GESCHICHTLICHER ABRISS DER SCHIFFFAHRT AUF THUNER- UND BRIENZERSEE
Geschichtlicher Abriss der Schifffahrt auf Thunerund Brienzersee 1. Thunersee 1.1 Die Initiative Knechtenhofer: DS «Bellevue» In Thun-Hofstetten, einem östlich der Altstadt an der Aare liegenden Aussenquartier, betrieb Oberst und «Negotiant» Johann Jakob Knechtenhofer (1790–1867) bereits in den zwanziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts einen bekannten und bestrenommierten Gasthof unter dem Namen Bellevue. Gegen 1830 entbrannte in der Region ein heftiger Streit um den Ausbau der um den Thunersee führenden ungenügenden Strassen. Nach heftigen Kämpfen wurde schliesslich beschlossen, die linksufrige Strasse über Spiez in erster Priorität auf einen höheren Standard auszubauen. Knechtenhofer, am rechten Ufer domiziliert und als Absolvent von einigen Semestern Jurisprudenz an der Universität Bern mit den Strömungen der «grossen Welt» wohl vertraut, fürchtete in dieser Ausgangslage, vom Verkehr und insbesondere vom immer grösser werdenden Touristenstrom abgeschnitten zu werden. Er kam deshalb auf die zugleich brillante und mutige Idee, auf dem Thunersee zur schnelleren Verbindung mit lnterlaken einen Dampfschiffsdienst einzurichten. Zusammen mit seinen zwei Brüdern – Johann Knechtenhofer (1793–1865, von Beruf Bäcker, Tuchhändler und Reserveoffizier), welcher später auch als Kapitän der «Bellevue» fungieren sollte, und Hauptmann und ebenfalls Tuchhändler Johann Friedrich Knechtenhofer (1796–1871) – formierte er den Kern einer Aktiengesellschaft. Dabei war die Anzahl Knechtenhofer-Aktien nicht durch drei teilbar. Als potentester Minderheitsaktionär war – wichtig – Philippe Suchard in Neuchâtel beteiligt. Suchards Bruder war in Paris tätig und hatte mancherlei Bezüge zu progressiven Kreisen, wahrscheinlich sogar zu Louis-Napoléon Bonaparte, dem späteren Kaiser Napoléon III, der 1829 die Artillerieschule in Thun besucht hatte. In diesem Sinne erstaunt es nicht, dass die Firma Knechtenhofer gewissermassen im Fahrwasser der Suchard’schen «Industriel» auf dem Neuenburgersee im Jahre 1834 bei der Maschinenfabrik Cavé in Faubourg Saint-Denis bei Paris ein eisernes Dampfschiff in Auftrag gab. François Cavé persönlich war seinerseits mit zwei Aktien am Unternehmen beteiligt. Details zu diesem Schiff sind dem entsprechenden Lebenslauf zu entnehmen. Sowohl die Transporte von Paris ins Berner Oberland als auch die Inbetriebnahme und die ersten Dienstjahre sind relativ problemlos über die Bühne gegangen. Berühmt wurde die «Bellevue» vor allem durch die von Uhrmacher Leuenberger in Sumiswald erstellte Trompetenmechanik, welche die Schiffspassagiere mit einer Reihe von populären Weisen erfreuen konnte. Dieses ursprünglich pedalbetriebene Unikum ist heute noch im historischen 14
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