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SCHLAGLICHTER AUF DIE FIDELIO-MUSIK

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Beethovens Fidelio ist ein Werk doppelter Faktur: In manchem noch stark in der Singspiel-Welt verhaftet, weist die Oper gleichzeitig, was die Emotionalität und die Affinität zum Musikdrama anbelangt, bereits weit in die Zukunft. Für mich sind es gerade diese zweitgenannten Momente, die zu den großartigsten zählen, wenn Beethoven nämlich tatsächlich mit dem Singspielgedanken bricht und neue Wege geht. Das erlebt man zum ersten Mal bereits relativ früh in der Oper, und zwar beim sehr bekannten, sehr feinen Quartett von Leonore, Rocco, Marzelline und Jaquino (»Mir ist so wunderbar«), in dem die Zeit stehen zu bleiben scheint. Nicht nur musikalisch, sondern buchstäblich und durch die Handlung ausgedrückt: Jede und jeder hält inne und hängt hochpersönlichen Überlegungen nach. Beethoven führt dieses Quartett als Kanon, es gibt also eine Verknüpfung in der Form – und doch steht jede Figur alleine für sich und ist mit der eigenen Gedankenwelt beschäftigt. An dieser Stelle tritt auch eine der Herausforderungen (um das Wort Probleme nicht zu verwenden) der Oper deutlich hervor: Beethoven führt die Gesangsstimmen sehr instrumental, setzt sie also ein, als ob sie Musikinstrumente wären und ignoriert die gänzlich anderen Bedürfnisse, die der menschliche Vokalapparat mit sich bringt. Im Grunde könnte, rein von der kompositorischen Setzung her, der Abschnitt auch aus einem Streichquartett entstammen.

Über diesen Aspekt der Beethoven’schen Kompositionstechnik wurde schon viel geschrieben, ob er es nun einfach so wollte oder nicht anders konnte –sein diesbezügliches Œuvre ist ja an diesbezüglichen Erfahrungen nicht sehr reich – tut letztlich für die ausführenden Künstlerinnen und Künstler wenig zur Sache: man muss sich mit dieser Herausforderung einfach auseinandersetzen.

Eine gleich mehrfach bemerkenswerte Passage folgt dann etwas später, bei Leonores Rezitativ und Arie (»Abscheulicher, wo eilst du hin … Komm Hoffnung«) – eigentlich eine ganze Szene und ein großer Opernmoment mit allem, was das Musiktheater zu bieten hat: Hoffnung, Mut, Liebe, Treue, Bekräftigung und Emphase. Vom Sängerischen her eine ungemein brillante und ausdrucksstarke Passage, zu der ein von Beethoven höchst virtuos entworfener Horn-Quartettsatz, der noch einen zusätzlichen Glanzpunkt setzt, hinzutritt.

Daran schließt direkt der Gefangenenchor an, der in seiner musikalischen Sprachlichkeit schlechterdings ein Meisterstück darstellt. Im Handlungslauf werden an dieser Stelle – auf Leonores Betreiben hin – zum ersten Mal die Türen der »leichteren« Verliese geöffnet, um den dort Inhaftierten einen Augenblick an freier Luft zu gewähren. Beethoven macht in den ersten Orchester-Takten, bevor der Chor einsetzt, musikalisch deutlich, wie die Menschen, die schon lange kein Tageslicht gesehen haben, nach oben steigen und sich in der sich klärenden Luft dem Licht entgegentasten. Diese kleine Zuversicht, die die Gefangenen gewonnen haben, wird jedoch – im Mittelteil – schnell von erneuter Angst (»Sprecht leise…«) getrübt. Wie da eine bedrückende Atmosphäre entsteht, wie mit ganz einfachen Streicherakkorden die Furcht vor dem Kerker spürbar gemacht wird, ist kompositorisch in hohem Maße beeindruckend.

Anfang zweiter Akt, das große Vorspiel zur Florestan-Arie: Wir befinden uns in der Finsternis des Kerkers. In den ersten vier Takten erleben wir vier Akkorde, zweimal abwechselnd jeweils ein unisono Streicher- und ein harter Bläserakkord hintereinander. Letzterer ist wie aus einem Felsen gemeißelt, eine steinerne Mauer, gegen die man unvermittelt prallt. Das sind die Wände des Gefängnisses, die nicht zu durchdringen sind – ein höchst eindrucksvolles, eindeutiges und sich klar vermittelndes musikalisches Bild, das Beethoven hier präsentiert und mittels dessen er größtmögliche theatrale Wirkungskraft evoziert. Pure, dramatische Musik!

In ebendiesen Kerker steigen später Rocco und Leonore hinab. Aus einem Melodram (also einem gesprochenen Text zu einer orchestral ausgeformten Musik), in dem Leonore darüber zweifelt, ob der Gefangene tatsächlich ihr gesuchter Ehemann ist, formt sich ein Übergang zu einem Duett von ihr und Rocco (»Nur hurtig fort, nur frisch gegraben«). In diesem Übergang, der zunächst nur eine leichte Begleitmusik ist, hört man plötzlich Triolen, also einen hämmernden Rhythmus, dann einen Posaunensatz und eine Figur, die nur von den Kontrabässen und vom Kontrafagott, das an dieser Stelle zum allerersten Mal in der gesamten Oper zum Einsatz kommt, gespielt wird. In der Uraufführungszeit muss das (da die Blasinstrumente Anfang des 19. Jahrhunderts technisch ja noch nicht so weit entwickelt waren wie heute) ein unerhörter Klangeffekt gewesen sein, also ein Näseln und Knirschen, teils fast mehr Geräusch als Ton. So erzeugte Beethoven eine Atmosphäre, die bedrückend und erschreckend ist und das Grauen dieser Szene klangbildhaft vermittelt. Ein schauriger Moment, kombiniert mit der Dunkelheit der Szene! Ein ganz charakteristischer Moment der Oper ist natürlich der Trompetenruf: am Höhepunkt des Dramas ein rettendes, alles lösendes Signal, das den Handlungsverlauf entscheidend wendet. Es kommt auch in der an der Wiener Staatsoper traditionell vor der letzten Szene eingefügten dritten Leonoren-Ouvertüre vor. Diese erzählt im Grunde die ganze Geschichte in komprimierter, rein orchestraler Form noch einmal. Ungemein bedrückend sind dabei gleich die ersten Takte, in denen man gleichsam in den Kerker hinabsteigt: eine nach unten führende, in der Instrumentation immer dunkler werdende Linie, die uns diese furchtbare Treppe nach unten zeigt. Die Leonoren-Ouvertüre als Einschub vor dem Finale ist übrigens für Dirigent und Orchester gar nicht einfach, da es sich – wie gesagt – um eine verkürzte, in der Musik erzählte Verdopplung der Geschichte handelt und man sich nach dem befreienden, euphorisch-jubelnden »O namenlose Freude« (Duett Leonore-Florestan) noch einmal in das Elend und Grauen des Kerkers rückwärtsbewegt.

Und natürlich, das »O namenlose Freude«: Ein unfassbares Musikstück, mit diesem pulsierenden Rhythmus, diesem unbändigen Glück, ein Duett, das stets mitreißt – und eine enorme Herausforderung für die beiden Sänger darstellt. Eigentlich bräuchte man für Leonore und Florestan jeweils mindestens zwei unterschiedliche Künstlerinnen bzw. Künstler. Denn was die Partitur von ihnen abverlangt, liegt mitunter in den Anforderungen enorm weit auseinander: Einerseits muss Leonore etwa in der bereits erwähnten Arie (»Komm Hoffnung«) eine schöne Mittellage und große Fülle zeigen, gleichzeitig in der »Namenlosen Freude« ein hohes Tempo, verbunden mit dramatischer Kraft aufbieten können. Nicht weniger schwierig die Partie des Florestan. Auch hier wieder die Frage, was sich Beethoven beim kompositorischen Ausformulieren der Ansprüche überlegt hat? Aber, wie sagte er andernorts, als sich der Geiger Ignaz Schuppanzigh über die die damaligen Verhältnisse überfordernden spieltechnischen Herausforderung eines Beethoven’schen Werks beschwerte? »Glaubt Er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?« Hier müssen die Interpretinnen und Interpreten einfach versuchen, den enormen Anforderungen Beethovens zu genügen – was der herausragenden Besetzung der Wiederaufnahme ja bravourös gelingt!

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