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Krebszellen während der Operation zum Leuchten bringen

Krebszellen während der Operation zum Leuchten bringen

Bei Hunden lassen sich Weichteiltumore, etwa solche des Bindegewebes, operativ entfernen. Doch in vielen Fällen bleiben Krebszellen im Körper zurück, weil Chirurg*innen sie nicht sehen können. Oberärztin Mirja Nolff macht sie nun mit einem neuartigen fluoreszierenden Farbstoff sichtbar.

Krebs ist nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Hunde eine der häufigsten Todesursachen. Die Vierbeiner leiden im Vergleich zum Menschen besonders oft an sogenannten Weichteilsarkomen. Diese Tumoren entwickeln sich aus Binde- oder Muskelgewebe und können überall im Körper vorkommen. Sie bilden zwar selten Metastasen, doch sie können in das umliegende Gewebe einwachsen. Die beste Therapie ist eine chirurgische Entfernung.

Theoretisch ist die Prognose gut: Bei Patienten, denen der Tumor komplett herausoperiert wurde, wächst er höchstens in einem von zehn Fällen erneut. Entscheidend ist dabei eine saubere Entfernung. Dieser Faktor beeinflusst neben der Grösse und Aggressivität des Tumors die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs nach der Operation wiederkommt. «Es ist ausserdem der einzige Faktor, den ich als Chirurgin beeinflussen kann», sagt Mirja Nolff, Oberärztin für Weichteil- und Onkologische Chirurgie am Universitären Tierspital. Allerdings ist die vollständige Entfernung von Weichteiltumoren eine Herausforderung und gelingt nicht immer. «Etwa bei jedem fünften Eingriff bleiben Tumorzellen im Körper zurück», schätzt Nolff. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs zurückkommt: 30 bis 75 Prozent der Hunde bilden wieder einen Tumor an der gleichen Stelle.

Der Tumor ist unsichtbar «Das Problem ist, dass ich als Chirurgin eigentlich blind bin», erklärt Nolff. Die Tierärztin kann zwar den Kern des Geschwürs als Verhärtung unter der Haut spüren. Aber dieses Geschwür kann unregelmässige Ausläufer haben, die sich unsichtbar und weit ins Gewebe erstrecken. Daher entfernt die Chirurgin in der Operation nicht nur den Tumor selbst, sondern auch gesundes Gewebe in einem Abstand von zwei bis drei Zentimetern darum herum.

Doch: «Der Tumor hält sich nicht an die Geometrie», sagt Nolff. Ob sie wirklich alle Krebszellen erfasst hat, weiss sie erst nach dem Eingriff, wenn das entfernte Gewebe in der Pathologie untersucht wurde. Mit dieser Situation wollte sich die Tiermedizinerin nicht zufriedengeben. Sie prüfte daher eine neuartige Methode, die die unsichtbaren Ausläufer mittels eines fluoreszierenden Farbstoffs sichtbar macht – und zwar direkt während der Operation. Nun testet sie diesen Ansatz in einer ersten klinischen Studie am Universitären Tierspital. Für die Studie kommen die Hunde am Abend vor der Operation in die Kleintierklinik. Hier wird ihnen entweder der Farbstoff in die Vene gespritzt, oder – wenn sie der Kontrollgruppe zugelost wurden – Kochsalzlösung als Placebo. Beim Farbstoff handelt es sich um ein fluoreszierendes Pigment, das an eine Aminosäurekette gebunden ist. Diese dockt an bestimmte Rezeptoren an, sogenannte Integrine, die besonders häufig auf der Oberfläche von Tumorzellen sitzen. Dadurch reichert sich der Farbstoff auf den Krebszellen an und bringt sie zum Leuchten. Nun müssen Nolff und ihr Team nur noch warten, bis der nicht gebundene Farbstoff aus dem Blut verschwunden ist. Das dauert etwa 10 bis 12 Stunden, dann kann es losgehen mit der Operation.

«Ich will mich daran beteiligen, Neues zu entwickeln. Das ist das Wertvollste was ich als Medizinerin machen kann.»

Mirja Nolff, Oberärztin für Weichteil- und Onkologische Chirurgie am Universitären Tierspital

Fluoreszierende Krebszellen «Zuerst zeichnen wir mit einem sterilen Filzstift die Umrisse des fühlbaren Krebsgeschwürs und einen Rand von drei Zentimetern darum herum auf der Haut des Tieres nach», beschreibt Nolff. Danach kommen der Farbstoff und eine Fluoreszenzkamera zum Einsatz. Diese fängt das für das menschliche Auge nicht wahrnehmbare Leuchten des Tumorgewebes auf und wandelt es in Bildsignale um.

«Um mich herum sind überall Bildschirme», erzählt Nolff. Darauf sieht sie den Operationsbereich, überlagert mit dem Bild des leuchtenden Tumors mitsamt seinen Ausläufern. An diesem Bild orientiert sich Nolff bei der Entscheidung, wo sie wie viel Gewebe wegschneidet. «So kann ich überprüfen, ob ich wirklich das entferne, was ich entfernen will und ob der Rand ausreicht.» Nachdem die Wunde vernäht ist und die Patienten aus der Narkose erwacht sind, dürfen sie wieder zu ihren Besitzern nach Hause. Nach zehn Tagen und danach alle drei Monate kommen sie zur Nachkontrolle.

Ob die Operation mit dem Farbstoff tatsächlich bessere Ergebnisse liefert als eine herkömmliche Operation, wissen Mirja Nolff und ihr Team noch nicht. Die Studie mit insgesamt 20 Hunden läuft noch bis Juli 2023. Ob die Tiere den Krebs endgültig los sind, wird sich erst in den darauf-

Operation mithilfe von Fluoreszenz: So kann Oberärztin Mirja Nolff genau erkennen, was Tumor und was gesundes Gewebe ist.

folgenden Monaten und Jahren zeigen. Aber Nolff ist zuversichtlich: «Der Farbstoff wurde bereits vor einigen Jahren an Katzen getestet und hat dort sehr gute Ergebnisse geliefert.»

Für die Tierärztin, die selbst zwei Katzen besitzt, übrigens beides Findlinge, deren angeborene Missbildungen sie operiert hat, ist Forschung Ehrensache. «Für mich ist es wichtig, meinen Patienten einen guten Service anzubieten», so Nolff. «Aber ich will mich auch daran beteiligen, diesen Service zu verbessern und Neues zu entwickeln. Das ist das Wertvollste was ich als Medizinerin machen kann.» Alterung wie ein Zeitraffer. «Ich hoffe, dass Forschungsgruppen aus der Humanmedizin auf uns aufmerksam werden», sagt Nolff. In den USA sei die Zusammenarbeit zwischen Forschenden aus Tier- und Humanmedizin schon viel weiter ausgebaut und es gebe mehr Gemeinschaftsprojekte. Das sei wichtig, denn durch diesen Austausch schaffe man Synergien zwischen Human- und Tiermedizin. «Es ist mein Ziel, dass diese Synergien auch hierzulande entstehen und Mensch und Tier davon profitieren können.»

Auch Menschen sollen profitieren Nolff denkt dabei nicht nur an tierische Patienten. Auch beim Menschen kommen Weichteilsarkome vor. Allerdings sind sie 10- bis 100-mal seltener als bei Hunden. Solche seltenen Krebsarten seien in der Humanmedizin schwieriger zu erforschen, so Nolff. Ihre Forschung mit Hunden könnte darum auch einmal menschlichen Patient*innen zugutekommen. Im Gegensatz zu Labortieren eignen sich Hunde nämlich gut als Modelltiere für die Erforschung von Krebs. Hunde werden wie wir Menschen spontan krank, leben in denselben Umweltbedingungen, haben ein intaktes Immunsystem und sind aufgrund ihrer schnelleren

Tumor mit Farbstoff sichtbar machen

Für Weichteilsarkome wird die Farbstoff-Operationsmethode noch erforscht, doch bei der Therapie anderer Krebsarten kommen ähnliche Techniken bereits standardmässig im Universitären Tierspital zur Anwendung. Etwa die sogenannte NahinfrarotLymphographie. Dabei wird den tierischen Krebspatienten, vorwiegend sind es Hunde, ein Farbstoff unter die Haut gespritzt. Dieser wandert ins Lymphsystem und bindet dort an Krebszellen, die Metastasen gebildet haben. Unter Nahinfrarotlicht wird der Farbstoff sichtbar. So erkennen Chirurg*innen zum Beispiel bei einem Tier mit metastasierendem Brustkrebs, welche Lymphknoten befallen sind und entfernt werden müssen.

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