4 minute read

BERNSTEIN HAT

Next Article
Impressum

Impressum

Andreas Láng im Gespräch mit Regisseur KSCH Otto Schenk

Einer der besten inszenatorischen Lösungen des Beginns des Schlussbildes von Beethovens Fidelio in Ihrer Regie ist jene der sich öffnenden Zugbrücke: Können Sie sich erinnern, wie es zu dieser Idee kam?

OTTO SCHENK Die Zugbrücke wird in der Oper ja einmal erwähnt. Und in diesem Zusammenhang ist uns, Günther Schneider-Siemssen und mir, damals eingefallen, diese Zugbrücke als Freiheitssymbol zu verwenden. Ein aufgehendes Tor hätte uns nicht so gut gefallen wie die sich öffnende Zugbrücke. Eine Zugbrücke hat an sich schon so etwas Geschlossenes, etwas Gefängnishaftes. Und wenn sie sich schließlich öffnet und quasi ein Lichtmeer freigibt – mit den sich umarmenden Menschen –, das hat schon etwas. Ich habe von meinem Chor verlangt, dass die Wartenden von der einen Seite und die Befreiten von der anderen aufeinander zurennen und sich so richtig festhalten, nachdem sich die Zugbrücke endlich vollständig niedergesenkt hat. Erst dann kommt das »Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde« fast als Resultat der Befreiung. Bei diesen Umarmungen sind mir übrigens die Heimkehrer von 1945 vorgeschwebt, als der Krieg aus war, als die Befreiung von der Tyrannei da war. Dieses wilde, ungestüme Ins-Arm-Fallen der wieder vereinten Menschen hat mich damals enorm erschüttert.

Wieso hat sich Fidelio zu dieser mythischen Freiheitsoper emporstilisiert und nicht etwa Le nozze di Figaro, wo es ja auch irgendwie um Freiheit geht?

OS Fidelio besitzt ein strittiges Libretto mit vielen Ecken und Kanten. Man weiß beispielsweise nicht, was das für Gefangene sind, die da befreit werden. Unschuldige? Politische Häftlinge? Es geht in Fidelio, gewollt oder ungewollt, auch um das Mitläufertum. Rocco ist so ein typischer Mitläufer, ein guter Kerl zwar, der aber keine Möglichkeit hat, sich zu wehren. Auf der anderen Seite steht Leonore, diese Frau, von der die Befreiung ausgeht. Eine sensationelle Idee, die Beethoven im ersten Akt unter anderem mit ihrer großartigen Arie bedient hat. Wir erleben in Fidelio außerdem die Schwierigkeiten im Gefängnis. Trotz aller Strittigkeit ist in Fidelio aber alles durchdrungen von dem, was Beethoven so begeistert hat. Die Stellen, die im Libretto so große Kraft besitzen, haben ihn zu einer eruptiven Musik, zu einer zärtlichen Musik, zu einer Musik der Liebe verleitet. Die inhaltlich berührenden Momente sind so essenziell, dass sie Beethoven zu seiner einzigen Oper hingerissen haben. Und dieses Hingerissene von Beethoven überträgt sich auf die Zuhörer. Mozarts Figaro zeigt etwas ganz anderes, eine humoristische Revolution, die ums Eck geht, in der die Intrige arbeitet. In Fidelio geht es hingegen so richtig um die Sache, ums Eing’machte, wie man bei uns so schön sagt, und man verliert als Interpret bald die Angst, dass irgendetwas in der Handlung unlogisch sein könnte. Ich habe sie beim Inszenieren jedenfalls verloren. Fidelio beginnt mit einer fast lortzingartigen Idylle, aus der auf einmal ein seltsames Quartett aufblüht. Ein Quartett, von dem plötzlich eine Wehmut, ein Weltschmerz herüberweht. Die ganz nette, fast dumme Arie des Rocco könnte wieder von Lortzing sein. Aber dann: Dann tritt dieser Schreibtischtäter auf, der verzweifelt-bösartige Pizarro, der von Vornherein schon so unheimlich wirkt. Ich wollte ihn im Grunde gar nicht dämonisch, sondern so schrecklich sachlich böse haben. Bei meiner Premiere hat es Theo Adam ganz wunderbar gemacht: Er war geradezu wie ein intellektuelles Messer, ein wirklicher Täter. Wenig später hört man diesen unendlich rührenden Gefangenenchor, bei dem man nicht weiß, was weh tut und was nicht weh tut. Bis tief ins Innerste hinein rührt uns weiters das Schicksal der an sich schwachen Frau Leonore, die diesen seltsamen Posten antritt. In ihrer Arie bricht plötzlich eine Leidenschaft hervor, von der Marcel Prawy einmal gesagt hat: »Das war der Moment, von dem an man zu einer Musik nicht mehr speisen, nicht mehr Kaffee trinken konnte, ein Markstein sozusagen.« Im Schlussbild folgt dann der lange Jubel, der fälschlicherweise als Oratorium gedeutet wird. Für mich war das immer ein wahnsinniger, nicht enden wollender Jubel darüber, dass endlich etwas zerbrochen ist und dass eine Frau die Rettung gebracht hat. Und stellvertretend für alle steht das Paar Leonore-Florestan. Es ist ein Jubel, wie er in der Opernliteratur in dieser Länge, Intensität und Schwierigkeit ihn darzustellen kaum existiert. Nicht umsonst wird die szenische Umsetzung ja oft geschwänzt. Bei der Premiere hatten alle Chormitglieder Tränen der Rührung in den Augen. Die Gesichter sind ihnen geradezu zerflossen – sie waren ja nicht geschminkt, das habe ich nicht erlaubt. Die Gwyneth Jones, der James King... wir waren alle aufgelöst. Bernstein hat sowieso geweint.

Nächste Seiten: Leonard Bernstein, Lucia Popp, Otto Schenk, Gwyneth Jones, bei den Proben zur Premiere 1970

Verändert sich in irgendeiner Form der Blickwinkel des Regisseurs im Laufe der Jahre auf Fidelio, oder hat man immer diese Sturmund-Drang-Gefühle, wenn man an diese Oper herangeht?

OS Naja, ohne Sturm-und-Drang-Gefühle kann man Fidelio nicht inszenieren. Aber ohne Sturm und Drang kann man überhaupt nicht Theater machen. Wenn man verkarstet ist und nicht mehr von der Leidenschaft, dem Fanatischen, dem Üblen in den jeweiligen großen Werken ergriffen wird, dann muss man sich zurückziehen. Im Moment kann ich aus meinem Herzen Gott sei Dank noch eine Mördergrube machen.

Wie kam es zu dieser Fidelio-Inszenierung?

OS Ich musste verführt werden.

Von wem wurden Sie zum Fidelio verführt?

OS Vom damaligen Staatsoperndirektor Egon Hilbert. Hilbert meinte, dass geradezu ich den Fidelio inszenieren müsse, obwohl ich meinte, dass ich das doch nicht könne. Ich habe an mein Können nie wirklich geglaubt. Das waren Gott sei Dank immer andere, die an mich geglaubt haben. Wenn die einmal aussterben, dann möchte ich auch sterben (lächelt). Und ich habe dann meinerseits Leonard Bernstein zu diesem Projekt verführt. Ursprünglich hätte er ja die Urfassung des Fidelio machen sollen, an die ich übrigens nicht glaube. Diese Urfassung, das ist so eine Schreibtischliebe der Dramaturgen, die ein paar schöne Stellen aufweist. Aber Beethoven hat sich nicht umsonst zu etwas anderem entschlossen –was man respektieren sollte. Der hat ja irgendetwas von Musik verstanden. Und auch von der Dramaturgie, wie man sieht.

Machen Sie es beim Inszenieren so, dass Sie für jeden einzelnen der Charaktere eine Biografie erfinden, die Sie den Sängern mit auf den Weg geben?

OS Nein, ich rede nicht gern über das Innenleben von Bühnengestalten. Ich liebe die Details, die das Innenleben verraten, und diese Details übe ich mit den Interpreten solange, bis sie das jeweilige Innenleben erspüren. Wenn man eine Rolle erklärt, macht man ein Gesicht, das nicht zur Rolle passt. Wenn ein Sänger seine Rolle erklärt, macht er ein pseudointellektuelles Gesicht, und ich sage in solchen Fällen immer: »Das, was du jetzt sagst, mag stimmen. Wie du ausschaust, ist aber nicht die Rolle.«

This article is from: