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Vorwort Dominique Meyer

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Kunst in der Krise

Kunst in der Krise

Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, liebes Publikum!

Während ich dies schreibe, ist die Staatsoper geschlossen. Seit dem 9. März sind die Vorstellungen nach einer letzten Aufführung von Turandot ausgesetzt worden. Diese schmerzhafte Erfahrung ein großes Opernhaus schließen zu müssen, hat mich in wenigen Tagen zweimal getroffen, da ich einige Tage zuvor auch mit der Mailänder Scala ebenso verfahren musste. Lang ersehnte und vorbereitete Projekte fallen nacheinander ins Wasser. In Mailand gab es von Il turco in Italia nur eine einzige Vorstellung, von Salome gar keine. In Wien hatte ich mich auf einen letzten Wagner, meinen vierzehnten Ring des Nibelungen, mit einer vielversprechenden Besetzung sehr gefreut. Diese Serie wird nie stattfinden, ebenso wenig wie die Wiederaufnahme der Drei Schwestern, die vollständig von Péter Eötvös und den Sängern geprobt wurde (einige, wie Valentina Naforni¸ta˘, hatten diese schwierigen Rollen speziell für unsere Serie gelernt ...). Mein letzter Parsifal, mein letzter Wiener Rosenkavalier, werden nicht stattfinden.

Glücklicherweise gibt es diese wunderbare moderne Innovation: das Streaming. Dieses Projekt war bereits Teil der Ideen, die ich für die Kulturministerin Claudia Schmied entwickelte, als sie mich 2007 bestellte. Wir konnten es dank der Unterstützung von Thomas Platzer, dem kaufmännischen Direktor der Staatsoper, einem kleinen, unternehmungslustigen und dynamischen Team unter der Leitung des unermüdlichen Christopher Widauer und der Beteiligung der Rechtsabteilung, die die Rechtsfragen virtuos löste, entwickeln. Dieses Projekt, das oft mehr abgelehnt als unterstützt wurde, konnte nur dank einiger treuer und weitsichtiger Sponsoren ermöglicht werden: OMV, Casinos Austria, Samsung (mit dem wir die erste UHD/ 4K-Sendung überhaupt gemacht haben), Vienna Insurance Group, Lexus und die Czerwenka Privatstiftung. Seit 2013 haben wir 350 Liveübertragungen vorgenommen und nach und nach ein Archiv aufgebaut, das in der gesamten Welt einmalig ist. Die ebenfalls weltweit einzigartige Installation von Tablets, die die Übersetzung von Texten in acht Sprachen bereitstellen, ermöglicht es uns heute, Untertitel in acht Sprachen für die Weiterübertragung bereitzustellen. Schließlich haben wir uns, obwohl wir mit verschiedenen Verleihern (Apple TV, Amazon Prime, A1, sowie Verleiher in Russland, China und Japan) zusammenarbeiten, von Anfang an entschieden, eine eigene Vertriebsplattform auf unserer Website zu haben, um unsere Unabhängigkeit zu bewahren. So konnten wir nur wenige Tage nach der Schließung des Opernhauses jeden Abend eine Aufnahme aus unserer Sammlung in die ganze Welt senden, ohne mit jemandem verhandeln oder diskutieren zu müssen. Dieses Programm war ein großer Erfolg. In nur wenigen Tagen haben sich mehr als 165.000 Menschen auf unserer Website registriert. Jeden Abend besuchen mehr als 100.000 Menschen diese Darbietungen: aus allen Teilen der Welt erhalten wir begeisterte Kommentare.

Während dieser Zeit der Schließung ist die Staatsoper fast menschenleer: zwei Feuerwehrleute, einige Mitarbeiter kümmern sich um das Gebäude, Strom, Computer ... Aber selbst wenn sie nicht physisch im Gebäude anwesend sind, arbeiten viele Menschen unermüdlich von zu Hause aus, bewaffnet mit modernen technologischen Hilfsmitteln und viel Geduld. Alle sind bestrebt, unsere Institution zu erhalten, damit sie diesen Sturm mit möglichst geringen Schäden überstehen kann, um das Personal und die Künstler zu schützen und das Opernhaus darauf vorzubereiten, seine Türen wieder zu öffnen, sobald uns dies erlaubt wird. Allerdings weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob die Staatsoper noch vor Ende der Spielzeit ihre Türen wieder aufmachen kann*. Ich weiß nicht, ob ich

mich von der Staatsoper verabschieden kann, und ob ich mich noch ein letztes Mal mit allen Mitarbeitern der Staatsoper treffen kann, um ihnen meine Dankbarkeit und Zuneigung zeigen zu können. Und ich weiß nicht, verehrtes Publikum, wie ich mich von Ihnen verabschieden und Ihnen danken kann. Nach all den Jahren, in denen ich hier intensiv gearbeitet habe, nach so vielen Vorstellungen, ist es eine schwierige Herausforderung. Aber verfallen wir nicht in Selbstmitleid, das ist nicht viel verglichen mit den Dramen, die sich täglich in Krankenhäusern oder Familien auf der ganzen Welt abspielen. Und man muss an die Zukunft denken. Mein Nachfolger, Bodgan Rošcˇi´c, bereitet sich auf seine Spielzeiten vor. Er hätte in diesen Tagen sein Programm vorstellen sollen. Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hindert ihn daran, die Präsentation so durchzuführen, wie er es sich gewünscht hätte. Es ist eine außerordentlich schwierige Situation für ihn und die neue Mannschaft. Er wird viel Unterstützung von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Oper und dem Publikum brauchen. Das wünsche ich ihm.

Ihr Dominique Meyer

* P.S. Kurz nachdem ich dieses Vorwort abgeschlossen hatte, kam die traurige Nachricht, dass auch die Wiener Staatsoper bis zum Ende der Spielzeit geschlossen bleiben muss.

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