FILM
Wirklich Leben erst durch Kunst Julian Schnabel gibt sich bei unserem Interview im Berliner Luxushotel Das Stue als aufmerksamer Gesprächspartner, der auch interessiert Gegenfragen stellt. So erkundigt sich der am 26. Oktober 1951 in New York City geborene Maler und Regisseur von Miral, (2010) nach meinem Vater Ardavas Hairapetian, als ich ihm erzähle, dass dieser ebenfalls von Vincent van Gogh (30. März 1853 – 29. Juli 1890) beeinflusst gewesen war. Bevor wir uns bei der Deutschland-Premiere seines neuen Films Vincent van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit im Cinema Paris am Kurfürstendamm wiedersehen, um dann bei der After Show Party gemeinsam mit seiner Partnerin, der Innenarchitektin Louise Kugelberg, und Kameramann Benoît Delhomme zu feiern, steht er mir ausführlich Rede und Antwort.
Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit ist zwar ein Film über Malerei, aber ich hatte beim Sehen (und Hören) das Gefühl, einer in Bildern gesetzten Sinfonie beizuwohnen. Das ist schön gesagt. Musik war und ist mir immer wichtig. Ich lasse mich gerne von ihr inspirieren. Nur ein Beispiel: Vor 23 Jahren war ich in Köln zu Besuch und fuhr mit dem Taxi zum Hotel. Der Fahrer war nicht Armenier wie Ihr Vater, aber er kam auch aus dem Iran. Aus seinem Auto-Kassettenrekorder erklang wundervolle Klaviermusik und ich fragte, ob er wüsste, von wem diese wäre. Er sagte stolz: »Die ist von meinem Sohn! Es handelt sich um eine Eigenkomposition von ihm.« Für 25 Deutsche Mark kaufte ich ihm das Tape schließlich ab. Später setzte ich es in meiner filmischen Biografie über den mit nur 27 Jahren verstorbenen schwarzen Graffiti-Künstler Basquiat ein und der junge Komponist bekam dabei natürlich noch ein höheres Honorar für die Verwendung seines Stücks. Bei Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit schrieb Tatiana Lisovskaya die Musik bereits im Vorfeld. Bewusst klingt es manchmal so, als wenn sie eine falsche Note erwischt, wobei Thelonius Monk sagen würde: »Es gibt überhaupt keine falschen Noten.« Dieser etwas »neben der Spur« liegende Sound soll auch Vincent van Goghs aufgewühltes Seelenleben zum Ausdruck bringen. Er nahm die Welt, vor allem die Natur um ihn herum, sehr intensiv wahr. In meinem Film hört man nie Musik, wenn die Leute miteinander reden, aber immer wenn er spazieren geht, um Eindrücke für seine Malerei förmlich aufzusaugen. Mein Einsatz der Musik mag ein künstlicher Weg sein, etwas ganz Natürliches zu illustrieren, aber er passt zu Vincents Aussage: »Die Farbe in meiner Malerei kommt nicht von der Realität, sie kommt von meiner Palette«. Sie sind selbst Maler. Warum haben Sie ausgerechnet einen Film über Vincent van Gogh gemacht, wo es doch schon so viele über ihn gibt? Gute Frage! Es lässt sich mehr mit dem Gefühl, als mit dem Intellekt erklären. Er hat mich, seit ich denk-
gen sollte er viel spazieren gehen und seine Spaziergänge aus Augen- bzw. Brusthöhe filmen. Ich schickte ihn beispielsweise im September nach Schottland, da es zu der Jahreszeit in Frankreich keine geeigneten Kornfelder gibt, die Vincent ja so meisterlich in regnerischen Stimmung eingefangen hat. Später drehten wir dann mit unserem Hauptdarsteller Willem Dafoe an Originalschauplätzen wie Auvers, wo Vincent in nur 70 Tagen sage und schreibe 70 Gemälde fertiggestellt hatte, bevor er sich in die Brust schoß und zwei Tage später an den Verletzungen starb. Im Film scheinen die anderen Schauspieler oft direkt in die Kamera zu reden. So hat der Zuschauer auch das Gefühl, dass sie nicht nur zu Vincent sprechen, der sie ja dabei ansieht, sondern darüberhinaus auch zu ihnen selbst! Beim Drehen warteten wir oft die »magische Stunde« am Nachmittag ab, wenn Himmel und Licht von besonderer Schönheit sind. Worüber wir jetzt reden, das ist der Prozess, Kunst zu kreieren. Ich fühle mich mehr am Leben, wenn ich das tue, Sie wahrscheinen kann, mit seinen Werken berührt. Ich wollte keine herkömmliche Biografie über ihn drehen, sondern eher seine künstlerische Substanz filmisch herausarbeiten. Aber worum geht es überhaupt in dem Film? Was denken Sie? Es geht um einen Künstler, der so sehr seiner Zeit voraus war, dass ihn zu Lebzeiten selbst seine von ihm geschätzten Kollegen wie Paul Gauguin kaum verstehen konnten. Obwohl er ein Genie war, litt er unter deren Missachtung. Der Akt des Schaffens wird zudem bei Ihnen im Film ausführlich gezeigt. Was Sie sagen, kann ich nicht von der Hand weisen, aber es geht in unserem Film meiner Ansicht nach nicht nur um das Malen, sondern vor allem um das Sehen! Mir war wichtig, dass mein Kameramann Benoît Delhomme versucht, die Welt aus den Augen von Vincent zu betrachten. Deswe-
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No 68 - 2019