Zeitgeschichte
»Nationalsozialistischer Musterbetrieb« Die seltsame Lücke im Geschichtsbild der Schwarzwaldmilch
Im Schlagzeilengewitter: „In tiefer Dankbarkeit gedenken wir des Führers“
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Fotos: © Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung Serger
irmengeschichte ist ein heikles Gebiet, beson ders wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht. Jene, wie es oft so harmlos heißt, „dunklen Jahre“ zwischen 1933 und 1945 werden bis heute in Firmenchroniken gern ausgeblendet – bewusst, denn werben lässt sich damit kaum. Was aber, wenn das Unternehmen selbst offensichtlich nichts (mehr?) von dieser Vergangenheit weiß? Die Freiburger Molkerei Schwarzwaldmilch ist so ein Fall. Ein 1939 von Adolf Hitler persönlich gekürter „nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Der erste in Oberbaden. Hedwig Weil, 1880 als Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie in Freiburg geboren, bekam im Sommer 1938 unverhofften Besuch. Sie wohnte damals im Haus ihrer Schwiegermutter Rosa Weil in der Ludwigstraße 32. Der Besuch stellte sich als Abgesandter der Breisgaumilch-Zentrale (BMZ, heute Schwarzwaldmilch GmbH) vor. Er präsentierte der Witwe des bereits 1907 mit 35 Jahren gestorbenen praktischen Arztes Dr. Robert Weil ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte – die Nazis waren seit Mitte 1938 daran, die Juden aus dem Wirtschaftsleben auszuschalten und Schritt für Schritt völlig zu enteignen. Es ging um ihr etwa 5000 Quadratmeter großes Grundstück, das neben dem 1936 eröffneten neuen Milchwerk der BMZ an der Haslacher Straße 12 gelegen war – und das der florierende Milchversorger der Stadt Freiburg für eine Erweiterung des Firmengeländes benötigte. Hedwig Weil verkaufte das Gelände für 3,50 RM pro Quadratmeter – ein Schnäppchen. Den Erlös 14 | chilli | business im Breisgau | 03.2022
von knapp 17.000 RM hat sie höchstwahrscheinlich nie gesehen. Derartige Gelder verschwanden damals meist auf Sperrkonten, die sich das NS-Regime später unter den Nagel riss. Die Stadt Freiburg, die damals die Hälfe des Stammkapitals der Breisgaumilch-Zentrale stellte, bekam 1938 im selben Zug für ihr 1300 Quadratmeter großes Nachbargrundstück 5 RM je Quadratmeter – damals auch schon ein Vorzugspreis. Doch der Grundstückskauf sollte für die Breisgaumilch noch ein Nachspiel haben. 1949 erhob Dr. Rudolf Weil, der nach England geflohene Sohn von Hedwig Weil (sie wurde 1943 im KZ Theresienstadt umgebracht), vor dem Landgericht Freiburg Klage auf Rückerstattung des Grundstücks. Wie bei vielen Juden, die nicht mehr ins Land der Mörder zurückkehren wollten, endete das Restitutionsverfahren mit einem Vergleich. Die BMZ, erstaunlicherweise noch immer vertreten durch den aus NS-Zeit hoch kompromittierten Geschäftsführer Ernst Schmidt, musste an den Kläger, so dokumentieren Akten im Staatsarchiv Freiburg, einen Betrag von 9500 DM nachzahlen – damals ein erklecklicher Betrag. Schmidt stellte sich vor Gericht als Judenfreund dar und behauptete, Hedwig Weil habe ihn zwei Mal um den Kauf des Grundstücks gebeten. In den im Freiburger Stadtarchiv vorhandenen Akten berichtete Schmidt Ende 1938 genau das Gegenteil. Es lief damals gut für das 1930 von Milchbauern, Milchhändlern und dem Rathaus gegründeten Unternehmen. 1933, gleich nach der Machtübergabe an Adolf Hitler, setzte es sich an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung in Freiburg. Die damals 90-köpfige Belegschaft trat als erste Freiburger Firma