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Beethoven und die Frauen
Unsterbliche Geliebte: Chen Reiss singt Beethoven
Eines der Attribute von Jubiläumsjahren ist, dass sich vieles abseits der bekannten RepertoireTrampelpfade abspielt. Verstärkt werden Gesamtschauen ins Programm genommen, aber ebenso Seitenlinien künstlerischen Schaffens verfolgt. Chen Reiss, deren Staatsopern-Auftritte die 100er-Marke überschritten haben, widmet sich auf ihrer neuen CD Immortal Beloved auch solchen Randwerken.
Sie haben eine CD mit teils weniger prominenten Liedern und Arien Beethovens aufgenommen. Was stand am Anfang dieser Reise? Der Wunsch, „etwas anderes“ zu machen? Lust auf die Erforschung verborgener Klangwelten?
Chen Reiss: Begonnen hat es mit dem Angebot der Wiener Staatsoper, die Marzelline in der Fidelio-Erstfassung, die im Februar im Haus am Ring herauskam, zu singen. Ich schaute mir die Musik dieser Version der Oper an und stieß auf das Duett und Terzett der Marzelline. Das sind beides Musiknummern, die in der Letztfassung, die ja zumeist gegeben wird, nicht vorkommen. Sehr schöne Musik!, dachte ich mir. Und: Vielleicht gibt es ja noch mehr davon? Also machte ich mich auf die Suche nach dem unbekannten Beethoven, dem jüngeren Beethoven. Und wurde fündig.
Eine solche Suche entspringt zumeist ja nicht nur der Neugierde auf Weniger-Gehörtes, sondern auch einem Interesse an Wandlungen im Stil?
Chen Reiss: Genau darum ging es mir auch, denn gerade Beethoven zeichnet sich durch starke Veränderung seiner Musiksprache aus. Bleiben wir gleich bei der Marzelline: Das Duett aus der Erstfassung ist sehr lyrisch, es grenzt an eine belcanteske Gestaltungsweise. Je weiter die Entwicklung Beethovens fortschreitet, desto stärker wird eine dramatische Komponente, man entdeckt, wohin die Reise geht: in Richtung Carl Maria von Weber. Wenn man sich zum Beispiel die Arie „Soll ein Schuh nicht drücken“ anhört, die Beethoven 1796 schrieb, dann würde man anhand der Orchesterbegleitung eher auf Haydn tippen, also sehr klassisch, sehr leicht. Oder die Kantate „Fließe, Wonnezähre, fließe“: das ist eine Struktur, die noch die Sprache der Tradition spricht, mit feinen Koloraturen. Ein Beethoven, aber ein sehr ungewohnter.
Die CD heißt Immortal Beloved, damit spielen Sie auf das Thema Beethoven und die Frauen an.
Chen Reiss: Das ist ein roter Faden, der sich durch alle ausgewählten Musiknummern zieht. Es geht um Frauen, die er geliebt hat, die er bewundert hat, und die Einfluss auf ihn hatten. „Primo amore“ zum Beispiel schrieb er in sehr jungen Jahren für eine Sängerin, in die er verliebt war. Also wirklich: Primo amore. Wobei es hier weniger um Herzensgeschichten geht, als um ein Frauenbild, das Beethoven entwarf. „Es blüht eine Blume im Garten mein“ entstammt aus Leonore Prohaska, einem Drama, zu dem er Musiknummern schrieb und das sich um die gleichnamige historische Figur dreht: Prohaska war eine Frau, die Männerkleider anzog, gegen Napoleons Truppen kämpfte, verwundet wurde und starb.
Eine weitere Leonore also, eine, die bei der Rettung eines Kameraden ihr Leben gab.
Chen Reiss: Beethoven bewunderte das: Frauen, die bereit waren, ihr Leben zu opfern – für ein Ideal, ein menschliches oder politisches. Für ihn persönlich blieb das ein unerfüllter Traum, denn die starke Partnerin, mit der er das Leben teilen konnte, blieb ihm verwehrt. Auch wenn er unterschiedlichste Geliebte fand, die einzige – um das jetzt durchaus etwas mit Pathos zu sagen – die ihn nicht enttäuschte, war die Musik.
Und „Ihre“ Marzelline, die Sie hier zuletzt sangen? Chen Reiss: Marzelline ist der Gegenpol. Sie akzeptiert ihren Platz und will die Welt nicht verändern. Man darf das nicht falsch verstehen: Sie ist nicht dumm, nicht soubrettig. Marzelline ist als Mensch wunderbar, aber halt nicht außergewöhnlich wie Leonore.