Amnesty Journal März/April 2022

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KUNST AUF DEN PHILIPPINEN

Wenig aussprechen, viel sagen Seit fast sechs Jahren regiert auf den Philippinen Rodrigo Duterte. Die Tötungskommandos unter seiner Ägide haben die Bevölkerung größtenteils zum Verstummen gebracht. Aber zahlreiche Künstler_innen wollen sich nicht einschüchtern lassen. Von Felix Lill

E

in halbdunkler Raum, in dessen Mitte ein blauer Sessel steht. Während eine Frauenstimme von ihrem Vater erzählt, offenbart sich im Stoff der Lehne ein Einschussloch. Die junge Frau, die als Christine vorgestellt wird, beschreibt den Mann, der immer in diesem Sessel saß – bis er durch eine Kugel getötet wurde. Der Sessel des Vaters und die Erinnerung der Tochter wurden einige Zeit später Teil der Ausstellungsreihe Art Fair in Manila. Sie wurden zu Kunst. Und die Menschen in der philippinischen Hauptstadt sprachen über sie. Knapp vier Jahre sind seit der vieldiskutierten Installation von 2018 vergangen, doch der Künstler Carlo Gabuco ist sich sicher: Sie würde auch heute noch für viel Wirbel sorgen. »Wir hatten den Personen, die die Ausstellung besuchten, vorher keine Hinweise gegeben«, erinnert sich der Künstler aus Manila. »Sie sollten einfach nur den Raum betreten. Da begannen dann einige zu weinen.« Weil sie geahnt hätten, dass es sich nicht um Fiktion handelte. Die berichtende Christine ist eine echte Person, der ausgestellte Sessel gehörte wirklich ihrem Vater, er wurde tatsächlich erschossen. Die Umstände der Erschießung lassen sich auf den Philippinen aus dem politischen Kontext erschließen: Der Mann war Ziel eines der Tötungskommandos, die in den vergangenen sechs Jahren Tausende Menschen exekutiert haben. Den Opfern werden oft Drogenmissbrauch oder andere eher banale Rechtsbrüche vorgeworfen – was in dem südostasiatischen Land jedoch mittlerweile einem Todesurteil

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gleichkommt. Der seit 2016 regierende Rodrigo Duterte hatte vor seinem Amtsantritt nämlich genau dies versprochen: Er werde für Sicherheit sorgen, indem insbesondere Drogenabhängige erschossen würden. Dieser zivilisatorischen Katastrophe, die einer demokratischen Wahl folgte, sind nach Regierungsangaben inzwischen rund 5.000 Menschen zum Opfer gefallen. Verschiedene NGOs gehen jedoch eher von 20.000 Getöteten aus. Anfangs dienten vor allem Marginalisierte als Sündenböcke für Versäumnisse vorheriger Regierungen, die ihre Versprechen eines flächendeckenden Wohlstands, der Bekämpfung der Korruption und eines Lebens in Ruhe nicht eingehalten hatten. Mittlerweile sind aber längst auch Medien- und Kunstschaffende, Forschende und Oppositionelle ins Fadenkreuz der Duterte-Regierung geraten.

Abwertung von Menschenleben Installationen wie die von Carlo Gabuco, die wenig konkret aussprechen, aber vieles deutlich sagen, wären heute wohl noch heikler als im Jahr 2018. Das Werk mit dem Titel »Those Without Names« spielte darauf an, dass es viele Geschichten gibt, die der von Christine und ihrem Vater ähneln – und dass das grausame politische Klima auf den Philippinen dafür sorgt, dass die Todesopfer inzwischen keine Namen mehr haben, sondern nur noch Zahlen sind. Bereits der Titel kritisiert deutlich, wie die Regierung unter Duterte Menschenleben bewertet. Carlo Gabuco dokumentiert die staatliche Brutalität nicht nur in dieser Installation. Er malt auch Bilder und fotografiert für Magazine (u. a. für das Amnesty Journal) – das Motiv sind immer wieder

die Opfer. Der 40-Jährige gehört zu den bekannteren Künstler_innen auf den Philippinen, die sich mit den politischen Entwicklungen in ihrem Land auseinandersetzen. Der einzige ist er nicht. »Wir können uns manchmal mehr erlauben als Journalisten oder Politikerinnen, weil wir die Dinge nicht so klar benennen müssen«, sagt etwa Leni Velasco, die für das in der Kunstszene einflussreiche Kollektiv Dakila arbeitet. Sie organisiert zum Beispiel Filmfestivals in Schulen, um Kinder auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, und Ausstellungen in Museen und im digitalen Raum. Außerdem gibt es nach wie vor die Tradition, in regelmäßigen Abständen die politische Macht zu karikieren. Jedes Jahr am letzten Montag im Juli, wenn der Präsident seine »State of the Nation«-Rede hält, versammeln sich Kritiker_innen zu großen Demonstrationen auf den Straßen und halten eindeutige Transparente und Pappmascheefiguren in die Luft. Am 21. September, dem Gedenktag für die Opfer der Diktatur unter Ferdinand Marcos von 1972 bis 1986, gibt es ähnliche Aktionen. »Wir erstellen dafür immer Bildnisse von den Machthabern, die sie lächerlich machen«, erklärt Max Santiago, der als Karikaturist für philippinische Zeitungen arbeitet und dem sozialkritischen Künstlerkollektiv Ugatlahi angehört. In den vergangenen Jahren erschienen Figuren von

»Wir müssen einen Balanceakt schaffen, um nicht angreifbar zu sein.« Leni Velasco


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