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Springpferd im Gips: Frakturen erfolgreich behandeln
Springpferd im Gips: Dank moderner Operationstechnik kommt Chin Chin wieder auf die Beine
Für ein Pferd bedeutete eine Fraktur am Bein früher meist das Todesurteil. Das hat sich geändert.
Heute können die Pferdechirurg*innen des Universitären Tierspitals auch komplizierte Frakturen
erfolgreich behandeln – wie jüngst beim Springpferd Chin Chin.
Wäre nicht der blaue Gips um Chin Chins Fessel am linken Vorderbein, man würde gar nicht merken, dass mit dem grossen, braunen Wallach etwas nicht in Ordnung ist. Gut gelaunt schnappt er sich ein Stück Banane aus der Hand seiner Besitzerin, bevor er von einer Tiermedizinischen Praxisassistentin zu seinem heutigen Spaziergang abgeholt wird. Nur kurz geht es einmal um den Hof der Pferdeställe des Universitären Tierspitals – Chin Chins tägliche Physiotherapie. Unter normalen Umständen wäre das ein Klacks für das 13-jährige, fitte und talentierte Springpferd. Zusammen mit seiner Besitzerin Elissa Bottoli hat er schon hochdotierte Turniere gewonnen und das Paar durfte sich für das österreichische Olympiakader bewerben. Als Chin Chin aber heute nach seinem Ausflug in den Stall zurückkommt, humpelt er doch sichtbar.
Sieben Wochen zuvor trainierten Bottoli und Chin Chin auf einem Springparcours in Mailand. Nach einem Sprung verlor das Pferd kurz seine Konzentration und wollte gerade anfangen zu bocken – das habe sie genau gespürt, erzählt Elissa Bottoli heute. Da verhedderten sich Chin Chins Beine. Bottoli hörte ein «Plopp». Und das Pferd stand stockstill – das Gewicht auf drei Beinen. Nachdem ein erstes Röntgen auf eine Fraktur hindeutete, wurde Anton Fürst hinzugezogen, der Direktor der Klinik für Pferdechirurgie des Tierspitals. Dieser schickte eine Ambulanz los, die das Pferd von Mailand nach Zürich ins Tierspital brachte. Nach einer CT-Untersuchung war klar: Chin Chin hat eine schlimme Trümmerfraktur im Fesselbein, dem Knochen oberhalb des Hufs.
Ein komplizierter Bruch Eine Trümmerfraktur heisst, dass der Knochen nicht nur an einer Stelle gebrochen ist, sondern dass mehrere Brüche den Knochen der Länge nach zersplittert haben. Auch Gelenke sind mitbetroffen, in Chin Chins Fall gleich zwei, das Fesselgelenk oben am gesplitterten Knochen und das Krongelenk unten. «Solche Trümmerfrakturen entstehen, wenn der Knochen hohem Druck und gleichzeitig einer Rotation ausgesetzt ist», erklärt Anton Fürst. Dann wirkt die Form des darüber liegenden Gelenkknochens wie ein Keil und spaltet den Knochen auf.
«Das sind extrem komplizierte Frakturen, die noch vor 10 bis 15 Jahren bedeuteten, dass ein Pferd nie wieder gehen kann», sagt Anton Fürst. Den Besitzer*innen blieb nichts anderes übrig, als das Tier einschläfern zu lassen. «Heute ist das anders.» Dafür haben kontinuierliche Fortschritte auf ganz unterschiedlichen Gebieten gesorgt. So ist bereits der sorgfältige Transport wichtig für die spätere Heilung. Für die Reise in der Ambulanz werden die Tiere sorgfältig mit Gurten und Netzen unter dem Bauch gesichert und gestützt. Und sie werden sediert, damit sie sich nicht etwa mit einer Bewegung noch schlimmer verletzen. Dabei hilft, dass die Veterinärmedizin inzwischen mehr und bessere Medikamente für die Sedierung grosser Tiere zur Verfügung hat. Zudem gibt es heute für die Fixierung von Frakturen eine grosse Auswahl an Schrauben und Platten – viele davon aus der Humanmedizin, aber auch solche, die an die Grösse und Form von Pferdeknochen angepasst sind. Beispielsweise gebogene Platten, mit denen sich Frakturen des Schienbeins oder des Oberschenkelknochens fixieren lassen.
Anton Fürst, Direktor der Klinik für Pferdechirurgie des Universitären Tierspitals
Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Fortschritte bei den bildgebenden Diagnoseverfahren, die heute schnelle und präzise Bilder liefern. «Mit ihrer Hilfe können wir auch komplizierte Frakturen genau analysieren und deshalb erfolgreich behandeln», sagt Anton Fürst. Bei Chin Chin führte er eine sogenannte CT-navigierte Operation durch: Er nahm während des Eingriffs laufend neue CT-Bilder auf. Auf diesen überprüfte der Chirurg jeweils die Platzierung der zuletzt implantierten Schraube und plante, wo er die nächste Schraube setzen wollte. So fügte er die Bruchstücke von Chin Chins Fesselbein nach und nach mit acht spiralförmig angeordneten Schrauben wieder zusammen.
Ein Schlüssel: Sichere Narkose Auch das Wissen und die Möglichkeiten zur Narkose von Pferden sind kontinuierlich gewachsen. «Das ist entscheidend, damit wir schwierige und lange Operationen in Angriff nehmen können», sagt Anton Fürst. Auch der Eingriff an Chin Chin dauerte lange – etwas mehr als fünf Stun-
Anton Fürst und Assistentin Janne Stael überprüfen bei Chin Chin, ob die Fraktur gut heilt und ob das gesunde Bein nicht etwa überlastet ist.
den. Eine so lange Narkose ist für Pferde belastend wegen ihres hohen Körpergewichts. In der Bewusstlosigkeit drückt das Gewicht von Muskeln und Knochen auf die Organe und hemmt die Blutversorgung, darum kann es bei Pferden früher als bei Menschen zu einem Kreislaufversagen kommen. Auch Chin Chin brauchte nach der Operation mehrere Stunden, um sich von der Narkose zu erholen und aufzustehen – Momente des Zitterns für Besitzerin Elissa Bottoli. Mit der Hilfe des Tierspital-Teams, das ihn animierte und abstützte, hat er es schliesslich geschafft. «Sobald das Pferd steht, kommt es gut», sagt Fürst.
Manche Patienten wachen auch im Aufwachpool des Tierspitals aus der Narkose auf. Diesen nutzt Fürsts Team vor allem für Pferde mit Frakturen, die sich nach der Operation nicht mit einem Gips stabilisieren lassen – etwa solche im Ellenbogengelenk, das an der Grenze zwischen dem Pferdebein und dem Rumpf liegt. In solchen Fällen verhindert das Wasser im Pool, dass sich die Tiere beim Aufwachen verletzen. Andere Frakturen, etwa solche am Kopf, können die Pferdechirurg*innen des Tierspital sogar ohne Vollnarkose und dadurch nochmals schonender behandeln. Dabei sind die Pferde wach und stehen, sie bekommen Beruhigungsmittel und eine Lokalanästhesie. «Das machen wir heutzutage häufig», sagt Anton Fürst. Solche Eingriffe sind kürzer und verursachen weniger Komplikationen. Schmerzfreies Danach Als Spezialist für Frakturen ist Anton Fürst in ganz Europa bekannt, er behandelt nicht nur Patienten aus der Schweiz, sondern auch aus Italien, Frankreich, Deutschland. Seine Kurse zum Thema besuchen Tierärzt*innen aus der ganzen Welt, um von ihm zu lernen. Inzwischen können die Chirurg*innen die meisten Frakturen so behandeln, dass ihre Patienten schmerzfrei weiterleben können. Mehr noch: Anton Fürst hat schon einige Sportpferde operiert, die danach wieder an nationalen und internationalen Rennen und Turnieren starten konnten, sogar an Olympischen Spielen – und zum Teil erneut Wettbewerbe gewannen.
Auch Chin Chin ist auf dem Weg der Besserung. Jetzt, sieben Wochen nach der Operation, sind die Brüche schon gut verheilt. Wie die jüngsten Röntgenbilder zeigen, hat sich an den Bruchstellen neues Knochengewebe gebildet. «Der Knochen ist schon wieder recht stabil», sagt Anton Fürst. Trotz dieser ermutigenden Anzeichen ist er mit einer Prognose vorsichtig. Springen wird das Pferd wohl nie mehr und auch, ob es jemals wieder geritten werden kann, ist nicht sicher. Chin Chin wird aber auf der Weide wieder traben, galoppieren und Faxen machen können, das haben ihm die Chirurg*innen des Tierspitals ermöglicht – ein langes und schmerzfreies Leben.
«Spezialisten für Schweinemedizin sind selten. Ich bin froh, dass ich mit dem Tierspital-Team kompetente Partner*innen habe.»
Fabio Müller
«Die Entscheidung für die Operation ist uns nicht leicht gefallen. Heute sind wir froh, dass es Rouge wieder gut geht.»
Lorenzo Falliti