Dimensions 2/2019

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DIMENSIONS 2 2019 | WISSENSCHAFT

Erosionen bei Personen mit Essstörungen Essstörungen, gemeint sind hier die Anorexia Nervosa und die Bulimia Nervosa, können nicht nur mit gravierenden körperlichen Folgen wie Elektolystörungen und einer Knochen­ dichteminderung einhergehen, sondern auch mit erheblichen Schäden an der Zahnhart­ substanz. Diese können zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation essgestörter Patientinnen* beitragen.

Prof. Dr. med. dent. Nadine Schlüter1, Maxi Müller1, Prof. Dr. med. dent. Almut Zeeck2

Laut internationaler Klassifikation der Erkran­ kungen (ICD­10) gibt es verschiedene Gruppen von Essstörungen [1]. Die Hauptgruppen sind die Anorexia Nervosa (Anorexie, AN) und die Buli­ mia Nervosa (Bulimie, BN). Beide Formen sind im Wesentlichen charakterisiert durch eine Un­ zufriedenheit mit oder sogar eine Ablehnung des eigenen Körpers, sowie eine Angst davor, zu dick zu sein bzw. zu werden. Während die AN über ein restriktives Essverhalten, ein selbst herbei­ geführtes Untergewicht sowie eine Körperbild­ störung (die Betroffenen erleben sich trotz Un­ tergewichts als zu dick) definiert ist, umfassen die diagnostischen Kriterien für eine BN Essan­ fälle und Verhaltensweisen, welche einer Ge­ wichtszunahme entgegensteuern sollen. Diese können in selbstinduziertem Erbrechen, exzes­ sivem Sport, Hungerphasen oder der Einnahme von Medikamenten bestehen (bspw. Schilddrü­ senmedikamente zur Steigerung des eigenen Grundumsatzes, Laxanzien oder Diuretika sowie Appetitzügler). Menschen mit einer BN sind in der Regel normalgewichtig. Bei der AN werden zwei Formen unterschieden, eine «aktive» Form, bei welcher gegenregulierende Massnahmen wie selbstinduziertes Erbrechen und evtl. auch Essanfälle vorkommen, sowie eine «restiktive» Form, bei welcher das Untergewicht durch eine Einschränkung der Nahrungsmenge und inten­ sive Bewegung erreicht und aufrechterhalten wird. Beide Formen, die AN und die BN, können im Verlauf ineinander übergehen [2]. Die Häufigkeit liegt etwa bei 0,2­0,7 % für die AN und bei 0,4­1,6 % für die BN; Frauen sind

deutlich häufiger (>90 %) betroffen als Männer [2–4]. Beide Erkrankungen beginnen in der Pu­ bertät oder Adoleszenz, wobei sich eine AN zu­ meist früher manifestiert als eine BN. Bei etwa 15 % der Patientinnen mit AN und bei etwa 20 % der Patientinnen mit BN kommt es zu einem langfristigen, chronischen Verlauf der Erkrankung [2, 4], vor allem bei einem späten Behandlungs­ beginn. Aufgrund eines ausgeprägten Schamge­ fühls und einer grossen Ambivalenz bezüglich einer Veränderung ihrer Essstörung stellen sich jedoch viele Patientinnen erst spät einem Fach­ arzt vor. Der Prävention und der Früherkennung durch alle Fachdisziplinen kommt somit eine be­ sondere Bedeutung zu. Essstörungen sind mit einer Vielzahl von körperli­ chen Folgen vergesellschaftet, die es zu erkennen gilt (Tabelle 1). Zu den körperlichen Folgen zählen auch dentale Symptome, sodass der zahnmedizi­ nischen Profession ein zentraler Stellenwert zu­ kommt, da sie anhand der dentalen Situation Per­ sonen mit Essstörungen mitunter als erste und damit sehr früh identifizieren kann. Zahnschäden können die Patientinnen zusätzlich belasten. So gaben in einer Umfrage 90 % der Bulimiepatien­ tinnen an, dass für sie die Zähne von ausserordent­ licher Bedeutung sind [5]; ein durchaus plausibles Ergebnis, da viele Patientinnen ihr Selbsterleben von ihrem äusseren Erscheinungsbild abhängig machen. Eine frühe zahnärztliche Mitbehandlung mit prophylaktische Massnahmen kann Zahnschä­ den vermeiden oder zumindest in Grenzen halten, sodass dadurch eine zusätzliche Belastung vermie­ den werden kann [6].

* Da mehr als 90% der Personen, die von einer Essstörung betroffen sind, weiblich sind, wird im gesamten Text die weibliche Form verwendet.

Sie soll gleichermassen männliche und weibliche Personen ansprechen. Stiftungsprofessur für Kariesforschung, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Department f. Zahn­ Mund­ u. Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert­Ludwigs­Universität Freiburg, Deutschland 2 Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert­Ludwigs­Universität Freiburg, Deutschland 1


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