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Digitaler Unterricht aus dem Operationssaal
«Was die chirurgische Ausbildung angeht, mussten wir kreativ werden»
In der Pandemie hat das Universitäre Tierspital von Präsenzunterricht auf digitale Lehre umgestellt – eine Herausforderung in einer Ausbildung, in der Studierende nicht nur Theorie pauken, sondern auch
praktische Fähigkeiten erwerben müssen. Wie Online-Unterricht etwa für angehende Chirurg*innen
aussieht, erzählen die verantwortlichen Dozierenden.
Mirja Nolff: Die Oberärztin für Weichteil- und Onkologische Chirurgie unterrichtet tiermedizinische Grundlagen und Weichteilchirurgie. Zudem betreut sie die klinische Ausbildung von fortgeschrittenen Studierenden. Antonio Pozzi: Der Orthopäde und Chirurg ist Leiter der Klinik für Kleintierchirurgie und verantwortlich für die Ausbildung in der Kleintierchirurgie. Als Dozent hält er etwa Vorlesungen zum Bewegungsapparat und unterrichtet fortgeschrittene chirurgische Praktika.
Antonio Pozzi, die Covid-19-Pandemie hat Sie gezwungen, auf digitalen Unterricht umzustellen. Wie schwierig war das?
Antonio Pozzi: Wir hatten den Vorteil, dass das Thema für uns nicht neu war, denn wir hatten lange vor Covid-19 angefangen, uns mit der digitalen Lehre zu befassen. So konnten wir zeitnah eine Plattform mit aufgezeichneten Vorlesungen und Videodokumentationen klinischer Fälle aufsetzen. In der Pandemie dokumentierten wir zusätzlich fast jeden Tag Patienten in Videos. So entstand eine immer grössere Kollektion, die Dozierende heute für ihre Vorlesungen nutzen, und die Studierende teilweise auch selbständig anschauen können.
Was können Studierende über Online-Unterricht und Videos lernen – und was nicht?
Mirja Nolff: Theoretische Grundlagen lassen sich im Online-Unterricht sehr gut vermitteln, vielleicht sogar besser als im Präsenzunterricht. Ich persönlich gestalte nun einen Teil meiner Vorlesungen ganz anders. Zuvor habe ich Wissen geliefert. Jetzt erhalten die Studierenden das Vorlesungsvideo und das Material dazu im Voraus, wenn das Thema dies hergibt, und im gemeinsamen Unterricht konzentrieren wir uns darauf, das neue Wissen zu diskutieren und anzuwenden. AP: Die Auseinandersetzung mit dem digitalen Lehren hat sicher vielen Dozierenden etwas gebracht und ihren Unterricht verbessert. Man muss aber auch sagen, dass der persönliche Austausch mit den Studierenden – die Gelegenheit, sie zu unterstützen und herauszufordern, ebenso wie die Zusammenarbeit unter den Studierenden selbst – zu kurz kommt. Zudem benötigen angehende Tierärzt*innen auch viel praktische Erfahrung.
Wie ermöglichten Sie die praktische Ausbildung während der Pandemie?
MN: Zum einen haben wir mit der praktischen klinischen Ausbildung vor Ort wieder begonnen, sobald es die Situation zuliess – für Studierende im vierten und fünften Jahr schon im Sommer 2020. Zum anderen mussten wir bei der Produktion von Lernvideos kreativ werden. Einiges können Studierende und Assistenzärzt*innen nämlich durchaus von Videos klinischer Fälle lernen, vor allem, wenn die untersuchenden Tierärzt*innen genau kommentieren, was sie tun und warum. AP: Das gilt beispielsweise für die Untersuchung eines Tiers und das Deuten seiner Reaktion. Wenn ein Patient Schmerzen verspürt, etwa beim Abtasten des Bauchs, dann zeigt er das. Bei Hunden sind die Bewegungen der Ohren ein Anzeichen oder Laute, wie bellen oder winseln. Eine Katze dreht den Kopf weg, wenn ihr etwas unangenehm ist oder sie Schmerzen verspürt. Oder die Tiere halten den Atem an. Diese Dinge sind in Videos sichtbar und können vermitteln, wie die tierische Körpersprache bei der Diagnose hilft.
Wie man chirurgische Eingriffe durchführt, lässt sich aber nicht aus Videos lernen, oder?
MN: Nur ansatzweise. Mit gut gemachten Videos lassen sich chirurgische Grundlagen vermitteln, etwa das Vernähen von Wunden, die notwendigen Schritte bei Kastrationen oder Blasenoperationen, ebenso die Abläufe komplexerer Eingriffe. Aber es ist richtig, um zu lernen, wie man Tiere
Im digitalen Operationssaal: Antonio Pozzi und Mirja Nolff besprechen einen laufenden Eingriff, eine Gelenkspiegelung im Knie eines Hundes.
«Was das Einbinden von Videos in die chirurgische Ausbildung angeht, haben wir durch die Pandemie grosse Fortschritte gemacht.»
Antonio Pozzi, Leiter der Klinik für Kleintierchirurgie
operiert, benötigen Sie alle fünf Sinne und den wichtigsten davon, den Tastsinn, transportiert ein Video nicht. Dasselbe gilt aber auch, wenn Studierende im Operationssaal live zuschauen. Schon vor der Pandemie waren die Vorgänge bei Operationen schwierig zu beobachten, weil sie ja im Inneren des Tierkörpers stattfinden. AP: Gerade was diese Limitierung angeht, haben wir durch die Pandemie Fortschritte gemacht. Wegen des Ansteckungsrisikos können nur wenige Studierende im Operationssaal mit dabei sein, um von einem Eingriff direkt zu lernen. Mit der VideoOffensive machen wir chirurgische Eingriffe nun für mehr Studierende und Assistenzärzt*innen zugänglich. Damit verbessern wir die Lehre in der Chirurgie nachhaltig.
Was war dazu konkret nötig?
MN: Wir haben einen unserer Operationssäle mit Kameras ausgerüstet. Drei Kameras sind an der Decke über dem OP-Tisch angeordnet und eine ist an einer OP-Leuchte befestigt, damit sie verschiedene Perspektiven und anatomische Details aufnehmen kann. So können wir standardmässig Operationen aufzeichnen und schon bald auch live streamen. Das planten wir schon länger, unabhängig von der Pandemie. Im Besprechungsraum der Chirurgie und im Medienraum des Tierspitals sind inzwischen grosse Bildschirme aufgehängt, über die Studierende und Assistenzärzt*innen die Operationen dann mitverfolgen und auch live Fragen stellen können. AP: Ich arbeite auch häufig mit einem speziellen Kamera-Headset, das auf Stimmkommandos reagiert. Damit sehe ich als Chirurg neben dem Patienten auf dem OP-Tisch gleichzeitig die Aufnahme der Kamera auf einem winzigen Display vor dem rechten Auge. So kann ich während einer Operation ein Video aus meiner Perspektive aufnehmen, dabei die Vorgänge live kommentieren und mit einem Stimmkommando beispielsweise in einen Bildbereich hineinzoomen. Zudem zeichnen wir nicht nur Eingriffe erfahrener Chirurgen*innen auf, sondern auch Studierende und Assistenzärzt*innen bei ihren ersten Handgriffen und Operationen. Denn ähnlich wie Sportler*innen lernen Chirurg*innen dazu, wenn sie Videos von sich selbst anschauen und analysieren – weit mehr, als wenn sie ausschliesslich mündliche Verbesserungen erhalten.
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