furiosen Inszenierung aus Videos, Soundarbeiten, Originalmobiliar und Alltagsgegenständen aus der DDR danach, wie unser Bild von Ostdeutschland und dem gescheiterten »real-existierenden Sozialismus« hervorgegangen ist aus der klischeehaften und besserwisseri-
Von Raimar Stange
Bild oben rechts Fiona Banner aka The Vanity Press Full Stop Seascape; Time, Onyx 2018 Öl auf Leinwand 12 x 9 cm © Galerie Barbara Thumm
Anne-Mie van Kerckhoven Ornament (Orakel) 2016 Digitaldrucke auf zwei Acrylglasschichten, montiert auf lackierter Holzkiste 223,5 x 157,5 x 5,5 cm © Galerie Barbara Thumm and Zeno X Gallery
Math Bass War Flower, 2019 Gouache auf Leinwand 213.4 x 208.3 cm 84 x 82 in Unique Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Tanya Leighton, Berlin
schen Vermarktung eines vermeintlich trist-grauen Lebens im damaligen Osten. Da darf ein kitschiges, von falschem Pelz gerahmtes Erich Honecker-Porträt selbstverständlich nicht fehlen. Die US-amerikanische Künstlerin Math Bass überzeugt in der Kurfürstenstraße bei der Galerie Tanya Leighton mit ihren seltsam piktogrammartigen Bildern, die mal direkt auf die Wand, mal auf Leinwand aufgetragen werden. Buchstaben stehen da neben abstrakten Formen, die wiederum durch gegenständliche Motive, wie etwa dem geöffneten Maul eines Alligatoren, lakonisch ergänzt werden. Irgendwo zwischen Bilderrätsel und dekorativer Post Pop Art ist diese hybride Kunst in der Ausstellung To Name A Few angesiedelt. Jana Euler schließlich ist in der Galerie Neu in der Linien-
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straße ebenfalls mit Malerei vertreten. Unter dem Titel Great White Fear zeigt die Künstlerin, die schon im renommierten Portikus in Frankfurt zu sehen war, neue Gemälde aus den letzten Jahren. Last, but not least, zeigt das Kunst- und Projekthaus Mitte in der Torstraße 111 die sehenswerte Gruppenausstellung Im großen Schiff der Gefühle, u. a. mit so bekannten Künstlerinnen wie Valerie Favre, Nanne Meyer und Ann Noel. Mit ihren insgesamt 26 Positionen belegt die umfangreiche Ausstellung überzeugend, wie vielfältig das Spektrum der »Kunst von Frauen« nicht erst seit heute längst ist. Ein Besuch des Gallery Weekends lohnt sich also auch dieses Jahr auf jeden Fall und besonders dann, wenn man das Augenmerk einmal konzentriert auf die spannenden Präsentationen von Künstlerinnen richtet.