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Die wilde Natur

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Literatur

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Laurent Gorgerat

«Dieser östliche Teil Libyens ist sehr gebirgig, waldreich und hat viele grosse, wilde Tiere. Dort gibt es Riesenschlangen, Löwen, Elefanten, Bären, Giftschlangen, Esel mit Hörnern, Leute mit Hundsköpfen und Menschen ohne Kopf mit den Augen auf der Brust, ferner wilde Männer und Frauen und dazu zahlreiche Tiere, die nicht Fabelwesen sind.»

Herodot, «Historien» 4, 192 (um 450 v. Chr.)

In allen antiken Kulturen sah sich der Mensch als Teil seiner Umwelt. Wo ist sein Platz und wie ist sein Verhältnis zu anderen Lebewesen? Diese Fragen scheinen besonders die Menschen Griechenlands im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. beschäftigt zu haben. Es war gerade die Zeit, in der – nach einem längeren Unterbruch – wieder aus vereinzelten Streusiedlungen eine städtische Kultur entstand. Städte bildeten für ihre Bewohner einen geschützten Lebensraum, und das nahe Umland mit den bebauten Feldern lieferte die nötigen Ressourcen. Als Gegenpol dieser vom Menschen dominierten Welt stand die wilde Natur, die mit gefährlichen Tieren eine besondere Bedrohung darstellte. Raubkatzen, Bären und Wildschweine konnten nicht nur eine direkte, konkrete Gefahr für die Menschen sein, sondern durch die Verwüstung der Äcker auch deren Lebensgrundlage vernichten. Die Darstellung wilder Tiere diente in erster Linie dazu, die Natur als gefährliche Zone zu definieren, gegen die sich die Menschen abgrenzen und schützen mussten. Somit wurde auch die existenzielle Notwendigkeit aufgezeigt, in einem städtischen Rahmen zu leben.

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