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Auf dem Weg zur Nummer 100 Clemens Unterreiner im Portrait

AUF DEM WEG ZUR NUMMER 100

Ursprünglich hätte Ensemblemitglied Clemens

Unterreiner im März und April seiner beachtlichen Liste der bereits an der Wiener Staatsoper gesungenen Partien als Rolle Nr. 87 den wichtigen und herausfordernden Oberpriester des Dagon in Saint-Saëns Samson et Dalila hinzugefügt. Gemeinsam mit einer Wiederkehr als Sharpless in Puccinis Madama Butterfly ein paar Wochen später wäre dieses Rollendebüt sozusagen der Abschluss der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Direktor Dominique Meyer gewesen. Vor Vorfreude hat er in einem kurz vor dem Aussetzen der Vorstellungen gegebenen Interview über beide Projekte geschwärmt. Es war ein ausführliches und schönes Gespräch. Aber wie es Unterreiners Art so ist, hat er in dieser Unterhaltung auch vieles angemerkt, das nicht nur in Bezug auf Saint-Saëns und Puccini von Interesse ist. So etwa über das Reifen und die Weiterentwicklung einer bereits gesungenen Rolle – als extrem reflektierender Künstler achtet er ja stets genau auf jede noch so kleine Veränderung, erkennt wie eine neue Partie eine bereits gesungene technisch positiv beeinflusst und zusätzliche interpretatorische Querverbindungen entstehen lässt. Dann sprach er im Zusammenhang mit einer Rollengestaltung von einer schönen Reise: Von einer Reise in ein noch spannendes, unbekanntes Land im Falle eines Debüts beziehungsweise von einer Reise in eine frühere Zeit, in der er Glück erleben durfte im Falle einer schon oft gegebenen Bühnenfigur. Aber Unterreiner gab auch Einblicke in den tagtäglichen fordernden Alltag, der den Sängern letztlich auferlegt, sich gleich Spitzensportlern mental und energetisch aufzurüsten, um den eigenen hohen Ansprüchen auf Dauer gewachsen zu sein. Was bei ihm allerdings bei jedem andiskutierten Thema durchscheint, ist zum einen diese ungemein positive Einstellung, dieses Urvertrauen, mit der er auch den größten künstlerischen Herausforderungen entgegentritt. Zum anderen aber diese Liebe, die er gegenüber dem gesamten Bühnenkosmos empfindet: Ob Sängerkollegen, die Musiker im Orchestergraben, Dirigenten, Regis

seure, Mitarbeiter hinter den Kulissen, die zu gebenden Werke selbst, das Haus und – an vorderster Stelle natürlich – das Publikum: Nie hört man von ihm ein böses Wort, alle werden von ihm in die private Begeisterung aufgenommen, die authentisch und ansteckend herüberkommt. Das erklärt mit Sicherheit seine unversiegbare Leidenschaft, seine offenbar unerschöpflichen Energiereserven (dass er als Einteilungskünstler neben seiner Staatsoperntätigkeit auch diverse karitative und ehrenamtliche Tätigkeiten unter einen Hut bringt ist bekannt, weniger vielleicht sein Tätigkeiten als Sprechcoach für diverse CEOs großer Firmen), aber auch seine Fähigkeit zur Selbstkritik, mit der damit verbundenen Bereitschaft, immer wieder an sich zu arbeiten, wenn nötig – ohne müde zu werden – von neuem zu beginnen und auch im Detail nach Perfektion zu streben. (So äußerte sich beispielsweise der diesbezüglich sehr strenge Direktor Dominique Meyer überaus positiv über Unterreiners hervorragende französische Diktion in den entsprechenden Opern von Massenet, Donizetti, Bizet, Gounod, Offenbach.) Und damit ist für ihn der Ausfall des mit so großer Freude erwarteten Rollendebüts als Oberpriester des Dagon zwar eine verständliche Enttäuschung, über die er sich aber mit großer Zuversicht auf die kommenden persönlichen Staatsopernrollen Nr. 87-100 hinwegtröstet.

Clemens Unterreiner

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