UNTERNEHMERIN IN ÄGYPTEN
Die Toilette als Befreiung der Frau Nadia Wassef gründete den legendären Buchladen »Diwan« in Kairo. Er ist vor allem für Frauen zu einem Ort der Begegnung geworden. Darüber hat sie ein Buch geschrieben, das hilft, Ägypten besser zu verstehen. Von Waltraud Schwab
Nadia Wassef wurde dazu erzogen, über den Rand hinauszudenken. Foto: Basso Cannarsa / Opale / laif
N
adia Wassef zieht eine Tragetasche des Kairoer Buchladens Diwan aus dem Schrank hinter sich und hält sie vor die Kamera ihres Computers. Ein Sammelobjekt sei diese fast 20 Jahre alte Tasche mittlerweile. Darauf sind arabische und lateinische Buchstaben kalligrafisch zum Logo des Buchladens verschmolzen, den Wassef im Jahr 2001 zusammen mit ihrer Schwester und einer Freundin gründete. Gedichtsammlung bedeutet das aus dem Persischen stammende Wort »Diwan«, aber auch Sammlung, Versammlung, Treffpunkt, Sofa und Ort für Gäste, erklärt sie. Dass in diesem Wort sowohl Men-
64 AMNESTY JOURNAL | 02/2022
schen und Dinge wie auch die Poesie zusammenfinden, hat sich auch bei ihrem Unternehmen als treffend erwiesen – was Wassef und ihre Mitstreiterinnen damals bestenfalls ahnen konnten. Innerhalb kürzester Zeit habe sich der Buchladen zu einer »kulturellen Drehscheibe« entwickelt, erzählt sie. »Es gab damals keine öffentlichen Räume, wo man einfach sein konnte. Diwan war einer.« Vor allem für Frauen seien der Buchladen und das angeschlossene Café ein Gewinn. »In Kairo können Männer ungestört in Cafés sitzen, Frauen nicht.« Es gebe keine öffentlichen Toiletten in der Stadt. Männer könnten überall hinpinkeln, Frauen nirgends. »Das bedeutet doch: Du bist hier als Frau nicht willkommen. Du kannst hier nur kurz sein, und dann musst du zurück in deine Wohnung.« Im Diwan gibt es eine
Toilette für Frauen; das habe sich schnell herumgesprochen. Sie habe diese Zusammenhänge selbst erst verstanden, als sie sie erlebte. Manchmal sind es einfache Dinge, die die Befreiung der Frau voranbringen. Die 1974 in Kairo geborene Wassef ist eine lebhafte, leidenschaftliche Frau. Sie hält es kaum auf dem Stuhl aus, auf dem sie wegen des Videogesprächs wie festgenagelt sitzt. Sie lebt jetzt in London. Ägypten hat sie im Jahr 2015 verlassen, den Buchladen an Nachfolgerinnen übergeben. Das Magazin Forbes zählte sie mehrfach zu den wichtigsten Unternehmerinnen des Nahen Ostens, aber Wassef legt keinen Wert auf Superlative. Der Buchladen, der sich zu einer Kette mit zeitweise zehn Filialen und 150 Angestellten entwickelte, sei wie eine Beziehung gewesen,