BIORAMA 78 – Deutschlandausgabe

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ALL THEY CAN DRINK TEXT Thomas Weber

Mutterkuhhaltung eine Form der extensiven Fleischproduktion, oft ohne nennenswerten Kraftfuttereinsatz. Kühe werden nicht gemolken, sondern ziehen auf Grünland Kälber groß, deren Fleisch im ­Jungrindalter (6 bis 12 Monate) vermarktet wird.

E

s ist immer die gleiche Antwort, die Viktoria Hofbauer hört, wenn sie Gäste an den Elektrozaun führt. »Und«, hat sie gefragt, »fällt euch hier am Hof irgendetwas Besonderes auf?«. Es gibt BesucherInnen, die sehen sich erst suchend um, bevor sie etwas sagen; dann fällt ihre Antwort vielleicht zaghafter aus, ist aber doch auch eindeutig: »Nein.« Dabei weidet vor ihren Augen ein Dutzend Milchkühe, einige davon mit einem Kalb an ihrer Seite, am Euter trinkend. Genau dafür möchte die Biobäuerin den Blick schärfen. Denn genau das ist bemerkenswert und besonders an ihrem Weinviertler »Milch.KASino«, einem Hof, den sie gemeinsam mit ihrem Mann Gottfried bewirtschaftet. Fast alle Gäste stellen sich einen Bauernhof wie aus dem Bilderbuch vor. Deshalb scheint es ihnen völlig selbstverständlich, Kuh und Kalb gemeinsam im Herdenverband zu sehen. Mit der gängigen Praxis hat diese Vorstellung allerdings nur in den seltensten Fällen zu tun. Denn in der modernen Milchviehhaltung werden die Kälber bereits kurze Zeit nach der Geburt von ih-

ren Müttern getrennt. Einerseits verhindert das, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind zu innig wird. Findet die Trennung erst nach einigen Tagen statt, bedeutet das Stress für Kuh, Kalb und LandwirtIn. Wer einmal gehört hat, wie eine Kuh um das ihr weggenommene Kalb schreit, wird das Brüllen, das über Tage gehen kann, nie vergessen. Sogar abgebrühte Bäuerinnen und Bauern empfinden das oft als belastend. Andererseits soll die Kuh möglichst schnell wieder viel Milch geben – und zwar nicht ihrem Kalb, sondern dem Melkroboter. In der intensiven Milchwirtschaft werden Kälber ohnehin nur geboren, weil sonst irgendwann der Milchfluss der Mutter versiegt. Männliche Kälber, die später nicht selbst als Milchmaschinen zu gebrauchen sind, gelten oft regelrecht als Abfall. Gerade bei Rinderrassen, die einseitig auf hohe Milchleistung hingezüchtet sind, ist auch die Mast zur Fleischproduktion unwirtschaftlich. Viktoria Hofbauer und Gottfried Rögner halten Fleckvieh, eine Rasse, die sowohl nennenswert Fleisch ansetzt als auch viel Milch gibt.

BILD FA MILIE KURZ

Milch, Butter, Käse und Fleisch werden in Zukunft häufiger mit dem Hinweis auf »muttergebundene Kälberaufzucht« vermarktet werden.


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