07 Das Stadtmagazin für Jena & Region, Ausgabe 125, November 2020

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September2020 November 2012

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Leseempfehlungen

Von einem, der auszog, das Sterben zu lernen Er gilt als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts, er wurde dreimal hintereinander als Favorit für den Literaturnobelpreis gehandelt, mehrere seiner Werke wurden in die UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke aufgenommen, selbst ein Literaturpreis wurde nach ihm benannt — und dennoch ist Yukio Mishima (1925—1970) außerhalb Japans kaum einem ein Begriff. Nur gut, dass sich der Verlag Kein & Aber dieses wahrlich auch jenseits von Fernost entdeckungswürdigen Schriftstellers angenommen und mit »Leben zu verkaufen« nun schon den dritten Roman von Mishima ins Deutsche übertragen hat. Und was für ein Lesegeschenk der Schweizer Verlag uns da bereitet hat: »Leben zu verkaufen« offenbart vom Start weg eine solch rasant erzählte, so unglaublich lakonischleichtfüßig und tief schwarzhumorig vorgetragene Geschichte, dass

man sich tatsächlich fragen muss, wie dieses Spätwerk Mishimas aus dem Jahr 1968 hierzulande so lange unentdeckt bleiben konnte. Aus heiterem Himmel überkommt Hanio, der als Angestellter bei einer Tokioter Werbefirma arbeitet, während des Feierabends der plötzliche Drang, seinem Leben ein Ende zu setzen. Der Versuch misslingt, versetzt Hanio jedoch in einen Zustand desillusionierter Euphorie: Er kündigt seinen Job, erklärt die Abwechslung zur Lebensmaxime und veröffentlicht ein tollkühnes Inserat, das sein Leben wahrhaftig in ein einziges pausenloses Abenteuer inklusive blutrünstiger Gangster, Geheimagenten, verzweifelter Junkies und verliebter Vampirfrauen verwandelt: »Leben zu verkaufen. Verfügen Sie frei über mich. Ich bin männlich, 27 Jahre alt und kann Geheimnisse wahren.« Nur: Wie durch ein Wunder bleibt Hanio stets am Leben, während sich um ihn allmählich die Leichen häufen … Diesen hinreißend skurrilen Roman gelesen zu haben, könnte unter Umständen das größte Leseglück mit sich bringen, das in diesem Bücherherbst über Sie kommt. (mei)

Yukio Mishima: »Leben zu verkaufen« Kein & Aber, 237 Seiten (geb.)

Zeitreisen

Fotos: Verlage

Wie nur wenig anderen Verlage gelingt es dem Kunstanstifter Verlag mit seinen handverlesenen Veröffentlichungen für Klein und Groß stets aufs Neue, nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch Kleinode bereitzustellen, bei denen man, hat man sie einmal in der Hand, einfach sofort einen ganzen Ausbund an Behagen und Hingabe am Lesen und Blättern entwickelt. Hier zwei Empfehlungen für den tendenziell erwachsenen Leser. »Die Bären aus der Rue de l’Ours« klingt nicht nur wie eine Geschichte, die man in einem Atemzug mit »Die fabelhafte Welt der Amélie« nennen kann (auch wenn dies kein Buch, sondern ein Film ist), nein, diese Erzählung hinterlässt auch das gleiche Wohlgefühl von Wärme und Geborgenheit. Serge Bloch, französischer Künstler und Illustrator, hat seiner Familie ein ganz besonderes Denkmal gesetzt: Gemeinsam mit der preisgekrönten Autorin Marie Desplechin hat er seine Erinnerungen an die Kindheit und Jugend im Colmar der 1960er-Jahre

verschriftlicht und mit feinsinnigen Zeichnungen versehen. Hervorgegangen ist daraus das Porträt einer Familie, deren Dreh- und Angelpunkt die kleine Familienmetzgerei in der Rue de l’Ours ist. Hier lebten, liebten und stritten sich die Blochs mit dem kleinen Serge im Mittelpunkt des munteren Treibens — und es ist bei aller Normalität und allen Marotten, die diese freigeistige Familie zur Schau trägt, schlichtweg eine Freude, diese auf diesem Wege kennenzulernen. Völlig anders geartet, aber nicht minder begeisterungsfähig — da ebenfalls in harmonisch abgestimmter Zusammenarbeit von Autorin und Illustrator entstanden, präsentiert sich »Logbuch. Schiffe, die Legenden wurden«. Der Untertitel gibt hier bereits einen guten Anhaltspunkt zum Inhalt: Lucia Jay von Seldeneck erzählt in 27 kurzweilig-erhellenden Anekdoten von legendären Schiffen aus aller Herren Länder — darunter auch Raum-, Luft- und Geisterschiffe sowie ein Schiff aus Fels und Stein — Illustrator Florian Weiß wiederum verschafft jedem der wortreich vorgestellten Schiffe einen würdigen bildhaften Auftritt. Zugehörige ›Schiffslogbücher‹ sorgen für die vollendete Abrundung. Schicke, lehrreiche, unterhaltsame Lektüre, die man sich am besten happenweise gönnt. Leinen los! (mei)

Marie Desplechin/Serge Bloch (Ill.): »Die Bären aus der Rue de l’Ours« Kunstanstifter Verlag, 192 Seiten (geb.) Lucia Jay von Seldeneck/Florian Weiß (Ill.): »Logbuch – Schiffe, die Legenden wurden« Kunstanstifter Verlag, 116 Seiten (geb.)


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