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Oper im Bild Staatsopern-Fotograf Michael Pöhn

OPER IM BILD

Die geplante Ausstellung findet aufgrund der aktuellen

Situation nicht im Gustav Mahler-Saal und Marmorsaal statt, sondern wird ab Anfang

Mai online auf www.wienerstaatsoper.at gezeigt.

100.000. In Worten: Einhunderttausend. Ungefähr so viele Bilder hat der Staatsopern-Fotograf Michael Pöhn in den letzten zehn Jahren aus seinem Schaffen ausgewählt, bearbeitet, abgespeichert: Schnappschüsse aus der Probenarbeit, Portraitbilder, Situationen und Interieurs, Opernball und Konzerte. Vor allem aber: Vorstellungsfotos. Keine Produktion, die nicht dokumentiert ist, die nicht mit seiner klaren, treffenden Handschrift eingefangen wurde: Mit jedem Bild zeigt er nicht nur die Atmosphäre der Produktion, er zeichnet auch die Stimmung der jeweiligen Szene nach, verbindet den höchstpersönlichen Ausdruck der Sänger mit dem Gesamtkonzept des Regieteams. Und schafft, darüber hinaus, auch noch Bilder, die den Betrachter anspringen. Nach zehn Jahren zieht er nun Zwischenbilanz und zeigt eine Auswahl seiner besten Arbeiten in einer online-Ausstellung.

Anlass der Ausstellung ist zunächst einmal die runde Zahl: 10 Jahre.

Michael Pöhn: Und vor allem ist es ein Rückblick auf die Direktion Dominique Meyer. Das bedeutet, man sieht rund 60 Opern-Neuproduktionen und kann die vielen Abende Revue passieren lassen. Wir haben uns bewusst entschieden, nur die Premierenproduktionen zu zeigen und nicht das gesamte Repertoire – denn das hätte jeden Rah men gesprengt! Und die Ausstellung zeigt auch zehn Jahre meiner persönlichen Fotogeschichte.

Nun lagern auf dem gewaltigen Bildserver unzählige Bilder. Nach welchen Gesichtspunkten hast du die gezeigten ausgewählt? Sind das einfach deine persönlichen Lieblingsbilder oder gab es dramaturgische Kriterien?

Michael Pöhn: Die Idee ist, dass man einzelne Schlüsselpunkte eines Abends findet und hervorholt, um dem Betrachter mit drei oder vier Bildern die gesamte Oper zu erzählen. Sowohl, was das Bühnenbild, als auch was Aussage, Stimmung und stilistische Ausformung anbelangt. Dazu kommt auch noch, dass die Staatsoper ein Repertoire-Theater ist, es also fast immer mehr als nur eine Besetzung gibt. Dieser stetige Wechsel unterschiedlichster Sängerinnen und Sänger gehört zu unserem Selbstverständnis, und dem folge ich auch in der Bildauswahl. So zeigen wir – in den Hauptrollen –, wer aller in den Produktionen gesungen hat. Da kommt man bei manchen Opern auf eine immer wieder verblüffend große Zahl großer Namen. Nun ist es natürlich reizvoll, unterschiedliche Besetzungen in immer derselben Szene zu zeigen – diesmal bin ich aber einen anderen Weg gegangen, und habe bewusst unterschiedliche Momente aus einer Oper gewählt.

Hast du die Bilder alle im Kopf? Oder wie hast du die Auswahl erstellt? Alle Fotos, die du bisher gemacht hast, kannst du ja schlecht noch einmal durchschauen …

Michael Pöhn: Wir können auf eine bereits grob selektierte Auswahl an Bildern zugreifen, die im Rahmen der Neuproduktionen jeweils pro Stück erstellt wurde. In Summe waren das etwa 1300 Fotos, die alle Premieren abbilden; diese habe ich dann durch die angesprochenen Besetzungswechsel ergänzt.

Mitunter gibt es ja „das“ Bild für eine Produktion, ein Key-Foto. Verwendest du solche auch in der Ausstellung?

Michael Pöhn: In Falle der Staatsoper ist es das jeweilige Cover des Programmhefts: Auf diesem soll all das, was das Werk ausmacht, in komprimierter Form zu sehen sein. Das kann eine Totale, aber auch eine einzelne Figur sein – wichtig ist nur, dass die Werk- und Interpretationsaussage erkennbar ist. Einem solchen Bild kommt übrigens stets eine zentrale Aufgabe zu – daher hat sie auch Dominique Meyer jeweils persönlich in Absprache mit dem Leading-Team ausgewählt.

Der erste Eindruck: Welche Fülle! Der zweite Eindruck: Und so viele Details! Was wünschst du dir, dass der Betrachter mitnimmt?

Michael Pöhn: Ich möchte den Wunsch erwecken, die Oper auf der Bühne zu sehen. Wenn jemand, abgesehen von der Freude an den Fotos und vom Erinnern an einzelne Abende, das Gefühl bekommt: Auf diese Produktion hab ich jetzt Lust! – Dann ist die Intention der Ausstellung erfüllt.

Lampenfieber gehört im Theaterleben dazu. Wie nervös bist du bei deiner Arbeit?

Michael Pöhn: Eine gewisse Grundspannung ist immer da, und die gehört, wie bei allen künstlerischen Berufen, einfach dazu. Natürlich gibt es Produktionen, die einen mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontieren: zum Beispiel Abende, die fürs Fotografieren ungünstige Lichtverhältnisse aufweisen. Aber damit lernt man umzugehen.

Nun fotografierst du sowohl Repertoireabende, an denen du die Produktionen ganz genau kennst wie auch die Schlussproben vor Premieren, die naturgemäß Neuland sind. Was ist herausfordernder?

Michael Pöhn: Die Schlussproben! Auch wenn ich eine Produktion von Anfang an begleite, erlebe ich bei einer solchen Endproben unglaublich viele neue Eindrücke, die ich alle festhalten will. Ich arbeite in solchen Fällen mit drei Kameras gleichzeitig – da ist die Anspannung natürlich am größten. Alleine schon von der Logistik her.

Drei Kameras? Michael Pöhn: Eine am Stativ montiert, zwei griffbereit: Ich muss Sänger solistisch oder in Duetten mit einer langen Brennweite in Nahaufnahme erwischen, wenn aber der Chor auftritt, brauche ich die gesamte Bühnenbreite. Und die dritte Kamera ist für alle Situationen zwischen Close up und der Totalen. Manchmal klemme ich mir eine Kamera zwischen die Knie, damit ich einen raschen Wechsel vornehmen kann. Nach einem solchen Fotomarathon bin ich schon alleine körperlich erledigt, nicht zu sprechen von der Konzentration, die extrem gefordert ist. Aber gerade nach den Schlussproben geht die Arbeit unmittelbar weiter: Die Fotos müssen selektiert werden, retuschiert, der Bildausschnitt wird festgelegt. Ein solcher Schlussprobentag ist nicht nur für die Künstler auf der Bühne, sondern auch für mich ein langer!

Evelyn Herlitzius, Camilla Nylund und Nina Stemme in Die Frau ohne Schatten

Du hast eine lange Biografie als Fotograf in den unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen. Gab es ein Opern-Schlüsselerlebnis? Etwas, was du (um-) lernen musstest?

Michael Pöhn: Dass ich keine Anweisungen geben kann, wie es sonst oftmals üblich ist. Und dass man – nur für ein Foto – nichts wiederholen kann. Anfangs muss man natürlich viel ausprobieren: Wie reagiert die Kamera auf Pyroeffekte? Wie geht sie mit bestimmten Lichtverhältnissen um?

100.000 Fotos – also Kinder – zu haben macht den Überblick nicht einfach. Dennoch, auch wenn du sie alle schätzt – gibt es ganz besondere für dich? Bilder, an denen dein Herz hängt?

Michael Pöhn: Natürlich, es gibt Highlights, die ich ganz besonders mag. Wobei ich festgestellt habe, dass es hier keinen Stillstand gibt, sondern sich auch meine Zuneigung im Fluss befindet. Es geht immer weiter, es passiert immer Neues.

Dein Arbeitsplatz ist unter anderem am Parterre-Stehplatz. Wie reagiert das Publikum eigentlich auf den Mann mit dem Stativ?

Michael Pöhn: Bis auf wenige Ausnahmen: sehr gut! In den Pausen kommt man ja miteinander ins Gespräch, und ich habe gelernt, dass auch (oder gerade) am Stehplatz lauter Operndirektoren residieren. Das ist sehr unterhaltsam! Und sehr Wienerisch! Glücklicherweise habe ich einen Kamerasack, der die Klickgeräusche des Apparats praktisch auf null dimmt. Solche Ummantelungen sind zu kaufen, ich habe meinen darüber hinaus noch umgenäht, damit er noch besser wirkt. So wie ein Oboist sein Mundstück selbst schnitzt, so optimiere ich meinen KameraSchalldämpfer …

Kaum ein anderer kommt so nahe an die Künstler heran wie du – wenn auch nur durch das Objektiv. Lernst du durch diese kurze Distanz ihre Eigenheiten, Charakteristika kennen? Du bist ja auf Tuchfühlung.

Michael Pöhn: Natürlich! Als Fotograf ist man ja eine Art Voyeur, wobei sogar eine tatsächliche Absicht dahinter steht, sie genau zu studieren. Denn nur, wenn ich ihre Gesten und ihre Mimik kenne, kann ich sie bestmöglich abbilden. Ich muss nicht nur sehen, was sie machen, sondern voraussehen, was sie machen werden – um so den richtigen Moment zu erwischen. Im Idealfall fotografiere ich ja keinen Sänger mit offenem Mund, sondern unmittelbar, bevor er oder sie zu singen beginnt. Da ist bereits die Körperspannung da, aber der Mund noch geschlossen.

Krassimira Stoyanova in Don Carlo

Gibt es Feedback der Fotografierten? Michael Pöhn: Wenn Sängerinnen und Sänger sich auf Fotos gut getroffen empfinden und mir das sagen – dann ist das der Applaus, den ich erhalte. Mit vielen haben sich echte Freundschaften entwickelt, so wie mit Regisseuren und Bühnenbildnern, die mich auch gebeten haben, ihre Arbeiten auch außerhalb der Staatsoper zu fotografieren.

Und zuletzt: Du verbringst pro Woche zig Stunden umgeben von Musik. Kannst du sie, aufs Bild konzentriert, überhaupt genießen?

Michael Pöhn: Bei den genannten Schlussproben nicht, da bin ich so fokussiert, dass ich rund um mich nichts wahrnehme. Und bei Repertoirevorstellungen versuche ich bewusst, nicht zu genießen. Sonst vergesse ich womöglich, im richtigen Moment den Auslöser zu drücken!

Láng-Láng

Cardillac

Bild links: Juan Diego Flórez in Don Pasquale Bild rechts: Piotr Beczała in Adriana Lecouvreur

Les Troyens

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