Behörden Spiegel Juni 2022

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Verteidigung

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Behörden Spiegel: Sind Sie zufrieden mit dem Grad an Digitalisierung im Heer? Pieper: Aktuell? Nein! Wie könnte ich auch? Denn digital plus dnalog ergibt immer noch dnalog. Und das spiegelt unsere derzeitige Situation vor allem im Bereich der Übertragung wider. Unsere Funkgeräte haben 40 Jahre auf dem Buckel. Sie setzen gerade mal 16 Kbit um. Und das auch nur, wenn nicht gleichzeitig gefunkt wird. Unsere Gefechtsstandtechnik ist veraltet. Neue Systeme wie die Zellularen Netze Verlegefähig leiden noch unter Kinderkrankheiten. Die Themen Datenhaltung, Datenverarbeitung von Big Data, korrespondierende Fabric- und Analytics-Ansätze verzeichnen weitgehend Fehlanzeige. Das Projekt GMN 1, welches dieses Thema zumindest im Ansatz für die verlegefähige Ebene lösen soll, stolpert so vor sich hin, dass wir es nicht vor Ende der Dekade sehen werden. Und von dem eigentlich erforderlichen ganzheitlichen, über alle Ebenen und Dimensionen hinweg durchgängigen Shared Information Space im Sinne eines Defence-Cloud-Ansatzes möchte ich gar nicht erst reden. Gemeinsam versuchen die Teilstreitkräfte mit dem Kommando CIR, hier die notwendigen Grundlagearbeiten zu machen. Aber keiner von uns ist personell für dieses Mega- bzw. Meta-Thema aufgestellt. Behörden Spiegel: Was fehlt? Pieper: Jetzt könnte ich ja noch mal auf die eben gegebene Antwort verweisen. Doch wenn man den Blick etwas aufzieht, dann sind es wohl die erforderliche Schwerpunktsetzung und das richtige Bezugssystem. Oder mit anderen Worten das fehlende angemessene Big Picture. Und das ist in meinen Augen die Defence Cloud. Ein Thema, dass ministeriell noch gar nicht besetzt ist. Die Aufstellung von BMVg CIT mit Kommando CIR ist als Teil der zukunftsorientierten Schwerpunktsetzung definitiv der richtige Schritt. Top-Arbeit wird dort geleistet. Aber zum einen fehlt es einfach an der entsprechenden Dienstpostenausstattung, um das Gesamtthema angemessen zu bearbeiten. Zum anderen ist CIT genuin eher technikorientiert ausgerichtet. Doch Digitalisierung als Kernelement unseres

Umsetzung der Digitalisierung im Heer Shared Information Space über alle Ebenen und Dimensionen (BS) Am 6. Dezember 2018 gab der damalige Inspekteur Heer, General Jörg Vollmer, den Startschuss Digitalisierung für das deutsche Heer. 2019 folgte die Einrichtung der Funktion eines Chief Digital Officers im Kommando Heer mit einer entsprechenden Abteilung, in der Digitales und die klassische Führungsunterstützung zusammengefasst wurden. Der Behörden Spiegel sprach mit Brigadegeneral Frank Pieper, der seit Februar 2020 Chief Digital Officer für landbasierte Operationen im Kommando Heer ist. Die Fragen stellten Dorothee Frank und Reinhard Wolski. Umsetzung des Sondervermögens – und respektvoll sage ich: ein Stück weit der Devise “Kopf über Herz” folgend – Führungsfähigkeit und Digitalisierung massiv ins Geld gebracht haben. Und das ist dann durchaus tatsächlich eine Zeitenwende. Denn schon häufig in den letzten Dekaden wurden die Thema Führungsfähigkeit, Command and Control, NetOpFü, oder welcher Begriff gerade modern war, hoch priorisiert. Und dennoch bei der Verteilung der Gelder stets hinten eingereiht. Dieser Teufelskreis scheint jetzt durchbrochen.

“Zur Beschleunigung der Modernisierung im Heer soll noch vor dem Flächenrollout von D-LBO eine Basisdigitalisierung sichergestellt werden”,

Behörden Spiegel: Ich erinnere mich an Konzepte zur Vernetzten Operationsführung oder Versorgung der letzten Meile. Haben wir in der Digitalisierung ein Erkenntnis- oder ein Umsetzungsproblem? Pieper: Vernetzte Operationsführung bzw. NetOpFü steht als Begriff nach wie vor für das “so what?”. Also für das Ziel, welches mit einer Digitalisierung der Operationsführung auf allen Ebenen erreicht werden soll. Alle, die bereits vor gut 15 Jahren NetOpFü betrieben haben, waren absolut auf dem richtigen Track. Allein, es fehlte ein konkretes Projekt. Und so konnten sie NetOpFü nicht in Geld bringen bzw. über die berühmte planerische Ablauflinie schieben. Mit D-LBO setzen wir hier neu an. Getreu der Devise: Man verliert zwangsläufig ab und zu mal. Die Kunst ist es, das nicht zur Gewohnheit werden zu lassen. Heute wissen wir, dass die damals geplante Vernetzung nicht nur horizontal in einer Ebene erfolgen darf, sondern auch vertikal sein muss. Benötigt wird ein Defense Cloud Act, der die strategische über die verlegefähige mit der taktischen Ebene verbindet. Als gemeinsamer Datenraum, mit abgestimmten Ebenen und Qualitäten in der Datenhaltung, Datenbereitstellung und Datenverarbeitung. Mit harmonisierten Datenaustauschprotokollen. Und mit Algorithmen, die sowohl Pla-

Richtschütze im Schützenpanzer Puma. Der Puma ist das erste Großsystem, bei dem die Vernetzung mitgedacht wurde. Foto: BS/Bundeswehr, Maximilian Schulz

taktisch-operativen Denkens und Handelns, die Umsetzung ihres osmotischen, alle Handlungsfelder durchdringenden Charakters, erfordert die entsprechende DNA in unserem Kerngeschäft: Kampf. Aber irgendwer muss das Thema im Herzen tragen und integrativ umsetzen. Und das ist schwierig. Oft ist die umfassende und durchgängige Digitalisierung unseres Kerngeschäftes Kampf immer noch etwas “alongside to serious soldiering”. Weil es auch, dass muss ich zugeben, schwerer zu erklären ist als ein weiterer Panzer und seine direkt archaisch ableitbare Wertschöpfung. Aber ich will nicht nur schimpfen. Tatsache ist, dass das BMVg und die militärische Führung bei der

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nungsprozesse wie auch Split Second Decisions präzise unterstützen. Und während plattformbezogene oder gering skalierte Digitalisierung wie die Vernetzung von Aufklärungsdrohnen und Schützenpanzern beispielsweise breite Akzeptanz finden, ist der umfassende Ansatz, der auch mit den Begriffen All Domain oder Multi Domain Operations beschrieben werden kann, dann doch für viele “one step beyond future”. Und, um Ihre Frage zu beantworten: Für eine wirklich umfassende Digitalisierung ist sowohl ein Erkenntnis- als auch ein Umsetzungsproblem zu attestieren. Wobei man fairerweise sagen muss, dass wir viele grundlegende Ausrüstungslücken haben,

sagt Brigadegeneral Frank Pieper, Chief Digital Officer für landbasierte Operationen im Kommando Heer. Foto: BS/BWI, Pascal Villain

die zunächst einmal geschlossen werden müssen. Digitalisierung ist ja vornehmlich eine Frage der Qualität. Derzeit leiden die Landstreitkräfte aber vorrangig unter fehlender Quantität. Die Kunst ist es wohl, beide Stränge heute so aufzusetzen, dass sie bereits kurzfristig, d.h. bis 2025 intelligent ineinandergreifen. Behörden Spiegel: Wann wird die erste Brigade der Landstreitkräfte, einschließlich der Enabler, resilient mit sprach- und datenfähigen, verschlüsselten Funkgeräten für das Gefecht der Verbundenen Waffen ausgestattet sein? Pieper: Zeit für positive Botschaften. In einem Kraftakt haben Leitung und Führung der Bundeswehr angewiesen, dass im Sinne von Sofortmaßnahmen, die vorhandenen Landstreitkräfte, mit anderen Worten die vielzitierte Hoflage, mit einer Variante des Programms D-LBO ausgestattet werden. Arbeitsbegriff: D-LBO Basic. Dieser Ansatz stattet jede verfügbare und geeignete Plattform mit einem modernen Software Defined Radio, einem Kommunikationsserver auf dem unser CORE laufen wird sowie mit verbauten und/oder mobilen Endgeräten mit dem BMS als Bedienungsoberfläche aus. Damit stellen wir schon vor dem Flächenrollout von D-LBO eine Basisdigitalisierung sicher. Eine Basisdigitalisierung, die bereits in der Division 2025 komplett auf Divisionstruppen und drei Brigaden ausgerollt sein könnte. Damit wäre eine mehr als hinreichende und konkurrenzfähige Führungsfähigkeit der mobilen Ebene sichergestellt. Doch genau an dem Punkt Resilienz wird dann auch der Unterschied zum eigentlichen Programm D-LBO deutlich und unterstreicht dessen ungebrochene Bedeutung. D-LBO Basic stützt sich allein auf VHF/UHF ab. D-LBO in voller Ausprägung sieht bereits für die mobile Ebene die Nutzung von fünf unterschiedlichen Übertragungswegen vor. Wobei genau diese Redundanz der entscheidende Beitrag zur Resilienz ist. Die erste voll nach dem Programm D-LBO digitalisierte Brigade kann bei gutem Verlauf 2027 erreicht werden. Behörden Spiegel: Welche Erfahrungen hat die VJTF-Brigade einschließlich der Enabler, mit dem Battle Management System gemacht? Pieper: Grundsätzlich ausgezeichnete Erfahrungen. Die Nutzer sind überzeugt. Allein das

analoge Nadelöhr der Funkgeräte verhindert derzeit eine auch nur ansatzweise umfassende Nutzung des BMS. Wenn wir jedoch D-LBO Basic wie geplant an den Start bringen, dann werden wir 2025 mit der Kombination aus BMS, CORE und modernem Funkgerät ziemlich gut unterwegs sein. User Acceptance wird definitiv nicht unser Problem sein, da bin ich mir sicher.

Mega Con­stellations. Hier liegt meiner Ansicht nach die Zukunft punktgenauer Breitbandverbindungen. Behörden Spiegel: Welche dieser Projekte könnten in diesem Jahr noch angestoßen werden? Pieper: Da kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Noch kennt ja keiner den Wirt-

tigen. Als Beispiel sei das BMS genannt. Und hier schließt sich der Kreis. Während MGCS und FCAS schlagkräftig im BMVg vertreten sind und ihre Ideen pushen können, ist das koordinierende Element, welches sicherstellt, dass diese Entwicklungen technologisch harmonisiert laufen, schlichtweg nicht vorhanden. Ich habe dazu ja in einer der vorigen Fragen ausgeführt: Integration, beginnend mit den Architekturen und den konzeptionellen Ansätzen, ist decisive. Behörden Spiegel: Wer sind Ihre Ansprechpartner auf gleicher Ebene in den anderen militärischen Organisationsbereichen? Pieper: Die Digitalisierung Landbasierter Operationen organisieren wir über die AG Digitalisierung Land, in der alle Stakeholder vertreten sind. Das funktioniert gut bis ausgezeichnet. Für das Thema Multi Domain Battle haben sich die Stellvertreter der klassischen Teilstreitkräfte und Kommando CIR in einem Format zusammengefunden und versuchen, u. a. den operativ-taktischen Ansatz einer Defence Cloud zu etablieren. Ministeriell wird über unterschiedliche Formate, aber vor allem über das Steuerungspanel Digitalisierung ein Abgleich der Projekte und Vorhaben erreicht. Und auch wenn man mich für die jetzt folgende Aussage mit dem Gesicht nach unten begräbt: Ich glaube jedoch, dass wir hier externe Unterstützung und Beratung brauchen. Hier müssen Fachleute ran, die bereits globale Clouds betreiben und Fachleute, die schon Großunternehmen auf die digitale Schiene gesetzt haben – eventuell koordiniert über die BWI und die Bw Consulting. Das muss man sehen. Aber allein werden wir keine Defence Cloud designen und aufziehen können. Behörden Spiegel: Welche Lehren lassen sich aus dem Krieg in der Ukraine für die Digitalisierung des Heeres ziehen?

Die erfolgreiche Einführung eines Battle Management Systems ist ein gewaltiger Technologiesprung für die Soldatinnen und Soldaten. Foto: BS/Systematic

Behörden Spiegel: Welche weiteren großen Projekte finden aktuell statt? Pieper: Hier sind zwei Handlungsstränge zu betrachten. Zum einen sind wir dabei, die Division 2025 mit Brückenprojekten in Sachen Führungsfähigkeit schnell konkurrenzfähig zu machen. Das ist der Schwerpunkt. Denn nur reale Kräfte produzieren reale Abschreckung. Die Kunst ist es, die Realisierung der Zielsysteme dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Zielsysteme. das sind zum Beispiel die verlegefähigen und mobilen Rechenzentren, also GMN 1 und GMN 3. Das ist aber auch der dringend benötigte Richtfunk mit dem System TaWAN, Tactical Wide Area Network. Und das ist das Projekt Gefechtsstand Access Net, GAN. Des Weiteren laufen beim Kdo CIR Ergänzungsbeschaffungen und Verbesserungen im Projekt SatComBw Stufe 2, von denen wir stark profitieren. Noch nicht projektiert, aber ein Herzensthema, ist die Ausstattung der vorgezogenen Gefechtsstände von Division und Brigade mit D-LBO auf sogenannten Geschützten Beweglichen Führungseinrichtungen, kurz GBF. Damit würden wir das Gefecht aus Gefechtsständen heraus führen können, die während der Fahrt arbeitsbereit sind und keinerlei Auf- und Abbauzeiten mehr benötigen. So kann man jeden noch so schnellen OODA- Loop des Gegners unterlaufen. Was wir mit F&T jetzt zeitnah angehen müssen, ist das Thema Mikrosatelliten und

schaftsplan für das Sondervermögen. Was ich sagen kann, ist, dass D-LBO Basic noch dieses Jahr mit einer Auswahlentscheidung angeschoben wird. Verwiesen sei auch auf die laufenden Ausschreibungen im 1. Kräftedispositiv D-LBO sowie zum Soldatenfunkgerät VHF/UHF, die alle im Zeitplan sind. Da ist das BAAINBw richtig gut unterwegs. Und zuletzt bauen wir darauf, dass die von mir angesprochenen Hebel zur Sicherstellung der Führungsfähigkeit der Division 2025 Mitte 2022 so entschieden werden, dass über Ergänzungsbeschaffungen und das Ausschöpfen von Rahmenverträgen auch modernes Gerät wie das VS-Geheim fähige SVFuA ab 2023 vermehrt zuläuft. Behörden Spiegel: Parallel finden in anderen Bereichen ebenfalls Entwicklungen statt, beispielsweise eine Combat-Cloud im NGWS-Programm. Wie fließen die Erkenntnisse zusammen? Pieper: Das ist eine ausgezeichnete Frage zu einer äußerst komplexen Materie. Daher werde ich meine Antwort stark zuspitzen. Hier gilt es, vom richtigen Ende her auf das Problem zu schauen. Entscheidend wird es sein, dass die Zukunftsprojekte NGWS und FCAS, die echte Langläufer sind, nicht eigene disjunkte und pro­ prietäre Lösungen entwickeln, sondern vielmehr die jetzt im Rahmen der Digitalisierung aufgesetzten Korsettstangen in ihren Lösungen als Rahmenbedingungen setzen und diese berücksich-

Pieper: Unser Weg ist genau der richtige. Beschleunigung wird natürlich gern genommen. Und wenn Sie so wollen, ist D-LBO Basic genau ein Element dieser Beschleunigung. Was lehrt uns die Ukraine? Zunächst einmal die überragende Bedeutung von OSINT. Mit einer KI-gestützten Korrelation offener Quellen kann man mindestens ebenso gute Intelligence betreiben wie mit rein militärischen Sensoren. Und da bin ich wieder beim Thema Daten und KI. Wer in solchen Konflikten seine eigenen Daten nicht schnell und präzise mit OSINT-Daten korrelieren kann, gerät ins Hintertreffen. Was noch? Auf der anderen Seite zeigt die ukrainische Armee, wie man schon mit einer Teildigitalisierung bzw. Teilvernetzung unter Nutzung vor allem von UAV eine qualitativ und quantitativ überlegene Streitmacht bekämpfen kann. Millionenteures Großgerät, zerstört durch 100.000-Dollar- Drohnen. Das ist Realität und sollte uns in der Ausrichtung unserer Streitkräfte zu denken geben. Nun ist es offensichtlich, dass die Russen einen Großteil ihres Hightech-Geräts und ihre digitalisierten Kräfte in der Ukraine nicht einsetzen. Daher warne ich vor vorschnellen Schlüssen bezogen auf unsere technologische Überlegenheit. Dennoch zeigt der Krieg, dass Führung, Command und Control modern und digitalisiert sein müssen. Die Russen sind schwerfällig in der Operationsführung, u. a. auch deshalb, weil sie ihre Gefechtsstände viel zu langsam verlegen können und viel zu unbeweglich sind. Ceterum censeo: Wir brauchen mobile Gefechtsstände, um nicht im Fall der Fälle die gleichen Effekte zu haben!


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