Behörden Spiegel Juni 2022

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Europäischer Polizeikongress

Behörden Spiegel / Juni 2022

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iele Straftaten spielen sich digital ab. Zudem ist ein großer Teil der Ermittlungsarbeit eine Suche in Facebook-Profilen, Bildern, Videos, Audio-Dateien und Chatprotokollen. Deshalb ist das wohl größte Problem der Digitalisierung die schiere Menge an Daten, mit denen die Behörden klarkommen müssen. “Wie sollen wir uns ohne Künstliche Intelligenz einen Reim auf diese Datenmenge machen?”, fragte Irakli Beridze. Der Leiter des Zentrums für Künstliche Intelligenz und Robotik beim Interregionalen Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für Kriminalität und Rechtspflege (UNICRI) spricht damit eine Kerntechnologie moderner Polizeiarbeit an. Er ist überzeugt, dass der Einsatz nötig, aber auch ethisch vertretbar sei. Für das Jahresende kündigte er gleich ein Handbuch an, wie man KI auf eine Weise nutzen könne, die mit den Menschenrechten vereinbar sei.

KI zum Zwecke der Gesichtserkennung Lea Wedekind von Europol stimmte Beridze zu: “Moderne Technologie und KI sind eine Voraussetzung für moderne Polizeiarbeit. Wir sehen KI aber nicht als Allheilmittel, sondern als ein Hilfsmittel, ohne das wir bei Big Data aufgeschmissen wären.” “Ein Abgleich von Bildern ist Standard. Ohne würden wir der Arbeit gar nicht Herr werden”, erklärte Wedekind. Die Polizei nutze KI, um zum Beispiel Personen auf Fahndungsfotos zu identifizieren. Wenn der Algorithmus zum Beispiel Gemeinsamkeiten mit einem Facebook-Profilfoto entdecke, könne die Polizei so den Namen einer gesuchten Person herausfinden. Dennoch dürfe die Polizei auch dieses Werkzeug nicht in jedem Kontext einsetzen, schränkte sie ein. Zum Beispiel werde es

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Daten- oder Täterschutz? Der Rechtsstaat und die digitale Transformation der Polizei

unterschiedliche User Interfaces haben, solange es Schnittstellen gibt und die Daten insgesamt gleich sind.”

Rechtsstaat oder schon Täterschutz? (BS/Benjamin Hilbricht) Einmal angenommen, die Sicherheitsbehörden hätten Geld wie Heu und unbeschränkte Befugnisse. Welche Geräte und

Programme würde sie einkaufen, welche Technologien würde sie nutzen? Vermutlich wären die Polizeien nicht wiederzuerkennen. Schon jetzt ist Trotzdem frustrieren all diese technisch weit mehr möglich, als die Behörden einsetzen dürfen. Künstliche Intelligenz (KI), Vorratsdatenspeicherung, Fingerabdruck-Scan per Einschränkungen viele in den Smartphone und Live-Gesichtserkennung sind nur einige Beispiele. Das meiste davon ist jedoch rechtlich und ethisch umstritten. Sicherheitsbehörden. Wann

Expertinnen und Experten diskutieren auf dem 25. Europäischen Polizeikongress darüber, welche digitalen Mittel die Polizei künftig einsetzen soll: Lea Wedekind (Europol), Thomas Striethörster (Moderator), Irakli Beridze (UNICRI) und Guido Brockmann (eu-LISA) (v.l.n.r.). Fotos: BS/Trenkel

eine Live-Gesichtserkennung in der EU nicht geben. Technisch gesehen wäre es möglich, die Gesichter von Bürgerinnen und Bürgern mit einer Datenbank abzugleichen, während sie sich im öffentlichen Raum bewegten. Voraussetzung sei erstens, dass sie dabei gefilmt würden. Zweitens müsse die Polizei KI mit den Daten füttern. Diese Maschine gleiche dann riesige Datenmengen miteinander ab und identifiziere die gefilmten Personen. Doch für Live-Gesichtserkennung fehle die rechtliche Grundlage, sagte Wedekind. Außerdem gilt das Verfahren als nicht ethisch. “Da kommen Erinnerungen an einen gewissen Roman von Orwell auf”, kommentiert Guido

Brockmann, Leiter Product Management bei der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (eu-LISA). Im Roman “1984” von George Orwell überwacht der Staat seine Bürger überall mit Kameras und Mikrofonen.

Biometrische Datenbanken für Europol Allerdings entwickelt und implementiert eu-LISA die IT-Systeme für EU-Sicherheitsbehörden wie Europol und Frontex. Zu diesen Systemen zählen unter anderem das “Shared Biometric Matching System”. Darin werden die biometrischen Daten von Menschen

“Der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er die Organe, die das Recht durchsetzen, auch selbst an das Recht bindet”, sagte Manuel Höferlin (FDP).

gespeichert, die aus Drittstaaten in die EU einreisen. Mittels solcher Datenbanken wollen die europäischen Sicherheitsbehörden Kriminelle identifizieren, die keine EU-Bürger sind. Auch solche Datenbanken wecken bei Gegnern die Erinnerung an Orwell. Aber das sind europäische Projekte. Daneben stehen auch typisch deutsche Probleme. Es gibt 16 Polizeien, eine Bundespolizei und so weiter und so fort. Gerade im Bereich IT-Sicherheit fordern Expertinnen und Experten schon seit Jahren eine stärkere Zen­ tralisierung. Doch dem steht der deutsche Föderalismus entgegen. Der ist in der Verfassung verankert, denn die Sicherheitskompetenz wollten die Autoren des

Grundgesetzes nach den Erfahrungen des Dritten Reichs nicht mehr beim Zentralstaat bündeln. “Aus IT-ProjektmanagementSicht ist das eine große Herausforderung”, gibt Manuel Höferlin, Innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zu. “Aber es ist auch lösbar – wenn alle mitmachen wollen.” Es gebe verschiedene Wege zum Ziel. Vielleicht könnten alle Polizeien unterschiedliche Versionen derselben Systeme benutzen. Höferlin erklärte: Wenn die Polizeien nicht dasselbe System nutzen wollten, dann müssten sie zumindest dafür sorgen, dass sie Daten austauschen könnten. “Dann spielt es am Ende keine Rolle, ob die Landesbehörden

immer die Sprache auf rechtliche Beschränkungen bei der polizeilichen Nutzung gewisser Technologien kam, grummelte es irgendwo im Saal beim Europäischen Polizeikongress. Die Frage steht im Raum: Ist das noch Rechtsstaat und Datensicherheit oder schon Täterschutz? “Ich denke, dass der Weg der EU, bei dem der Mensch im Zentrum steht, der richtige Weg ist”, antwortete Beridze. Yves Rolland, Programm-Berater für Polizeiangelegenheiten beim Direktorat für allgemeine Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit beim Europäischen Rat, stimmte ihm zu. Doch bei manchen EU-Staaten sei die Lage besser als bei anderen. “Wir sind nicht alle auf demselben Level, soweit es Polizeiarbeit betrifft.” Denn in einigen EUStaaten würden Menschenrechte und Datenschutz längst nicht so genau genommen wie in Deutschland oder Frankreich. Ein Punkt, den Rolland sehr kritisch sieht.

Können und dürfen Natürlich verbieten weder die EU noch der deutsche Staat den Sicherheitsorganen alle Tools, die sie haben wollen. Aber manchmal darf die Polizei Mittel nicht einsetzen, die technisch durchaus im Bereich des Möglichen lägen. Können und dürfen fallen dabei auseinander. Das habe einen guten Grund, erklärt Höferlin: “Der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er die Organe, die das Recht durchsetzen, auch selbst an das Recht bindet”, unterstreicht der FDP-Politiker aus dem Deutschen Bundestag.

Aktualität fehlt

Smart ohne Papier

Polizeiliche Kriminalstatistik bald in Echtzeit?

Human Error wird vermieden

(BS/bhi) “Für die heutige Situation ist das polizeiliche Lagebild zur Kriminalität nicht mehr aktuell genug”, kritisiert Udo Littke, CEO bei Atos Deutschland. Verbrechen sei schnell geworden, insbesondere im CyberRaum ändere sich die Lage minütlich. Statt einer Statistik einmal im Jahr schlägt er ein Echtzeitlagebild vor, bei dem Realdaten eingebunden werden.

(BS/sp) Geschäftsabschlüsse digital durchzuführen, hat einige Vorteile. So könne eine Automatisierung der Prozesse vorgenommen werden und es sei keine Papier- oder Formulararbeit notwendig, erklärt Mario Hempel, Director Sales Development Public Sector von Bechtle, auf dem Europäischen Polizeikongress. Auch andere “smarte” Ansätze wurden diskutiert.

Jürgen Schomakers, Managing Partner bei Esri, spricht von der “Wissenschaft des Wo”. Alles spiele sich irgendwo ab: sogar Cyber-Verbrechen. Die Polizei könne Karten mit Informationen zur Verbrechensbekämpfung kombinieren. Beispielsweise habe seine Firma Corona-Infektionen auf einer Deutschland-Karte visualisiert. Diese seien täglich mit den Meldungen des Robert Koch-Instituts (RKI) aktualisiert worden. So sei ein Echtzeit-Lagebild entstanden. Littke macht folgenden Vorschlag: Eine Karte, auf der sowohl die Verbrechen gemeldet würden als auch Live-Bilder von Überwachungskameras vor Ort per Mausklick verfügbar seien. Daneben gebe es noch andere Arten von Daten, die für die Verbrechensverfolgung interessant seien. Die Polizei könne Geodaten, Drohnenflugbilder, Videos von Überwachungskameras und Daten von IT-Sensoren alle in eine Applikation einbinden. Zudem

Die Rede ist von Smart Contracts. Sie seien eine kostengünstige Option zum Abschluss von Geschäftsprozessen, bei denen kein Zwischenhändler nötig sei und die auch kostengünstiger durchgeführt werden könnten. Üblicherweise würden sie verwendet, um die rechtsgültige Abwicklung eines Vertrages zu automatisieren. Dabei entfielen die Papier- und Formulararbeit. Eine Anwendungsoption sei beispielsweise die Zulassung von Kraftfahrzeugen, so Hempel. Oft seien Smart Contracts so ausgelegt, dass sie automatisch in Kraft träten, etwa wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien. Dabei sei keine menschliche Unterstützung notwendig – womit damit auch eine häufige Fehlerquelle vermieden werde, erklärte der Firmenvertreter von Bechtle. Andere Digitalansätze sah der IT-Experte zwiegespalten. Hempel kritisierte den Ansatz der selbstbestimmten Identität (Selfsovereign Identity) wie den des

Jürgen Schomakers (l.), Managing Partner bei Esri, und Udo Littke (r.), CEO bei Atos Deutschland, forderten noch mehr Digitalisierung. Foto: BS/Trenkel

seien öffentlich zugängliche Informationen wie Flug-, Verkehrsund Wetterdaten interessant für die Verbrechensbekämpfung. Wenn die Beamten all das in einer

Karten-Applikation bündelten, entstehe ein wirklich umfassendes Lagebild der Kriminalität, betonte der Wirtschaftsvertreter Udo Littke.

Mario Hempel, Director Sales Development Public Sector von Bechtle, erklärt die Vorteile der Smart Contracts. Foto: BS/Trenkel

Online-Ausweises des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI). Er sei zwar im Ansatz richtig, käme jedoch zu spät, um staatliche Souveränität sicherzustellen. Ferner fehle

“Design by Security”, also dass darauf geachtet werde, bei der Entwicklung der Software die ITSicherheit vollends mitzudenken, bemängelte Hempel. Es bleibt also noch einiges zu tun.


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