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Das Tierspital auf Rädern: auf Tour mit der Ambulanz
Das Tierspital auf Rädern für Rinder, Ponys & Co: auf Tour mit der Ambulanz
Sie helfen kranken Kälbchen, impfen Ponys oder röntgen Kühe: Die Tierärzt*innen der Ambulanz des Universitären Tierspitals bringen medizinische Versorgung zu den Höfen in und um Zürich. Ein Einblick in einen Arbeitsalltag, der selten alltäglich ist.
Als Erstes fährt Assistenztierärztin Diana Solinger an diesem kalten Dienstagmorgen im November beim Hof von Hermann Schmid in Boppelsen (ZH) vor. In der Früh hatte der Landwirt bei der Abteilung Ambulanz und Bestandesmedizin des Universitären Tierspitals angerufen – eines seiner Kälber habe Husten und Fieber. Solinger tritt in den Stall: «Hallo Hermann, Diana von der Ambulanz!» Sie hat hier schon früher Tiere behandelt und kennt sich aus. Auf der einen Stallseite stehen die rund 20 Milchkühe des Betriebs, auf der anderen frisst eine Reihe von Mastrindern ihre Heuration. Daneben, in einem mit Stroh ausgestreuten Verschlag, ist der Patient daheim, zusammen mit neun anderen Kälbern.
Als der Landwirt und die Tierärztin ins Gatter treten, kommt Bewegung in die kleine Herde. Übermütig springen manche der Kälber umher, andere sind neugierig. Ein besonders freches zupft Solinger an der Overall-Hose. Aber es sind nicht alle Kälbchen so fit. Schmid zeigt auf das kranke Tier, eines der kleinsten und magersten der Gruppe. Während er das Kalb festhält, hört Diana Solinger mit dem Stethoskop dessen Herz, Lunge und MagenDarm-Trakt ab, schaut, ob Nase oder Augen Schleim absondern und misst seine Temperatur. Ihr Befund: Lungenentzündung. «Das Kalb hat mit 40 Grad Celsius hohes Fieber und die Lunge klingt gar nicht gut», sagt sie mit einem Stirnrunzeln. Zudem hat Solinger bemerkt, dass auch einige der anderen Kälbchen husten und dass bei einem das Ohr etwas herunterhängt. «Das deutet auf eine Ohrenentzündung hin», erklärt die Assistenzärztin. «Eine Entzündung auf der Lunge breitet sich häufig in die Ohren aus.» Sie untersucht drei weitere Tiere, und auch sie benötigen eine Behandlung.
Nützlicher Augenschein vor Ort Dass Solinger nun statt einem Patienten plötzlich mehrere hat, ist nicht ungewöhnlich. Da die Tiere auf engem Raum gehalten werden, können sich Infektionen rasch ausbreiten. Zudem sind die Tierärzt*innen der Ambulanz Überraschungen schon fast gewohnt. «Das ist das Spannende an der Arbeit, man weiss nie, was einen erwartet», sagt Solinger. Meist werden neue Patienten frühmorgens angemeldet. Um kurz vor 8 Uhr setzen sich der Leiter der Ambulanz, Michael Hässig, und sein Team zusammen, besprechen die Fälle und planen die Touren der Ambulanzen. In der Regel sind vier Autos unterwegs, meist in einem Umkreis von 20 Kilometern um Zürich. So versorgen die fahrenden Tierärzt*innen rund 8000 Patienten pro Jahr.
Solinger geht zurück zum Ambulanzauto, ein Kombi, dessen hinterer Teil mit Material vollgepackt ist – darunter Verbände, Salben, Infusionen, Spritzen, portable Diagnosegeräte und ein Kühlschrank mit Medikamenten. Für jedes der kranken Kälber zieht die Tierärztin vier Spritzen auf: Ein Antibiotikum, ein Medikament, das schmerzlindernd und fiebersenkend wirkt, ein schleimlösendes Mittel und ein Antihistaminikum, das die Entzündungsreaktion eindämmen soll. Zurück im Stall ist zuerst das schwächste Kalb an der Reihe, das die Pikse ruhig über sich ergehen lässt. Dem zweiten, fitteren Kalb müssen Tierärztin und Besitzer erst quer durch den Verschlag nachjagen, bevor sie es festhalten können – ein gutes Zeichen. Schliesslich sind alle kranken Kälber versorgt. Drei der behandelten Tiere werden wieder gesund, so die Einschätzung der Tierärztin, nur beim schwächsten Kälbchen ist sie unsicher. «Das kann gut kommen oder nicht, wir müssen abwarten.» Sie lässt dem Besitzer einige Medikamentendosen da, damit er selbst jeden zweiten Tag nachbehandeln kann, und bespricht mit ihm den Grund für die Erkrankung der Kälber. Deren Verschlag steht nämlich an einer besonders zugigen Stelle im Stall, was die Tiere anfällig für Erreger macht. Hier zeigt sich ein Vorteil der ambulanten Behandlung: Solinger sieht vor Ort, wie die Tiere gehalten werden und kann die Besitzer entsprechend beraten.
Als nächstes untersucht die Tierärztin eine Milchkuh, deren Fruchtbarkeit abgeklärt werden soll. Vor drei Monaten hat das Tier ein Kalb zur Welt gebracht, nun soll es bald wieder besamt werden. Solinger zieht sich einen Plastikärmel über, nimmt etwas Gleitgel auf die Hand und führt die Sonde eines portablen Ultraschallgeräts in den After der Kuh ein. Sie schaut auf den Bildschirm. «Die Eierstöcke sehen gut aus, ich sehe keine Zysten und keine Entzündung», entwarnt Solinger. Sie sieht auch, dass
Diana Solinger, Assistenztierärztin in der Abteilung Ambulanz und Bestandesmedizin
sich ein Gelbkörper im Eierstock befindet. Das Tier ist also etwa in der Mitte seines Brunstzyklus. Nun hilft eine Hormonspritze, den Zeitpunkt für die nächste Besamung festzulegen. Drei Tage später wird die Kuh wieder brünstig und auf Besamung eingestellt sein.
Piks auf dem Reiterhof Solche Fruchtbarkeitsuntersuchungen gehören zum Standardrepertoire der Ambulanz, ebenso wie Solingers nächste Aufgabe: Impfen. Dafür fährt sie weiter zu einem Pferdehof in Zürich Affoltern. Dort warten schon die beiden Ponystuten Rina und Sary, die heute gegen Tetanus und Pferdegrippe immunisiert werden sollen. Mit 22 und 23 Jahren haben die beiden Kleinpferde schon ein stolzes Alter erreicht. Da nicht klar ist, wie durchgängig sie bisher geimpft wurden, geht die neue Besitzerin auf Nummer sicher. «Pferdegrippe kann sich in einer Herde seuchenartig ausbreiten, das möchten wir vermeiden», erklärt Solinger. Zudem sind Pferde gegenüber Wundstarrkrampf sehr empfindlich, darum ist diese Impfung dringend empfohlen. Zwar behandeln die Tierärzt*innen der Ambulanz am häufigsten Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe, aber auch Pferde, Esel, Lamas oder Alpakas gehören zu ihren Patienten.
Das Impfen geht rasch und die Ponys machen gutmütig mit. Doch Solinger fällt auf: Das kleinere der beiden, Sary, hat einen etwas ungesund aussehenden, kugelrunden Bauch und auch die Fett- und Muskelverteilung an ihrem Hals ist ungewöhnlich. «Das kann auf das Equine Cushing-Syndrom hindeuten, eine Hormonstörung, die aufgrund eines Tumors im Hirn entsteht», erklärt Solinger. Sie vereinbart mit der Besitzerin einen Termin, um den Verdacht mit einer Blutanalyse abzuklären. Falls sich die Erkrankung bestätigen sollte, kann sie mit Medikamenten behandelt werden.
Danach geht die Fahrt weiter in den Weiler Katzenrüti bei Rümlang zur Milchkuh Ilenia. Ihr musste wegen einer schweren Entzündung eine Klaue, also der eine Teil ihres Paarhufs, amputiert werden. Heute steht eine Nachuntersuchung an, unter anderem mithilfe eines neuen, portablen Röntgengeräts. Da die Tierärzt*innen für dessen Handhabung zu zweit sein müssen, trifft sich Solinger mit ihrem Kollegen Elio Schwarz auf dem Hof.
Diana Solinger misst, ob das Kalb Fieber hat. Mobiles Röntgen Zuerst wollen die beiden Assistenzärzt*innen begutachten, wie gut sich Ilenia mit der amputierten Klaue bewegen kann. Als Besitzer Hans Flükiger der Kuh einen Klaps aufs Hinterteil versetzt, macht sie einige schnelle und erstaunlich leichtfüssige Schritte – und zwar ohne den betroffenen Fuss zu schonen. Danach wird das Tier in ein schmales Gatter, den sogenannten Klauenstand, getrieben, um den Verband am Fuss zu lösen. Schwarz schaut sich den Stumpf an – dieser sieht gut aus, nur eine kleine Stelle ist noch nicht vollständig verheilt. Nun hebt Schwarz das Röntgengerät hoch, ein grauer Kasten, während Solinger eine Röntgenplatte hinter das Bein hält. «Mit unseren portablen Geräten – dem Röntgen und dem Ultraschall – können wir die Tiere auch auf dem Hof mit modernen Mitteln untersuchen und deshalb optimal versorgen», sagt Solinger. Das aufgenommene Bild wird zeigen, wie die Knochensubstanz an der Amputationsstelle aussieht.
Mittlerweile ist es kurz nach Mittag und für heute ist Solingers Tour beendet – ein vergleichbar ruhiger Tag. Typischerweise fährt jede Ambulanz pro Tag fünf, sechs Betriebe an. Eine langjährige Lieblingspatientin von Solinger ist die Milchkuh Tansania, die auf einem Hof in Niederglatt lebt. «Uns verbindet eine Art Hassliebe», sagt sie. Die Kuh mag Tierärzt*innen nicht besonders und ist eine unfolgsame und ausgesprochen anspruchsvolle Patientin. «Ich mag aber, dass sie einen ausgeprägten Charakter hat.»
Mobiles Röntgen auf dem Bauernhof: Der Huf von Milchkuh Ilenia wird geröntgt, um zu überprüfen, wie es dem amputierten Knochen geht.
Diana Solinger, Assistenztierärztin in der Abteilung Ambulanz und Bestandesmedizin
Besonders gern erinnert sich Solinger ausserdem an ein Kalb, dem sie im Frühsommer zusammen mit Kolleg*innen geholfen hat, auf die Welt zu kommen. «Das Tier war zu gross und wäre bei der Geburt fast erstickt», erzählt sie. «Wir mussten es herausziehen und sofort reanimieren.» Zudem habe das Neugeborene in der zu engen Gebärmutter bereits Sehnenverkürzungen an den Beinen erlitten. Es konnte nicht gehen. Das Tierspital-Team half, indem es dem Kalb Beinschienen konstruierte. Damit heilte es und lernte, seine Beine zu benutzen. Eigentlich zur Mast gezüchtet, lebt das Tier inzwischen auf einem Gnadenhof. «Den Platz hat ein Passant besorgt, der das Kalb mit den geschienten Beinen auf der Weide gesehen hatte», erzählt Solinger und lächelt. «So bekam das Kalb ein RundumHappy-End. Das geht einem schon nahe.»
Auch für Milchkuh Ilenia gibt es ein Happy End. Auf dem Röntgenbild sieht der amputierte Knochen gut aus. Und weil auch die äussere Wunde sauber aussieht und die Kuh das Bein nicht schont, ist Solinger optimistisch. «Das kommt gut.»