Schönried & Saanenmöser In alten Ansichten alten Ansichten (Kurzvorschau)

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Elsi Frautschi, Bruno Kernen, Hans Amrein

SCHÖNRIED & SAANENMÖSER

IN ALTEN ANSICHTEN

ISBN 978-3-03818-317-4 Weber Verlag AG CH-3645 Thun/Gwatt www.weberverlag.ch

SCHÖNRIED & SAANENMÖSER

Elsi Frautschi, Bruno Kernen, Hans Amrein

Seit 55 Jahren sammelt die ehemalige Sportartikel-Unternehmerin Elsi Frautschi aus Schönried im Saanenland alte Postkarten. Die ältesten Karten stammen aus den 1860er-Jahren. In diesem Bildband präsentieren Elsi Frautschi und der Hotelier und Ex-Skirennfahrer Bruno Kernen die schönsten und wertvollsten Postkarten aus Schönried und Saanenmöser. Wie haben die Bauern und Gewerbler vor 100 Jahren in den Bäuerten Schönried und Saanenmöser gelebt? Wie haben sich Dörfer, Landschaft und Tourismus in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Eine einzigartige Sammlung mit historischem Wert. Damit nicht genug: Im Buch erzählen zehn Zeitzeugen aus Schönried und Saanenmöser ihre Lebensgeschichten und Anekdoten aus früheren Zeiten. Die Gespräche führte der Publizist und Autor Hans Amrein.

SCHÖNRIED & SAANENMÖSER Elsi Frautschi, Bruno Kernen, Hans Amrein



SCHÖNRIED & SAANENMÖSER EIN PORTRÄT IN ALTEN FOTOGRAFIEN Elsi Frautschi, Bruno Kernen, Hans Amrein


Impressum Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe. © 2022 Weber Verlag AG, CH-3645 Thun / Gwatt Autoren Elsi Frautschi, Bruno Kernen und Hans Amrein Fotos Sammlung von Elsi Frautschi, Schönried Weber Verlag AG Satz und Gestaltung Julian Spycher und Celine Lanz Korrektorat David Heinen ISBN 978-3-03818-317-4 www.weberverlag.ch Die Weber Verlag AG wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

neutral Drucksache No. 01-12-409142 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership


INHALTSVERZEICHNIS Seite Einleitung .....................................................................................................5 Fotografien........................................................................................... 6 – 214 Interview Bruno Kernen ..............................................................................8 Interview Elsi Frautschi .............................................................................11 Lebenserinnerungen von Arthur von Grünigen ........................................14 Interviews mit Zeitzeugen .........................................................................26 Edmund Schwenter.....................................................................................26 Olga Kernen............................................................................................... 34 Susi und Heini Schwenter.......................................................................... 48 Heini Aellen.................................................................................................52 Anni Aellen.................................................................................................63 Olga Schwenter...........................................................................................72 Peter Lanz...................................................................................................79 Hans Schopfer............................................................................................ 88 Alfred Mösching..........................................................................................95 Schönried im Wandel der Zeit von Ernst Frautschi senior........................102 Ski- und Bahngeschichten .......................................................................129 Skiclub Schönried ....................................................................................138 Die Autoren...............................................................................................215

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Seit dem 4. 7. 1905 fährt die MOB von Montreux nach Zweisimmen.

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EINLEITUNG Seit 55 Jahren sammelt die ehemalige Sportartikel-Unternehmerin und Skilehrerin Elsi Frautschi aus Schönried im Saanenland alte Postkarten. Die ältesten Karten stammen aus den 1860er-Jahren. In diesem Bildband präsentieren Elsi Frautschi und der Hotelier und Ex-Skirennfahrer Bruno Kernen die schönsten und wertvollsten Postkarten aus Schönried und Saanenmöser. Wie haben die Bauern und Gewerbler vor 100 Jahren in den Bäuerten Schönried und Saanenmöser gelebt? Wie haben sich Dörfer, Landschaft und Tourismus in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Elsi Frautschis Postkartensammlung umfasst mehrere 1000 Motive, eine einzigartige Sammlung mit historischem Wert. Damit nicht genug: Im Buch erzählen zehn Zeitzeugen aus Schönried und Saanenmöser ihre Lebensgeschichten und Anekdoten aus früheren Zeiten. Sie erinnern sich an den Skisport in den 40er-Jahren, an die ersten Funis und Skilifte, an die Anfänge des Fremdenverkehrs in Schönried und Saanenmöser sowie an die Prominenz, die schon in den 50er-Jahren für Schlagzeilen sorgte. Die Gespräche führte der Publizist und Autor Hans Amrein. Nach den Bildbänden mit alten Fotografien aus Gstaad und Saanen folgt jetzt die Fortsetzung mit historischen Bildern aus Schönried und Saanenmöser.

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Foto: J. Nägeli, Gstaad

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Schönried, 1250 m ü. M., Rübli u. Gummfluh Foto: W. Germann, Schönried

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«WIR SIND NICHT GSTAAD» Ex-Skirennfahrer und Hotelier Bruno Kernen über Schönried und Saanenmöser

«Bruno Kernen der Erste» nennt man ihn im Skisport, um ihn von seinem elf Jahre jüngeren Namensvetter zu unterscheiden. Ab 1979 fuhr Bruno Kernen im Weltcup, sein grösster Triumph war 1983 der Gewinn der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel. Doch sein Vater, ein Hotelier, hatte ihm vorher schon ans Herz gelegt, eine Kochlehre zu machen. Nach der Skikarriere lag es für Bruno Kernen also auf der Hand, das Hotel Bahnhof in Schönried zu übernehmen, das seine Urgrosseltern gebaut hatten. Er taufte es um in «Hotel Kernen», und seither taucht es immer wieder in Bestenlisten für preiswerte Wintersporthotels auf. 2011 entstand in einem Neubau in Saanenmöser als Kernens zweites Standbein das Hotel Des Alpes. Bruno Kernen hatte die Idee, mit den alten Postkarten von Elsi Frautschi ein Buch zu machen. Buchautor Hans Amrein sprach mit dem Ex-Skirennfahrer über die Hintergründe der Sammlung und das heutige Saanenland. Bruno Kernen, Sie kennen Elsi Frautschi schon seit vielen Jahren. Sie haben ihr den Tipp gegeben, aus ihrer umfassenden Postkartensammlung ein Buch zu machen … Über Gstaad und Saanen gibt es diverse Bücher, die die Geschichte dokumentieren. Von Schönried und Saanenmöser gibt es fast nichts, weder Bücher noch andere Publikationen. Die Verlegerin Annette Weber hat mich vor geraumer Zeit darauf angesprochen. Von unserer Familie gibt es viele Fotos, aber von meiner Nachbarin und

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Wir haben für das vorliegende Buch Gespräche mit zehn Zeitzeugen geführt. Es sind ältere Menschen, die heute über 80 oder 90 sind und sich an die «guten alten Zeiten» im Saanenland erinnern. Was haben Sie von diesen Zeitzeugen gelernt? Ich habe sehr viel Respekt für sie. Einer der Zeitzeugen, Edmund Schwenter, ist in der Zwischenzeit leider verstorben. Viele der Aussagen haben mich tief beeindruckt. Mir ist aufgefallen, dass alle Interviewten mit innerem Stolz über die Sonnenterrassen Schönried und Saanenmöser gesprochen haben. Diese Leute haben harte Zeiten durchgemacht, sie lebten zum Teil unter widrigen Lebens- und Wohnbedingungen. Und trotzdem sind sie zufrieden mit ihrem Leben. Sie sind dankbar und strahlen eine gewisse Demut aus. Ihre Augen glänzen, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Sie sind dankbar, dass sie ihr Leben hier in dieser wunderbaren Gegend verbringen dürfen.

langjährigen Freundin, Elsi Frautschi, wusste ich, dass sie seit vielen Jahren alte Postkarten und Fotos sammelt. Ich habe sie darauf angesprochen. Neben den Postkarten sollten im Buch ältere Menschen aus Schönried und Saanenmöser zu Wort kommen. Es sind Zeitzeugen, die sich an die «guten alten Zeiten» erinnern können. Die Postkartensammlung ist ein Zeitdokument und dokumentiert, wie die Bäuerten Schönried oder Saanenmöser vor 50 oder mehr Jahren ausgesehen haben. Wie haben Sie, Bruno Kernen, die Entwicklung und Veränderung der «Dörfer» erlebt? Ich kann mich aus meiner Kindheit noch gut erinnern, dass es damals fast gleich viele Häuser wie heute hatte. Damals waren aber viele kleinere Scheunen und Ställe überall auf den Wiesen verteilt. Viele wurden durch grosse Scheunen ersetzt – und die «Heu-Schürli» wurden teilweise abgebrochen. Als der Tourismus in den 60er-Jahren für den ersten grossen Aufschwung in der Region sorgte, war ich dabei. Ich erinnere mich gut an den Bau der Rellerlibahn oder an den Neubau der Horneggli-Sesselbahn Mitte der 80er-Jahre.

Das Saanenland ist Ihre Heimat. Wenn Sie Schönried oder Saa­ nenmöser einem «fremden» Touristen kurz erklären müssten, wie würde dieses Kurzporträt lauten? Schönried und Saanenmöser sind Orte – nicht Dörfer wie Saanen oder Gstaad. Beide Orte liegen auf einer Sonnenterrasse mit guter Sicht auf unsere schöne Bergwelt. Es herrscht hier mehr Ruhe als in Gstaad. Schönried und Saanenmöser sind der ideale Ausgangspunkt zum grössten Skigebiet in unserer Region.

Haben Sie machmal etwas nostalgische Gefühle, wenn Sie die alten Postkarten anschauen? Motto: «Früher war die Welt noch in Ordnung» … Ja, natürlich werden da viele Erinnerung geweckt. Unsere Vorfahren haben in den letzten 60 Jahren vieles erreicht: Wohlstand, Arbeitsplätze im Berggebiet und eine gute Infrastruktur. Auch Schönried, Saanenmöser und ich haben davon profitiert.

Zwischen Saanen und Gstaad einerseits und Schönried und Saa­ nenmöser andererseits gab es in den letzten 100 Jahren immer wieder Reibereien oder gar Konflikte. Warum waren sich die beiden Parteien oft nicht einig? In alten Zeiten gab es in der Tat kleinere und auch grössere Grabenkämpfe zwischen den erwähnten Orten. Hartnäckigkeit, Durchhaltewillen und Konkurrenz haben die Leute hier bis heute geprägt. Noch

Warum machen Sie und Elsi Frautschi die Postkartensammlung nicht öffentlich zugänglich, zum Beispiel im Hotel Kernen, wo man ein kleines Dorfmuseum errichten könnte? Darüber werden Elsi und ich sicher noch sprechen. Mir gefällt Ihre Frage. Sie bringt meine Fantasie schon wieder in Wallung …

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heute gibt es hier heftige und kontroverse Diskussionen. Wir sind es unseren Vorfahren und unseren Nachkommen schuldig, dass wir uns für die Interessen der Einheimischen aus Schönried und Saanenmöser engagieren. Es ist ja legitim, dass man sich für seinen Ort einsetzt, auch wenn das vielleicht nicht jedem in Saanen oder Gstaad passt. Wir arbeiten alle grundsätzlich sehr gut zusammen. Leiden die Bäuerten Schönried und Saanenmöser heute noch ein wenig unter den oft dominierenden Orten Saanen und Gstaad? Schönried und Saanenmöser sind nicht Gstaad – und doch sind wir ein Teil des Ganzen. Der Name Gstaad ist weltbekannt. Das ganze Saanenland profitiert von der Marke Gstaad. Das gute Image von Gstaad ist aber auf unsere weitsichtigen Vorfahren aus den 50er-Jahren zurückzuführen, die damals eine kluge und nachhaltige Dorf- und Regionalentwicklung förderten. Man entschied zum Beispiel, dass hier nur Chalets gebaut werden dürfen. Bausünden konnten so vermieden werden. Schauen Sie sich andere Tourismus­ orte in der Schweiz an! Alles verbaut, Betonhäuser, Flachdächer, wenig Charme und Stil. Das ist hier zum Glück anders, das ist unser Alleinstellungsmerkmal! Schlussfrage: Was erhoffen Sie sich mit der Publikation der Postkartensammlung in Buchform? Elsi Frautschi und ich hoffen, den Einheimischen und Gästen mit dem Buch eine Freude zu machen. Ich fände es toll, wenn das Buch in den Chalets und Wohnungen unserer Gäste einen Platz finden würde. Interview: Hans Amrein

Schönried–Horneggli (Gstaad), 1800 m ü. M. Längster Constamlift Europas, 2120 Meter lang, 14 Minuten Fahrzeit Foto: W. Germann, Schönried Eröffnung: Weihnachten 1944

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«UNSERE VORFAHREN WAREN WEITSICHTIGE MENSCHEN» Elsi Frautschi über ihre Postkartensammlung und das Leben im Saanenland

Seit 55 Jahren sammelt die ehemalige Sportartikel-Unternehmerin und Skilehrerin Elsi Frautschi aus Schönried im Saanenland alte Postkarten. Die ältesten Karten stammen aus den 1860er-Jahren. Was steckt hinter der Postkartensammlung?

Elsi Frautschi, wie ist Ihre Postkartensammlung eigentlich entstanden? Mitte der 70er-Jahre wollte ich jemandem eine alte Postkarte vom Lauenensee zum Geburtstag schenken. Auf einem Markt in Bern wurde ich fündig. Ich kaufte allerdings nicht eine Karte, sondern mehrere. Ich entdeckte wunderschöne alte Postkarten aus der ganzen Schweiz. Das war ein besonderes Erlebnis. Bald merkte ich, dass ich mich aufs Saanenland beschränken musste, was ja auch Sinn machte, da es meine Heimat ist. Woher kommen all die Postkarten? Haben Sie die Karten bewusst und systematisch gesammelt in all den Jahren? Ich habe die Karten auf Märkten entdeckt und gekauft. Jedesmal, wenn ich irgendwo an einer Brocante war, suchte ich gezielt alte Postkarten. Viele Karten stammen von Sammlern, welche die Karten mit Motiven aus dem Saanenland verkaufen wollten. So kam ich

Elsi Frautschi: «Jedesmal, wenn ich irgendwo an einer Brocante war, suchte ich gezielt alte Postkarten.»

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Schönried und Saanenmöser stehen im Zentrum der Kartensammlung und des Buches. Wenn Sie die Karten anschauen, was hat sich in den letzten 50 oder 60 Jahren in der Region besonders verändert? Es wurde sehr viel gebaut! Und wir hatten früher viel mehr Schnee im Saanenland. Auch die Verkehrssituation in Schönried und Saanenmöser hat sich in all den Jahren komplett verändert, denn früher parkten die Autos einfach auf der Strasse.

zu wunderschönen und seltenen Postkarten. Über all die Jahre entstand so eine Sammlung. Wie viele alte Postkarten umfasst denn die aktuelle Sammlung? Etwa 3000 Karten, vielleicht sind es noch mehr. Ich habe sie nicht einzeln gezählt. Wo liegt denn der inhaltliche Schwerpunkt der Sammlung? Sind es eher Naturmotive, Ortschaften, Tourismusszenen oder Menschen? Es geht generell um unser schönes Saanenland. Landschaften, bäuerliche und touristische Sujets dominieren.

Wir haben mit zehn Zeitzeugen gesprochen. Es sind Menschen, welche die Region vor 50 oder 60 Jahren noch hautnah erlebt haben. Welche Erkenntnisse haben Sie durch diese Gespräche gewonnen? Die eindrücklichen und ehrlichen Gespräche zeigen, dass diese Menschen mit ihrer Heimat noch eng verbunden sind. Sie mussten hart arbeiten und lebten zum Teil äusserst bescheiden, doch sie sind mit ihrem Leben zufrieden. Die meisten hatten einen Nebenverdienst im Tourismus, zum Beispiel bei den Bergbahnen, wo sie im Winter als «Bügelmänner» oder Handwerker arbeiteten. Einige waren Bergführer oder Skilehrer. Damit konnten sie als Bergbauern einigermassen gut leben. Der Tourismus war im Saanenland stets ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Alle haben davon profitiert.

Wurden die Postkarten schon mal in einer Ausstellung oder in einer Publikation präsentiert? Nein, eine Ausstellung gab es noch nie. Hingegen hat Gottfried von Siebenthal Karten aus meiner Sammlung für seine Gstaad-Bücher verwendet. Und in unserer «Galerie im Stöckli» in Schönried verkaufe ich vergrösserte Kartenmotive in Altholzrahmen. Aus welchen Jahren stammen die meisten Kartenmotive? Die ältesten Postkarten stammen aus den Jahren 1860 bis etwa 1960. Die 60er-Jahre sind stark vertreten.

Was zeichnet eigentlich den Saanenländer oder die Saanenländerin besonders aus? Übrigens: Man spricht nicht von «Saanenländern», sondern von «Saa­ nern». Man spürt, dass sie bis ins 16. Jahrhundert zur Grafschaft Greyerz gehörten. Die Saane, sozusagen unser Hausfluss, fliesst ins Welschland, die Verbindung der Montreux-Oberland-Bahn (MOB) führt an den Genfersee nach Montreux. Wir haben noch immer eine starke Beziehung zur Westschweiz, die Sprachgrenze ist ja nur wenige Kilometer von Saanen entfernt. Rougemont gehört zwar politisch zum Kanton Waadt, ist aber irgendwie auch Teil des Saanenlandes.

Wer hatte eigentlich die Idee zu diesem Buch? Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt, mit meiner Sammlung etwas zu machen. Ich habe mit Bruno Kernen darüber gesprochen. Er brachte mich dann auf die Idee, ein Buch zu machen. Das war, als sein Buch «Jagd, Geschichten und Rezepte» verwirklicht wurde. Das Buch erschien ebenfalls im Weber Verlag Thun.

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Und wie würden Sie den Charakter der Saaner umschreiben? Wir leben in einem offenen Tal, deshalb sind wir auch sehr offene Menschen. In unseren Adern fliesst auch ein wenig welsches Blut … l’esprit romand.

Herausforderungen, die man diskutieren muss. Zum Beispiel die aktuelle Verkehrs- und Parkplatzsituation. Warum sind Schönried und Saanenmöser touristisch so attraktiv? Was bieten sie, was zum Beispiel die Gstaader nicht bieten (können)? Unser grosses Skigebiet. Der Skifahrende profitiert von Pisten und Bahnen, die alle zusammenhängen. Aus rein geografischen Gründen ist das nicht überall möglich. Das Saanenland ist zu jeder Jahreszeit ein Paradies – für alle.

Wenn Sie heute auf Schönried und Saanenmöser blicken, was geht Ihnen dabei durch den Kopf? Wir haben zum Glück noch einige Dorfläden, sodass wir fast alles hier kaufen können. Es gibt auch Hotels mit mehreren Sternen, die das ganze Jahr offen sind.

Interview: Hans Amrein Warum ist das Saanenland eine der schönsten Gegenden der Schweiz? Unsere Vorfahren waren weitsichtige Menschen und haben es verstanden, ein striktes Baureglement einzuführen. Schauen Sie sich die intakten Dorfbilder an! Wunderschöne authentische Chalets – keine so schrecklichen Betonbauten, wie man sie zum Beispiel in anderen Destinationen vorfindet. Für die wunderschöne Landschaft und die Bergwelt müssen wir dankbar sein. Die haben nicht wir erschaffen. Stehen Schönried und Saanenmöser nicht etwas im Schatten des mondänen und weltberühmten Ortes Gstaad? Nein, das sehe ich nicht so. Wir alle profitieren ja vom weltbekannten Aushängeschild Gstaad. Unsere wunderbaren Sonnenterrassen Schönried, Saanenmöser sind einzigartig! Die Schönrieder gelten als eher eigensinnig und hatten früher das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne wie die Saaner oder Gstaader. Wie ist das heute? Es wäre ja langweilig, wenn alle das Heu stets auf der gleichen Bühne hätten! Spass beiseite. Natürlich gibt es lokale Probleme und

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AUS FRÜHEREN ZEITEN Lebenserinnerungen von Arthur von Grünigen (1907 bis 2001) Landwirt, Gemeinderat und Vorstandsmitglied im Verkehrsverein, Schönried Schönried kämpft um seine Schule Neid und Missgunst einerseits sowie der Wettlauf um Rang und Bedeutung anderseits kennzeichneten während Jahrzehnten das politische Geschehen in der Gemeinde Saanen. Die Ortschaften Saa­ nen und Gstaad bekämpften sich gegenseitig. Die Aussenbäuerten spielten dabei oft das Zünglein an der Waage, ohne dass jedoch für sie etwas herausschaute. Jede Ortschaft, jede Bäuert glaubte, um für sich etwas zu erreichen, müsse man dafür sorgen, dass es den andern nicht gelinge, ihre Pläne zu verwirklichen. Unter dem Vorwand, man wolle kein armes, rotes Arbeitergesinde, verhinderte man in Saanen den Bau einer MOB-Werkstätte; sie wurde dann in Chernex gebaut. Als jedoch in Gstaad einige Hotels entstanden, die Bevölkerung zunahm und in der Folge die vierte und fünfte Schulklasse eröffnet werden musste, wollte Saa­ nen nicht nachstehen. Doch die nötige Schülerzahl war nur zu erreichen, indem man den Bezirk Halten mit sechs bis acht Häusern vom Schulkreis Schönried dem Schulkreis Saanen zuwies. Damit konnte die Schülerzahl der Gesamtschule Schönried von damals 65 bis 70 Schülern um 15 bis 20 reduziert werden. Damit konnte man auch die Bestrebungen der Schönrieder um Eröffnung einer zweiten Schulklasse in den Wind schlagen. Als ich Jahrzehnte später einmal einen Dorfgewaltigen in Saanen fragte, wann man endlich in Schönried eine zweite Schulklasse eröffnen wolle, wurde mir

Arthur von Grünigen mit seiner Frau (das Bild stammt wahrscheinlich aus der Zeit um 1995).

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prompt geantwortet: «Was stellst du dir eigentlich vor, die Steuern, die von Schönried in die Gemeindekasse fliessen, reichen kaum, um eine Lehrkraft zu bezahlen, geschweige denn für eine zweite.»

der Schul- und Schulhausbaukosten tragen musste, war man beim Bewilligen von Krediten sehr knauserig. Man musste zum Beispiel auf den Einbau einer zweiten Wohnung (Drei-Zimmer-Wohnung), welche Mehrkosten von nur 22 000 Franken verursacht hätte, auf Beschluss des Gemeinderates verzichten. In den 20er-Jahren zählte der Postkreis Schönried 65 Haushaltungen. Heute sind es über 210, wobei eingeräumt werden muss, dass circa 15 bis 20 auf Gebiets-

Der Name Schönried sollte von der Landkarte verschwinden. So wurde man auch bei der Kreispostdirektion in Bern vorstellig, das Postbüro Schönried sollte aufgehoben werden. Auch im Fahrplan der MOB fuhren tagsüber fast alle Züge mit guten Anschlüssen von und nach auswärts ohne Halt an der Station Schönried vorbei. Von 1916 bis 1942 war Schönried im Gemeinderat von Saanen nie mehr vertreten. Schliesslich wollte man uns auch noch das Schulhaus wegnehmen.

erweiterungen zurückzuführen sind. Dabei ist auch Tatsache, dass einzelne Haushaltungen kleiner geworden sind, wohnten doch früher oft drei Generationen im gemeinsamen Haushalt. Heute ist die Eröffnung der dritten Schulklasse nicht mehr zu umgehen. Schönried entwickelt sich Um den vielen Kleinbauern einen Zusatzverdienst zu ermöglichen, wurde auf Initiative von Walter Germann 1944 der Skilift Schönried-Horneggli gebaut. Schönried war bis dato noch ein unbekannter Flecken Erde. Das besserte erst, als ein Skiclub und ein Verkehrsverein gegründet wurden und der Tourismus langsam aufkam. Der mehrmalige Aufenthalt des Fürstenpaares von Monaco sowie die Durchführung der Schweizerischen Alpinen Klubmeisterschaften in den Jahren 1962, 1966 und 1969 trugen viel dazu bei, den Namen Schönried in die weite Welt hinauszutragen.

Obwohl der Schulkreis Schönried viel grösser ist als Saanenmöser, sollte ein gemeinsames Schulhaus in Saanenmöser erstellt werden. Im Bewusstsein, dass eine Bäuert ohne Schulhaus dem Untergang zusteuert, setzten wir uns zur Wehr. Hatten wir doch damals kein Hotel-Restaurant, das über ein Lokal verfügte, wo Versammlungen abgehalten werden konnten. So ist das Schulhaus in einer Aussenbäuert nicht nur Schulhaus, sondern auch Kirche und Landhaus, wo neben Gottesdiensten auch alle Genossenschaften und Vereine ihre Versammlungen und Übungen abhalten. Wohl nie stand die ganze Bäuert-Bevölkerung so geschlossen zu ihren Wortführern wie in dieser Schulhausfrage. Drei Schönrieder kauften die heutige Schulhausparzelle auf eigenes Risiko, wobei im Kaufvertrag der Gemeinde das Recht eingeräumt wurde, als Käuferin aufzutreten. Der geschlossene Auftritt der ganzen Bäuert bewog auch Schulinspektor und Erziehungsdirektion, unsere Bestrebungen zu unterstützen. So mussten schliesslich die ganze Gemeinde und der Gemeinderat kapitulieren. Schönried konnte seine Gesamtschule teilen und 1955 sein neues Schulhaus beziehen. Obwohl die Gemeinde damals nur 44 Prozent

1962 wurde die Durchführung der Schweizerischen Alpinen Klubmeisterschaften mit grossem Bedenken dem Skiclub Schönried übertragen, nachdem bekannte Kurorte es ablehnten, dieses Verlustgeschäft zu übernehmen. Dank ehrenamtlichem Einsatz aller Beteiligten von Skiclub, Skischule und Verkehrsverein gelang nebst einer vielbewunderten Organisation auch ein finanziell gutes Ergebnis. So wurde Schönried zum Vorbild für viele Kurorte, wo sich vorher die verschiedenen Organisationen, Vereine und Erwerbsgruppen bekämpften.

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In Schönried war es vor allem die aus der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre stammende finanzielle Not, welche die Solidarität unter der ganzen Bevölkerung festigte. Es ging ums Durchhalten und Überleben. Dank dieser Solidarität konnten 1970/71 die Sesselbahn und der Skilift am Hugeli und wenig später auch der Skilift am Rellerli gebaut werden. Zehn Jahre später wurde die Sesselbahn aufs Rellerli durch eine komfortable Gondelbahn ersetzt.

die Aktionäre keine Goldgrube sind, ist das nicht schlimm. Diese Anlagen bildeten die Grundlage für die touristische Entwicklung von Schönried und seiner Umgebung. Die Lohnsumme, die von diesen Anlagen direkt und indirekt (Skischule, Schneeräumung, Verkehrsverein, Gastgewebe) zu einem beträchtlichen Teil im Winter, wenn in der Landwirtschaft und im Baugewerbe Arbeitskräfte brachliegen, ausbezahÌt wird, fällt weit schwerer ins Gewicht als einige Prozent Dividende.

Ärger mit Amtsstellen Leider wurden die Ehrlichkeit und der uneigennützige Einsatz der Schönrieder Einheimischen in vielen Fällen von auswärtigen Spekulanten missbraucht und ausgenutzt, wobei diesen einige kantonale Amtsstellen behilflich waren. So kam es zum Beispiel vor, dass die Gemeinde von auswärtigen Bauherren von Apartmenthäusern verlangte, sie müssten einen namhaften Betrag für die Erstellung der Kanalisationsleitung nach Saanen hinterlegen, weil es nicht zu verantworten sei, das Abwasser von so grossen Häusern in die nur wenig Wasser führenden Bächlein zu leiten. Es gelang jedoch diesen Spekulanten, kurzfristig von der kantonalen Amtsstelle die Bewilligung zum Einleiten des Abwassers in diese kleinen Bächlein ohne jede Auflage zu erhalten. Knappe zwei Jahre später machten die gleichen Herren, welche die Bewilligung erteilt hatten, der Gemeindebehörde Vorwürfe und verlangten, diese Schweinerei müsse sofort behoben werden.

Ausblick Ich möchte den für die Zukunft unseres schönen Saanenlandes Verantwortlichen ans Herz legen, mit der Neueinzonung von landwirtschaftlichem Boden äusserst zurückhaltend zu sein. Die Existenzgrundlage unserer Bergbauern darf nicht weiter geschmälert werden, wenn sie weiterhin in der Lage sein sollen, das schöne «Ländli» zu pflegen. Der Tourismus, von dem wir alle profitieren, kann ja nur so lange blühen, als die Bauern ihm ein gepflegtes, sauberes «Ländli» zur Verfügung stellen. Die Berglandwirtschaft und der Tourismus ergänzen sich sehr gut. Beide sind aufeinander angewiesen. Das leistungsfähige Baugewerbe ist zurzeit eher überdimensioniert. Es muss seine Existenz mehr in der Erneuerung bestehender Bauten bei besserer Ausnützung der Grundfläche als in der bodenverschwenderischen Neuerschliessung von Bauland, wie sie zum Teil in den letzten Jahrzehnten betrieben wurde, suchen.

Tourismus hilft Bevölkerung Während am Horneggli die ersten Anlagen noch in einer Zeit mit verhältnismässig tiefen Löhnen und Baukosten erstellt wurden und die späteren Um- und Erweiterungsbauten zu einem wesentlichen Teil mit selbst erarbeiteten Mitteln finanziert werden konnten, musste am Rellerli von allem Anfang an mit hohen Lohn- und Materialkosten gerechnet werden. Wenn heute diese Anlagen für

Quelle: «Aus früheren Zeiten» von Arthur von Grünigen (1907 bis 2001), Schönried. Sonderdruck im Berner Oberländer, 1985.

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Schönried ca. Ende 19. Jahrhundert

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Schönried ca. 1985

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Foto: G. Mäsching, Ebnit, Saanen

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Foto: Emanuel Gyger, Adelboden

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ZEITZEUGEN Sie haben die gesellschaftliche und touristische Entwicklung von Schönried und Saanenmöser in den letzten 50 bis 60 Jahren hautnah erlebt.

Edmund Schwenter (1932–2021) Landwirt und Schütze, Schönried Man nannte ihn «Mundi». Er war ein hervorragender und erfolgreicher Karabiner-Schütze. Geboren wurde er am 24. September 1932 in Schönried. Genau an dem Tag, als diese Zeilen verfasst wurden, am 19. Januar 2021, einem Dienstag, verstarb Mundi alias Edmund Schwenter. Mundi führte ein äusserst bescheidenes und eher ruhiges Leben, wie er in unserem Gespräch im November 2020 sagte. Seine Leidenschaft: das Schiessen und Jassen. Viele Jahrzehnte lebte er in seinem Heimet Bühl, am Anfang noch zusammen mit seinem Vater, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat an der Grenze bei Genf seinen Dienst tat. «Der Feind war ja nicht weit», erinnert sich Edmund S., «mein Vater wurde dann allerdings krank, deshalb wurde er aus der Armee entlassen.» 1984 verstarb er – und Mundi übernahm den kleinen Hof mit acht Kühen. Er lebte von der Milchwirtschaft – und von der Aufzucht, so wie die meisten Landwirte im Saanenland. Die Kriegsjahre und die Zeit danach – daran erinnert sich Mundi noch heute. «Wir blieben, Gott sei Dank, verschont. In Schönried spürten wir nichts von Hitler und den Nationalsozialisten. Mein Vater hingegen war Zeuge der kriegerischen Handlungen an der schweizerisch-französischen Grenze nahe bei Genf.»

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Als Bauer hatte Mundi – aus heutiger Sicht – ein hartes Leben. 16-Stunden-Tage waren normal, denn von morgens früh bis spät am Abend arbeitete er im Stall oder auf den Weiden. Geld verdiente Mundi nicht nur mit Milch und Aufzucht, sondern auch als «Bügelmann» am Skilift oder als Hilfskraft bei den Bergbahnen. So war er einer der Zeitzeugen, die den touristischen Aufschwung im Saanenland in den 50er-Jahren hautnah erlebten. Familie und Kinder hatte Edmund Schwenter nicht. Deshalb hatte er Zeit für seine Hobbys, vor allem für das Schiessen in der Schützengesellschaft. Wir sitzen an einem Ecktisch in der Lounge im Hotel Kernen – und plötzlich wird sein Gesichtsausdruck hart, seine Augen funkeln. Ein «Skandal» sei es, ein «furchtbares Ereignis», meint der damals 89-jährige Mann mit Jägerhut und Gehstock. Warum er sich derart ärgert? «Das Schützenhaus», so Mundis knappe Antwort. Was mit der Schützengesellschaft Saanenmöser passiert sei, sei eine «Katastrophe». «Das nimmt mich mit bis in den Tod.» Tatsache ist: Das Schützenhaus in Saanenmöser wurde geschlossen. Aus Sicherheitsgründen. Der Wanderweg führte direkt unter der Schiessschneise durch. Doch Edmund Schwenter konnte den Verlust des «eigenen Schützenhauses» nie verkraften, wie er sagt. «Unser Schützenhaus fehlt mir.» Mundi war seit 1952 Mitglied der Schützengesellschaft – und das über 100-jährige Schützenhaus in Saanenmöser war so etwas wie seine zweite Wohnung, wo er sich gerne aufhielt. Nach wenigen Minuten beruhigt sich Mundi. Zum Glück habe man sein Heimet nie geschlossen oder gar abgerissen, meint er und lächelt. In den 50er- und 60er-Jahren habe Schönried einen eigentlichen Bauboom erlebt, da wurden fast überall Ferienhäuser gebaut. Aber sein Heimet – Mundi verkaufte es in den 80er-Jahren – steht dort, wo es schon immer stand. «Gott sei Dank.»

Gstaad–Schönried – Winterlandschaft

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Auf dem Bühl: Heimet von Mundi Schwenter

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Foto: W. Germann, Schönried

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