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Warum sich Reptilien in Gefangenschaft kaum fortpflanzen
Warum sich viele Reptilien in Gefangenschaft kaum fortpflanzen
Die Frage, wie bei Reptilien der Eisprung ausgelöst wird, ist bis heute ungeklärt. Die Spezialistin für Zoo-, Heim- und Wildtiere Maya Kummrow möchte sie mithilfe von Chamäleons endlich beantworten – um in Zukunft eine erfolgreichere Zucht von gefährdeten Reptilien zu ermöglichen.
Auf den ersten Blick ist in den zwanzig Käfigen nur etwas Geäst zu erkennen. Erst beim genauen Hinschauen werden die Bewohnerinnen sichtbar: Chamäleons, in jeder Box eines. Mehrere sind fast einfarbig grün und sonnen sich unter UV-Lampen. Eines hinten links ist gerade dunkelgrau gefärbt und macht sich lang und dünn. Ein anderes, zwei Käfige weiter vorne, leuchtet gelb-grün gefleckt und reisst das Maul mit den scharfen, spitzen Zähnchen weit auf. «Sie würde uns fressen, wenn sie könnte», schmunzelt Maya Kummrow, Oberärztin an der Klinik für Zoo-, Heim- und Wildtiere des Universitären Tierspitals Zürich.
Mithilfe der Jemen-Chamäleon-Weibchen will Kummrow eine Forschungsfrage beantworten, die bis heute Rätsel aufgibt. Nämlich, welche Hormone bei Reptilien den Eisprung auslösen. Dieses Wissen könnte unter anderem helfen, Reptilien in Zukunft erfolgreicher zu züchten. Denn viele Arten pflanzen sich in Gefangenschaft kaum fort. Das ist besonders bei bedrohten Reptilienarten ein Problem.
Die nie geklärte Frage Bei allen anderen Wirbeltierklassen, also bei Fischen, Amphibien, Vögeln und Säugetieren ist bekannt, wie der Eisprung hormonell gesteuert wird: Das Follikelstimulierende Hormon (FSH) lässt die Eizellen heranreifen und das sogenannte Luteinisierende Hormon (LH) löst den Eisprung aus. «An der Frage, ob das bei Reptilien auf die gleiche Weise funktioniert, haben sich in den 1970er- und 1980erJahren zwei Forschungsgruppen die Zähne ausgebissen», weiss Kummrow. Unter anderem gelang es bei Reptilien nicht, mit Hormonen von Schafen Eisprünge auszulösen – was bei anderen Wirbeltieren problemlos funktioniert. Die Forschenden gaben auf. Die Frage blieb ungeklärt.
Um endlich eine Antwort darauf zu finden, eignen sich Jemen-Chamäleons besonders gut, denn die eierlegenden Reptilien werden bereits im Alter von einem Jahr geschlechtsreif. Von da an haben sie jedes Jahr drei Zyklen, die je vier Monate dauern. In dieser Zeit reifen jeweils 40 bis 60 Eizellen, auch Follikel genannt, heran. Allerdings kommt es nicht in jedem Zyklus zu einem Eisprung: Anstatt dass die Eizellen in den Legedarm gelangen und als Eier gelegt werden, bleiben sie auf dem sich dadurch immer weiter vergrössernden Eierstock. Dort werden sie im besten Fall abgebaut und die Bestandteile wieder aufgenommen. Der Vorgang heisst follikuläre Atresie. In ihrer Doktorarbeit konnte Kummrow zeigen, dass diese häufig vorkommt und nicht krankhaft ist. Mutmasslich hilft dieser Mechanismus wildlebenden Chamäleons Ressourcen zu sparen, wenn die Bedingungen für Nachwuchs ungünstig sind. «Die Aldabra-Riesenschildkröten im Zoo Zürich haben in 50 Jahren kein einziges befruchtetes Ei abgelegt.»
Maya Kummrow, Oberärztin an der Klinik für Zoo-, Heim- und Wildtiere des Universitären Tierspitals
Doch in Gefangenschaft gehaltene, gut genährte Tiere, die nur selten Eier legen, können dadurch krank werden: «Ihr Körper produziert einfach weiter Follikel, kann diese aber nicht mehr abbauen, bevor der nächste Zyklus beginnt», erklärt Kummrow. Die Tiere sind schliesslich bis zum Hals mit verschiedenen Generationen alter Follikel gefüllt. Dadurch wird der Platz für die Organe knapp. Gefährlich kann es für betroffene Tiere besonders dann werden, wenn die brüchig gewordenen Follikel platzen. Etwa dann, wenn ein Tier stürzt oder eingeklemmt wird. Die aggressive Dotterflüssigkeit kann zu einer schweren Bauchhöhlenentzündung führen – eine der häufigsten Todesursachen von Chamäleons in Gefangenschaft. Wenn es dafür nicht zu spät ist, kann die Follikelansammlung entfernt und das betroffene Tier kastriert werden. Besser wäre allerdings, die Chamäleons würden ihre Eier tatsächlich legen.
Mit Bluttests und Computertomografie Um die hormonelle Steuerung des Eisprungs zu untersuchen, hat Kummrow unter anderem das komplette Erbgut eines Jemen-Chamäleons sequenzieren lassen. Im genetischen Code haben Kooperationspartner die Baupläne für die Hormone FSH und LH gefunden. Nach dieser Vorlage hat Kummrow die beiden Hormone künstlich herstellen lassen. Mit weiteren Kolleg*innen arbeitet sie nun an einem Bluttest, mit dem sich die Chamäleon-Varianten von FSH und LH in kleinsten Mengen nachweisen lassen.
Was im Körper der Weibchen passiert, überwacht die Forscherin alle zwei Wochen mittels Computertomografie (CT). Kummrow hat für ihre Schützlinge eigens passende Kammern hergestellt. Die Tiere werden darin weich gebettet und via Mini-Gesichtsmasken mit Narkosegas versorgt.
Die Chamäleonweibchen im Tiefschlaf: Sie werden mit Narkosegas betäubt, bevor sie im CT untersucht werden.
Mithilfe dieser CT-Bilder vom Bauchraum der Chamäleons kann die Wissenschaftlerin verfolgen, wie die Follikel wachsen. Der Eisprung erfolgt, wenn überhaupt, wenn die Follikel einen Durchmesser von zehn Millimetern erreichen. Nähern sie sich bei einem Chamäleon dieser Grösse, beginnt Kummrow dem Tier täglich Blut abzunehmen. Bis der Test entwickelt ist, der FSH und LH in den Blutproben nachweist, werden diese bei minus 80 Grad Celsius eingefroren. «Mein grösster Albtraum ist, dass technisch etwas passiert und die Proben auftauen», sagt Maya Kummrow. Hat sie erst alle Daten, will sie die Bilder der reifenden Eizellen mit den Hormonkurven synchronisieren, um zu erkennen, welche Hormone in welchem Stadium eine Rolle spielen – und, vor allem, wo der Unterschied liegt zwischen Zyklen mit Eisprung und solchen, in denen die Follikel stattdessen abgebaut werden müssten.
Die Zucht gefährdeter Arten retten Die Hypothese der Forscherin ist, dass auch bei Reptilien ein steiler LH-Anstieg den Eisprung auslöst. Sicher ist das allerdings nicht. Denn im Chamäleon-Erbgut fanden sich zwar die Baupläne für beide Hormone, doch nur ein Bauplan für einen Rezeptor, an den die Hormone binden könnten. «Möglich wäre etwa, dass dieser Rezeptor eine Doppelfunktion übernimmt und zeitversetzt einmal FSH und später LH daran bindet», sagt die Forscherin.
Wenn Kummrow dereinst herausfindet, wie Hormone den Reptilienzyklus steuern, wird das «zu tausend weiteren Fragen führen», wie sie sagt. Etwa dazu, welche Faktoren beeinflussen, ob der Eisprung tatsächlich ausgelöst wird oder nicht. Das könnte zum Beispiel mit der Nahrungsmenge, der Umgebungstemperatur oder mit Stress zusammenhängen. Auch mit der Anwesenheit von Männchen. Darum ist im Raum mit den Chamäleon-Damen auch ein Männchen daheim. Dieses soll im Idealfall die Weibchen zum Eisprung animieren. Doch auch in Kummrows Labor legen die Chamäleons in den meisten Zyklen keine Eier ab. Ähnlich ist es bei vielen anderen Reptilien-Arten: Sie pflanzen sich in Gefangenschaft selten oder gar nicht fort. «Die Aldabra-Riesenschildkröten im Zoo Zürich beispielsweise haben in 50 Jahren kein einziges befruchtetes Ei abgelegt», sagt Kummrow. Ist erst bekannt, wie der Eisprung im Reptilien-Zyklus ausgelöst wird, lässt sich dieser auch künstlich beeinflussen. Dann könnten bedrohte Arten zukünftig wohl erfolgreicher gezüchtet werden – indem man den Eizellen mittels genau passender Hormone auf die Sprünge hilft.