Kurzvorschau – Elin Band 2

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Impressum

Alle Angaben in diesem Buch wurden vom Autor nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihm und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten.

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2016, 2017, 2018, 2020 Werd & Weber Verlag AG, Gwattstrasse 144, 3645 Thun / Gwatt 5., neu illustrierte Auflage 2020

Texte Melanie Oesch

Illustrationen Christina Wald

Werd & Weber Verlag AG

Lektorat Alain Diezig Covergestaltung Rahel Gerber und Sonja Berger Layout Dominic Siegrist Korrektorat Lisa Inauen

ISBN 978-3-03818-177-4

www.werdverlag.ch www.weberverlag.ch

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................................... 7

Alle reden von Elin ........................................................................................................ 8 Ein Überraschungskonzert ........................................................................................ 10 Ein alter Schulfreund meldet sich ............................................................................. 12

Ein wegweisender Rat von Grossvater Robert .......................................................... 14 Elin ist sehr aufgeregt ................................................................................................. 16 Alles parat für die grosse Reise .................................................................................. 18 Die Reise beginnt ........................................................................................................ 20 Unterwegs .................................................................................................................... 22 Eine unerwartete Begegnung .................................................................................... 24 Elin ist fasziniert ......................................................................................................... 26 Alex’ Warnung ............................................................................................................. 28 Harry der Waldkauz .................................................................................................... 30 Harrys Gedankensprudel ........................................................................................... 32 Es gibt einen Plan ........................................................................................................ 34 Berta hat ein ungutes Gefühl ..................................................................................... 36 Elins neue Kleid ........................................................................................................... 38 Am Alpabzug ............................................................................................................... 40

Am Stammtisch mit den Hab’chern Habichten ....................................................... 42

Ein Unfall passiert....................................................................................................... 44 Unerwartete Hilfe ....................................................................................................... 46 Medizin für Berta ........................................................................................................ 48 Die Kehrtwende........................................................................................................... 50

Die Tage der Genesung ............................................................................................... 52 Die Heimkehr .............................................................................................................. 54 Zämme chöimers schaffe ........................................................................................... 57

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Vorwort

Als ich das fertige Buch «Elin das Baumzwergenmädchen – Band 1» zum ersten Mal in den Händen hielt, hatte ich richtig Augenwasser. Ein Kindheitstraum war in Erfüllung gegangen. Meine Geschichte von Elin, dem kleinen Baumzwergenmädchen, und ihrer Freundin, der Waldohreule Berta, wurde plötzlich in vielen Stuben und Kinderzimmern erzählt und angehört. Diese Vorstellung machte mich richtig glücklich.

Die ersten Reaktionen waren dann auch total überwältigend. Nie hätte ich mit so einer Begeisterung, mit so einer Euphorie und mit so vielen schönen Rückmeldungen gerechnet. Die Kinder hatten sich sofort in Elin und Berta verliebt. Wie schön!

An den verschiedenen Buchlesungen, an unseren Konzerten und oftmals auch per Post haben mir Kinder Fragen zum Buch und zu den Figuren gestellt, die ich selber nicht sofort beantworten konnte. Unbewusst habe ich mich also schon sehr früh mit einer Geschichte rund um die Geschichte, oder besser gesagt, mit einer möglichen Fortsetzung zu beschäftigen begonnen. Und ganz ehrlich: Das Eintauchen in Elins Fantasiewelt gehört mittlerweile auch für mich zu meinen absoluten Lieblings-ich-gönne-mir-jetzt-eine-Pause-Momenten.

Ich bin auch nach wie vor eine grosse Verehrerin der kleinen Dinge im Leben. Sie geben meinem Alltag oftmals die nötige Würze und rücken auch anstrengende und schwierige Momente in ein anderes Licht. Ja, ich finde schon, dass es die kleinen Sachen sind, die uns für einen neuen Tag, für ein neues Vorhaben und für eine neue Idee die nötige Energie geben. Dennoch vergessen wir dies manchmal. Wir versuchen uns auf eigene Faust durchzukämpfen, warten und warten, statt die Unterstützung von Freunden und Familie anzunehmen. Es war mir deshalb ein Anliegen, diese Botschaft mit der Figur von Harry, dem aufgestellten Waldkauz aus Habkern, zu verknüpfen.

Gemeinsam geht es einfacher, zusammen sind wir stärker und manchmal braucht es nur ein bisschen Geduld.

«Es isch eifach eso, wes söu guet use cho, ja de bruchts äbe aui drbi, zäme chöimers schaffe, chöi gränne, chöi lache, u aus – wird eifacher si.»

Ich wünsche euch viel Freude beim Eintauchen in meine Fantasiewelt und natürlich auch diesmal offene Augen, Ohren und Herzen.

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Alle reden von Elin

Die Nachricht, dass Elin und Berta es geschafft haben, die Menschen von der Herzblindheit zu befreien, spricht sich herum wie ein Lauffeuer. Das Fest der leuchtenden Augen, lachenden Gesichter und sehenden Herzen ist innerhalb weniger Stunden in aller Munde und man weiss weit übers Eriztal hinaus Bescheid, welch grosse Tat das Baumzwergenmädchen und die Waldohreule vollbracht haben. Sogar in der Stadt Thun und entlang des linken Thunerseeufers wird von den zwei Heldinnen erzählt.

Derweil erhält Grossvater Robert einen Anruf von der Zeitschrift «Freunde der Natur». Sie hätten ebenfalls von der wunderbaren Geschichte des quirligen Baumzwergenmädchens und ihrer Freundin Berta gehört und möchten in der kommenden Sommerausgabe einen Beitrag dazu veröffentlichen. Robert zögert zunächst mit der Zusage. Er weiss, dass die ganze Situation trotz Happy End nicht leicht war für Elin, und dass speziell die Organisation des Vogelspektakels viel Energie gekostet hat. Dann wird ihm jedoch klar, dass Elin für viele Baumzwergenkinder nun ein Vorbild ist und es ganz gut ist, diese tolle Botschaft in die Welt hinauszutragen. Er stimmt der Reportage zu.

Ein Überraschungskonzert

Als Elin zwei Tage nach dem Fest wieder in die Schule kommt, wird sie von ihren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden mit bunten Transparenten und lauten Bravo-Rufen empfangen: «Du hast es geschafft, Elin!» – «Elin, wir sind stolz auf dich!»

Wie sie den Pausenplatz betritt, ertönt aus den Bäumen rundherum ein heller und fröhlicher Gesang. Die gesamte Vogelschar ist noch einmal zusammengekommen – diesmal aber nicht, um für die Menschen, sondern um ganz alleine für das kleine Baumzwergenmädchen zu singen. Elin ist gerührt und bleibt wie angewurzelt stehen. Als der Vogelgesang verstummt, hält die Lehrerin eine kurze Rede. Sie betont, dass sie dank Elin wieder gelernt habe, wie wichtig Musik im Alltag sei. Sie habe deshalb beschlossen, ab sofort die alten Lieder aus dem Tal wieder in ihren Unterricht einzubauen. Und ja, auch für andere, neue Melodien sei sie offen. Jedes Baumzwergenkind solle, wenn es mal in die Welt hinausziehe, ein paar Lieder im Gepäck haben und anstimmen können. Schliesslich habe Musik schon so oft über Sprach- und Landesgrenzen hinweg Brücken geschlagen.

Elins Herz juchzt vor Freude. Sie ist sichtlich gerührt über die liebevolle Geste ihrer Mitschüler und über die wundervolle Idee ihrer Lehrerin. Ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, kramt sie das weisse, mit blauen Vergissmeinnicht bestickte Taschentuch hervor und putzt sich zwei Tränchen ab. So etwas hat sie wirklich nicht erwartet.

Mit glänzenden Augen geht sie auf ihre Mitschüler zu, drückt jedem die Hand und bedankt sich für die absolut gelungene Überraschung.

Berta hockt wie immer auf dem alten, verzworgelten Ast der mächtigen Buche und beobachtet die Szene mit einem Lächeln im Gesicht. Als die Baumzwergenkinder schliesslich alle in der Schulstube sitzen, macht sich die Waldohreule auf den Weg nach Hause. Ihr wurde berichtet, dass wichtige Post auf sie warte.

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Ein

alter Schulfreund meldet sich

Den Brief von Harry findet Berta in einem grossen braunen Umschlag vor. Sie erkennt die Schrift ihres alten Schulfreundes sofort. In fetten, hellbraun glänzenden Lettern hat er ihre Adresse darauf gekritzelt. Harry berichtet, dass man sogar in Habkern vom einzigartigen Vogelspektakel im Eriztal erzähle, und dass er wahnsinnig beeindruckt sei, wie Berta und Elin mit Musik und Naturklängen die Aufmerksamkeit der Menschen zurückgewinnen konnten. Er habe Berta schon lange mal wieder schreiben wollen, aber leider sei ihm immer etwas dazwischengekommen. Er schreibt, dass er fest daran glaube, dass die geniale Idee der beiden Freundinnen auch die Lösung für seine Probleme sein könnte. Er habe nämlich immer öfters mit Leuten zu tun, Ortskundige, aber vor allem Touristen, die durch die Bergwelt rennen, als wären sie kurz vor Ladenschluss in einem Einkaufszentrum. Ausserdem sei der Zusammenhalt unter den Vogelfamilien so schlecht wie schon lange nicht mehr. Das wolle er dringend ändern. Schliesslich bittet er die Waldohreule um Unterstützung vor und während des traditionellen Alpabzugs und lädt Elin und Berta zu sich nach Habkern ein.

Berta freut sich über die Post ihres alten Schulkollegen. Harry war ihr stets ein treuer Freund und Weggefährte. In den letzten Jahren hatten sie leider sehr wenig Kontakt. Aber Berta erinnert sich besonders gerne an die Zeit, als der Weg über den Grünenbergpass noch als Handelsroute genutzt wurde, und sie und Harry sich drei Mal die Woche trafen, um die wichtigsten Neuigkeiten auszutauschen und um aufzupassen, wer wie und wann den Pass überquerte. Heute wird der gut ausgebaute und geschichtsträchtige Weg vor allem von Älplerfamilien, Jägern, Wanderern und Bikern genutzt. Dennoch weiss sie, dass eine Reise mit Elin alles andere als einfach werden würde, und dass das Gebiet doch auch einige Gefahren birgt. Berta beschliesst, das Vorhaben gleich morgen mit Elins Grossvater Robert zu besprechen.

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Ein wegweisender Rat von Grossvater Robert

Robert ist gerade dabei, die Wiese vor dem grossen Baumzwergenhaus zu mähen, als Berta herangeflogen kommt. An ihrer Flügelhaltung kann er schon von weitem erkennen, dass die Waldohreule mal wieder etwas im Schilde führt. Als ihm Berta von Harrys Brief und der Einladung nach Habkern erzählt, kann er sich ein breites Schmunzeln nicht verkneifen. Wohlwollend nickt er Berta zu und ermuntert sie, mit Elin diese Reise anzutreten. «Das ist eine grosse Chance für Elin und dich, Berta», sagt er ganz überzeugt. «Und wenn Harry euch dabei unterstützt, so könnt ihr drei zusammen vielleicht sogar die berühmten Hab’chern Habichte überzeugen und für eure Idee gewinnen. Berta, das wäre ein weiterer Meilenstein auf dem Gebiet und ein Gewinn für die Zusammenarbeit der gesamten Region.» Berta nickt ebenfalls. Sie weiss Roberts Worte genau zu deuten. Er hat ihr in den vergangenen Jahrzehnten so manchen wegweisenden Rat gegeben und sie stets bei ihren Vorhaben unterstützt. Alleine den Bau der magischen Treppe zu ihrer riesengrossen Weisstanne wird sie wohl ein Leben lang nicht vergessen. Weit mehr als 50 Jahre sind seither vergangen, und dennoch sind die Gäste, die sie über die Goldtreppe empfangen durfte, an einer Hand abzuzählen. Seit Elins siebtem Geburtstag gehört auch das Baumzwergenmädchen dazu. Als Geburtstagsgeschenk haben Berta und Robert Elin sogar das Zauberwort verraten, mit dem man die Treppe überhaupt erst sichtbar machen kann.

«Ich danke dir für deine Unterstützung, Robert», sagt Berta nach einem Weilchen und berührt ihn mit ihrem Flügel an der Schulter. «Das ist gern geschehen Berta. Ich werde derweil Elins Eltern informieren und mit ihnen das Wichtigste besprechen. Rede du erst mal mit Elin. Dann gilt es, so rasch wie möglich auch Kontakt mit Elins Lehrerin aufzunehmen, damit auch sie Bescheid weiss und dir allenfalls etwas Unterrichtsmaterial für unterwegs mitgeben kann. Ich schätze, dass ihr insgesamt schon sieben bis zehn Tage von Zuhause weg sein werdet.»

«Das werde ich gleich angehen, Robert», versichert Berta, bedankt sich und fliegt mit grossen Flügelschlägen davon.

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Elin ist

sehr aufgeregt

Wie so oft holt die weise Eule auch heute ihre Freundin von der Schule ab. Auf dem Nachhauseweg beginnt Berta, Elin von Harrys Brief, der Einladung und dem Vorhaben, nach Habkern zu reisen, zu erzählen. Elin ist sofort Feuer und Flamme: «Juhuhuuu, Berta, juhuhuuu! Ein weiteres Abenteuer soll beginnen. Ich freue mich und kann es fast nicht erwarten, mit dir bis nach Habkern zu wandern. Juhuuu!» Berta lacht laut heraus. «Du bist schon unglaublich Elin! Ha ha ha! Weisst du, ich habe ja schon damit gerechnet, dass du Ja sagst, aber dass du dich gleich so überschwänglich freust und am liebsten noch heute losziehen würdest, das überrascht mich doch ein bisschen. Superschön! Ich freue mich ebenfalls sehr auf unsere Reise.» Berta überlegt kurz, bevor sie weiterspricht: «So lass uns rasch einen Plan machen, was wir alles mitnehmen müssen. Heute Abend schicke ich meine Buchfinken-Freunde los. Sie sollen Harry Bescheid geben, dass wir die Einladung gerne annehmen und uns so rasch wie möglich auf den Weg machen wollen. Morgen früh hole ich dich hier am Lindenbaumhaus ab und begleite dich zum Unterricht, Elin. Ich muss nämlich noch mit deiner Lehrerin sprechen. Du wirst ja dann ein paar Tage den Unterricht verpassen.»

Elin grinst über beide Backen, nickt und drückt ihrer Freundin zum Abschied ein Küsschen auf die Wange: «Ja, ist gut. Bis morgen, Berta, und komm gut nach Hause.»

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Alles parat

für die grosse Reise

Der nächste Tag verläuft ziemlich nach Plan. Elins Lehrerin stimmt dem Vorhaben der beiden Freundinnen schnell zu und verspricht, das nötige Unterrichtsmaterial vorzubereiten und Berta mitzugeben. Auch sonst laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Elin ist von Tag zu Tag aufgeregter.

Am letzten Abend in ihrem Bett findet sie lange keinen Schlaf. Sie wälzt sich hin und her und versucht, sich auszumalen, was sie wohl alles sehen und erleben wird. Ihr kommt in den Sinn, dass Berta ja auch von Gefahren gesprochen hat. Was sie wohl damit gemeint hat? Böse Menschen? Unbekannte Tiere? Gefährliche Wegabschnitte? Elin weiss es nicht. Ein bisschen Angst hat sie schon, das muss sie sich eingestehen. So lange von Zuhause weg war sie noch nie, zudem werden sie und Berta auch mehrfach im Freien übernachten müssen. Elin versucht es sich vorzustellen, bis sie irgendwann doch sehr müde einschläft.

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Die Reise beginnt

Als Berta am nächsten Morgen bei der alten Linde am Baumzwergenhaus ankommt, steht Elin schon mit Sack und Pack bereit. Grossvater Robert lehnt an einem Grashalm kauend an die grosse, schwere Tür zu seiner Wohnung, ganz unten im Baumhaus. Er winkt mit einem roten Küchentuch. Auch Elins Eltern und ihre drei Brüder Tim, Jan und Luk sind da. Die ganze Familie hat sich versammelt, um den beiden Freundinnen Tschüss zu sagen und ihnen viel Glück zu wünschen. Selbst als Elin und Berta nur noch als zwei farbige Punkte im Wald wahrzunehmen sind, winken Robert und Elins Eltern immer noch. Elin weiss, dass sie sich auf etwas Grosses eingelassen hat. Sie spürt, wie ihr Herzchen laut pocht. Ganz leise sagt sie vor sich hin: «Hoffentlich ist das ein gutes Zeichen.»

Unterwegs

Der erste Reisetag verläuft nach Plan. Berta hat alles perfekt vorbereitet und auch einfach an alles gedacht. Für das Reisegepäck, etwas Verpflegung und Getränke ist das Rotmilanpaar besorgt. Berta hat ihnen den Auftrag gegeben und ihnen klar gesagt, zu welcher Zeit sie wo und was parat stellen sollen. Es klappt einwandfrei.

Auch die erste Nacht im Freien macht Elin überhaupt nichts aus. Im Gegenteil. Sie geniesst es, mit Berta zu tratschen und zu klatschen und irgendwann einfach einzuschlafen. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück gehen die beiden den vorbereiteten Unterrichtsstoff durch. Elin ist sehr motiviert und so sind die Aufgaben in kurzer Zeit erledigt.

Nach dem Mittag machen sich die beiden Freundinnen wieder auf den Weg. Je näher sie der Passhöhe kommen, desto schattiger wird es, was Elin bei den heissen Temperaturen als sehr angenehm empfindet. Sie geniesst die feine und intensive Waldluft und juchzt jedes Mal laut vor Freude, wenn sie irgendwo ein Fleckchen «Sterndlimiesch», ihre Lieblingsmoosart, entdeckt.

Kurz nach sechzehn Uhr passieren die beiden dann den höchsten Punkt – die Grünenbergpasshöhe. Auf einem alten Baumstrunk stehen schon zwei bunt gepunktete Becher mit frischem Wiesenkräutertee von Grossvater Robert bereit. Elin staunt nicht schlecht. Die Milane wissen auch wirklich alles.

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Eine unerwartete Begegnung

Nach der wohltuenden Erfrischung geht es zügig weiter und Berta nimmt ihre gewohnte Ich-fliege-Elin-voraus-Flughöhe ein. Elin stapft brav hinterher. Plötzlich hört sie ein lautes Knacken, gefolgt von mehreren lauten Schlägen. Sie bleibt abrupt stehen. Mit ängstlichem Blick schaut sie zu Berta hoch. Die lächelt jedoch nur und meint: «Keine Angst Elin, das ist nur Alex, der sich …» «… gerade die Hörner etwas gewetzt hat. In meinem Alter muss man halt so einiges tun, um attraktiv zu bleiben. Ho ho ho hooo», antwortet eine tiefe Bassstimme und ein grosser Steinbock mit grauem Bocksbart tritt aus dem Gebüsch hervor. «Salutti, meine gute Berta, salutti Elin. Ich bin Alex, der alte Steinbock. Ich habe mich schon seit Tagen auf unser Treffen gefreut und euch quasi erwartet.» Elin guckt noch etwas irritiert. «Du hast uns erwartet? Wer hat dir denn Bescheid gesagt?», fragt sie ganz verdutzt. «Das haben mir die Sterne verraten. Ho ho hooo. Ja, so etwas hat der alte Alex eben im Gefühl.» Elin weiss nicht, ob sie dem alten Steinbock glauben kann. «Alex ist ein guter alter Freund von mir, Elin», klärt Berta die Situation. «Er hat die Fähigkeit, Dinge vorauszuahnen. Alex, ich bin sehr glücklich, dich gesund und munter hier zu treffen», beendet die Waldohreule das kurze Porträt. «Die Freude ist ganz meinerseits, meine gute Berta. Lange haben sich unsere Wege nicht mehr gekreuzt und doch habe ich stets verfolgt, mit welcher Selbstlosigkeit du immer für alle da warst und bist. Grossartig», lobt Alex die weise Eule. «Und doch bleibt uns ‹Helfenden› selten Zeit zum Ausruhen.» Berta nickt. «Kaum ist eine Arbeit erfolgreich abgeschlossen, sind andere deswegen neidisch. Ich fühle es jeweils sofort. Auch nach so vielen Jahren holt es mich immer wieder ein. Ich kann nicht verstehen, warum einige so schlecht über andere denken, nur weil diese gerade etwas erreicht haben und damit etwas mehr im Mittelpunkt stehen.» «Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen, Alex», erwidert Berta. «Es ist auch für mich unverständlich. Umso mehr versuche ich, die positiven Momente zu sammeln. Das Unterwegssein mit Elin, das bereitet mir eine besonders grosse Freude.» Etwas verlegen, aber hocherfreut über das schöne Kompliment, hockt sich das Baumzwergenmädchen auf den nächsten grossen Stein. «Berta. Elin. Ich möchte, dass ihr heute Abend meine Gäste seid. Ich habe zu Hause schon ein bisschen etwas vorbereitet. Ho ho hoooo.»

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Elin

ist fasziniert

Der Abend mit Alex vergeht wie im Flug. Mit grossem Interesse lauscht Elin den unzähligen Geschichten und Anekdoten, die sich Berta und Alex zu erzählen haben. Sie ist unglaublich fasziniert, wie der Steinbock und auch ihre Freundin Berta in den schwierigsten Situationen gute Lösungen gefunden haben und die Sachen stets zum Guten wenden konnten. «Das will ich auch können», denkt sich das Baumzwergenmädchen und ist insgeheim ein bisschen stolz, dass sie und Berta eigentlich ja schon in einer solchen Mission unterwegs sind.

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Alex’ Warnung

Am nächsten Morgen begleitet Alex die beiden Freundinnen zurück auf den Hauptweg. «Wenn es euch nichts ausmacht, so leiste ich euch noch ein bisschen Gesellschaft. Sobald dann die ersten Häuser von Habkern in Sichtweite sind, wird euch der gute Harry in Empfang nehmen», informiert der Steinbock die Abenteurerinnen. «Dann ist mein Teil der Aufgabe erfüllt. Das heisst, fast.» «Was meinst du damit, Alex?», fragt Berta etwas überrascht. «Naja, meine Lieben. Vor zwei Tagen habe ich eine äusserst seltsame Sternenkonstellation beobachtet. Ich habe versucht, sie zu deuten, aber es ist schwierig zu sagen, was ihre wirkliche Botschaft ist.» Alex holt tief Luft. «Seid vorsichtig, wenn ihr in Habkern seid. Besonders während des Alpabzugs treibt sich allerlei Gesindel rum, das denkt, bei so vielen Schaulustigen gut getarnt zu sein. Und: Nicht alle erfreuen sich an eurem Erfolg, Berta. Deshalb befolgt meinen Rat und seid achtsam.» «Das werden wir sein, Alex», verspricht die Waldohreule und berührt den alten Steinbock zum Dank mit ihrem rechten Flügel. «Gib auch du auf dich acht, mein Guter. Und herzlichen Dank für die schöne Zeit gestern Abend. Vielleicht reicht es für einen kurzen Schwatz bei unserer Rückkehr. Das wäre schön», sagt Berta hoffnungsvoll und nimmt schon mal ihre gewohnte Flugposition ein. «Jederzeit gerne», erwidert Alex lächelnd, und wendet sich dem Baumzwergenmädchen zu. «Liebe Elin, es war mir eine Freude, dich kennenzulernen. Du bist ein tolles Mädchen und du kannst stolz sein, was du mit deinen jungen sieben Jahren schon alles erleben und erreichen durftest. Als Abschiedsgeschenk habe ich heute früh den Rotmilanen einen kleinen Schokokuchen mit bunten Smarties drauf mitgegeben. Ich habe gehört, es ist dein Lieblingskuchen.» Elin ist ganz baff und fällt Alex spontan um den Hals. «Oh wow! Alex! Das ist ja so lieb von dir. Vielen, vielen Dank. Und bis bald.»

Schweigend nehmen Elin und Berta den letzten Abschnitt unter die Füsse, beziehungsweise unter die Flügel. Elin wird Alex vermissen, das weiss sie jetzt schon. Sie hat den graubraunen Steinbock mit dem lustigen Bocksbart und den grauen Augenbrauenbüscheln in kurzer Zeit fest in ihr Herz geschlossen.

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Harryder Waldkauz

Elin und Berta sitzen nach ihrem Mittagsimbiss noch auf der roten Sitzbank unter einer grossen Tanne und quatschen, als plötzlich jemand ihren Namen ruft. «Das kann nur mein alter Kumpel Harry sein», ruft Berta freudig und fliegt ein paar Meter in die Höhe, um bessere Sicht zu haben. Derweil kommt Harry wie der Blitz angeschossen und begrüsst die beiden in seinem sympathischen und typischen Habchern Dialekt: «Jetz gschou, da siter ja entlich! So schön, i ha mi uversichtig uf öch gfröid! Und Berta, mein Kompliment – du siehst auch nach all den Jahren bezaubernd aus!» «Oh, danke sehr, Harry», antwortet die Waldohreule etwas verlegen. «Du bist auch noch immer derselbe – ein Charmeur, wie er im Buch steht», lacht sie. «Harry, darf ich vorstellen, das ist Elin, das Baumzwergenmädchen – Elin, das ist Harry, der Waldkauz und ein alter Schulkollege von mir.» «Hallo Harry», sagt Elin noch etwas schüchtern und betrachtet den Waldkauz einmal komplett von oben bis unten. Dem kleinen Baumzwergenmädchen wird sofort klar, dass Harry, obwohl auch er eine Eule ist, doch ziemlich anders aussieht als Berta. Jetzt kommt ihr in den Sinn, dass Grossvater Robert ihr schon davon erzählt hat, dass es viele unterschiedliche Eulenarten gibt. Bisher kannte sie nur die Waldohreule. Nun weiss sie auch, wie ein Waldkauz aussieht.

Harrys

Gedankensprudel

Harry begleitet die beiden Freundinnen auf dem letzten Wegstück bis zu seinem Zuhause und erzählt dabei von seinen Beobachtungen im Dorf. Er merke, dass zwischen den Generationen manchmal grosse Uneinigkeit herrsche, zum Beispiel darüber, wie der Alpabzug am besten zu gestalten sei. Viele junge Leute wollen den Traditionsanlass anpassen und ein umfangreicheres Rahmenprogramm zusammen stellen. Die ältere Generation wolle hingegen am schlichten Drumherum festhalten. Sie sei der Meinung, dass der Anlass für die Einheimischen, für die Älpler und für die Bauern, deren Rinder und Kühe mit auf der Alp waren, bestimmt sei. Die Jungen hingegen hätten längstens realisiert, dass sich gerade solche Traditionsanlässe in authentischen Bergorten bei auswärtigen Gästen und Touristen immer grösserer Beliebtheit erfreuen. Sie sähen darin auch Chancen, einerseits das Dorf und die Region noch bekannter zu machen, andererseits die Traditionen so zu gestalten, dass sie für eine heranwachsende Generation lebendig blieben. Wie überall bestehe die Schwierigkeit auch hier darin, einen gesunden Kompromiss zu finden.

Harry betont, dass er es als seine Aufgabe betrachte, zu diesem Gleichgewicht beizutragen. Er habe sich vor ein paar Wochen diesbezüglich auch bereits mit den Hab’chern Habichten getroffen und sie davon überzeugen wollen, dass es in solchen Übergangsphasen besonders viel Feingefühl und Aufmerksamkeit brauche. «Die Habichte gehören quasi zu den ersten, die die Region hier vor ein paar hundert Jahren besiedelten. Sie waren es denn auch, die dem Dorf Habkern seinen Namen gegeben haben und noch heute das Ortswappen zieren. Seither geniessen sie weit übers Dorf hinaus einen besonderen Status, was sie leider dazu verleitet, je länger je fauler zu sein und sich vom alltäglichen Dorfleben abzuwenden», verrät Harry etwas besorgt. «Wenn es mir gelingen würde, eine ebenso starke Vogelgemeinschaft aufzubauen, wie ihr zwei es im Eriztal geschafft habt, so hätte der Habicht-Clan wieder eine feste Aufgabe und wegen ihres Ansehens wäre das ganze Projekt auch für alle anderen Vogelfamilien glaubwürdig und von hoher Wichtigkeit. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam auch einige Tierfamilien von der ‹Elin-Berta-Strategie› überzeugen und auf unsere Seite ziehen könnten. Mit dieser geballten Kraft könnten wir die Aufmerksamkeit der herzblinden Wesen zurückgewinnen.»

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