Lust auf REGIO | 07.2021
Bei den Aufnahmen zum „Alemannischen Quartett“ im SWR-Studio Baden-Baden: (v.l.n.r.) Martin Graff, Francis Freyburger, Volkmar Staub und Luc Schillinger.
überschreitender Kabarettist, Kolumnist und „Gedankenschmuggler“. Er hat das „Alemannische Quartett“ erfunden und schreibt jedes Jahr ein neues Hörspiel mit diesem Titel. Zu Themen, die mit dem Elsass und seiner inzwischen kaum noch vorhandenen Zweisprachigkeit zu tun haben.
Europa im Herzen Geboren wurde er im Juni1944 in Munster, heute lebt er in Soultzeren im oberen Münstertal, in den Hochvogesen. Graff ist dreisprachig: Mit seiner Mutter hat er „immer nur elsässisch gesprochen“, französisch war die Schulsprache, und das Hochdeutsche eignete er sich während seiner Studienzeit an. Für Graff, den überzeugten Europäer, der jeden nationalistischen „Patridiotismus“ tödlich findet, ist das Elsass eine typisch europäische Region. Aufgrund der geografischen Lage, der wechselhaften Geschichte und der besonderen sprachlichen und kulturellen Situation sei das kleine Land zwischen Vogesenkamm und Rhein geradezu prädestiniert für ein Zusammenleben in Freundschaft und Frieden: Hier könne die „europäische Utopie“ gelebt werden, in der „die Kopfgrenzen gesprengt, die mörderischen Identitäten verhindert und mit der Mentalität verschiedener Völker in einer gemeinsamen Sprache gedacht werden“ könne.
So versteht Graff die These vom „geistigen Elsässertum“ des Schriftstellers René Schickele. Als überzeugter Pazifist hatte er das Elsass schon während des Ersten Weltkriegs in Richtung Schweiz verlassen und zog danach nach Badenweiler. Er ging noch vor der Machtübernahme durch die Nazis ins südfranzösische Exil, wo er kurz vor der Ausreise in die USA starb. Im Hörspiel kommt Schickele mit der Stimme von Francis Freyburger zu Wort, der ein genauso wunderbares Elsässisch spricht wie Luc Schillinger, der dem Pfarrer, Arzt und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer seine Stimme leiht.
Fiktive Dispute Die beiden, die tatsächlich Freunde waren, kommen ins Gespräch über die Zeitläufte, über philosophische Fragen, über die aufziehende Bedrohung durch die Nazis, über Heimweh und Heimat- sowie Sprachosigkeit. Mit von der Partie ist auch kurz Martin Heidegger, der Freiburger Philosoph, der sich später – für die beiden unverständlich – mit den neuen Machthabern arrangierte; sein Part wird von Volkmar Staub gesprochen. Der vierte im Bunde ist Jean-Paul-Sartre, glühender Verehrer von Heidegger und Großneffe Albert Schweitzers. Auch sie kommen miteinander in einen fiktiven Disput, der auf historischen und persönlichen Fakten
beruht. Der von Arthur Gander interpretierte Sartre spricht allerdings kein elsässisch. Das wird, bedauert Martin Graff sehr, sowieso fast nicht mehr gesprochen: 1945, nach der Befreiung des Elsass von der Annexion durch Hitlerdeutschland und der damit zusammenhängenden Zwangsrekrutierung von Elsässern für die Wehrmacht, war man sich ohne große Absprache einig, die Muttersprache zugunsten des Französischen aufzugeben. Es sollte „nie wieder für einen Elsässer die Gefahr bestehen, weil er Deutsch spricht, in eine deutsche Uniform gesteckt zu werden“. Graff, dessen Vater als Zwangsrekrutierter der Wehrmacht starb, setzt sich dennoch für den Erhalt des Elsässischen ein: „Die Zweisprachigkeit eröffnet uns einen anderen Blick auf die Welt.“ Sein streckenweise auch sehr heiteres Hörspiel beweist es.
Info
„Das alemannische Quartett“ Elsässisches Mundart-Hörspiel von Martin Graff Sonntag, 4. Juli, 21 Uhr SWR 4
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Foto: © SWR
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