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September November 2020 2012
| 30 JAHRE KASSABLANCA |
INTERVIEWER UND INTERVIEWTER IM PORTR ÄT:
Christian Gesellmann (r.) im Gespräch mit Clueso
»Das Kassa war unser Zuhause« CLUESO. MUSS MAN EIGENTLICH NICHT VORSTELLEN. Der Mann gehört inzwischen zum Kulturerbe Thüringens wie Vita Cola und Rennsteiglauf. Auch während der Corona-Pandemie gönnt sich der Erfurter keine Auszeit, sondern ist, wie er sagt, so produktiv wie nie. Clueso ist ganz oben angekommen – hat aber nicht vergessen, wo er herkommt. Bei unserem Treffen im Zughafen in Erfurt erinnert er sich an die ersten Schritte im Musikgeschäft. Es ist dann manchmal auch ein wenig ausgeartet, wenn ihr gefeiert habt. CLUESO: Ja, man war ja auch noch jung. Und das Kassa war, was das angeht, immer strapazierfähig. Es hat uns, ähnlich wie in einem Jugendheim, dirigiert und uns einen Platz gegeben, wo wir uns austoben und kreativ weiterentwickeln konnten. Und das war noch vor den ersten Auftritten! Und die kamen, weil wir Danny Engel kennengelernt haben, der später dann auch Manager von ›Wir sind Helden‹ wurde … Danny Engel, der damals seinen Zivildienst im Kassa machte. CLUESO: Genau, und der hat gesagt, »Wenn ihr Bock habt, mach ich ein bisschen Management für euch.« Und meinen späteren langjährigen Manager, Andreas Welskop, den hab ich ebenfalls im Kassa kennengelernt. Der hat mich dort bei einem Jam gesehen. Manchmal, wenn ich mir Videos von damals anschaue, frage ich mich, was er da gesehen hat. Aber irgendwas hat er halt gesehen, und er hat mir eine Platte geschenkt, »Quadratur des Kreises« von Freundeskreis. Das hat mich sehr geprägt. Und er hat gesagt, dass er toll findet, was ich mache, und dass ich ihn mal bei MZEE Records in Köln besuchen soll, wo
Fotos: Martin Schröder-Zabel
In deinem Wikipedia-Eintrag steht: »Durch Platten wir kauften und die wir nur aus dem zahlreiche Jams im Jenaer Kassablanca und Fernsehen kannten, von Viva oder so. Und in anderen Städten Deutschlands konnte er wir sind da immer hingefahren und desweseine Fähigkeiten als Rapper und Entertai- gen war das so ›unser Club‹. ner trainieren.« Du warst damals 16 bzw. 17 Jahre alt. Helmut Kohl war noch Kanzler, Ihr seid mit dem Zug gefahren? Berti Vogts Bundestrainer und in der StraCLUESO: Ja, wir sind teilweise mit dem ßenbahn durfte man noch rauchen… Wochenendticket, mit 30 Leuten rübergefahCLUESO: In Fahrstühlen auch, und im ren. Wir hatten — der Begriff stammt noch Kinderzimmer … aus dem Osten — eine ›Patenbrigade‹, die immer mit uns unterwegs war, 6300, eine Nimm uns doch bitte mal mit auf eine Crew aus Ilmenau, und viele kreative Leute kleine Zeitreise. Was waren das für Jams, aus Erfurt — Maler, Writer, Breakdancer, DJs wie bist Du überhaupt darauf aufmerksam — die wollten alle ins Kassa, das war das Pageworden, mit wem warst Du da? radies. Weil dort gab es Waggons mit GraffiCLUESO: Wir haben etwa 1995 angefan- ti, es gab Breakdancer, die getanzt haben in gen, uns für Hip Hop und Rap zu interessie- kleinen Runden, es gab Freestyle-Sessions, ren. Wir hatten den Traum, mal eine eigene wo Leute in irgendeiner Ecke gefreestyled Band zu haben. 1996 gründeten wir dann un- haben. Für uns war Hip Hop so ein kreatives ser erstes Projekt, EFP96 … Auffangbecken, und das Kassa war unser Zuhause, manchmal sind wir zwei volle Tage Das Erfurt Projekt 96 … geblieben und haben in den Schlafwaggons CLUESO: Genau, und dann fingen wir gepennt. Es gab glaub ich damals mehr Leuan, von Jam zu Jam zu fahren, meist waren te, die was Kreatives gemacht — sowohl im die in Jugendclubs, und da bekamen wir ir- Publikum als auch auf der Bühne — als heute. gendwann mal einen Flyer in die Hand vom Jeder war Aktivist, jeder hat was gemacht. Kassablanca, Gleis 1. Dort traten praktisch Heute ist es schon eher so, dass man mehr alle unsere Helden aus dem Hip Hop auf, Mas- Konsument ist, wenn man ausgeht. sive Töne zum Beispiel, alles so Leute, deren