Konzerthaus Nachrichten · April 2024

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ROMANTIK

Innenwelten Innerlichkeit und das Private gewannen in der Romantik an Bedeutung. Von den persönlichen Beziehungen und Vorlieben der Künstler:innen zeugen die heute kaum mehr bekannten Stammbücher

Die drei Violinsonaten von Johannes Brahms, die Hilary Hahn am 7. April mit Andreas Haefliger interpretiert, stehen in engem Bezug zu seinem Freundeskreis. In ihrer Innerlichkeit spiegeln sie den für so viele Werke der romantischen Kammermusik typischen intimen Schaffensrahmen. Die G-Dur-Sonate, die Brahms im Mai 1878 in Pörtschach am Wörthersee angefangen hatte zu komponieren, verweist dabei auf eine Praxis, die im 19. Jahrhundert allgegenwärtig war: die Stammbuchpraxis bzw. das Sammeln von autographen Albumblättern. Heute kennen wir noch das Poesiealbum. Im 19. Jahrhundert führten viele Musiker:innen und Komponist:innen Stammbücher, für die sie Zeitgenoss:innen um Einträge baten – ein lange vernachlässigter Fundus, aus dem sich viele Erkenntnisse gewinnen lassen. Als Brahms von Clara Schumann erfuhr, dass sich der Zustand ihres an Tuberkulose leidenden Sohnes Felix weiter verschlechtert hatte, sandte er ihr eine Abschrift der ersten 24 Takte des zweiten Sonatensatzes. Der dekorative rote Zierrahmen des beidseitig

mit Notenlinien bedruckten Blattes ist kennzeichnend für Albumblätter der Zeit. Auf der Rückseite erläuterte Brahms die Botschaft der Musik, so dass eine Art Hybridform zwischen Brief und Albumblatt vorliegt: »Liebe Clara, Wenn Du Umstehendes recht langsam spielst, sagt es Dir vielleicht deutlicher als ich es sonst könnte wie herzlich ich an Dich u. Felix denke – selbst an seine Geige, die aber wohl ruht.« Die A-Dur-Sonate entstand 1886 in Brahms’ Sommerdomizil am Thuner See, wo sie auch erstmals im privaten Umfeld aufgeführt wurde. Bezugnehmend auf den Besuch der befreundeten Sängerin Hermine Spies klingen in der sogenannten »Liedersonate« die Brahms-Lieder »Wie Melodien zieht es« und »Komm bald« an. Ebenfalls am Thuner See begann Brahms mit der Komposition der Sonate in d-moll, die dem Dirigenten Hans von Bülow gewidmet ist. Bereits 1881 hatte dieser seiner Bewunderung für Brahms Ausdruck verliehen und in das Stammbuch des späteren Brahms-Biographen Max Kalbeck geschrieben: »Mit Bach,

Beethoven und Brahms denkt für das eventuelle letzte Viertel seines Lebens reichlich auszukommen / Hans v. Bülow, Zukunftsmusiker a. D. / Wien, 23. Februar 1881.« Die Einordnung als »Zukunftsmusiker außer Dienst« erklärt sich über ein Postskriptum, in dem Bülow bekennt, seiner früheren Verehrung von ­Berlioz, Liszt und Wagner abgeschworen zu haben. Zentrale Charakteristika der musikbezogenen Stammbuchpraxis des 19. Jahrhunderts werden hier deutlich: die Zurschaustellung des eigenen sozialen Netzwerks ebenso wie das Sammeln von immer wieder auch humorvoll grundierten Erinnerungszeichen der persönlichen Freundschaft und Verbundenheit. Während Brahms der Stammbuchpraxis nicht übermäßig zugeneigt war, zählte Felix Mendelssohn ­Bartholdy zu den besonders eifrigen Beiträgern – und führte auch selbst ein Stammbuch. Mehrere seiner »Lieder ohne Worte« wurden in frühen oder Erstfassungen in Alben niedergeschrieben. Das Lied ohne Worte As-Dur op. 38/6 mit dem sprechenden Titel »Duetto« (zu hören im Konzert von Amadine Beyer, Marco ­Ceccato und Kristian Bezuidenhout am 11. April) ist Teil eines hochkarätigen Albums, das Felix Mendelssohn für seine Verlobte Cécile Jeanrenaud zu Weihnachten 1836 zusammenstellte. Einem Stammbuch ähnlich versammelte Mendelssohn darin autographe Musikbeiträge, Gedichte, Texte, Zeichnungen und Bilder aus seinem näheren wie weiteren Umfeld. Das Zusammenführen von Handschriften berühmter Persönlichkeiten des Kulturlebens der Gegenwart und Vergangenheit (darunter Goethe, Schiller, Mozart, Haydn, Bach usw.) zeichnet das Album aus und illu­ striert die ausgeprägte Begeisterung für Autographe in Musikerkreisen des 19. Jahrhunderts. · HENRIKE ROST PostDoc Fellow an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Autorin von »Musik-Stammbücher. Erinnerung, Unterhaltung und Kommunikation im Europa des 19. Jahrhunderts«, Wien/Köln/Weimar 2020


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