CHRISTINE CAZON Christine Cazon, alias Christiane Dreher, ist Krimiautorin und Wahlfranzösin. Zusammen mit ihrer Romanfigur Kommissar Duval erlebt sie Cannes sowohl vor als auch hinter den Kulissen der südfranzösischen Glitzerwelt.
Alles Käse „Probier‘ doch etwas von dem Käse, Christjann.“ Stolz schob man mir beim ersten Essen auf dem Hof in den französischen Bergen eine riesige Platte zu mit – äh – ja mit was eigentlich? Ich zögerte. Frisch aus Deutschland im tiefsten Frankreich eingetroffen, wusste ich immerhin , dass ich mir eines oder mehrere Stücke abschneiden und nicht etwa einen ganzen Käse nehmen sollte. Denn die Geschichte des deutschen Austauschschülers, der hilflos vor einer Käseplatte saß, die ihm nach dem Essen zugeschoben wurde, hatte mir mein Ex-Freund Jean-Luc nicht nur einmal erzählt: „Nimm dir!“, hatte man auch den schüchternen Jungen aufgefordert und eine einladende Geste zur gut bestückten Platte gemacht. Sein verzweifelter Befreiungsschlag mit der Gabel endete im Camembert, den er auf seinen Teller plumpsen ließ und angestrengt aufmampfte. Die französische Gastfamilie sah fassungslos zu. Ich war mir also darüber im Klaren, dass man genau wissen sollte, wie das mit dem Käse an einer französischen Tafel läuft. Und wie man ihn mundgerecht portioniert. Glücklicherweise hatte mich Jean-Luc vorbereitet. „Was machst du denn da?“, hatte er einst in inquisitorischer Manier gefragt und auf den Camembert gedeutet. Ich hatte das Messer angesetzt, um eine Scheibe des runden weißen Käses abzuschneiden. „Mais non! Den Camembert schneidet man wie eine Torte in kleine Dreiecke, damit jeder etwas von der Rinde und vom weichen Herzen bekommt!“, erklärte er streng. Jetzt saß ich erneut vor einer Käseplatte, und man hielt mir aufmunternd das Messer entgegen. Bevor ich auf den kleinen Hof in Frankreich kam, war ich nur Frischkäse und jungen Gouda gewohnt. Und hin und wieder etwas Camembert, zumindest, solange er nicht aus der Schachtel lief und übel roch. „Aber Käse stinkt doch nicht, er riecht nur manchmal intensiv“, hörte ich Jean-Luc sofort wieder sagen. Ansichtssache. Denn die Varianten, die mir hier angeboten wurden, liefen entweder von alleine davon oder sie waren verschimmelt – und intensiv rochen sie sowieso. So viel stand fest: Essen konnte ich „das“ nicht. Tapfer schnitt ich ein Tortenstück aus einem runden Frischkäse und erklärte radebrechend, dass mir die anderen Sorten zu „fremd“ seien. Meine Tischgenossen lachten und erzählten mir von wirklich fremdartigen Exemplaren: In Korsika esse man Käse, der von Würmern bewohnt ist:
Casgiu Merzu. Igitt. Ich trank einen Schluck Rotwein und schielte auf meinen Teller, ob sich dort etwas bewegte. Aber nein, alles gut. Ich holte Luft, probierte tapfer und stellte erleichtert fest: Oh, davon hätte ich mehr nehmen sollen! Der Käse war cremig, mild und sehr schmackhaft. Damit war das Eis gebrochen: Bald half ich bei der hauseigenen Produktion mit, lernte erst Frischkäse zu machen und löffelte die gestockte Milch mit einer Kelle in kleine Plastikformen. Später erfuhr ich, wie man Hartkäse herstellt und schüttete die erhitzte, gestockte und wieder aufgebrochene Masse in größere Formen. Übrigens stammt das Wort fromage ursprünglich von formage, von der Form, die man der Milch gab. Bald folgte der nächste Schritt: ich rieb Tag für Tag Salz und später auch die Schimmel-Bakterien, die sich in Form von Härchen auf dem Käse gebildet hatten, in den Laib ein und drehte und wendete ihn. Ich sah die Rinde entstehen, die dem Käse das Aussehen und den eigenen Geschmack gibt. Frischkäse braucht nicht zu reifen und ich aß ihn am liebsten, kaum dass ich ihn aus den Förmchen gestürzt hatte. Einmal waren beim Verkauf auf dem Markt ein paar übrig geblieben und ich beobachtete, wie sie sich veränderten. Nach einer Woche waren sie zusammengesackt und schrumpelig, und als ich einen anschnitt, lief er fast davon. Ich war entsetzt, probierte ihn aber mutig und es war, als ob der Käsegott mir höchstpersönlich ein Zeichen gegeben hatte. Was für ein Genuss! Welch Offenbarung! Im Laufe jenes Jahres lernte ich, dass echter Käse lebt, dass sich Konsistenz, Geruch und Geschmack verändern: Der Käse „reift“, sagt man nicht umsonst. Fortan liebte ich Käse in jedem Stadium. Stolz schickte ich ein kleines Exemplar aus meiner ersten eigenen Produktion nach Hause. Ich weiß nicht genau, wie viele Tage er unterwegs war, aber meine Mutter war unangenehm überrascht, als sie das Paket öffnete und auf einen stark riechenden und vermutlich verschimmelten Käse stieß – den sie mit spitzen Fingern entsorgte. So gerne sie an meinen Künsten teilhaben wollte: „das hier“ konnte sie nicht essen, gestand sie mir später. „Mama“, sagte ich gekränkt. „Das war ein echter Käse! Nur ein bisschen gereift!“ Dass sie froh sein könne, dass ich meine Auszeit nicht auf einem korsischen Bauernhof genommen hatte, habe ich ihr verschwiegen. Denn dann hätte ich ihr wohl einen von Würmern bewohnten Käse geschickt. •
PORTRÄT CHRISTINE STEPHAN GABRIEL
„Was machst du denn da?“, fragte Jean-Luc in inquisitorischer Manier, als ich mir den Camembert vornahm.
FRANKREICH MAGAZIN 23