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Erinnerung: Der schneereiche Winter 1950/51
from ERKER 02 2021
by Der Erker
Der schneereiche Winter 1950/51
Luis Palla aus Gasteig, 85, der in Wiesen aufgewachsen ist, erinnert sich an den schneereichen Winter 1950/51.
Am 20. Jänner 1951 – ich zählte damals 15 Jahre – machte Regen den vielen Schnee sehr schwer, sodass die Dächer mehrerer, besonders älterer Häuser, abgeschaufelt werden mussten, um einen Dacheinsturz zu vermeiden. In Wiesen standen damals noch einige Häuser mit Schindeldächern, an denen der Schnee förmlich klebte. Mein Ziehbruder Theo Andersag (1928 – 2014) und ich wurden dringendst ersucht, den Dachstuhl beim alten Rieplhof in der Hinteren Gasse von der Schneelast zu befreien, was uns nach mühevollen Stunden auch gelang. Im Hof gab es damals noch eine rußgeschwärzte Küche, in der an der Decke die Speckseiten zum Selchen hingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Gebäude der Familie eines Kriegsinvaliden als Wohnung, 1953 musste es einem stattlichen Neubau weichen. Der neue Rieplhof beherbergte ab 1958 die viel besuchte Haushaltungsschule; zahlreiche Mädchen erhielten in der hauswirtschaftlichen Winterschule eine gediegene Ausbildung für ihr späteres Leben als Bäuerin und Mutter. Heute bewohnt und bewirtschaftet Erich Tratter mit seiner Familie den Hof. Am Nachmittag des 20. Jänner 1951 halfen wir mit einigen anderen, das Dach von Archer in Tulfer vom nassen Schnee freizuschaufeln. Danach gab es für alle ein üppiges Mahl in der heimeligen Bauernstube. Der stattliche Hof wurde 1288 urkundlich erwähnt als „Ein hof zem Aeriche“ und zinste dem Heiliggeist-Spital in Sterzing sechs Gulden, zwei Hühner, 20 Eier und zwei Star Futter. 1913 kaufte Peter Eller (Wasteler) aus Jaufental den Hof und übersiedelte nach Tulfer. Bei meinem Heimathaus, beim Schuster in Oberwiesen, knackten ein bisschen die Dachbalken. Das auffallend große Haus wurde erst um 1880 erbaut. Vom Ziegeldach rutschte zum Glück der Großteil des Nassschnees herunter, sodass das Dach keinen Schaden nahm. Der gewaltige Schneeberg im angrenzenden Garten aperte erst im Juni aus. Auf der steilen Tennenbrücke konnten sich die Kinder wochenlang beim Rodeln vergnügen. Vom „Plonk-Lahner“ gleich unter dem Saun, dem Wiesner Hausberg, löste sich eine gewaltige Lawine, die durch den Gulisgraben zu Tal donnerte und den Graben mit Schnee füllte. Bauern, die ihr Brennholz bereit gemacht hatten, ersparten sich beim Holztreiben viel Kraft und Zeit, weil die Baumstämme auf der Lawine schnell zu Tal sausten. Die Talstraße zwischen dem Archerhof und Afens verlegte eine große Lawine von den Afner Mahdern herunter. Es gab damals noch keine Bagger und so musste mit Pickel und Schaufel gearbeitet werden, um die Verbindung zum
Schneemassen der Hofer-Alm-Lawine vor dem Oachnerhof in Tulfer
Das Witzhaus in Kematen mit dem eingebauten Trautsonturm Hochtal wieder herstellen zu können. Im Hochtal flehten am Sebastianitag in der Nikolauskirche zahlreiche Menschen zu Gott, dass er sie vor Naturgewalten, insbesondere vor Lawinen, bewahre. Da hörten sie plötzlich lautes Brausen und Getöse einer Lawine, die vom nordseitigen Hang losbrach. Sie riss beim Hatzlhof, dem obersten Bauernhof des Dorfes, die Dreschtenne, den Backofen und die Mühle fort, deckte das Wirtshaus ab, beschädigte das Mesnerhaus und richtete beim Witzhaus großen Schaden an. Letzteres beherbergte den Trautsonturm, der größtenteils zerstört wurde. Auf den Mauerresten entstand ein neues Gebäude mit den nahezu 2 m dicken Mauern des Turms. Ein Damm oberhalb des Hauses bietet nun Schutz vor Lawinen. Das Witzhaus war bereits 1827 durch eine Lawine stark beschädigt worden. In Tulfer gingen oft von der südseitigen Hofer Alm und dem angrenzenden Höllenkragen Lawinen nieder, die meist die gesamte Fläche zwischen Penzbühel, Oachnerhof und Oachnerkreuz in Untertulfer mit Schneemassen bedeckten. 1951 musste die Familie des Franz Marginter den Oachnerhof verlassen und fand mit drei kleinen Mädchen beim Broslhof in Wiesen, auch „Eggertunige“ genannt, Unterkunft. Da wie durch ein Wunder keine Lawine abging, konnte die Familie nach zwei Monaten wieder in ihr Heimathaus zurückkehren. Bei früheren Lawinenabgängen waren die Schneemassen erst knapp vor der Haustür zum Stehen gekommen, wo sie sich hoch auftürmten. Um ins Freie zu kommen, mussten in den festen Schnee Stufen geschlagen werden. Am Brenner brauchte die Eisenbahnverwaltung im Winter 1951 Schneeschaufler, um die Bahngleise vom Schnee zu befreien. Einige Tage arbeitete ich dort mit Pickel und Schaufel und machte vor allem mit dem kalten Brennerwind Bekanntschaft. Mit großer Genugtuung steckte ich den begehrten Lohn ein, denn zum ersten Mal hatte ich mit meiner Hände Arbeit eine bescheidene Geldsumme verdient.