Buchhandlung Heymann | BuchSzene 1 / 2022

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LITERATUR

Der Geschmack von Freiheit

In ihrer zärtlich-stürmischen Familiensaga Die Ungeduldigen schickt Véronique Olmi drei lebenshungrige Schwestern ins pulsierende Paris der Siebziger Mit elf Jahren lebt Hélène in zwei Welten. Während der Schulzeit wohnt sie mit ihrer Familie im katholischen Aix-en-Provence. Alle Ferien verbringt sie in Neuilly nahe Paris bei der Familie ihres Onkels. Da der reiche Bruder ihres Vaters statt der ersehnten Tochter Söhne bekam, überschüttet er seine Nichte mit Luxus – und Liebe. Für Hélène ist das ein Balanceakt. Auch wenn sie ihr zweites Leben gelegentlich genießt, schätzt sie ihren vertrauten „Platz in der Töchterreihe“ zu Hause: „zwischen Sabine, der Ältesten, und Mariette, der Jüngsten, den Mittelplatz, der ihr Halt gab, als läge sie zwischen ihren Schwestern in einem schmalen Bett, geschützt von dieser Enge“.

„In leichtem Ton und wie nebenbei stellt Véronique Olmi die Fragen einer ganzen Generation.“

Véronique Olmi ist ausgebildete Schauspielerin und wurde in ihrer Heimat Frankreich für ihre Arbeit als Dramatikerin vielfach ausgezeichnet. Ihre in zahlreiche Sprachen übersetzten Theaterstücke werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgeführt, und ihre Romane stehen regelmäßig auf internationalen Bestsellerlisten. 1962 in Nizza geboren, lebt sie heute mit ihren beiden Kindern in Paris.

Olmi, Véronique Die Ungeduldigen 488 S., 24,00 € eBook 16,99 € Aufbau

Sabine leidet unter ebendieser Enge im einfachen Elternhaus – und in der Provinz: Obwohl die Schulleiterin seit Mai 1968 montags nicht mehr die Namen der Schülerinnen an die Tafel schreibt, die sie am Wochenende mit einem Jungen gesehen hat, bleibt diese Welt geprägt von Engstirnigkeit und Ignoranz. Sie beneidet Mädchen in der Stadt, „denen alles stand, nicht nur die Kleider, sondern auch das Dasein, ein ausgewähltes, mit Anmut getragenes Leben“. Und schon bald werden alle drei Schwestern vom Lebenshunger erfasst: Inspiriert von Simone de Beauvoir, Gisèle Halimi und der

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Forderung nach weiblicher Selbstbestimmung stürzen sie sich ins Paris der wilden Siebziger, mitten hinein in die stürmische Zeit des Protests, der freien Liebe und des Feminismus. Hélène, Sabine und Mariette wirbeln durch einen gesellschaftlichen Umbruch, der uns bis heute nachhaltig prägt. Die Ungeduldigen verzaubert durch abenteuerlustige Heldinnen und tiefgründige Leichtigkeit. Beim Lesen von Véronique Olmi sehe man „Bilder wie aus Truffaut-Filmen vor sich“, sagte Annemarie Stoltenberg auf NDR Kultur. Das beweist sie hier einmal mehr.

Foto: © Astrid di Crollalanza | Text: Tina Rausch

Femina


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