Amnesty Journal März/April 2022

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Poetisch, anschmiegsam: Abiodun Oyewole öffnet sich solo der Schwarzen Musik. Foto: Vgbnd (CC BY-SA 3.0)

Urvater des Rap Abiodun Oyewole ist einer der Gründer der legendären Künstlergruppe The Last Poets. Sein Soloalbum »The Gratitude« setzt auf die Macht des Wortes gegen Rassismus und Polizeigewalt. Von Thomas Winkler

D

er Tod stand am Beginn der Last Poets. Es war am 19. Mai 1968, dem Geburtstag des vier Jahre zuvor ermordeten Malcolm X, und wenige Wochen nach dem tödlichen Attentat auf Martin Luther King Jr., als ein paar junge, vollkommen unbekannte Dichter und ein Perkussionist im heutigen Marcus GarveyPark in Harlem auf eine Bühne gingen, um der ihrer wichtigsten Persönlichkeiten beraubten Schwarzen Bürgerrechtsbewegung neue Stimmen zu geben. Abiodun Oyewole, heute 74 Jahre alt, wird oft gefragt, wie das damals war, als

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er und die anderen The Last Poets gründeten. Er lächelt dann milde, sagt, dass das Gedicht, das er an diesem Abend vortrug, fürchterlich schlecht und sie alle ganz schön großspurig gewesen seien. Er erzählt von den Black Panthers und der Gewalt, die auf den US-amerikanischen Straßen herrschte, von Diskriminierung und vom Kampf gegen sie, der bis heute nicht beendet ist. Der bescheidene Mann, der er heute ist, sagt nicht, dass dieser Abend auch der Anfang einer stilbildenden Künstlergruppe bedeutete: The Last Poets, deren einziges verbliebenes Gründungsmitglied Oyewole ist, gelten mit ihrer mitreißenden Fusion aus Reimen und Rhythmen heute als Urväter des Rap.

Selbst im Rentenalter hat Oyewole noch so viel zu sagen, dass es ihm nicht genügt, nur mit den Last Poets aufzutreten und alle paar Jahre eine neue Platte herauszubringen. Mit »Gratitude« veröffentlichte er nun endlich ein Soloalbum, an dem er knapp ein Jahrzehnt lang arbeitete. Die zwölf Tracks von »Gratitude« erweitern den puristischen Ansatz der Last Poets. Während die Band in Songs wie »Niggers Are Scared of Revolution« oder »America Is A Terrorist« vor allem auf die spartanische Kombination aus wohl formulierten Worten und frenetischen Trommeln setzte, nutzt Oyewole für seine Gedichte die ganze Palette der Black Music: Jazz, Soul, Funk, R&B, HipHop und Reggae schmiegen sich wie verliebt um die Verse, der legendäre Saxofonist Pharoah Sanders hat einen Gastauftritt neben jüngeren Vokalist_innen und Poet_innen. So schlägt »Gratitute« weniger eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart, sondern schreitet diesen langen Weg geduldig ab – und vollzieht so die Wandlung nach vom jungen, zornigen Last Poet, der glaubte allein mit der Kraft der Worte tatsächlich eine Revolution auslösen zu können, zum ergrauten Dichter, der zwar immer noch Rassismus und Polizeigewalt beklagen muss, aber vor allem die friedensstiftende Macht von Spiritualität und Selbstbefragung feiert. »Ich wollte den Finger an den Abzug legen, die Hände um einen fremden Hals, ich wollte den Funken legen, der die Revolution auslöst«, erinnert sich Oyewole, der kurz nach der Gründung der Last Poets eine längere Haftstrafe verbüßte, weil er Robin Hood spielen wollte und Ku-Klux-KlanMitglieder bestohlen hatte. Heute reimt er an einer Stelle: »Dies ist ein Gedicht, hör zu!« – ein Gedicht für alle Gedichte, die je geschrieben und mit denen die Poeten einen Teil ihrer Seele entblößt und ihre Gefühle mit der Welt geteilt hätten. Auf das, was er einst mit losgetreten hat, auf den HipHop von heute, blickt Oyewole dagegen skeptisch. »In der Welt des Rap gibt es viel dummes Zeug«, sagte er in einem Interview mit Blick auf den kommerziell erfolgreichen Gangsta-Rap, der zweifelhafte Werte transportiert. »Aber die Macht des Wortes ist immer noch groß, Worte können etwas verändern.« Dieser Glaube hat Abiodun Oyewole bis heute am Leben gehalten, vor allem von diesem Glauben lebt auch »Gratitude«. ◆ Abiodun Oyewole: »Gratitude« (Afar)


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