KOLUMNE
Ein Leben ohne Smartphone Es gäbe so viele Möglichkeiten, die Bildschirmzeit besser zu nutzen...
Keeoma Fischer Unterseen
Ich war pappsatt. Pappsatt vom Leben mit Smartphone. Von der ständigen Erreichbarkeit und Informationsflut. Diese Geräte immer und überall in den Händen meiner Mitmenschen zu sehen, fing an mich zu belasten. Der Bereich «Bildschirmzeit» in meinem Smartphone verwandelte sich zum Bereich «Oh Schreck», wenn ich mir überlegte, was ich alles in dieser Zeit hätte schaffen können, aber dann doch lieber auf den Bildschirm starrte. Diese faule Ausrede «mir fehlt halt einfach die Zeit dafür...» kam mir plötzlich so unüberlegt und dämlich vor, dass ich es wirklich wissen wollte, ob die Bildschirmzeit diese
fehlende Zeit ausmacht. Somit entschied ich mich für eine Zeit ohne das besagte Gerät. Einen Monat lang benutzte ich ein Nokia Urgestein und war nur per Telefon oder SMS erreichbar, konnte weder erfahren, was Roger Federer gerne zum Frühstück verspeist noch schauen, wann der nächste Zug fährt. Und ich habs überlebt. Auch die langen Wartezeiten auf den Zug nach Brienz aufgrund einer Fahrplanänderung habe ich ohne Schaden überstanden. Mit einem Buch, welches ich schon seit etwa fünf Jahren lesen will. Oh Schreck!
Die ganze Social Media Welt sehe ich seither mit ganz anderen Augen. Instagram, Facebook, und Co., sind für mich zu einer unechten und negativ besetzten Welt geworden, die mein Interesse verlor. Es interessiert mich doch eigentlich einen «Füdlifurz», welches Pflegeprodukt irgendeine Influenzerin aus einem Kaff in Deutschland zum Glätten ihrer Extensions Locken verwendet, oder welche neue Netflix Serie sich deren
Meine Erfahrungen in diesem Monat ohne Smartphone Schnickschnack waren nur positiv. Die Zeit hat mir den «Oh Schreck»-Verdacht bestätigt. Ich habe neue Hobbies. Ich habe Bücher gelesen. Ich habe bewusst Ausflüge genossen und die Zeit mit meiner Familie und meinen Mitmenschen viel intensiver verbracht. Ich hatte plötzlich Kapazität und auch wieder Lust, mich mehr mit mir selbst auseinanderzusetzen. Plötzlich konnte ich mich nicht mehr hinter meinem Bildschirm vor mir selbst verstecken.
«In 50 Jahren werden wir wohl kaum zurückblicken mit dem Gedanken ‹Hätte ich doch nur mehr Zeit mit meinem Smartphone verbracht...›»
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Bödeli- / BrienzInfo | Juli 2020