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Einblick in die neue Grosstier-Bildgebung

Einblick in die neue Grosstier-Bildgebung: auf die Patienten abgestimmte Diagnose

Von CT- und MRI-Untersuchungen am stehenden Tier über ein modernisiertes Röntgen bis zur erstmals verfügbaren Szintigrafie-Anlage: Mit der neuen Grosstier-Bildgebung sorgt das Universitäre Tierspital für eine noch bessere Betreuung von Nutztieren und Pferden. Wir haben einige Patienten begleitet.

Edi ist nervös. Das Protest-Wiehern des 20-jährigen Maultiers schallt durch den neuen Anbau, der seit November 2021 die Grosstier-Bildgebung des Universitären Tierspitals beherbergt. Edi mag Tierärzt*innen generell nicht gern, weil er Angst vor Spritzen hat. Aber die Sedierung wirkt schon, ausserdem bleibt dem Maultier heute ein Piks erspart. An diesem Dienstag im Dezember wird sein Kopf mittels Computertomografie (CT) untersucht – genauer, sein linkes Auge. Denn darin hat sich eine Geschwulst gebildet, die den Augapfel etwas hervortreten lässt. Mit der Untersuchung wollen die Tierärzt*innen herausfinden, woher die Masse kommt. Der Verdacht: ein Tumor – gut- oder bösartig.

Edi lässt sich zunächst zum Computertomografen führen, dann zögert er. Was für die meisten Pferde kein Problem darstellt, bereitet dem Maultier Mühe: den Kopf in die sogenannte Gantry, das grosse, ringförmige Herzstück des Diagnosegeräts zu legen. Tierpfleger und Tierärzt*innen helfen nach, indem sie Edi an den Hinterbeinen sanft schieben. Das Maultier macht einen Schritt nach vorne, dann noch einen. Derweil verhalten sich die anwesenden Fachpersonen ruhig, um Edi nicht zu erschrecken. Schliesslich liegt sein Kopf richtig positioniert auf einer gepolsterten Stütze. Das Tierspital-Team verlässt leise den Raum, und Radiologiefachfrau Gianna Ribbers startet am Computer die Messung. Die Gantry um Edis Kopf bewegt sich etwas vor, dann wieder zurück, und das war’s schon. Sieben Sekunden hat der Scan gedauert.

Diagnose am stehenden Tier Das CT-Gerät, mit dem Edi durchleuchtet wird, ist brandneu. Es ist weltweit eines von nur zwei so grossen und leistungsfähigen Geräten für die Untersuchung von Grosstieren – Pferden, Eseln oder Rindern. «Wir hatten schon vorher eine exzellente CT-Infrastruktur, aber das neue Gerät bietet zusätzliche Vorteile», sagt Anton Fürst, Direktor der Klinik für Pferdechirurgie. Einer davon: Das Gerät ist nun in einer Vertiefung im Raum auf einer Plattform installiert, die sich hoch- und runterfahren lässt. Dadurch können die Tierärzt*innen neu die unteren Regionen der Beine an stehenden Pferden untersuchen, indem sie das Gerät auf die richtige Höhe hinunterfahren. «Messungen am wachen, stehenden Tier sind schonender und schneller als solche unter Narkose», sagt Anton Fürst. Auch die Halswirbelsäule lässt sich mit dem neuen Gerät besser untersuchen. Das ist entscheidend, denn Pferde haben an diesen Stellen – vom Huf bis zum Sprunggelenk am Hinterbein und dem Karpalgelenk am Vorderbein sowie in der Halswirbelsäule – am häufigsten gesundheitliche Probleme. Zudem lässt sich das Gerät nun mit seiner flexiblen Höhe an die Grösse der Tiere anpassen – an ein kleines Shetlandpony genauso wie an einen Kaltblüter mit 1.8 Metern Stockmass.

Das neue CT-Gerät ist indessen nur ein Teil der Ausstattung der neuen Grosstier-Bildgebung für Nutztiere und Pferde. Unter anderem enthält sie auch eine verbesserte Infrastruktur für Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen. «Röntgengeräte werden grösser, je leistungsfähiger sie sind», erklärt Stefanie Ohlerth, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Bildgebende Diagnostik. Der neue Röntgenraum bietet genug Platz für die neue, moderne Anlage. Darin wird gerade ein Rind mit einer Schwellung am Unterkiefer untersucht. An der Decke des Raums sind Röntgenröhre und Röntgenplatten an einem Teleskopsystem montiert, sodass sich von allen Seiten und Höhen Bilder aufnehmen lassen, ohne dass man das Tier dazu umplatzieren oder drehen muss.

Das ganze Tier im Bild Ganz neu am Tierspital ist die Szintigrafie. Die Methode hilft Tierärzt*innen zu erkennen, an welcher Körperstelle bei einem Patienten eine Veränderung des Skeletts vorliegt. «Wenn beispielsweise Pferde häufig stolpern, kann das mit den Beinen, aber auch mit der Halswirbelsäule zusammenhängen», sagt Anton Fürst. Die Szintigrafie hilft, das Problem zu lokalisieren. Dafür werden dem Tier Radionuklide, also radioaktiv markierte Stoffe, gespritzt. Diese lagern sich an Entzündungsherden ein oder an Stellen, wo ein erhöhter Knochenumbau stattfindet – etwa aufgrund von Gelenkentzündungen oder Haarrissen im Knochen, die zu fein sind, um sie mittels Röntgen zu erfassen. Eine spezielle Kamera macht die Radionuklide und

«Minimalinvasive Eingriffe wären ohne CT und nur mithilfe von Röntgenbildern viel aufwendiger, schwieriger und unpräziser.»

Anton Fürst, Direktor der Klinik für Pferdechirurgie des Universitären Tierspitals

damit die erkrankten Körperteile sichtbar. Diese können dann etwa im CT näher untersucht werden. Ebenso lassen sich mit Szintigrafie grosse Körperteile untersuchen, die sich bei Grosstieren nicht mittels Röntgen oder CT durchleuchten lassen, das Becken etwa.

«Die dreidimensionalen CT- und MRT-Bilder helfen den Studierenden, die Anatomie von Tieren besser zu verstehen.»

Stefanie Ohlerth, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Bildgebende Diagnostik des Universitären Tierspitals

Ein weiteres wichtiges Diagnosegerät ist der Magnetresonanztomograf (MRT), in dem Pferde wach und stehend untersucht werden können. Das Gerät ist in den Boden eingelassen und eignet sich, um etwa Huf, Fesselgelenk oder Sprunggelenk zu untersuchen. Diese Anlage hat das Tierspital 2020 in Betrieb genommen. Die Methode funktioniert mittels Magnetwellen und macht vor allem Bänder und Sehnen gut sichtbar. «Besonders im Huf gibt es viele Erkrankungen von Sehnen, Bändern oder Schleimbeuteln, die man mittels Röntgen oder Ultraschall kaum diagnostizieren kann», sagt Bildgebungs-Spezialistin Stefanie

Am Bildschirm lassen sich die die 3-D-rekonstruierten CT-Bilder analysieren. Ohlerth. Auch Knochenödeme – schmerzhafte Flüssigkeitseinlagerungen im Knochen – lassen sich nur im MRT diagnostizieren.

Minimalinvasiv dank Bildgebung Doch zurück zu Maultier Edi. Seine CT-Bilder – einmal ohne Kontrastmittel aufgenommen, einmal mit – sind zunächst besorgniserregend. Sie zeigen, dass die Geschwulst am Auge in eine Masse in der Augenhöhle übergeht. Immerhin sind keine Knochenstrukturen angegriffen. Doch es handelt sich um einen bösartigen Tumor, ein sogenanntes Lymphom. Das bestätigt später auch eine Biopsie. Solche Weichteiltumoren sind nicht operabel und nicht heilbar. Aber das Medikament Cortison kann ihr Wachstum manchmal stoppen. Darum wird Edi nun regelmässig Cortison erhalten.

Einige Tage später steht in der neuen Bildgebung eine sogenannte CT-navigierte Operation an. Henrietta, eine 20-jährige Schimmelstute, hat sich einen Knochenbruch im vorderen rechten Fesselbein zugezogen, wie ein erstes Röntgen gezeigt hat. Solche Frakturen beginnen vielfach schleichend, als Haarriss im Knochen. «Gerade im Winter, wenn der Boden gefroren und hart ist, sehen wir solche Verletzungen häufiger», sagt Pferdechirurg Anton Fürst. Weil er das Tier gleich operieren wird, ist es bereits für die CT-Untersuchung narkotisiert. Die Logistik für CT und Operation ist aufwendig: Elf Personen – Tierpfleger, Anästhesist*innen, Chirurg*innen und Radiologiefachpersonen – sind nötig, um das bewusstlose Pferd mithilfe eines Krans auf den Operationstisch zu hieven, die verletzte Stelle am Bein für das CT zu platzieren und für die Operation vorzubereiten, Blasenkatheter sowie Zugänge für Medikamente und für die Messung der Vitalfunktionen zu legen und während all dem die Narkose zu überwachen.

«Bitte alle raus», dirigiert dann Anton Fürst. Radiologiefachfrau Gianna Ribbers nimmt das erste CT-Bild auf. Es zeigt, dass die Knochenfragmente noch dicht beieinander liegen und die Knochenhaut darüber intakt ist. «So sind die Heilungschancen sehr gut», weiss Fürst. Bevor er mit dem Eingriff beginnt, steckt er über dem Fesselbein eine kleine Kanüle in die Haut. Diese hilft ihm, sich zu orientieren: Im nachfolgenden CT-Bild ist die Kanüle sichtbar und zeigt genau, wo er den Schnitt fürs Implantieren der ersten Schraube ansetzen muss, um den Bruch zu fixieren. Der Chirurg will für jede Schraube einen präzisen, möglichst kleinen Schnitt setzen. «Heutzutage führen wir jeden Eingriff so wenig invasiv wie möglich durch», sagt Fürst. «Das wäre ohne CT und nur mithilfe von Röntgenbildern viel aufwendiger, schwieriger und unpräziser.» Nun setzt er den Schnitt, legt den Knochen frei und platziert eine Art Zielgerät um das Pferdebein herum. Mit diesem kann Fürst den Winkel der Schraube bestimmen. Diese Ausrichtung überprüft Fürst mit einer weiteren CT-

Präzisionsarbeit dank Bildgebung: Anton Fürst (rechts) und Assistentin Rebecca Mathys operieren das Pferd Henrietta mit Unterstützung von CT-Scans.

Aufnahme. Erst danach implantiert er die Schraube. Nun folgt ein Kontrollbild: Sitzt die Schraube tatsächlich genauso im Knochen wie geplant? Falls nicht, kann der Chirurg dies mit der nächsten Schaube korrigieren. Auf diese Weise arbeitet er weiter, bis die Fraktur mit vier Schrauben fixiert ist. Gesamthaft haben dabei 15 kurze CT-Scans geholfen.

Bessere Diagnose, bessere Ausbildung Ähnlich wie bei Kleintieren ist die Bildgebung auch bei der Therapie von Grosstieren zunehmend wichtiger geworden. Das zeigen auch die Zahlen des Tierspitals: In den letzten drei Jahren wurden 30 bis 40 Prozent mehr Grosstiere mit bildgebenden Methoden untersucht als zuvor. «Durch unsere neuen Möglichkeiten dürften diese Zahlen weiter steigen», sagt Stefanie Ohlerth. So können die Pferde- und Nutztierspezialist*innen des Tierspitals ihre Patienten immer besser diagnostizieren und therapieren.

Die neue Infrastruktur für die Bildgebung ist aber nicht nur für den Service am Patienten wertvoll, sondern auch für die Ausbildung. Am Universitären Tierspital erwerben Radiologie-Spezialisten vertiefte Kenntnisse an den modernen Anlagen inklusive CT, MRT und Szintigrafie. Zudem lernen alle angehenden Tierärzt*innen hier, mit Ultraschall und Röntgen umzugehen und einzuschätzen, wann ein zusätzliches bildgebendes Verfahren angezeigt ist. Und: «Die dreidimensionalen CT- und MRT-Bilder helfen den Studierenden, die Anatomie von Tieren besser zu verstehen und mit Krankheitsbildern zu verknüpfen», sagt Stefanie Ohlerth. Dies sei ein grosser Vorteil in der Ausbildung. Nicht zuletzt wird mithilfe der Bildgebung auch geforscht. So entwickeln Tierärzt*innen in Anton Fürsts Team etwa minimalinvasive Therapien weiter oder untersuchen die Halswirbelsäule von Pferden näher. Denn bei manchen Veränderungen der Halswirbelsäule ist noch unklar, ob sie für die Gesundheit der Tiere unbedenklich sind oder ob sie eine Erkrankung darstellen.

Indessen lässt sich nicht jede diagnostizierte Erkrankung heilen. Beim Maultier Edi sah es zunächst nicht gut aus. Doch das Cortison, das Edi regelmässig bekommt, schlägt gut an: Die Geschwulst am Auge hat sich zurückgebildet, Edi ist munter und er wird wieder als Reittier für Kinder eingesetzt. Auch das Rind mit der Schwellung am Unterkiefer hat sich erholt. Eine folgende CT-Untersuchung offenbarte einen eitrigen Abszess am Zungengrund, der inzwischen erfolgreich operiert wurde. Ebenso erfolgreich hat auch das Pferd Henrietta ihre Operation überstanden. «Sobald ihre Fraktur ausgeheilt ist», sagt Anton Fürst, «hat sie gute Chancen, wieder genauso fit zu werden wie zuvor.»

«Dank dem Spitzenteam des Tierspitals ist Bhadra heute völlig gesund.»

Gaby und Justus Bachmann

«Die Leute hier am Tierspital haben Tiere einfach gern, das merkt man.»

Rahel Lostuzzo

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