Credo Juli 2023

Page 11

CO2 und Co.

Seite 4

Thema Missbrauch wird bleiben

Seite 12

Laien sollen mitwirken

Seite 16

«Jede Form von Diskriminierung abschaffen»

Interview mit der früheren Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding. Ab Seite 6

Juli 2023 1 Das Magazin für Mitarbeitende der Katholischen Kirche im Kanton Zürich

Der Weg ist das Ziel

Bis vor Kurzem habe ich mir um meinen Butterkonsum keine Gedanken gemacht. Nun habe ich festgestellt, dass die CO2-Bilanz von Butter leicht höher ist als diejenige von Schinken – zum Glück für mich und das Klima, dass ich nicht kiloweise Butter konsumiere. Trotzdem: ein weiteres Detail, um das ich mich kümmern sollte, ist aufgetaucht und stellt etwas in Frage, woran ich bisher nicht gedacht habe.

Vielleicht geht es Ihnen auch so? Der Diskurs um Nachhaltigkeit kommt bunt daher, verlangt im Kern aber eine gehörige Portion Selbstreflektion und Hartnäckigkeit, um sein eigenes Verhalten stets zu hinterfragen, nach nachhaltigen Lösungen zu suchen und sie in den Alltag zu integrieren. Und es braucht hoffnungsvollen Optimismus, der den Fokus auf das Neugewonnene richtet, der zulässt, dass nicht alles von Anfang an perfekt ist.

Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sind also keine Aufgabe, die wir abhaken oder delegieren können, sondern eine Perspektive, an der wir uns immer wieder üben müssen. Dafür dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, wofür wir das tun und wo wir hinwollen: zur Bewahrung der Schöpfung. Wir brauchen als Kirche und als Gesellschaft ein klares Bild einer nachhaltigen Welt. Die Vorstellungskraft dafür zu stärken ist ein einzigartiger Mehrwert, den Kirchen in die Gesellschaft einbringen können.

«Credo» möchte einen Beitrag leisten, für das Thema zu sensibilisieren.

Editorial 3 Momentum Belebter Kirchenraum 4 Aktuell Emissionen senken 5 Aktuell Hospiz für Kinder 6-11 Fokus Bilanz einer Legislaturperiode 12 Engagiert Ende einer Langstrecke 14 Perspektiven Studie zu Missbrauch 15 Seelen-Nahrung Nachhaltigkeit
Ausläuten Neue Orientierung
Layout
16
Impressum credo credo erscheint vierteljährlich und Behördenmitglieder und Freiwillige der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. www.zhkath.ch/credo credo@zhkath.ch
Herausgeberin und Redaktion Katholische Kirche im Kanton Zürich Kommunikationsstelle Hirschengraben 66 8001 Zürich Druck und Papier Zürich aus 100% Recyclingfasern und mit dem Umweltlabel «Blauer Kevin Ischi, Projektleiter Nachhaltigkeit

Zeno

Juli 2023 3 Momentum
Die katholische Kirche in Volketswil hat erstmalig an der Langen Nacht der Kirchen teilgenommen. Kaspar Tribelhorn fesselte die Gäste mit seiner Feuer- und Jongliershow. Seelsorger und Mitorganisator in Volketswil
«Wir waren positiv überrascht über die gute Resonanz. Es stellt sich aber die Frage, wie wir die Kirche künftig noch typischer darstellen können.»
Cavigelli

Zahlen & Fakten

22 von 74

Kirchgemeinden haben seit der Lancierung des Angebots zur Treibhausgasbilanzierung im Jahr 2022 bereits mitgemacht.

1290

Tonnen Treibhausgase haben Kirchgemeinden 2021 im Betrieb ihrer Liegenschaften ausgestossen. Die teilnehmenden Kirchgemeinden haben bei der Treibhausgasbilanzierung mitgemacht und die wesentlichen Verbrauchsdaten ihrer Liegenschaften erfasst. 3

Kategorien gibt es bei der Bilanzierung der Treibhausgase nach dem internationalen Standard Greenhouse Gas Protocol. Verpflichtend beim Angebot sind die Erfassung der direkten Emissionen durch mobile oder stationäre Verbrenner im Eigenbesitz und den Zukauf von Wärmeenergie und Strom.

70

Prozent dieser Treibhausgasemissionen werden direkt über fossile Heizsysteme ausgestossen. An 14 Standorten kommt hingegen schon Fernwärme, an 4 eine Pelletheizung, an 5 eine Wärmepumpe und an einem Standort eine SolarthermieAnlage als erneuerbare Energiequellen zum Zug.

CO2 und Co. müssen sinken

Seit Anfang 2022 steht den Kirchgemeinden ein kostenloses Angebot zur Treibhausgasbilanzierung zur Verfügung. Es soll sie dabei begleiten, die Emissionen bis 2030 deutlich zu senken.

Um die Klimaerwärmung auf die Ziele zu beschränken, die im Pariser Klimaabkommen 2015 festgelegt wurden, ist die Schweiz leider nicht auf Kurs. Es gibt jedoch Instrumente, die uns Lösungswege aufzeigen. Bereits während den Vorarbeiten zur Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie hat sich gezeigt, dass das Messen der ausgeschiedenen Treibhausgase ein wichtiges Instrument für die Planung und das Monitoring sind. Eine solche Bilanzierung wurde 2019 mit fünf Pilotgemeinden gemacht. Seit 2022 steht das Angebot nun allen Kirchgemeinden kostenlos zur Verfügung.

Die Bilanzierung hilft dabei, die wesentlichen Ursachen der verantworteten Treibhausgase zu erkennen und für diese Reduktionsmassnahmen und -ziele für die kommenden Jahre festzulegen. Denn bis 2030 wollen wir unsere Treibhausgasemissionen als Katholische Kirche im Kanton Zürich deutlich senken – und die Ziele des Kantons Zürich sind ambitioniert:

Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040, spätestens aber bis 2050, sollen erreicht werden.

Auch wir als Kirche sind damit gefordert. Die Zahlen der Kirchgemeinden, die bisher an der Treibhausgasbilanzierung teilgenommen haben, zeigen, dass an den meisten Standorten nach wie vor Öl- und Gasheizungen in Betrieb sind.

Es gilt also, sich jetzt Gedanken zu machen und frühzeitig an die Planung für einen nachhaltigen Heizungsersatz bis 2030 zu gehen.

Info

Eine Treibhausgasbilanzierung kann jährlich ausgestellt werden. Eine Teilnahme ist jederzeit möglich und kostenlos. Mehr Informationen zur Treibhausgasbilanzierung, Fördergeldern zum Heizungsersatz und anderen Möglichkeiten erfahren Sie bei Kevin Ischi, Projektleiter Nachhaltigkeit, nachhaltigkeit@zhkath.ch

Aktuell
Text: Kevin Ischi Die Kirchgemeinde Hinwil hat sich als eine der ersten Kirchen im Kanton ausgiebig dem Thema

Kirchgemeinde Dübendorf

Ein Kinderhospitz für die Schweiz

Ambitioniertes Ziel ist ein erster Spatenstich noch in diesem Jahr. Zwei Jahre Bauzeit – dann soll das erste Kinderhospiz der Schweiz fertig sein. Über ein Jahr lang hatten Bauherr, die Stiftung Kinderhospiz und Grundstückseigentümer, die katholische Kirchengemeinde Dübendorf, verhandelt.

«Im Juni haben wir den Vertrag beim Notar unterzeichnet», erzählt Gregor Freund, Präsident der Kirchenpflege sichtlich erleichtert. Der Bau ist auch ein Prestigeprojekt für Stadt und Kirchgemeinde in Dübendorf/Fällanden.

«Bisher kennen die meisten Schweizer Fällanden nur wegen des ständigen Staus am Kreisel», sagt Freund. Jetzt sollen hier auf dem Ackerland hinter der Kirche St. Katharina acht Pflegeplätze für sterbenskranke Kinder und deren Angehörige entstehen.

Der geplante Neubau sei in der Gemeinde auf grosse Zustimmung gestossen, berichtet Freund. Allerdings habe es –wie bei jedem Projekt – auch Widerstand gegeben. Anwohner von Fällanden hatten eine Petition gestartet, um die Bebauung des Grundstücks zu verhindern – ohne Erfolg.

Kinder, die so krank sind, verbringen viel Zeit auf Intensivstationen. Dort sind sie alleine, Eltern und Geschwister können nicht bei ihnen sein. «Das muss sich ändern», sagt Dr. Andrea Leu, Stiftungsrätin der Stiftung Kinderhospiz Schweiz. Die 24-Stunden-Pflege eines kranken Kindes in der Familie bedeutet für die Eltern einen enormen Kraftaufwand. Während eines Aufenthalts im Kinderhospitz sollen sie gemeinsam etwas Ruhe finden.

Anders als in vielen anderen europäischen Ländern werden die Kosten für solch einen Aufenthalt nicht von den Schweizer Krankenkassen übernommen. Im Nachbarland Deutschland beispielsweise tragen die Kassen üblicherweise rund 60 Prozent der Kosten.

Das Kinderhospiz ist auf Spenden angewiesen. Wenn Sie das Projekt Kinderhospiz finanziell unterstützen möchten, dann benutzen Sie bitte folgende Kontoverbindung:

IBAN: CH90 0900 0000 8535 8174 5

PostFinance AG, 3003 Bern

Zugunsten: Stiftung Kinderhospiz Schweiz Seefeldstrasse 19, Postfach, CH-8032 Zürich

Wir begrüssen

Ivana Mehr Puncer startete am 1. April als Proeiner neuen Anlaufstelle für Angehörigenarbeit im

sorge.

Pablo Argothy Arcos ist seit dem 1. April Hauswart der spanischsprachigen Mission MCLE.

Liana Luis Bernal ist seit der MCLE.

Theresa-Maria Zenker wirkt seit dem 1. Mai als -

tern am Albis.

Magdalena Thiele unterstützt seit 1. Mai für sechs Monate die Kommunikationsstelle.

Yasir Saleem startete am 1. Mai sein Praktikum Jugendanimation bei der MCLI Don Bosco.

ist seit dem 1. Mai Organistin/Chorleiterin/Katechetin in der kroatischen Mission.

Andreas Brülisauer ist seit 1. Juni Spitalseelsorger am Kantonsspital Winterthur.

Oliver Stens ist seit 1. Juni mitarbeitender Priester in St.

Guido Estermann wird ab 1. September neuer Beauffür Pastoral.

Wir gratulieren

Spitalseelsorger Hagen Gebauer feierte im ApClara Klemm-Sosa Liu, Sekre20-jähriges Dienstjubiläum.

Wir verabschieden

Cécile Reh hat ihre Stelle als Leiterin der Administration in der Spitalseelsorge auf Ende April gekündigt.

Spitalseelsorgerin Rosmarie Wiesli ging Ende Mai in Pension.

Nicole Hufschmid hat auf Ende Mai die HIV/Aidsseelsorge verlassen.

Spitalseelsorgerin Tonja

Jünger ist auf Ende Juni aus dem kirchlichen Dienst ausgeschieden.

Der Hauswart der SpanierPasquale Piemontese, ist Ende März in den Ruhestand getreten.

Wir trauern

Am 6. Juni verstarb in Brig Weihbischof Peter Henrici SJ. Er war von 1993

die Bistumsregion Zürich /

Verena Schumacher ist seit 1. Juli neue Leiterin Administration in der Spitalseelsorge.

Hugo Gehring, langjähriger Dekan und ehemaliger Pfarrer von St. Peter und Paul in Winterthur verstarb am 19. Juni.

Aktuell
-
Personelles

Franziska Driessen-Reding hat während ihrer Präsidialjahre viel für die mediale Wahrnehmung der katholischen Kirche bewirkt.

«Wir brauchen einen Strukturwandel in den Köpfen»

Die Zeit von Franziska Driessen-Reding als erste Präsidentin des Synodalrates der Katholischen Kirche im Kanton Zürich ist zu Ende. Wegen Amtszeitbeschränkung konnte sie nicht mehr zur Wahl antreten. Mit Magdalena Thiele und Sibylle Ratz hat sie sich über ihre Arbeit, ihr Engagement und die Zukunft der Kirche unterhalten.

6
Interview und Bilder: Magdalena Thiele und Sibylle Ratz

Was kommt nach dem Synodalrat?

Ich dachte eigentlich, mehr freie Zeit zu haben. Aber jetzt werde ich in Zell gebraucht. Dort werde ich übergangsweise die Sachwaltung verantworten. Sollte ich doch irgendwann ganz viel freie Zeit haben, werde ich Schiffsköchin und schippere den Marnekanal entlang. Ansonsten bleibe ich der katholischen Kirche in Zürich natürlich erhalten. Einige Projekte habe ich schon angestossen.

Du warst zwölf Jahre im Synodalrat, fünf davon als Präsidentin. Hast du es jemals bereut, diese Position übernommen zu haben?

Nein, keine Minute. Während meiner Arbeit im Synodalrat ist mir bewusst geworden, was die katholische Kirche neben dem Kerngeschäft Gottesdienste für wichtige Beiträge leistet. Das hat mich sehr beeindruckt. Als die Neuwahlen anstanden, hat mir der damalige Präsident, Benno Schnüriger, gesagt: «Wenn du wirklich etwas erreichen willst, musst du in die Exekutive.» Meine Familie hat mir das Go gegeben und ich habe es versucht – und es hat auch geklappt.

Hättest du gerne weitergemacht?

Ich liebe mein Amt und hätte gerne noch ein paar Jahre drangehängt. Aber ich finde auch gut, dass es für diese Position eine Amtszeitbegrenzung gibt –frischer Wind ist nie verkehrt.

Apropos frischer Wind: Was wünscht du dir von deinem Nachfolger?

Ich wünsche mir, dass die Arbeit weiterhin so gut funktioniert im Synodalrat – dass wir gemeinsam vorankommen, aber auch miteinander streiten. Wir haben eine gute Kommunikationskultur etabliert – mehr als ein blosses Verwalten. Der Synodalrat hat die Aufgabe zu gestalten, kirchliches Leben zu ermöglichen.

Und ich weiss, dass mein Nachfolger, Raphael Meyer, den Mut besitzt, auch unbequeme Themen anzusprechen.

Einiges konntest du – auch auf unbequeme Art und Weise – bewegen. Gibt es ein Ziel, das du in deiner Amtszeit nicht erreicht hast?

Mir war besonders wichtig, dass die Menschen von dem erfahren, was wir tun und was die Kirche alles Gutes tut. Leider schaffen wir es nicht, aus den Negativschlagzeilen herauszukommen. Natürlich muss über Fehler und Versäumnisse berichtet werden – das ist wichtig. Aber daneben sollten wir stärker aufzeigen, für was der Synodalrat eigentlich da ist. Wir pflegen zum Beispiel einen intensiven interreligiösen Dialog – die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinschaften funktioniert toll. Dass wir es nicht schaffen, damit in die Medien zu kommen, das fuchst mich und treibt mich wirklich um.

Und wie ist es dir insgesamt kirchenpolitisch ergangen?

Die kirchlichen Oberen haben einen langen Atem. An der Bischofssynode in Rom dürfen ein paar Frauen mitreden – ausgewählt von den Bischöfen. Da denke ich mir schon: So wie es jetzt ist, schafft ihr es nicht mehr lange. Es sind wieder fünf Jahre vorbei und kein Bischof mag auch nur ein wenig etwas Neues wagen. Auch unser Bischof. In seinem Alter hat er doch nichts mehr zu verlieren. Er könnte doch einfach mal sagen: «So und jetzt machen wir das mal ganz anders!» Wieso verstecken sich alle hinter Rom? Das finde ich sehr schade.

Als neue Synodalratspräsidentin hast du dir in einem Interview einen Bischof, der zuhört, gewünscht. Hat dir der Bischof zugehört?

Ja! Wir haben mit Joseph Maria Bonnemain einen Bischof, der zuhört. Einen Bischof, der vor Ort ist und für den Zürich nicht etwas ganz Schlimmes bedeutet – wie für manchen Vorgänger. Immerhin hat er selbst hier gelebt und kennt die Stadt. Und wir haben jetzt endlich einen Bischof, der nicht nur zuhört, sondern seinem Gegenüber auch in die Augen sieht. Aber zuhören heisst noch nicht, in Aktion zu kommen, leider.

Juli 2023 7
«Der Synodalrat ist da, um Kirche mitzugestalten.»
Franziska Driessen-Reding
Reding gerne auch den Humor.

Noch funktioniert ja alles? Noch, ja, aber wie lange? Wir müssen uns wirklich überlegen: «Wie möchten wir unser Evangelium künftig unter die Leute bringen?» Es gibt kaum noch Priesternachwuchs. Wie sollen wir mit den Menschen unterwegs sein, wenn die verbliebenen Priester so überhöht sind. Was sind denn das für junge Männer, die da noch kommen? Dabei wäre es so ein attraktiver Beruf. Ein Theologiestudium ist ein Topstudium. Es hat so viel zu bieten. Sicher leidet alles unter dem Reputationsschaden durch die vielen Priester, die ihre Position missbraucht haben. Wer will sich da noch so exponieren und sich täglich rechtfertigen, dass er jetzt nicht so jemand ist, der missbraucht? Dabei ist die Nachricht des Evangeliums an sich nicht schlecht geworden. Sie braucht aber mutige Verkündiger.

Nicht alle deine Äusserungen stiessen im katholischen Umfeld auf ungeteilte Gegenliebe. Wie bist du mit Kritik umgegangen?

Wenn mir sachliche Kritik entgegengebracht wurde, habe ich immer das Gespräch gesucht. Wenn ich die Möglichkeit hatte, den Absender zu kontaktieren, dann habe ich diese immer wahrgenommen.

Natürlich gab es auch anonyme Briefe, Beleidigungen und sogar eine Morddrohung. Für diese Art von Kritik habe ich mir einen Giftordner angelegt. Einmal bekam ich Post, ich solle mich mal «richtig durchficken lassen» – den Ver-

fasser dieser Nachricht würde ich gerne fragen, was ihn zu so etwas bewogen hat. Wenn ich Gewaltandrohungen erhalte, denke ich allerdings: «Da ist Hopfen und Malz verloren.»

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre - glaubst du noch an den Synodalen Prozess?

Der Begriff Synode bedeutet noch nicht, dass die Kirche demokratischer wird. Der Begriff Synode – auf dem Weg sein – ist so viel grösser und auch interpretierbarer. Während ich sage, synodal unterwegs sein heisst, gleichberechtigt unterwegs sein – per Mehrheitsbeschluss. Ein anderer sagt eventuell: Synodal heisst, dass wir etwas solange diskutieren, bis alle einverstanden sind. Oder sogar, dass wir solange diskutieren, bis möglichst viele zufrieden sind, und dann trifft der Bischof alleine eine Entscheidung.

Wenn wir bei der Begrifflichkeit schon so unterschiedlich unterwegs sind, wie können wir dann jemals diesen Prozess mit Leben füllen? Deswegen blicke ich dem Ausgang der Synode nicht gerade himmelhochjauchzend entgegen – aber auch nicht zu Tode betrübt. Mehr Demokratie wäre wünschenswert, vor allem in der Schweiz.

«Ich würde jede Form von Diskriminierung abschaffen»
Franziska Driessen-Reding
mit Menschen zu kommen. Um eine plakative Darstellung von Sachverhalten war Driessen-Reding in ihrem Amt nie verlegen.

Wenn du in der katholischen Kirche von heute auf morgen eine Sache ändern könntest, was wäre das?

Zuerst würde ich jede Art von Diskriminierung abschaffen. Und es ist nicht damit getan, Frauen zu Priestern zu weihen.

Keine Überraschung bei den Wahlen

Franziska

Driessen-Reding

Was braucht es noch?

Beispiel LGBTQ: Die WHO hat schon in den 80er-Jahren festgestellt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Wie krank ist es, 30 Jahre später immer noch am Gegenteil festzuhalten?

Hier brauchen wir dringend den Strukturwandel in den Köpfen. Vielleicht wäre es hilfreich, jeder Priester, ja jeder Bischof, hätte eine homosexuelle Schwester oder eine, die abgetrieben hat: den persönlichen Bezug zu einer Person, die ihnen erklären kann, was eine Konversionstherapie bedeutet. «Walk in their shoes», lauf in deren Schuhe, ich wünsche mir hier einfach mehr Empathie.

Der bisherige Synodalrat und Vizepräsident Raphael Meyer ging als klarer Sieger bei den Wahlen fürs Präsidium der Exekutive des Kantonalkirche hervor. Sein Herausforderer Lorenz Schmid blieb chancenlos.

Die Ausgangslage verhiess ein spannendes Wahlprozedere. Doch schon nach dem ersten Wahlgang war alles klar. Der «wild» kandidierende Lorenz Schmid blieb mit 38 von 88 Stimmen chancenlos. Die Wahl zum Synodalratspräsidenten war dann nur noch Formsache, da es Herausforderer Lorenz Schmid nicht ins Gremium geschafft hatte. Raphael Meyer wurde mit 79 von 86 Stimmen zum neuen Präsidenten der Exekutive der Katholischen Kirche im Kanton Zürich gewählt.

Problemlos gewählt wurden alle bisherigen Mitglieder des Synodalrats.: Vera Newec (neu Vizepräsidentin, Seelsorge Jugend und junge Erwachsene), Tobias Grimbacher (Bildung und Kultur), Daniel Otth (Soziales und Ökologie), Martin Stewen (Migrantenseelsorge), Barbara Winter-Werner (Ökumenische Seelsorge) und Petra Zermin (Personal). Neu in den Rat gewählt wurden Andreas Kopp (Seelsorge Gesundheitswesen und Inklusion) und Thomas Schwyzer (Finanzen und Infrastruktur).

Juli 2023 9
Guido Egli Raphael Meyer Guido Egli ist neuer Präsident der Synode, Vizepräsidentin ist neu Gaby Pandiani.
«Wieso nicht Neues wagen?
Was hat der Bischof noch zu verlieren?»
Franziska Driessen-Reding, hier mit Magdalena Thiele und Sibylle Ratz (v.l.n.r.). Anfangs Juli tagte das Kirchenparlament und wählte.
-

Wo der Kirchengarten prächtig blüht

Nachhaltigkeit war der Legislaturschwerpunkt des bisherigen Synodalrates. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kirche sind wir alle angesprochen, manchmal gefordert und vielfach kreativ beglückt. Es gibt überall Ansatzpunkte, im Büro, unterwegs, beim Einkaufen, in einer Besprechung oder im Gottesdienst.

«Die katholische Kirchgemeinde Hinwil verfügt über eine mehrjährige Nachhaltigkeitsplanung und Umsetzungsstrategie. Mit der Umsetzung der Digitalisierung des Kirchen- und Pfarreiheims wird anlassspezifisch geheizt. Zudem wird die Kirche nachts, zum Beispiel im Sommer, automatisch gelüftet. Nicht nur ökologische Aufwertung, sondern auch soziale Sensibilisierung für Nachhaltigkeit ist wichtig. Am monatlich stattfindenden Fiirabigmärt werden ausschliesslich lokale Produkte angeboten. 2025 wird das gesamte Kirchendach mit PV-Modulen bestückt. Dies leistet einerseits einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und hat andererseits Vorbildcharakter im Bereich öffentliche Bauten.»

«Die Nachhaltigkeitsbox ist eine sehr anschauliche Methode, auf die Thematik aufmerksam zu machen. Besonders ansprechend ist der Wochenkalender, in dem zum Beispiel die saisonalen Früchte- und Gemüsesorten aufgelistet sind, oder die Wochentipps, wie man Abfall vermeiden kann. Wir haben bei uns auch bereits erste Massnahmen vollzogen, um unseren Teil dazu beizutragen. Unter anderem haben wir Kaffeemaschine, Wasserkocher und Kühlschrank durch eine stromsparende, umweltschonende Variante ersetzt. Wir haben unseren Kopierer so einstellen lassen, dass er automatisch doppelseitig und schwarz/weiss druckt und wir arbeiten stark daran, auf ein papierloses Büro umzustellen. Der Bewusstseinswandel

braucht leider viel Zeit. Aber darum kommt es umso mehr auf die kleinen Schritte an.»

Sabine Zgraggen

Text: Kevin Ischi / Sibylle Ratz
«Der Bewusstseinswandel braucht viel Zeit»
Patrick Lütolf, Hinwil Sabine Zgraggen, Dienststellenleiterin Spitalund Klinikseelsorge

«Die Nachhaltigkeitsbox mit ihren Informationen und Impulsen bestärkt uns in der Pfarrei, im Prozess der Re-Zertifizierung unserer Kirchgemeinde mit dem ‹Grünen Güggel› weiter zu schauen, wo wir weniger Ressourcen verbrauchen können. So gilt in unserer Kirchgemeinde neu ein Flugverbot bei Reisen und wir verzichten in unserer Pfarrei bei manchen Apéros ganz auf Fleischprodukte.»

Nachhaltigkeitsbox –da war doch was?

Pfarreizentrum gefunden? Brauchen Sie mehr Bestandteile der Box zum Weitergeben oder verschenken? Gerne unterstützen wir Sie in einem Workshop dazu. Schreiben Sie uns, was die Box bei Ihnen bewirkt hat.

Kontaktperson: Kevin Ischi, kevin.ischi@zhkath.ch

«Jeder vom Team hat die Aufgabe erhalten, sich bis Mitte April einer ‹Sache› aus der Box an zu nehmen. Ich habe mich für die Biodiversität eingetragen und mich nun damit auseinandergesetzt. In der Box habe ich auch von der kostenlosen Grünraum-Erstberatung erfahren, die wir nun vornehmen werden. Für mich war klar, dass auch der grosse Pfarrgarten für mehr Biodiversität umgestaltet werden kann. In Zusammenarbeit mit dem Religionsunterrichtenden und mit Unterstützung des Hauswartes werden wir ihn jetzt igel- und insektenfreundlich gestalten.»

Im letzten Spätherbst wurde die Nachhaltigkeitsbox an alle Pfarreien, Dienststellen und befreundete Institutionen der Katholischen Kirche im Kanton Zürich verteilt. Dabei ist klar: Nachhaltigkeit ist Teamarbeit. Die Nachhaltigkeitsbox soll zu Diskussionen anregen und die Karteikarten sollen ihre Runden ziehen.

Was läuft sonst noch?

● Pilotprojekte zur Elektromobilität in den Kirchgemeinden

● Kostenlose Grünraumerstberatung für mehr Biodiversität

● Schöpfungszeit vom 1. September bis 4. Oktober

● Ökumenische Impulsveranstaltung

vom 27. 9. «Weniger bewegt!»

Mehr dazu laufend unter: www.zhkath.ch/nachhaltigkeit oder über den Kontakt nachhaltigkeit@zhkath.ch

Ihre Erfahrungen und Ihre Beispiele zur Nachhaltigkeitsbox interessieren uns: Wissen Sie, wo Ihre Nachhaltigkeitsbox steckt? Haben Sie im Team mit den Karteikarten schon eine Auslegeordnung gemacht? Haben das Poster, die Stickers oder der Wochenkalender ihre Plätze im Büro oder

Wettbewerb

Wir verlosen unter allen eingesendeten Beispielen, was die Nachhaltigkeitsbox bewirkt hat, drei Gutscheine für eine Gruppenführung in einem der fünf Zürcher Naturzentren (Naturzentrum Pfäffikersee, Naturstation Silberweide, Naturzentrum Thurauen, Wildnispark Zürich/Besucherzentrum in Sihlwald, BirdLive-Naturzentrum Neeracherried).

Schreiben Sie uns auf nachhaltigkeit@zhkath.ch

Juli 2023 11
Silvia Haller, Pfarreisekretärin Gregor Sodies, Nänikon-Werikon

Auch eine Langstrecke geht einmal zu Ende

Verteidigung, aussen – das wäre seine Position, wäre die katholische Kirche eine Fussballmannschaft. Bischof Joseph Maria Bonnemain sehe er dagegen eher im Mittelfeld die Bälle verteilen. Als Stürmer Tore schiessen, das wäre die Rolle der ehemaligen Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding – sie hatte die richtige Power-Mentalität.

Die Rolle des Aussenverteidigers werde übrigens immer unterschätzt, erklärt der 74-Jährige. Meistens konzentriert man sich aufs Mittelfeld und den Sturm, der die Tore schiesst. Aber die entscheidenden Flanken kommen nicht selten von der Seite.

Auch im kirchlichen Kontext laufen die Finanzen im Hintergrund, sind aber essenziell für alle wichtigen Projekte. Und so spielte Peter Brunner auch bei seinem Engagement für die Kirche auf seiner Stammposition.

Eines seiner Herzensthemen ist die Nachhaltigkeit. Das Schwerpunktthema der zu Ende gegangenen Legislatur «Nachhaltig Kirche leben» scheint wie auf ihn zugeschnitten: In seiner Heimatgemeinde hat er bereits vor zehn Jahren mitgeholfen, dass die Kirche St. Franziskus in Zürich-Wollishofen nach einer vollständigen energetischen Sa-

nierung heute komplett emissionsfrei funktioniert. «Wir sind die ökologischste Kirche Europas», erklärt Brunner sichtlich stolz.

Auf Kantonsebene seien solche Vorhaben aber schwieriger umzusetzen. Die Kirchgemeinden entscheiden autark, wie und wieviel sie in das Thema Nachhaltigkeit investieren wollen, sagt Brunner. Allerdings wollte er einen neuen Weg finden, Anreize zu schaffen. Ein neues Baureglement, das die Synode allerdings ablehnte, sah ausschliesslich Zuschüsse für ökologische Baumassnahmen vor. Die Synode will aber die bisherigen Bauzuschüsse auch behalten. Eine Überarbeitung muss jetzt der neue Synodalrat vornehmen.

«Geld ist immer ein Anreiz», weiss Brunner, der bis zu seiner Pensionierung als Geschäftsführer eines grossen Pharmavertreibers gearbeitet hat. In der Kirche ist das nicht anders als im Geschäftsleben.

Gerne hätte er weitere geschossen, aber vor allem die familiären Verpflichtungen nehmen immer mehr Zeit ein: Zwei Kinder und drei Enkelkinder wollen Zeit mit ihm verbringen. In seiner Freizeit unterstützt er seine Frau tatkräftig als «Vorwanderer» beim Zusammenstellen neuer Wanderrouten für

ihren Wanderverein. Und dann sind da noch die regelmässigen Treffen der ehemaligen Spieler vom Fussballverein Grasshopper Club Zürich sowie Besuche der Vortragsreihen der Seniorenuniversität an der Uni Zürich.

Im vergangenen Jahr ist er mit seiner Frau auf dem Jakobsweg 120 km von Sarria bis Santiago de Compostela gewandert – für diesen Sommer hat er sich gleich die doppelte Strecke vorgenommen: 240 km von Porto die Atlantikküste entlang. Brunner ist die Langstrecke gewohnt – auf dem Fussballplatz, beim Wandern und eben auch in der katholischen Kirche.

Schon seit 12 Jahren spielte Peter Brunner im Team Kirche. Vier Jahre davon als Mitglied der Synode, vier weitere als Präsident der Finanzkommission der Synode und zuletzt vier Jahre als Synodalrat der katholischen Kirche Zürich und zuständig für das Ressort Finanzen und Infrastruktur und zusätzlich auch ICT. Sein Amt beendete er diesen Juli.

Engagiert
Synodalrat Peter Brunner hat sein Amt abgegeben. Jetzt widmet er sich anderen Dingen.

Buchtipp

Von Kloster bis Kommune

Das Christentum und die Kirchen stehen beim Thema Nachhaltigkeit nicht aussen vor: Die Orientierung am Gemeinwohl, Solidarität und Verzicht gehören zum Kern biblischen Glaubens und christlicher Ethik. Im ersten Band der neuen Reihe «Zürcher Zeitzeichen» zeigen die Autorinnen und Autoren theologische Grundlagen auf, präsentieren Projekte und stellen Handlungsperspektiven vor.

Edition NZN bei TVZ

Zürcher Zeitzeichen, Band 1 2023, ISBN 978-3-290-20231-6

Buchtipp

Erzähl nochmal

In Märchen und Mythen und in Geschichten aus Heiligen Schriften kommen ethische und existenzielle Fragen zur Sprache. Im Buch sind 111 Geschichten gesammelt, die sich zum Vorlesen für Familie und Schule eignen, um sich in einer multikulturell geprägten und säkularen Gesellschaft über gemeinsame Grundlagen zu vergewissern.

hg. von Rolf Bossart, Nadire Mustafi, Monika Winter-Pfändler, Michael Zahner

Edition NZN bei TVZ

ISBN 978-3-290-20237-8

Mein Hobby

Wandern durch die Nacht

«Es ist dunkel. Ich schreite voran, meiner Erinnerung an den Weg trauend. Fünf Pilgerinnen folgen mir, ohne Lampen. Sie trauen mir zu, dass ich sie den richtigen Weg führe. Und ich weiss, dass alle ihre Füsse zu setzen wissen. Ich kann mich auf sie verlassen. Aus dem Wald heraustreten, Sternenhimmel bestaunen.

Morgens um halb vier: Pause. Dunkelheit, die nie zu enden scheint. Plötzlich – das Dunkel kippt in ein Hellwerden. Der erste Vogel, dann ein Vogelkonzert. Nebelschwaden über dem Hochmoor. Mit müden Beinen den Chatzenstrick hochwandern. Wau, die Berge im Morgenlicht vor uns, Einsiedeln unter uns. Am Morgen in der Klosterkirche. Kerzen anzünden, Dankbarkeit, Müdigkeit, Glück.»

Susanne Hirsch ist Regionalleiterin Albis und Züriberg bei der Spital- und Klinikseelsorge der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. In Ihrer Freizeit leitet sie Frauen-Wandergruppen und organisiert auch immer wieder einmal eine Nacht-Wallfahrt.

Juli 2023 13 Unsere Kirche
Susanne Hirsch bei Sonnenaufgang und rechts mit Teilnehmenden

Was für eine Kirche hinterlassen wir der nächsten Generation?

Braucht es jetzt in der Schweiz wirklich auch noch eine nationale Missbrauchsstudie, die wiederum für Bad News und ansteigende Kirchenaustritte sorgen wird? Ja, es braucht sie!

Wir müssen in der ganzen Thematik weg kommen von der «institutions-narzisstischen Perspektive, hin zur Frage nach der Gerechtigkeit» (Mertes). Das Ziel, auch einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung, kann nicht sein, die Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Verlorenes Vertrauen lässt sich nicht zurückkaufen. Es ist vielmehr eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den Betroffenen und der

Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, dass die Verbrechen und deren Vertuschung untersucht, die Verantwortlichen benannt und die systemischen Risiken sichtbar gemacht werden. Es wäre völlig verantwortungslos, den kommenden Generationen eine Kirche mit einer unaufgeklärten kriminellen Vergangenheit und einer menschenverachtenden Kultur zu hinterlassen, in der ein heiliger Schein mehr wert ist, als die psychische und physische Integrität der Menschen.

Aufarbeitung der Vergangenheit setzt Lernbereitschaft voraus, um nicht zu einer Alibiübung zu verkommen. Nicht aus den Fehlern zu lernen und not-

wendige strukturelle Reformen nicht anzugehen, wäre der Gipfel der Verantwortungslosigkeit. Es gilt, sich endlich einzugestehen, dass die Kirche diese Mammutaufgabe ohne kritische Aussenansicht und unabhängigen Support nicht schaffen wird.

Im Frühjahr 2022 startete das einjährige Pilotprojekt zur Untersuchung der Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts, das von SBK, RKZ und KOVOS gemeinsam beim historischen Seminar der Universität Zürich in Auftrag gegeben wurde. Am 12. September werden die Ergebnisse an einer Medienkonferenz vorgestellt und über die Weiterführung informiert.

https://www.missbrauchkath-info.ch/

Perspektiven
Umfeld» der SBK und Präventionsbeauftragter des Bistums Chur.

Nachhaltig

«Das Tischchen unter ihrem Fernseher ist einmalig schön! Darf ich fragen, woher Sie es haben?» frage ich Herrn Bless einige Wochen nach seinem Einzug im Gesundheitszentrum Dielsdorf (GZ). Er lacht. «Raten Sie mal!» sagt er neckisch und zwinkert mit den Augen. «Also von Ikea ist es nicht», bemerke ich und nenne die paar Möbelgeschäfte, aber Herr Bless schüttelt bei jedem den Kopf und grinst. «So ein Möbel würde wirklich hervorragend in mein Wohnzimmer passen», ertappe ich mich, wie es mir durch den Kopf geht, «es wäre genau das, was ich mir wünsche…!» Meine Branchenkenntnis ist hingegen rasch erschöpft und hilfesuchend schaue ich zum 90-Jährigen, der in seinem Sessel sitzt wie auf einem Thron.

Der alte Mann zuckt mit den Schultern: «Mein Vater hat es mir gebaut, als ich vier Jahre alt war, als mein Schreibpult, ein kleiner Schemel war nämlich auch noch dabei. Später wurde es zur Sitzbank für einen grösseren Tisch, und jetzt … Nun, jetzt steht der Fernseher drauf.» Fasziniert höre ich die Geschichte, mein Blick geht zwischen Herrn Bless und seinem Möbelstück hin und her. In Gedanken stelle ich mir vor, wie der kleine Noldi als Kindergärtner daran geschrieben und gezeichnet hat. «Das ist beeindruckend. Es hat Sie also fast Ihr ganzes Leben lang begleitet? Es könnte sicher viele Geschichten erzählen.»

Und Herr Bless beginnt zu erzählen: vom Elternhaus und dem Brand der Scheune, bei dem nur wenig gerettet werden konnte, von der Schulzeit und dem Mädchen mit den dunklen Zöpfen, in das er sich mit zwölf verliebte und mit dem er über 50 Jahre verheiratet gewesen war, bevor der Krebs sie ihm geraubt hat, vom Vater und seiner Werkstatt, der Mutter, an deren Gutenachtkuss er heute noch manchmal denken muss, wenn er abends einschläft. Er endet und es ist still. Dann deutet Herr Bless auf sein Fernsehmöbel. «Es hat mir halt gedient. Es war für vieles gut und hat mich auch immer an die guten alten Zeiten erinnert. Das tut es bis heute.» «Ja, das tut es», sage ich und lächle. «So», sagt Herr Bless und schlägt mit den Händen auf die Oberschenkel. «Jetzt muss ich mich aber bereit machen. Meine Enkelin kommt noch zu Besuch. Wissen Sie, die ist Ärztin. Ich gebe ihr mein Tablet vom vorletzten Jahr, ich habe jetzt ja das neue!» Er zeigt stolz auf ein brandneues Gerät. «Wissen Sie, meine Enkelin ist so öko und freut sich, wenn sie meine Sachen erben kann!»

Seelen-Nahrung
Susanne Altoè ist Seelsorgerinzentrum Dielsdorf und im PalliativCare-Team des Spitals

«Ich verkündige euch den nicht erkannten Gott!»

Mit diesen Worten lässt die Apostelgeschichte Paulus seine Rede in Athen beginnen. Konkurrierende philosophische Strömungen waren zu dieser Zeit in der Stadt verortet, am berühmtesten die ehemals von Platon auf dem Akademos-Hügel gestiftete Lebensgemeinschaft: die «Akademie». Wissbegierige Menschen hatten Jahre aufgewendet, um gemeinsam Fragen nach dem Guten und dem Schönen zu klären, zu grübeln, was der Mensch überhaupt erkennen könne, zu erwägen, was gerecht und was fromm sei. In Konfrontationen stellten andere Strömungen die Fragen nach dem Wesen der Götter und wie sie in die Welt hineinwirken, was der Mensch ihnen schulde und ob sie überhaupt erkennbar seien. Skeptiker gingen davon aus, dass die gängigen Götterbilder und Tempel auf naiven Vorstellungen beruhten und dass die Götter noch gar nicht erkannt seien. Aus Verlegenheit war dem «unbekannten Gott» (agnōsthō theō) ein Altar geweiht worden; auf dieses Mahnmal weisend packt Paulus die Aufmerksamkeit der Zuhörer für seine Botschaft.

Diese geistigen Ausrichtungen blieben in der Antike gegenwärtig, wenn auch deren Institutionen verschwanden. Erst in der Renaissance keimte Ähnliches wieder auf: 1511 malte Raffael das berühmte Fresko «La scuola di Atene» in den Stanzen des Vatikans. Gelehrte Zirkel formten sich in selbstbewussten Städten oder wurden an Fürstenhöfen einberufen. Erfahrene und kundige Leute trafen sich, um – ausserhalb des universitären Lehrbetriebes – Fragen der Zivilisation, Kultur und aufkommender Technologie zu diskutieren. Solche Gesellschaften stellen noch heute ihre Leistungen der Allgemeinheit zur Verfügung, etwa die Académie française oder die Accademia di Santa Cecilia. Kirchliche Akademien übernahmen in Deutschland nach dem Krieg die Aufgabe, den Menschen eine neue Orientierung zu ermöglichen. In der Zeit des Vaticanum 2 wirkte in Zürich als Generalvikar Dr. Alfred Teobaldi. Er betreute die Entstehung von Pfarreien und begleitete den katholischen Bevölkerungsteil in die Anerkennung als staatlich anerkannte Körperschaft. Ein grosses Anliegen

war ihm die Gründung einer katholischen Akademie in Vereinsverantwortung, wo Laien ihre Kompetenzen zur Entwicklung der Kirche einbringen, gleichzeitig das säkulare Umfeld mit der Kirche in Kontakt treten konnten. Er nannte sie nach dem Völkerapostel «Paulus Akademie» und brachte sie 1966 im entstehenden Kirchgemeindehaus Witikon unter. Als ihren Zweck bestimmte er die «Begegnung von Kirche und Welt»; er forderte den Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen, ja sogar mit den Atheisten. Nach Jahren hoher Blüte suchte die Akademie eher eine Verankerung in der Stadt. Schliesslich konnte sich die Körperschaft an einem grossen Bauvorhaben an der Pfingstweidstrasse 28 beteiligen und 2020 unserer Akademie im Entwicklungsquartier 5 einen leicht erreichbaren, gastfreundlichen Ort zuweisen, ein geräumiger Transit für alle von der Welt zur Kirche und umgekehrt. FÜR ALLE! hatte schon Teobaldi betont. Auch Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, werden herzlich und nicht ohne persönlichen Gewinn willkommen geheissen.

Ausläuten
Eine der vielen Veranstaltungen, die in der Paulus Akademie in Zürich erfolgreich durchgeführt werden.

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.