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BAUKADER 10 | 2020 09
Schwerpunkt:
SICHERHEIT
«Fernando
ist runtergefallen,
komm schnell!» Trotz Sicherheitsbriefing und höchster Vorsicht: Unfälle sind schnell passiert, das kann Patric Schulthess Polier bei ERNE bestätigen. Im Oktober 2017 musste er selbst erleben wie einer seiner Vertrauensmänner von einem Schalungselement stürzte. Text und Foto: Anita Bucher
«Es war der 15. Oktober, daran erinnere ich mich noch genau. Wir haben in Niederwil einen Schulhaus-Anbau neu gebaut und waren mit einem Team von 10 Leuten vor Ort. Wir waren daran im 3. Stock die Sichtbetonwände zuzuschalen. Ich selbst war zwei Stöcke weiter unten, wo wir noch eine AulaDecke am Schalen waren. Dann plötzlich schrie irgendwer: Patrick chumm Fernando abegheit. Das war kein schöner Moment.» Was war passiert? Im dritten Obergeschoss wollten meine Männer ein Sichtbeton-Schaltungs-Element von 3,5 Metern Höhe montieren, aber es klemmte. Fernando hat es dann mit dem Hebeisen versucht reinzudrücken. Dazu stellte er das Hebeisen an eine betonierte Kante an. Da brach der Beton ab und er verlor das Gleichgewicht. Fernando fiel kopfvoran 3,5 Meter auf den Boden. Auf halbem Weg blieb er mit der Achsel an einem Richtspriess hängen, dies bremste den Aufprall etwas. Dennoch schlug er mit dem Hinterkopf auf der Betonwand auf und hatte eine riesige Wunde am Hinterkopf. Ich wählte sofort die 144, informierte meinen Bauführer und das HR. In solchen Fällen ist bei ERNE genau definiert, was getan werden muss. Innert Minuten waren Notarzt und Polizei
auf Platz. Für die Bergung aus dem 3. OG musste dann noch die Feuerwehr mit einer entsprechenden Leiter aufgeboten werden. Fernando war zum Glück ansprechbar. Hätte ich das verhindern können? Diese Frage stellte ich mir am Abend dieses Tages immer wieder. Aber schlussendlich wusste ich, dass ich alles richtig gemacht habe. Jeden Morgen mache ich mit meinem Team eine Toolbox, verteile die Arbeiten, definiere die Ziele und weise auf die Gefahren hin. Fernando wusste, dass er beim Schalungselement zuerst ein Gegengeländer hätte montieren sollen. Er tat es nicht, weil er Zeit sparen wollte und die Situation als nicht gefährlich einstufte, das sagte er auch aus. Drei Mal wurde Fernando von der Polizei einvernommen. Gleichzeitig wurde auch gegen Patric Schulthess ermittelt. Als Baukader Mitglied wandte er sich an den Rechtsdienst von Baukader Schweiz und bekam einen Anwalt vermittelt, der ihn künftig vertreten würde. Lange Heilung und viel Zeit zum Nachdenken Beim Sturz hatte sich Fernando mehrere Rippen und das Brustbein gebrochen. Dazu kam eine riesige Platzwunde am Kopf und eine angerissene Schultermuskulatur. Drei Wochen lang musste er im Spital bleiben. Patric Schulthess besuchte ihn bereits kurz nach dem Unglück. Die Rehabilitation und eine spätere Schulter-Operation brauchten viel Zeit. Ein Jahr lang musste Fernando der Arbeit fernbleiben. Heute steht er wieder auf der Baustelle im Team von Patric Schulthess. Zum Glück sagt dieser. Denn Fernando ist einer seiner besten Männer.
Kein juristisches Nachspiel Der Unfall von Fernando wurde alsbald als Selbstverschulden deklariert, dies auch darum, weil dieser sich klar so äusserte. Patric Schulthess konnte aufgrund der Toolbox zudem belegen, dass er seine Leute zur Einhaltung der Sicherheitsvorschriften entsprechend gebrieft hatte ein Gegengeländer zu erstellen. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt. Aus dem Unfall lernen? «Wir sind alle mit einem blauen Auge davongekommen», sagt Schulthess heute. Fernando sei zudem vorsichtiger geworden, setzt er noch hinzu. Sich selbst sieht er in seinem Vorgehen bestätigt: «Wenn ein Unfall passiert, muss man sich als Polier 100%ig sicher sein, dass man alles getan hat, was notwendig ist. – Kein Geländer darf kurzfristig weggelassen werden, weil es schnell gehen soll. Sonst bist Du nicht nur vor dem Richter haftbar, sondern auch vor Deinem eigenen Gewissen. Nach dem Unfall fühle ich mich erst recht bestätigt, dass unser Vorgehen mit Toolbox und Sicherheitsbriefing am Morgen das richtige ist.»
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