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von Markus Hildenbrand (Klassenlehrer der 9. Klasse)

DieEntstehungsgeschichte der Karl Schubert-Schule ist eng mit der Rudolf Steiner-Schule verzahnt. Anfang der 70er Jahre gaben ein paar Eltern, deren Kinder als „nicht beschulbar“ galten, den Anstoß zur Gründung einer heilpädagogischen Waldorfschule in Wien. Eine solche Einrichtung gab es damals in ganz Österreich noch nicht.

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Prof. Kühne, der sich schon um die Wiedergründung der Rudolf Steiner-Schule in Wien verdient gemacht hatte, gehörte zu diesen Eltern. Seine Tochter Johanna war als Folge einer Impfschädigung schwer entwicklungsverzögert. Ihre Biographie ist im Buch „Johanna. Das Leben eines besonderen Menschen“ (Verlag Urachhaus, 2004) nachzulesen. Als Johanna schulpflichtig wurde, suchte die Familie daher gezielt im Umfeld der Rudolf Steiner-Schule, die 1967 das Maurer Schlössl bezogen hatte, ein neues Familienhaus.

Die Idee eines „inklusiven“ Schulversuches scheint damals zumindest im Raum gestanden zu sein – wobei der Begriff in dieser Bedeutung selbstverständlich noch nicht gebräuchlich war. Die Zeit dürfte für ein solch zukunftsweisendes Projekt jedoch noch nicht reif gewesen sein, also bildete sich das Proponentenkomitee für den neu zu gründenden Verein „Karl Schubert-Schule für seelenpflege-bedürftige Kinder und Jugendliche in Wien“.

Da der Namenspatron vielleicht nicht allen geläufig ist, möchte ich mir einen Exkurs erlauben, vor allem auch deshalb, weil die Biographie Karl Schuberts ein eindrückliches Bild für das gewandelte Verhältnis der Öffentlichkeit im Allgemeinen und der Waldorfbewegung im Besonderen zur Heilpädagogik liefert: Karl Schubert, geborener Wiener mit jüdischen Wurzeln, gehörte dem ersten Kollegium der Waldorfschule in Stuttgart an. Er wurde von Rudolf Steiner mit der Betreuung lernschwacher bzw. heilpädagogischer Kinder beauftragt, die er als Hilfsklasse führte. Die Schülerinnen und Schüler verbrachten zwei Stunden pro Tag in einer stufenübergreifenden, sogenannten „Hilfsklasse“, danach wurden sie gemeinsam mit den anderen Kindern ihrer Altersstufen geführt. Es ist bemerkenswert, dass sich die Waldorfschule in ihrer Pionierzeit der 20er Jahre, offenbar ganz selbstverständlich, als inklusiv verstand. Der ursprüngliche Gedanke war, Kindern mit unterschiedlichsten Begabungen Unterricht in ihrem eigenen Tempo in der Gemeinschaft zu erteilen. Rudolf Steiner erwähnt auch den gesunden Wettstreit zwischen Normalklassen und Hilfsklasse (GA 307). Auch die erste Wiener Waldorfschule (1927-1938) führte seelenpflegebedürftige Kinder in ihren Klassen!

Schubert leitete die Hilfsklasse bis 1934; dann musste er aus der Schule ausscheiden, erhielt jedoch die Genehmigung, weiterhin Privatunterricht zu erteilen. Und nun geschieht etwas Rätselhaftes: Während in der NS-Zeit nach und nach alle Waldorfschulen geschlossen wurden, „vergaßen“ die Nazis auf Schuberts Hilfsklasse, die in einer Privatwohnung trotz widrigster Umstände den ganzen Krieg über weitergeführt werden konnte. Von guten Mächten wunderbar geleitet, gelang es Schubert, die Waldorfpädagogik – wie man sagt – „im Rucksack“ durch den Krieg zu tragen. Umso herber war seine Enttäuschung, als die Hilfsklasse nach dem Krieg nicht mehr in die neugegründete Stuttgarter Waldorfschule integriert wurde. Diese passte offenbar nicht mehr ins Selbstverständnis der Aufbauzeit...

Heute tragen viele heilpädagogische Waldorfschulen den Namen Karl Schuberts. – Und damit komme ich wieder auf „unsere“ Karl Schubert-Schule zurück, die im Schuljahr 1971/72 als Schulversuch starten konnte. Der erste Unterricht fand noch im Erdgeschoß des Hauses der Familie Kühne am Jesuitensteig statt. Danach waren Karl Schubert-Schule und Rudolf Steiner-Schule für lange Zeit fast direkte Nachbarn in der Endresstraße. Die alte Villa auf Nr. 99 wurde schließlich zu klein; immerhin hatte die Karl Schubert-Schule mittlerweile einen Kindergarten und zwölf Jahrgangsklassen. Trotz allen unbestrittenen Charmes war das alte Haus aber vor allem eines nicht: barrierefrei!

Schweren Herzens fiel also der Entschluss, das alte Gebäude aufzugeben und einen Neubau zu errichten. Die Umsiedlung in die Kanitzgasse erfolgte sukzessive, was die Nutzung einiger Exposituren erforderlich machte. Seit dem Schuljahr 2010/11 sind – vom Kindergarten bis hin zur Werkoberstufe –wieder alle unter einem Dach vereint. Von der Rudolf SteinerSchule haben wir uns nur unwesentlich weiter entfernt. Doch abgesehen von den aufgezeigten historischen Gründen für unsere Nachbarschaft gibt es zwischen beiden Schulen zahlreiche Beispiele gelebter Kooperation.

Wir orientieren uns am Waldorflehrplan, doch müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Der Unterricht erfolgt stark bildhaft, und das Unterrichtstempo ist aufgrund der Notwendigkeit vieler Wiederholungen eher langsam. So kommt es immer wieder vor, dass wir Kinder haben, für die es im Sinne einer optimalen Förderung geboten erscheint, sie epochenweise für den Hauptunterricht oder auch in Fächern, die bei uns nicht angeboten werden (z.B. Fremdsprachen wie Russisch), aus unseren Kleinklassen herauszunehmen. Dankenswerterweise besteht hier die Möglichkeit, dass diese Schülerinnen und Schüler versuchsweise und ohne bürokratische Hürden den Unterricht in der Rudolf Steiner-Schule besuchen dürfen. Diese Besuche erfolgen meist in Begleitung und sind in sozialer Hinsicht oft eine ziemliche Herausforderung, da die Gruppendynamik in einer Klasse von 30 oder mehr SchülerInnen naturgemäß völlig anders ist als in einer Kleinklasse der Karl Schubert-Schule. – Der Gegenbesuch ergibt sich dafür quasi von selbst, nämlich durch die Möglichkeit, bei uns das Sozialpraktikum zu absolvieren. Unsere Kinder und Jugendlichen freuen sich immer sehr, wenn mehr oder weniger

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