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Die eigene Wohnung als Ballettsaal
Liudmila Konovalova
Jakob Feyferlik
Am 10. März 2020 erfolgte aufgrund der Corona
Krise die erste Absage einer Vorstellung an der Wiener Staatsoper – diese betraf den Ballettabend LUKÁCS | LIDBERG | DUATO, der erst kurz zuvor seine Premiere gefeiert hatte. Olga Esina und Jakob Feyferlik hätten an jenem Abend ihre Rollendebüts in András Lukács’ Movements to Stravinsky gegeben. Nur wenige Tage später wurde für das Wiener Staatsballett auch der Trainings- und Probenbetrieb eingestellt – eine einschneidende Maßnahme im Leben eines Tänzers, für die meisten verlagerte sich somit der Trainingsort in die eigenen vier Wände.
Stellvertretend erzählen drei Ensemblemitglieder von ihren Erfahrungen und ihrem Umgang mit dieser außergewöhnlichen, herausfordernden Situation: die etablierten, aus Russland stammenden, Ersten Solotänzerinnen Olga Esina und Liudmila Konovalova sowie der junge aufstrebende Erste Solotänzer Jakob Feyferlik aus Wien.
LIUDMILA KONOVALOVA MACHT MUT VIA YOUTUBE
Nachdem sie ein privates Video, das sie beim Balletttraining bei sich zu Hause zeigt, auf Facebook und Instagram gestellt hatte, war die Breitenwirkung so groß, dass sie nicht nur in kürzester Zeit zahlreiche
Olga Esina
Aufrufe und „likes“ hatte, sondern nahezu weltweit mediale Aufmerksamkeit erregte: Es ereilte sie ein Anruf der internationalen Nachrichtenagentur Reuters, die daraus ein Video erstellte, ergänzt mit ein paar Statements von ihr, das auf der Video-Plattform youtube abgerufen werden kann – zahlreiche Fernsehsender, darunter die BBC, berichteten darüber. Konovalovas klare Botschaft an alle TänzerInnen lautet da:
Ich glaube wirklich daran, dass man überall in Form bleiben kann: im Wohnzimmer, am Korridor, in der Küche. Man braucht nicht viel dafür, nur zwei Meter Platz und etwas zum Anhalten (Anm.: für Übungen an der Ballettstange). Aber das Wichtigste ist der starke Wunsch und Wille dazu!
OLGA ESINA GIBT LIVE-BALLETTTRAINING
Olga Esina ist in der glücklichen Lage, gemeinsam mit Ehemann und Ex-Tänzer Kirill Kourlaev eine Ballettschule zu besitzen, die ihr Raum zum Trainieren gibt, andererseits ist sie auch Mutter einer dreijährigen Tochter.
Was bedeutet die Corona-Krise für Olga Esina persönlich und beruflich?
Meine Tochter hat mich zuerst gefragt, war
DIE EIGENE WOHNUNG ALS BALLETTSAAL
um wir nicht mehr in den Kindergarten gehen können. Ich habe versucht, es ihr zu erklären und ich glaube, sie versteht es bereits. Ich kann jetzt viel mehr Zeit mit ihr verbringen und koche zudem sehr viel – das gefällt mir gut. Das Leben ist jedenfalls auf den Kopf gestellt worden. Das Theater ist geschlossen, ich vermisse die Atmosphäre dort und kann meine Lieblingsbeschäftigung nicht wie gewohnt ausüben. Ich trainiere zu Hause, aber auch in unserer Ballettschule und hoffe, dass sich diese Situation bald normalisiert.
Am 26. März hat sie erstmals ein Live-Training via Internet (über das Portal eversports.at) gegeben, weitere folgen. Wie kam diese Idee dazu und fühlt man sich in dieser neuen Situation?
Die Idee kam eigentlich von meinem Mann. Wir diskutierten viel darüber, dass so viele Ballettkinder unserer Schule, der Berufsschulen, aber auch Amateure, ohne ihren Lieblingszeitvertreib und vor allem ohne körperliche Betätigung blieben. Daher haben wir beschlossen, eine Live-Übertragung meiner Lektion zu organisieren. Die erste Stunde wurde von 30 Personen besucht und allen gefiel sie sehr gut. Ich bin natürlich erschöpft – vorzeigen und reden gleichzeitig war sehr schwierig (lacht). Zukünftig werde ich vier Stunden pro Woche Unterricht dieser Art geben, für Profis und Anfänger. Das ist zugleich ein gutes Training für mich und eine nützliche Aktivität für alle, die Bewegung und Tanz lieben.
Welche Ratschläge würde Olga Esina TänzerKollegInnen bzw. den Menschen generell geben?
Das Wichtigste ist, dass man versucht, diese Zeit gut zu nützen – etwa Familie, Freunde anzurufen und ihnen zu sagen, wie sehr wir sie vermissen und lieben. Sehr wichtig ist natürlich auch, die Anordnungen des Staates zu befolgen – der Erfolg dieser hängt von uns allen ab. Weiter zu trainieren ist natürlich für Tänzer unerlässlich, aber vielleicht auch das zu tun, wozu vorher keine Zeit war. Ich bin eine Optimistin und glaube an die guten Dinge – das wünsche ich allen, egal wie schwer es uns derzeit fällt.
JAKOB FEYFERLIK RÄT ZU EINEM GEREGELTEN TAGESABLAUF
Wie sieht sein aktueller Tagesablauf in etwa aus, wie hält er sich in Form?
Für mich als Tänzer ist es eine große Umstellung gewesen, dass der geregelte Arbeitsalltag fehlt. Ich versuche aber, soweit es geht, eine Routine hineinzubekommen – das ist für die Psyche, glaube ich, ganz wichtig. Daher mache ich täglich zu Hause meine eigenen Übungen zu Trainingsmusik der neuen CD unserer Pianistin Shino Takizawa (Anm.: Korrepetitorin des Wiener Staatsballetts). Anschließend mache ich noch ein kleines Workout für Bauchmuskulatur und Rumpf. Zusätzlich mache ich ab und zu noch floor barre mit unserem Gasttrainer aus Frankreich, Stéphane Phavorin, der so nett ist und seine Trainingseinheiten oft per Livestream mit allen teilt. Dank der Initiative des Betriebsrates, dem auch ich angehöre, sowie Ballettdirektor Manuel Legris, haben alle TänzerInnen unserer Kompanie kürzlich ein Stück Ballettboden für daheim zur Verfügung gestellt bekommen – das erleichtert das Training und macht es sicherer.
Tänzer ist ein „internationaler Beruf“ – inwiefern ist Jakob Feyferlik dadurch betroffen?
Leider habe ich aufgrund der Krise schon manche Absagen für Gastauftritte bekommen. Vieles ist noch unklar, da wir nicht wissen wie lange wir noch zuhause bleiben müssen.
Kann er der aktuellen Situation auch Positives abgewinnen – wie blickt Feyferlik in die Zukunft?
Ich versuche, positiv zu denken und optimistisch zu bleiben, das Beste aus der Situation zu machen und mich auf das zu freuen, was nach der Krise kommt. Ich kann zusätzliche Workouts machen, die meinen Körper stärken, wofür ich sonst nur wenig Zeit habe, oft auch zu erschöpft bin. Ein positiver Aspekt ist zudem, dass die Leute wieder regionaler leben und aufeinander achten – man lernt wieder, Sachen zu schätzen. Die ganze Welt versucht in so einer schwierigen Zeit zusammenzuhalten.