52 /NATIONALPARK/
Vinschgerwind 6-22
24.03.22
Nationalpark Stilfserjoch
Das Bartgeierjahr 2021 Foto: Rocco Malgeri
Die alpenweite Situation
Juveniler Bartgeier im Landeanflug
Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Josef, 19. März 2022
I
n den nächsten Tagen erscheint die Ausgabe Nr. 38 von „infogipeto“, dem Mitteilungsblatt zum Monitoring der Bartgeier in Europa. Es aktualisiert den Kenntnisstand zu den Bartgeiern aus Naturbruten im Freiland, Gehegezuchten in Zoos und Aufzuchtstationen und Freilassungsaktionen zum Dezember 2021. Dr. Enrico Bassi, der Ornithologe aus Bergamo, ist für das Bartgeier- und SteinadlerMonitoring im Nationalpark Stilfserjoch verantwortlich. Er ist federführend an der Herausgabe dieses wissenschaftlichen Mitteilungsblattes beteiligt und hat mir die Angaben für diesen heutigen Beitrag zur Verfügung gestellt.
Der Bartgeier ist ein reiner Aasfresser
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) war, historisch betrachtet, eine von vier Geierarten im Alpenbogen. Mit ihm kamen in den
Alpen der Gänsegeier, der Mönchsgeier und der Schmutzgeier vor. Der volkstümliche Name „Lämmergeier“ hat dem Bartgeier den Kragen gekostet: Als vermeintlicher Lämmerdieb wurde er gnadenlos von uns Menschen verfolgt bis zur völligen Ausrottung in den Alpen in den 1930er-Jahren. Dabei ist der Bartgeier ein reiner Aasfresser und das letzte Glied der Nahrungskette. Wenn von einem Tier nur mehr das nackte Skelett übriggeblieben ist, schlägt die Stunde des Bartgeiers: Mit seiner aggressiven Magensäure, die im pH-Wert der Salzsäure entspricht, kann der Bartgeier die Kalksubstanz von Knochen auflösen und das eiweiß- und fettreiche Knochenmark aus Röhrenknochen gewinnen. Diese konkurrenzlose Nahrungsnische hat sich diese Vogelart im Laufe ihrer Evolution als alleinstellende Besonderheit erschlossen.
Die Wiederansiedlung
Im Jahr 1986 hat ein wissenschaftlich ab-
gestütztes Projekt zur Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen begonnen. Die Gründertiere stammten aus Zoos und Aufzuchtstationen. Am Projekt sind über 30 Zoos und Zuchtstationen zwischen Leningrad und Lissabon beteiligt. Nach elf Jahren geduldigen Wartens hat sich 1997 in den französischen Seealpen die erste Naturbrut ereignet, im Jahr darauf brütete erstmals das Paar „Bormio“ im Brauliotal jenseits des Stilfserjoches. Im Zeitraum zwischen 1978 und 2021 sind an den beteiligten Zuchtstationen Stationen insgesamt 611 junge Bartgeier aus Gehegezuchten geschlüpft, 367 wurden für das Wiederansiedlungsprojekt als nicht ganz flügge Junge zur Auswilderung in künstlichen Horstnischen zur Verfügung gestellt. Der Nationalpark Stilfserjoch ist Projektpartner und hat zwischen den Jahren 2000 und 2008 im Marteller Schludertal insgesamt 11 Junggeier freigelassen.