FRAUENRECHTE PORTRÄTS
Eine, die sich durchsetzt Zeichnung: André Gottschalk
Frauen verdienen in Deutschland weniger als Männer – so auch im Backwarenunternehmen Bahlsen. Doch dank des Engagements von Manuela Haase wurden 100 Frauen den Männern gleichgestellt. Von Annette Jensen
O
hne Zweifel: Manuela Haase ist ein hartnäckiger Mensch. Sie hat einen starken Sinn für Gerechtigkeit – und dazu gehört, für gleichwertige Arbeit einen gleichwertigen Lohn zu verlangen. Laut Statistischem Bundesamt verdienen Frauen in Deutschland 18 Prozent weniger als Männer. Dass ihre Kolleginnen bei Bahlsen in Varel nahe Wilhelmshaven jetzt monatlich 187,85 Euro mehr bekommen und damit ebenso viel wie Männer in vergleichbarer Position, ist Haases Verdienst. »Wir konnten durch Dokumentationen belegen, dass die Frauen viel mehr Tätigkeiten übernehmen als ihre Gehaltsgruppe vorsah«, sagt sie. Die Betriebsratsvorsitzende ist stolz auf ihren Erfolg, stellt ihre Leistung jedoch nicht in den Vordergrund. Was die 61-Jährige ausstrahlt, ist Freude darüber, Gutes für etwa 100 Frauen bewirkt zu haben. Ihr halbes Leben hat Manuela Haase in Magdeburg verbracht. Kurz nach der Wende zog die gelernte Textilfachverkäuferin mit Mann und zwei Töchtern in die Nähe von Wilhelmshaven. Bald schon fing sie bei Bahlsen im Drei-Schicht-Betrieb am Fließband an und stieg schnell ins Qualitätsmanagement auf.
16 AMNESTY JOURNAL | 02/2022
1998 brachte eine Kollegin sie auf die Idee, für den Betriebsrat zu kandidieren. Sie wurde gewählt, doch erwies sich das Gremium als Domäne alteingesessener Männer, ein »Geheimhaltungs-Club«, wie Haase sagt. Die Belegschaft über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu informieren, galt als Tabu, die Interessen der Frauen am Band spielten überhaupt keine Rolle. Entnervt gab sie zum Ende der Amtszeit auf. »Vielleicht bin ich danach gereift«, sagt sie, um zu erklären, warum sie vier Jahre später einen zweiten Versuch unternahm und beschloss, sich von den Altgedienten nicht länger ausbremsen zu lassen. Als sie bei der Betriebsratswahl die mit Abstand meisten Stimmen bekam, kandidierte sie für den Vorsitz des Gremiums. Damit leitete bei Bahlsen nun erstmals eine Frau einen Betriebsrat. Doch mit der neuen Position kam gleich eine große erste Herausforderung auf Haase zu. Die Kolleginnen, die zum Teil jahrzehntelang Kekse in Schachteln und Kartons gepackt hatten, sollten im Jahr 2010 durch Maschinen ersetzt werden. Manuela Haases Vorschlag, die Frauen als Maschinenführerinnen zu qualifizieren, stieß auf Widerstand. »Die können das nicht«, so das Urteil der Werksleitung. Doch Haase verwies darauf, dass viele der
am Band arbeitenden Kolleginnen eine geeignete Berufsausbildung mitbrachten. Dennoch hatte Bahlsen sie in die unterste Lohngruppe A eingestuft, während sämtliche Männer mindestens zwei Stufen höher eingruppiert waren. Haase setzte durch, dass gemeinsam mit den Ingenieuren des Unternehmens ein Ausbildungsplan entwickelt wurde und ermutigte die Kolleginnen, daran teilzunehmen. Bald bedienten sie mehrere Automaten und Roboter, beseitigten Störungen und machten sogar Verbesserungsvorschläge für Arbeitsabläufe. Haase konfrontierte den Werksleiter mit den Ergebnissen. Und der Plan ging auf: Ihm blieb nun nichts anderes übrig, als sie den Männern gleichzustellen. »An anderen Standorten des Unternehmens wollen die Kolleginnen nun dasselbe erreichen«, sagt Haase, die inzwischen Gesamtbetriebsratsvorsitzende ist. Innerhalb ihres Unternehmens ist ihr Engagement richtungsweisend und gibt anderen Frauen Rückenwind. ◆
187,85 Euro mehr bekommen ihre Kolleginnen. Das ist Haases Verdienst.