• BVerfG-Beschlüsse vom 24.03.2021 und 18.01.2022 • Novellierungen des KSG Bund und des KSG NRW • neues EU-Klimagesetz und EU-Klimapaket • Beginn der ersten Handelsperiode des BEHG • Ziele des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung • Ergebnisse des Klimagipfels von Glasgow • Rohstoffproblematik angesichts des Ukraine-Krieges Neben der Kommentierung des europäischen und nationalen Regelungsregimes werden auch die steuerrechtlichen Vorschriften und die verfassungsrechtlichen Hintergründe instruktiv beleuchtet. Weiterhin werden die interdisziplinären Querschnittsthemen gut verständlich dargestellt, darunter die ökonomischen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen.
2. Auflage
Frenz (Hrsg.)
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Klimaschutzrecht
^ Die vorliegende vollständig überarbeitete Neuauflage des Gesamtkommentars spiegelt erneut die ganze Dynamik des Klimaschutzrechts wider. Praxisnah und pointiert werden die jüngsten Entwicklungen erläutert:
9 783503 206865
Frenz (Hrsg.)
Klimaschutzrecht EU-Klimagesetz | KSG Bund und NRW | BEHG | Steuerrecht | Querschnittsthemen
Gesamtkommentar
Leseprobe, mehr zum Werk unter ESV.info/978-3-503-20686-5
2., völlig neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage
€ (D) 178,00
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Frenz_Klimaschutzrecht-Kommentar_Umschlag_67,5mm_4c.indd 1
07.03.2022 12:01:00
Klimaschutzrecht EU-Klimagesetz, KSG Bund und NRW, BEHG, Steuerrecht, Querschnittsthemen Gesamtkommentar Herausgegeben von
Prof. Dr. jur. Walter Frenz, Maître en Droit Public Professor für Berg-, Umwelt- und Europarecht, RWTH Aachen University
Leseprobe, mehr zum Werk unter ESV.info/978-3-503-20686-5
Bearbeitet von Dr. Stefan Altenschmidt; Prof. Dr. Stefan Böschen; Prof. Dr.-Ing. Elisabeth Clausen; Prof. Dr. Wolfgang Ewer; Hilda Faut; Gregor Franßen; Prof. Dr. Walter Frenz; Christoph Hörbelt; Prof. Dr. Michael Leuchner; Julian Ley; Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg; Benedikt-Immanuel Johannes Operhalsky; Prof. Dr. Sven-Joachim Otto; Dr. Herbert Posser; Prof. Dr. Johannes Saurer; Prof. Dr. Alexander Schink; Dr. Tobias Thienel; Dr. Henning Thomas; Dr. Gregor Weimer
2., völlig neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar. Weitere Informationen zu diesem Titel finden Sie im Internet unter https://ESV.info/978-3-503-20686-5 Zitiervorschlag: Frenz (Hrsg.), Klimaschutzrecht
1. Auflage 2021 2. Auflage 2022
ISBN 978-3-503-20686-5 (gedrucktes Werk) ISBN 978-3-503-20687-2 (eBook) Alle Rechte vorbehalten © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2022 www.ESV.info Druck: Eberl & Kœsel, Altusried-Krugzell
Vorwort Klimaschutz ist in aller Munde. Die Dringlichkeit führte die Weltklimakonferenz in Glasgow (COP 26) vom 01. 11. bis 12. 11. 2021 wieder deutlich vor Augen. Ihre – wenn auch begrenzten – Ergebnisse sind bereits berücksichtigt, ebenso die zahlreichen klimarelevanten Vorhaben des Ampel-Koalitionsvertrages vom 24. 11. 2021. Besonders deutlich kommt der Klimaschutz auf europäischer Ebene zur Geltung: Ursula von der Leyen eröffnete ihre Kommissionspräsidentschaft mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Am 16. 09. 2020 definierte sie das ehrgeizige Zwischenziel einer CO2-Reduktion um 55 % bis 2030, dem sich der Europäische Rat am 11. 12. 2020 anschloss und das inzwischen im – hier eigenständig kommentierten – EU-Klimagesetz verankert ist. Der Realisierung dieses Ziels dient das EU-Klimapaket „Fit for 55“ vom 14. 07. 2021 mit der Ankündigung verschärfter CO2-Minderungsziele für die Mitgliedstaaten, die solidarisch und damit nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beizutragen haben. Reichen daher die 65 % CO2-Reduktion bis 2030 nach dem novellierten KSG, das mit seinen Neuerungen ausführlich behandelt wird? Wie ist – zumal vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs – die Versorgung mit für den Klimaschutz wichtigen Rohstoffen (Lithium) sicherzustellen? Dabei verlangt der BVerfG-Klimabeschluss vom 24. 03. 2021 einen tiefgreifenden Umbau unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems hin zu mehr Klimaschutz. Diesen auf den Weg zu bringen, obliegt in erster Linie dem Bundesgesetzgeber, wie das BVerfG am 18. 01. 2022 entschied. Die Festschreibung der Klimaneutralität bis 2045 in § 3 Abs. 2 KSG setzt nur einen Rahmen. Hier werden die zu wahrenden Eckpunkte in kritischer Auseinandersetzung mit den Grundlagen und den Folgen des BVerfG-Klimabeschlusses in einem eigenen Abschnitt näher aufgezeigt; ebenso die grundrechtlichen Grenzen. Es sind weitere Maßnahmen absehbar, die angesichts der EU-Gesamtzielsetzung und der besonderen Rolle Deutschlands in diesem Rahmen zu weiteren Verschärfungen führen werden. Die Corona-Krise soll gerade durch Klimaschutz überwunden werden. Die dafür aufgelegten Fördermaßnahmen werden in diesem Band dargelegt. Der vorliegende Kommentar legt besonderen Wert darauf, dass nicht das KSG isoliert betrachtet wird, sondern das Klimaschutzrecht insgesamt. Daher werden auch die steuerlichen Förderregelungen sowie das BEHG ausführlich kommentiert, ebenso die Landesregelungen am Beispiel des erst im Sommer 2021 novellierten KSG NRW. Einführend werden die wesentlichen völker-, europa-, wettbewerbs-, beihilfe- und vergaberechtlichen Entwicklungen und Perspektiven aufgezeigt. Ebenso werden die geo- und ingenieurwissen-
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V
Vorwort
schaftlichen Grundlagen beleuchtet. Besondere Abschnitte sind der Digitalisierung und der Corona-Krise sowie dem Kohleausstieg und dem Klimaschadensrecht gewidmet, ebenso nunmehr dem EEG 2021 als Grundlage für den essenziellen Ökostromausbau sowie die Förderung von Wasserstoff. Entsprechend vielfältig ist das Autorenteam zusammengesetzt. Es besteht aus Anwältinnen und Anwälten, Unternehmensvertretern sowie Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern nicht nur juristischer Provenienz, sondern auch aus den Geo-, Gesellschafts- und Ingenieurwissenschaften. Allen Bearbeiterinnen und Bearbeitern danke ich sehr herzlich für ihre engagierten und tiefgründigen Kommentierungen, die punktgenau fertiggestellt werden konnten. Das Werk befindet sich auf dem Stand von Februar 2022. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 18. 01. 2022 (1 BvR 1565/21 u. a.) konnte noch berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Sven Clever und Herrn Daniel Spitzer vom Erich Schmidt Verlag, die mit hohem Engagement und großer Sachkunde das Werk begleiteten und die rasche Fertigstellung ermöglichten. Frau Antonia Hegner, ebenfalls vom Erich Schmidt Verlag, sorgte für eine schnelle Umsetzung der Korrekturen sowie der letzten Aktualisierungen kurz vor Drucklegung des Werks. Mein besonderer Dank gilt weiter Frau Desiree Dietrich, B.A., die die zahlreichen Diktate und Formulierungsänderungen höchst zuverlässig eingab und die formale Gestaltung übernahm. Um der Dynamik der Materie gerecht zu werden, wurde dieser Neuauflage ein digitales Add-on zur Seite gestellt, das weiterführende Informationen zu aktuellen Entwicklungen bietet. Außerdem enthalten sind wichtige Vorschriftentexte, Gerichtsentscheidungen sowie amtliche Bekanntmachungen. Das digitale Add-on ist abrufbar unter https://GK-Klimaschutz.esv.info; noch komfortabler geht es mit dem folgenden QR-Code:
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Wir hoffen, Sie fundiert und praxisnah über die zahlreichen Fragen des Klimaschutzrechtes informieren zu können. Hinweise und Anregungen bitte ich zu senden an: Prof. Dr. Walter Frenz, Lehr- und Forschungsgebiet Berg-, Umwelt- und Europarecht der RWTH Aachen, Wüllnerstraße 2, 52062 Aachen, Tel.: +49 241/809 56 91, E-Mail: frenz@bur.rwth-aachen.de. Aachen, den 02. 03. 2022
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Walter Frenz
Inhaltsverzeichnis Vorwort
...............................................................................................................
Autorenverzeichnis
..........................................................................................
Abkürzungsverzeichnis
XIII
...................................................................................
XVII
.........................................................................................
XXV
...........................................................................................................
1
Literaturverzeichnis Einleitung
V
Kapitel 1 – Querschnittsthemen A.
Klimaschutz in der EU
........................................................................
29
B.
Klimaschutz und Corona: EU-Aufbaufonds und nationales Konjunkturpaket (mit Senkung EEG-Umlage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
C.
Klimaschutz und Digitalisierung
......................................................
85
D.
Aktueller Klimazustand und zukünftige Klimaentwicklung – Einflussfaktoren, Folgen und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
E.
Klimaschutz und Grundrechte
F.
Vertiefung Europäische Grundrechte
.............................................
173
G.
Klimaschutz und Wettbewerbsregeln
.............................................
197
H.
Klimaschutz in der Industrie
.............................................................
215
J.
Klimaschutz und Kohleausstieg
K.
Klimaschutz und Rohstoffe
L.
Klimaschadensrecht
M.
Aktuelles zum EEG 2021: Wasserstoff und Anlagenausschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
N.
Ergebnisse COP26
339
O.
Ausblick nach dem Koalitionsvertrag
P.
Die Zukunft der Wasserstoffwirtschaft
.........................................................
109
.......................................................
233
................................................................
263
...........................................................................
279
.............................................................................. ............................................. ...........................................
349 411
Kapitel 2 – EU-Klimagesetz A. Gesetzestext Verordnung (EU) 2021/1119
...........................................................................
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429
VII
Inhaltsverzeichnis
B. Kommentierung Art. 1
Gegenstand und Anwendungsbereich
Art. 2
Ziel der Klimaneutralität
Art. 3
Wissenschaftliche Beratung zum Klimawandel
Art. 4
Klimazwischenziele der Union
Art. 5
Anpassung an den Klimawandel
Art. 6
Bewertung der Fortschritte und Maßnahmen der Union
Art. 7
Bewertung der nationalen Maßnahmen
Art. 8
Gemeinsame Bestimmungen für die Bewertung durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
514
Art. 9
Öffentlichkeitsbeteiligung
517
...........................................
....................................................................
461
............................
465
.........................................................
473
.....................................................
491
............
501
.........................................
507
................................................................
Art. 10 Sektorspezifische Fahrpläne
455
.............................................................
519
Art. 11 Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
522
Art. 12 EU-Klimagesetz
...................................................................................
524
Art. 13 EU-Klimagesetz
...................................................................................
524
..........................................................................................
524
Art. 14 Inkraftreten
Kapitel 3 – Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) A. Gesetzestext Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG)
.................................................................
527
B. Kommentierung Abschnitt 1 – Allgemeine Vorschriften §1
Zweck des Gesetzes
§2
Begriffsbestimmungen
§3
Nationale Klimaschutzziele
..............................................................
605
§ 3a
Beitrag des Sektors Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
641
§4
Zulässige Jahresemissionsmengen und jährliche Minderungsziele, Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
661
§5
Emissionsdaten, Verordnungsermächtigung
................................
693
§6
Bußgeldvorschriften
...........................................................................
697
§7
Durchführungsvorschriften zur Europäischen Klimaschutzverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
705
§8
Sofortprogramm bei Überschreitung der Jahresemissionsmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
708
........................................................................... .......................................................................
541 579
Abschnitt 2 – Klimaschutzziele und Jahresemissionsmengen
VIII
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Inhaltsverzeichnis
Abschnitt 3 – Klimaschutzplanung §9
Klimaschutzprogramme
§ 10
Berichterstattung
.....................................................................
717
.................................................................................
735
Abschnitt 4 – Expertenrat für Klimafragen § 11
Unabhängiger Expertenrat für Klimafragen, Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
741
§ 12
Aufgaben des Expertenrats für Klimafragen
746
§ 13
Berücksichtigungsgebot
§ 14
Bund-Länder-Zusammenarbeit
§ 15
Klimaneutrale Bundesverwaltung
.................................
Abschnitt 5 – Vorbildfunktion der öffentlichen Hand .................................................................... ........................................................ ...................................................
753 795 832
Kapitel 4 – Klimaschutzgesetz NRW (KSG NRW) A. Gesetzestext Klimaschutzgesetz NRW-Neufassungsgesetz (KSG NRW-NFG)
...........
845
B. Kommentierung Vorbemerkungen zum Klimaschutzgesetz NRW
.........................
851
...........................................................................
874
§1
Zweck des Gesetzes
§2
Anwendungsbereich und Begriffsbestimmung
............................
881
..........................................
885
§3
Klimaschutzziele Nordrhein-Westfalen
§4
Umsetzung der Klimaschutzziele durch die Landesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
891
§5
Klimaschutz durch andere öffentliche Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
902
§6
Klimaschutzaudit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
904
§7
Klimaneutrale Landesverwaltung
...................................................
910
§8
Aufgaben des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
913
§9
Beirat
915
§ 10
Inkrafttreten, Außerkrafttreten, Berichtspflicht
..................................................................................................... ............................
917
Kapitel 5 – Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) A. Gesetzestext Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG)
................................................
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921
IX
Inhaltsverzeichnis
B. Kommentierung Abschnitt 1 – Allgemeine Vorschriften §1
Zweck des Gesetzes
...........................................................................
939
§2
Anwendungsbereich
..........................................................................
966
§3
Begriffsbestimmungen
§4
Jährliche Emissionsmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
985
§5
Flexibilisierungsinstrumente nach der EU-Klimaschutzverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
989
.......................................................................
979
Abschnitt 2 – Mengenplanung
Abschnitt 3 – Grundpflichten der Verantwortlichen §6
Überwachungsplan, vereinfachter Überwachungsplan
§7
Ermittlung und Bericht über Brennstoffemissionen
.............
998
.....................
1004
§8
Abgabe von Emissionszertifikaten
..................................................
1010
Abschnitt 4 – Emissionszertifikate, Veräußerung und Register §9
Emissionszertifikate
§ 10
Veräußerung von Emissionszertifikaten
§ 11
Ausgleich indirekter Belastungen
§ 12
Nationales Emissionshandelsregister
............................................................................ ........................................
................................................... .............................................
1013 1016 1030 1044
Abschnitt 5 – Gemeinsame Vorschriften § 13
Zuständigkeiten
§ 14
Überwachung, Datenübermittlung
§ 15
Prüfstellen
§ 16
..................................................................................
1047
.................................................
1049
.............................................................................................
1054
Gebühren für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1056
§ 17
Elektronische Kommunikation
1057
§ 18
Änderung der Identität oder Rechtsform des Verantwortlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1059
§ 19
Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
1061
.........................................................
......................................
Abschnitt 6 – Sanktionen § 20
Durchsetzung der Berichtspflicht
....................................................
§ 21
Durchsetzung der Abgabepflicht
.....................................................
1064 1067
§ 22
Bußgeldvorschriften
...........................................................................
1070
§ 23
Erfahrungsbericht
Abschnitt 7 – Evaluierung
X
...............................................................................
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1075
Inhaltsverzeichnis
Abschnitt 8 – Schlussvorschriften § 24
Inkrafttreten
.........................................................................................
Ausblick: Einbeziehung von Abfällen in das BEHG?
................................
1078 1080
Kapitel 6 – Steuerrecht | Kommentierung A.
Steuerliche Förderung
B.
Steuern für den Klimaschutz
Stichwortverzeichnis
.......................................................................
1133
.............................................................
1161
........................................................................................
1177
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B. Kommentierung
Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften
§1 Zweck des Gesetzes Zweck dieses Gesetzes ist es, zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen werden berücksichtigt. Grundlage bildet die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten. Inhaltsübersicht I.
Zentrale Klimazweckvorschrift mit den Maßgaben des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wechselwirkung zwischen § 1, Art. 20a GG und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgleich mit § 1 BEHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anpassung an EU-Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abhängigkeit des deutschen Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treibhausgasneutralität bis 2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einbruchstelle für EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weltweiter Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstruktiver Mitspieler für den internationalen Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen auf der Basis grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammenhang mit § 1 Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwendige internationale Tragweite nach dem BVerfGKlimabeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausprägung der objektiven Funktion der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Genügen des Paris-Ziels als solchem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gegenüber im Ausland lebenden Beschwerdeführenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Loslösung der staatlichen von den privaten Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen auf der Basis des Klimaschutzgebots i. V. m. den Freiheitsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendige internationale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorbildfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verdichtung völkerrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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KSG § 1
Allgemeine Vorschriften
d) CO2-Restbudget . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dynamische Betrachtung auf der Basis des aktuellen IPCC-Berichts . . . . . . . . . . . f) Innerstaatliche Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung für die Gesetzesanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Generelle Leitlinie für Interpretation und Handhabung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung in der Abwägung nach dem BVerfG-Klimabeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weiterhin fehlende unmittelbare Einklagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strengere Einhegung staatlichen Handelns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgaben des BVerfG und des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entfallen der bloßen Verfolgung der Treibhausgasneutralität bis 2050 . . . . . . . c) Praktisch keine Abweichungen mehr wegen Corona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen . . . . . . . . . 1. Aktuelle Ausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgleich mit dem BVerfG-Klimabeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intergenerationeller Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dominanz der ökologischen Seite im Gegensatz zu gleichseitigem Zieldreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konvergenz mit Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Pariser Klimaübereinkommen als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Konkretes nationales Restbudget von 6,7 Gigatonnen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückgriff auf IPCC und SRU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine feste Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichwohl vorprägende Bedeutung trotz anderer Berechnungsmöglichkeiten auch nach Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Im Widerspruch zur Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zentrale Klimazweckvorschrift mit den Maßgaben des BVerfG 1. Wechselwirkung zwischen § 1, Art. 20a GG und Völkerrecht 1
§ 1 bildet die zentrale Zweckvorschrift des KSG und damit letztlich des gesamten nationalen Klimaschutzrechts. Das KSG ist nämlich praktisch das Grundgesetz des nationalen Klimaschutzrechts, das nunmehr allerdings maßgeblich durch den BVerfG-Klimabeschluss vom 24. 03. 2021 geprägt wird, der aber seinerseits die Grundlagenfunktion des § 1 betont: Es findet sich im deutschen Klimaschutzrecht keine andere, ähnlich grundlegende Zielbestimmung.1 Durch die Festlegung des Pariser Klimaziels hat der Gesetzgeber nach dem BVerfG den notwendigen Interessenausgleich geschaffen und dadurch das Umweltstaatsziel des Art. 20a GG konkretisiert.2 Zugleich hat das BVerfG die Erforderlichkeit des weltweiten Klimaschutzes als Ausprägung der internationalen Tragweite des Klimaschutzgebotes betont.3
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§ 1 stellt die Verbindung zwischen diesen beiden Elementen her. Das in § 1 Satz 3 genannte Temperaturziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstem1 2 3
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 210. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 213. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 200 ff.
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
peratur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, bildet die notwendige Konkretisierung des international auszurichtenden Klimaschutzgebots nach Art. 20a GG. Das wird gerade dadurch unterlegt, dass § 1 Satz 3 die international vereinbarte Temperaturschwelle des Art. 2 Abs. 1 lit. a) des Pariser Klimaabkommens bewusst und ausdrücklich zugrunde legt.4 Zugleich wird damit umgekehrt der besondere Zusammenhang zu dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG betont.5 Dadurch entsteht eine Wechselwirkung. Der Bezug auf das Pariser Klimaabkommen in § 1 schlägt die Brücke zum völkerrechtlichen Klimaschutz, den auch das BVerfG heranzieht, vor allem wenn es um die Berechnung des Deutschland noch zur Verfügung stehenden CO2-Restbudgets geht.6 Indem das BVerfG dabei auf das Pariser Klimaabkommen und den Bericht des IPCC zur näheren Bestimmung der Berechnung des auf Deutschland entfallenden CO2-Budgets zurückgreift, wird das Völkerrecht implementiert. Aus der internationalen Dimension des Klimaschutzgebotes folgt dann praktisch auch die Wahrung des Klimavölkerrechts und der auf seiner Grundlage entstandenen Dokumente.
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Nur wegen der bestehenden Unsicherheiten über die zur Wahrung der Temperaturschwelle global und national verbleibenden Emissionsmöglichkeiten wird die unter Abstützung auf den IPCC-Bericht ermittelte Budgetgröße des Sachverständigenrates für Umweltfragen nicht als zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle herangezogen7 und damit noch nicht rechtlich verbindlich gemacht, wohl aber faktisch und im Ansatz zugrunde gelegt, so bei der Berechnung der Erschöpfung des deutschen CO2-Restbudgets bis 2031.8 Bereits jetzt ist diese Berechnung zu berücksichtigen.9 Verschwinden die bestehenden Unsicherheiten, handelt es sich um den rechtlich verbindlichen Maßstab. Der nunmehrige IPCC-Bericht vom 09. 08. 2021 weist dabei die Gefahren für das Klima durch den inzwischen weiter beschleunigten Temperaturanstieg wesentlich deutlicher aus und beklagt irreversibel eingeleitete Entwicklungen wie das Ansteigen des globalen Meeresspiegels. Der Temperaturanstieg lässt sich kaum mehr auf 1,5 Grad Celsius begrenzen. Selbst das 2-Grad-Ziel lässt sich nur noch mühevoll erreichen, nämlich dann, wenn in den kommenden Jahrzehnten drastische Reduktionen der CO2- und anderer Treibhausgasemissionen erfolgen. UN-Generalsekretär Guterres be-
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 210. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 210. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 218 ff. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 236 a. E. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 246. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 229, 237.
BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021:
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tont die Notwendigkeit alsbaldiger Dekarbonisierung.10 Der BVerfG-Klimabeschluss verweist aber nicht auf die jeweilige Fassung des IPCC-Berichts, sodass sich daraus nunmehr keine (verfassungs-)rechtlichen Folgen etwa für den Kohleausstieg ergeben. Allerdings unterstreicht der neue IPCC-Bericht die Notwendigkeit klimaschützenden Handelns durch alle Staaten, um die Restchance zu wahren, das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Insoweit sind die im BVerfG-Klimabeschluss benannten Unsicherheiten weiter zurückgegangen. 5
Indes ist das Pariser Klimaabkommen nicht derart strikt formuliert wie § 1. Nach seinem Art. 2 Abs. 1 lit. a) zielt es nur darauf ab, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dieser Wert ist damit nicht verbindlich, aber durch entsprechende Anstrengungen anzustreben. Zudem sind die vom BVerfG abgeleiteten Maßgaben für die Berechnung des deutschen CO2-Restbudgets in diesem Abkommen so nicht enthalten. Es wird noch nicht einmal ein konkretes Restbudget gefordert, sondern es bedarf nur der Festlegung von Reduktionszielen, und auch dies nur als Soll-Vorschrift sowie im Hinblick auf die entwickelten Staaten (näher u. Rn. 105).
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Ohnehin bildet das Pariser Klimaabkommen nur eine Rahmenordnung ohne konkrete Einzelverpflichtungen. Es muss erst näher ausgestaltet werden. Die Staaten müssen sich selbst zu Verpflichtungen bereit erklären und diese dann einer kontinuierlichen Kontrolle unterwerfen. Damit kann nicht das Ziel einer Erderwärmung um möglichst nur 1,5 Grad Celsius bis maximal 2 Grad Celsius als solches bereits verbindlich gesetzt werden. Das ist es in Deutschland erst durch die Festlegung in § 1. Dann aber können erst recht nicht die zusätzlichen Aussagen des Pariser Klimaabkommens innerstaatlich verbindlich gesetzt werden. Das gilt insbesondere für die Festlegung des deutschen CO2Restbudgets.
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Die nähere Ausgestaltung des Pariser Klimaabkommens erfolgt auf den UNFolgekonferenzen. Die erste fand 2018 in Kattowitz statt. Und bei dieser wurden die Berechnungen des IPCC nicht als verbindlich angesehen, sondern nur die frühe Fertigstellung des Berichts wurde begrüßt.11 Damit können die dortigen Berechnungen jedenfalls nicht wegen ihrer Bedeutung im Rahmen des Pariser Klimaabkommens bedeutsam sein, sondern nur infolge ihrer Heranziehung durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen, dessen Berechnungen das BVerfG gerade wegen ihrer Abstützung auf Zahlen des IPCC als Ergebnis eines qualitätssichernden Verfahrens unter belastbarer Abbildung des aktuellen Wissensstandes schlüssig und wissenschaftlich begründet sieht.12 Indes kann auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen keine verbindlichen Zahlen festlegen, sondern nur Anhaltspunkte liefern. Ein CO2-
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Tagesschau, Reaktionen auf Klimabericht, abrufbar unter https://www.tagesschau. de/ausland/weltklimabericht-ipcc-reaktionen-101.html (letzter Abruf: 15. 10. 2021). Näher Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 39 f. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 220 f., 223.
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Restbudget muss vielmehr als wesentliche Entscheidung über künftige Grundrechtseinschränkungen durch Reduzierung bzw. Umgestaltung CO2relevanter Verhaltensweisen der Gesetzgeber festlegen (u. Rn. 104 f., 113 f.).13 Dies kann nicht das BVerfG, und zwar auch nicht faktisch. Das gilt auch nach dem neuen IPCC-Bericht vom 09. 08. 2021, der im übrigen Gegenstand der UN-Klimafolgekonferenz in Glasgow ist (u. Rn. 114 sowie o. Frenz, Ergebnisse COP26, Einf. N Rn. 5 ff.). Damit bleibt § 1 auch nach dem BVerfG-Klimabeschluss die zentrale Zweckvorschrift und Grundlagenbestimmung für den deutschen Klimaschutz, aber zu interpretieren mit den verfassungsrechtlichen Maßgaben, die das BVerfG aufgestellt hat. Diese sind allerdings ihrerseits restriktiv zu interpretieren, da sie die Umweltstaatszielbestimmung und die Bedeutung des Völkerrechts überdehnen (u. Rn. 106 ff.).
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Zudem ist im Blick zu halten, dass mit dem EU-Klimapaket „Fit for 55“ und dessen Umsetzung die wesentlichen Weichenstellungen für den Klimaschutz unionsrechtlich vorgegeben werden und daher dann auch der EU-Grundrechtsschutz eingreift (s. Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 100 ff.), der keine zugemessenen Freiheitsrechte im CO2-relevanten Bereich kennt, sondern originäre, a priori unbegrenzte Grundrechte, die durch gleichgewichtige Abwägung mit (nicht dominierenden) Umweltbelangen weggewogen werden können, aber nicht wegen zunehmendem relativen Gewicht des Klimaschutzgebots bei fortschreitendem Klimawandel regelmäßig zurückstehen müssen (näher Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 102 ff. sowie Vertiefung EU-Grundrechte, Einf. F Rn. 11, 43 ff.).14 Mit zunehmender EU-Regulierung läuft daher der BVerfG-Klimabeschluss ins Leere, außer der EuGH fasst eine parallele Klimaentscheidung, nachdem er indes Klimaklagen als unzulässig abgewiesen hat.15
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2. Abgleich mit § 1 BEHG Die Begrenzung des Temperaturanstiegs nach der Zweckbestimmung des § 1 10 wird durch weitere Normierungen entfaltet, so vor allem das BEHG, welches einen nationalen Brennstoffemissionshandel etabliert. Indem seinerseits § 1 den Zweck des nationalen Klimaschutzgrundgesetzes (o. Rn. 1) festlegt, bestimmt er die maßgebliche Ausrichtung, und zwar auch für die Gesetze, welche das KSG näher ausgestalten, und damit vor allem auch für das BEHG. Dessen Zweckvorschrift ist allerdings in mehrerlei Hinsicht parallel gefasst,
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Bereits Frenz, Anmerkung zum BVerfG, Beschluss vom 24. 03. 2021 (1 BvR 2656/18 u. a.), Freiheitsbedingter Klimaschutz für die junge Generation, DVBl 2021, 810 (817). BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 198 im Gegensatz zu EuG, Urt. v. 23. 11. 2005 – T178/05, ECLI:EU:T:2005:412, Rn. 60 – Vereinigtes Königreich/Kommission. EuGH, Urt. v. 25. 03. 2021 – C-565/19 P, ECLI:EU:C:2021:252 – Carvalho in Bestätigung von EuG, Beschl. v. 08. 05. 2019 – T-330/18, ECLI:EU:T:2019:324 – Carvalho u. a.
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wenn auch auf den Emissionshandel bezogen. Gleichwohl geht es dort ebenfalls um die Erreichung der nationalen Klimaschutzziele sowie der Minderungsziele der EU. 11
Allerdings ist § 1 BEHG in zweierlei Hinsicht spezifischer: Zum einen nennt er ausdrücklich das langfristige Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050. Dieses ist mittlerweile aber in § 3 Abs. 2 auch im KSG verankert und auf 2045 vorgezogen, sodass insoweit das BEHG anzugleichen ist. Zum anderen werden in § 1 BEHG eigens die Minderungsziele nach der EU-KlimaschutzVO genannt; insoweit steht im Gefolge des EU-Klimapakets „Fit for 55“ eine Novellierung durch die zu überarbeitende Lastenteilungsverordnung16 an, die voraussichtlich zu stärkeren Lasten Deutschlands führen wird (näher Frenz, Art. 2 EU-Klimagesetz Rn. 8 ff.). Diese sind dann auch im Rahmen des KSG zu berücksichtigen.
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Ebenso wird in § 1 BEHG die Verbesserung der Energieeffizienz aufgeführt. Dieses Element fehlt im Rahmen von § 1 KSG als grundsätzlicherer Vorschrift gänzlich. Letztlich dient aber auch die Energieeffizienz dem Generalziel des Klimaschutzes. Sie wird nur für Gebäude in einem eigenen Gesetz geregelt, dem GEG. Zudem hat sie einen spezifischen Bezug zum Brennstoffemissionshandel, durch den auch die Energieeffizienz befördert werden soll (näher unten Frenz/Schink, § 1 BEHG Rn. 82 ff. mit näheren Ausführungen zur Ergänzungsfunktion des BEHG zum GEG).
II. Anpassung an EU-Ziele 1. Abhängigkeit des deutschen Beitrags 13
Im Gefolge des Klimapakets „Fit for 55“ wird der europäische Klimaschutz immer stärker dominieren (o. Rn. 9). Bereits das EU-Klimagesetz (Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 37) erhöhte die EU-Ziele deutlich. Die KSGNovelle war schon darauf bezogen, schätzte doch der Expertenrat für Klimafragen im Gefolge des EU-Klimagesetzes eine notwendige deutsche CO2Minderungslast in einer Bandbreite von 62 % bis 68 %.17 Die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben ist in § 1 eigens benannt. Daher war es bisher schon unschädlich, dass die Erreichung der Minderungsziele nach der EU-KlimaschutzVO nicht eigens benannt war. Sie ist fester Bestandteil der ausdrücklich genannten europäischen Zielvorgaben.
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European Commission, Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) 2018/842 on binding annual greenhouse gas emission reductions by Member States from 2021 to 2030 contributing to climate action to meet commitments under the Paris Agreement, COM(2021) 555 final. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, S. 18.
Frenz
Aus: Prof. Dr. jur. Walter Frenz (Hrsg.), Klimaschutzrecht. EU-Klimagesetz, KSG Bund und NRW, BEHG, Steuerrecht, Querschnittsthemen. Gesamtkommentar © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2022
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
Wie stark die deutschen Minderungslasten zunehmen werden, zeigt der Blick zurück: Die EU-KlimaschutzVO18 sah nach Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I19 für Deutschland ein Reduktionsziel von 38 % bis 2030 gegenüber 2005 vor. Weil dieses Ziel nach den Prognosen von 2019 verfehlt zu werden drohte, wurde daraus eine wesentliche Triebfeder für das nationale Klimaschutzgesetz sowie den vorgelagerten Klimaschutzplan. Schon an seinem Beginn verweist der Entwurf zum Bundesklimaschutzgesetz auf die Senkung dieser Emissionen bis 2017 nur um „3 %“; „eine Verfehlung der europarechtlich verbindlichen Ziele“ würde „mittelfristig zu erheblichen Zahlungspflichten“ führen.20 Jedenfalls durch die Corona-Krise wurden die Zielverpflichtungen nach der bisherigen EU-KlimaschutzVO erreicht.21
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2. Treibhausgasneutralität bis 2050 Die Zielsetzung nach der EU-KlimaschutzVO wurde alsbald deutlich überlagert durch das langfristige Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050, welches § 1 BEHG unmittelbar nennt, anders als § 1 KSG, welcher in das Völkerrecht eingebunden ist, das insoweit keine verbindliche Festlegung trifft (o. Rn. 7): Die Klimakonferenz von Glasgow stellt es immerhin als anerkanntes, bis um die Jahrhundertmitte zu realisierendes Erfordernis zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels in den Raum (Ziff. 22). Der bisherige schwache Verweis in § 1 KSG 2019, dass das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 „verfolgt“ wird, ist mittlerweile gestrichen worden, weil das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 nunmehr in § 3 Abs. 2 ausdrücklich und ohne Relativierung festgelegt ist. Dadurch ist es aber als nationales Klimaziel nach § 1 auch Bestandteil des Gesetzeszwecks.22
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Weil es sich aber bei der Treibhausgasneutralität um ein europäisches Ziel handelt, war und ist dieses langfristige Ziel ebenso im Rahmen von § 1 verbindlich. Es wurde im mittlerweile verabschiedeten EU-Klimagesetz festgelegt und ist damit auch normativ eindeutig bestimmt und nicht lediglich durch den Green Deal in den Raum gestellt (zu diesem ausführlich o. Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 4 ff. auch zu den näheren Maßnahmen zur Erreichung der CO2-Neutralität bis 2050). Es ist auch aus Art. 4 des Pariser Weltklimavertrages ableitbar (näher u. Rn. 97 f.). Damit waren die Anstrengungen im
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Zu dieser näher Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 133 ff. Anhang I der VO (EU) 2018/842 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30. 05. 2018 zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der VO (EU) Nr. 525/2013, ABl 2018 L 156, S. 26. Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 1. Tagesschau vom 04. 01. 2021, Klimaziele für 2020 wegen Corona erreicht, abrufbar unter https://www.tagesschau.de/inland/corona-klima-deutschland-101.html (letzter Abruf: 15. 10. 2021). Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, S. 18.
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KSG § 1
Allgemeine Vorschriften
Rahmen des nationalen Klimaschutzes bereits bisher auf dieses Langzeitziel auszurichten. 17
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Union vom 16. 09. 2020 die Klimaneutralität bis 2050 nochmals betont und mit der Konsequenz verbunden, das Ziel der Senkung der Emissionen bis 2030 von bisher 40 % auf 55 % anzuheben – mit entsprechenden Konsequenzen für alle EU-Klima- und Energievorschriften23 und auch für einzelne Mitgliedstaaten, die bislang besonders stark zum Klimaschutz beigetragen haben. Deutschlands Zielsetzung von mindestens 55 % in § 3 Abs. 1 Satz 2 KSG 2019 entsprach nur dem bisher ausgegebenen EU-Gesamtziel von 40 %, welches durch das EU-Klimagesetz auf 55 % bis 2030 gegenüber 1990 gesteigert wurde. Auch deshalb wurde das Reduktionsziel bis 2030 in § 3 Abs. 2 auf 65 % angehoben.24 Dieses zählt als nationales Klimaziel auch im Rahmen von § 1.
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Eine weitere notwendige Steigerung kann sich daraus ergeben, dass die Lastenteilungsverordnung im Gefolge des Klimapakets „Fit for 55“ für Deutschland strengere Emissionssenkungsziele bestimmt, die wie bereits in der bisherigen KlimaschutzVO bestimmte Sektoren erfassen, und zwar nunmehr neben Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft kleine Industrieanlagen; die großen Industrieanlagen sind bereits in den laufenden EU-Emissionshandel einbezogen. Bei diesen Zielfestlegungen werden wie schon bisher die unterschiedlichen Ausgangssituationen und Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten zugrunde gelegt: Die nationalen Zielvorgaben werden auf der Grundlage des Pro-Kopf-BIP festgelegt, allerdings unter Berücksichtigung und Anpassung an die nationalen Gegebenheiten und die Kosteneffizienz; unionsweit sollen die Emissionen aus den genannten Sektoren gegenüber 2005 bis 2030 um 40 % zurückgehen.25
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Damit kann eintreten, dass Deutschland als wirtschaftlich starker EU-Mitgliedstaat über seine bisherigen Festlegungen hinaus Anstrengungen vornehmen und Ergebnisse erreichen muss. Deutschland war bisher immer wieder Vorreiter im Klimaschutz, aber andere Länder könnten mit ihren Möglichkeiten gegebenenfalls hinter Deutschland und dem Langfristziel zurückbleiben. Relevant ist insoweit, wie das Klimapaket „Fit for 55“ wiederum deutlich macht, der Grundsatz der Lastenteilung und damit der Solidarität, welcher auf der Basis von Art. 78 Abs. 3, 80 AEUV vom EuGH entwickelt wurde,26 nunmehr für den Energiesektor eigens betont und als allgemeiner EU-Grund23
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Kommission, Pressemitteilung v. 16. 09. 2020: „Präsidentin von der Leyens Rede zur Lage der Union: Europas Kurs aus der Coronavirus-Krise und in die Zukunft“, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_1657 (letzter Abruf: 15. 10. 2021). Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, S. 18. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen v. 14. 07. 2021, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final, S. 7. EuGH, Urt. v. 06. 09. 2017 – C-643/15, ECLI:EU:C:2017:631, Rn. 253, 291, 304, 323 – Verteilung von Flüchtlingen.
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
satz benannt27 sowie in Art. 2 Abs. 2 EU-Klimagesetz eigens festgeschrieben wird. Die Mitgliedstaaten sollen zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität gemeinsam handeln und dabei die Bedeutung der Förderung von Fairness und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten berücksichtigen. Damit ist angelegt, dass die stärkeren Schultern mehr tragen als die schwachen und daher vermehrte Anstrengungen unternehmen sowie anspruchsvollere Ergebnisse erreichen (s. o. Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 41; ders., Art. 2 EU-Klimagesetz Rn. 8 ff.). Damit ist noch nicht einmal das neue deutsche Reduktionsziel von 65 % bis 2030 gegenüber den Werten von 1990 notwendig bestandskräftig, sondern wegen des Bezugs des EU-Klimapakets mit seinen Reduktionszielen von 40 % bis 2030 auf das Jahr 2005 (o. Rn. 18 a. E.) und nicht 1990 möglicherweise anzupassen, wie es § 4 Abs. 5 für die sektoralen Jahresemissionsmengen vorsieht. Bislang zählt aber die Reduktionsverpflichtung von 55 % bis 2030 gegenüber 1990 im EU-Klimagesetz, an welche das KSG bereits angepasst wurde. Es wird sich erweisen, ob im Prozess der Realisierung des Klimapakets „Fit for 55“ auf Deutschland höhere Lasten zukommen. Es bedarf fortlaufender Anpassung an EU-Anforderungen, in deren Licht daher auch das KSG zu interpretieren ist.
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3. Einbruchstelle für EU-Recht Die vorgenannten europäischen Zielvorgaben bilden den übergeordneten Rahmen. Das europäische Recht ist dem nationalen Recht gegenüber vorrangig und muss daher eingehalten sowie auch in der Interpretation der nationalen Zielvorschrift gewahrt werden. § 1 als zentrale Zweckvorschrift bildet damit auch eine Steuerungsstelle, um den Vorrang des Unionsrechts zu wahren, wenn nämlich ihrer Funktion gemäß durch sie die nationalen Vorschriften ausgelegt werden.
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Das europäische Recht kann einerseits über die spezifischen nationalen Umsetzungsvorschriften zur Geltung kommen. Bei Widersprüchen findet das europäische Recht interpretativ oder über seinen Anwendungsvorrang letztlich seine Durchsetzung. Das kann aber auch mittelbar dadurch erfolgen, dass es über die Auslegung der nationalen Vorschrift vor dem Hintergrund des Gesetzeszweckes herangezogen wird und damit die spezifische nationale Vorschrift indirekt über die Prägung der Gesetzeszweckvorschrift unionsrechtskonform gehandhabt wird. Das gilt zumal für § 1, werden doch die europäischen Zielvorgaben und ihre Einhaltung in § 1 Satz 1 eigens genannt. Zwar stehen sie gleichgeordnet neben den nationalen Klimaschutzzielen und ihrer Erfüllung. Dies ändert aber nichts an ihrem Vorrang, außer die nationalen Klimaschutzziele bilden ein Opting-Out und sind damit strenger und anspruchsvoller als die europäischen Zielvorgaben, sodass sie auf der Basis von Art. 193 AEUV zur Geltung kommen können.
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EuGH, Urt. v. 15. 07. 2021 C.848/19 P, ECLI:EU:C:2021:598, Rn. 37 ff. – Deutschland/Polen.
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KSG § 1
Allgemeine Vorschriften
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Indes dient das KSG dazu, die europäischen Zielvorgaben überhaupt zu erfüllen. Zudem wurde gerade dargelegt (o. Rn. 18 ff.), dass es auch unionsrechtlich erforderlich sein kann, dass die nationalen Klimaschutzziele anspruchsvoller sind als die der anderen EU-Staaten, um in gemeinsamer solidarischer Verwirklichung der EU-Klimaschutzziele bis 2050 die CO2-Treibhausgasneutralität zu erreichen. Daher bilden die anspruchsvolleren deutschen Zielsetzungen kein Opting-Out, sondern sie sind eingebettet in die zwischen den Mitgliedstaaten solidarische, lastenteilende Verwirklichung des EU-Klimaschutzes, bei welcher Deutschland höhere Zielsetzungen als andere Mitgliedstaaten schultern muss; diese sind damit den EU-Klimazielen inhärent (s. o. Rn. 19). Damit gehen auch die nationalen Klimaschutzziele weitestgehend in den übergeordneten europäischen Klimaschutzzielen auf, welche eine Verwirklichung in den Mitgliedstaaten nach deren Leistungsfähigkeit voraussetzen. Sie konkretisieren höchstens und spezifizieren sie für einzelne Bereiche, soweit dies nicht schon durch EU-Vorgaben erfolgt. Im Zuge der weiteren Entwicklung des Klimaschutzes wie auch der europäischen Klimaziele werden sie fortlaufend angepasst.
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§ 3 sieht eigens die Festlegung nationaler Klimaschutzziele vor, und zwar höherer als bisher, um europäische oder internationale Klimaschutzziele zu erfüllen (§ 3 Abs. 4). § 3 Abs. 1 sieht bis zum Zieljahr 2030 eine Minderungsquote von mindestens 65 % im Vergleich zum Jahr 1990 vor. Mittlerweile ist – entsprechend den Maßgaben des BVerfG-Klimabeschlusses – auch der Zeitraum ab 2030 mit Zielsetzungen ausgestattet, nämlich durch die CO2-Reduktion bis 2040 um mindestens 88 % nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 sowie die Anlage 3 mit den notwendigen Eckpunkten zur Ausfüllung der Verordnungsermächtigung nach § 4 Abs. 6. Auch insoweit wird sich weisen, inwieweit eine Anpassung an (ambitioniertere) EU-Ziele notwendig ist (s. bereits o. Rn. 21).
III. Weltweiter Bezug 1. Konstruktiver Mitspieler für den internationalen Klimaschutz 25
Generell dient § 1 dem an erster Stelle genannten Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels. Dieser nimmt bedrohliche Ausmaße an (ausführlich o. Leuchner, Aktueller Klimazustand und zukünftige Klimaentwicklung – Einflussfaktoren, Folgen und Herausforderungen, Einf. D Rn. 1 ff.). Damit geht es nicht nur um die sich in Deutschland zeigenden Auswirkungen sowie zugleich um die Bekämpfung der Ursachen des weltweiten Klimawandels, welche in Deutschland hervorgerufen werden. Schließlich haben die deutschen negativen Einwirkungen auf das Klima möglicherweise weltweite Konsequenzen. Auch von daher ist Deutschland gezwungen, Maßnahmen im Hinblick auf den weltweiten Klimawandel zu ergreifen und muss zum weltweiten Klimaschutz beitragen.28 Dies wurde mittlerweile vom BVerfG als feste verfassungsrechtliche Verpflichtung aus dem Klimaschutzgebot nach der Umweltstaatszielbestimmung des Art. 20a GG abgeleitet (ausführlich u.
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S. bereits die Vorauflage § 1 KSG Rn. 13.
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§ 1 KSG
Rn. 47 ff.).29 Das korrespondiert mit dem globalen Bezug von Art. 191 Abs. 1 4. Spiegelstrich AEUV, durch den die Europäische Union zum weltweiten Klimaschutz verpflichtet ist. Das betrifft insbesondere die Rolle bei internationalen Klimaschutzverhandlungen und Konferenzen. Nicht umsonst wird in § 1 Satz 3 das Übereinkommen von Paris in Bezug genommen, zu dessen Zustandekommen maßgeblich die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten beigetragen haben. Gleichwohl geht die Ausrichtung des KSG nicht dahin, dass Deutschland durch seine Maßnahmen und Vorstellungen der Welt seinen Stempel aufdrücken müsste und so weltweit prägende Bedeutung erlangen könnte. Vorgegeben ist vielmehr, dass Deutschland sich mit seinen Vorstellungen und Maßnahmen einbringt, dadurch eine Vorbildfunktion wahrnimmt30 sowie andere Staaten zu verstärkten Anstrengungen und Kompromissen bei internationalen Konferenzen bewegt. Deutschland soll ein konstruktiver Mitspieler für den internationalen Klimaschutz sein.
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2. Konsequenzen auf der Basis grundrechtlicher Schutzpflichten a) Zusammenhang mit § 1 Satz 1 Eine solche Rolle ist tiefergehend zur Gewährleistung eines wirksamen Ge- 27 sundheits- und Eigentumsschutzes (Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 GG) geboten. Die Bedrohung durch den Klimawandel ist so stark, dass sie, wie die aktuellen Unwetterereignisse vor allem in Gestalt der Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021 zeigten, auch Rückwirkungen auf die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter namentlich in Gestalt von Leben und Gesundheit sowie Eigentum (Art. 2 Abs. 2, Art. 14 GG) haben kann. Ausgangspunkt ist der unmittelbare weltweite Klimawandel. Der Schutz der grundgesetzlich gewährleisteten Rechtsgüter gebietet es daher, den weltweiten Klimawandel zu bekämpfen. Das gilt bereits für die gegenwärtigen Generationen. Daher ist die Lösung von Klimaschutzpflichten als Grundrechtsvoraussetzungsschutz vorzuziehen (Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 2 ff.). Insoweit ist ebenfalls anerkannt, dass ein langfristiger präventiver Schutz erfolgen kann, und zwar auch bei Wirkungsunsicherheiten.31 Der weltweite Klimawandel lässt sich ohnehin nicht vom nationalen Klimawandel unterscheiden, wenn ein solcher überhaupt getrennt feststellbar ist. Das betrifft nur die Auswirkungen etwa in Form regionaler Dürreperioden und Hitzephasen, ist aber gleichwohl eingebettet und bedingt durch den 29 30
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 200 ff. S. nunmehr BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE: BVerfG:2021:rs20210324.1bvr265618, Rn. 203: „durch eigenes Handeln auch internationales Vertrauen stärken, dass Klimaschutz … zu lebenswerten Bedingungen gelingen kann.“ BVerfG, Beschl. v. 08. 08. 1978 – 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (140 ff.) – Kalkar sowie Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021:rs20210324. 1bvr265618, Rn. 145.
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weltweiten Klimawandel. Dementsprechend ist auch angesichts der begrenzten Territorialhoheit Deutschlands der Bezug auf den weltweiten Klimawandel in § 1 Satz 1 sachgerecht und geboten. Auch diese Vorschrift bildet damit die durch die grundrechtlichen Schutzpflichten erforderliche Normierung. b) Notwendige internationale Tragweite nach dem BVerfG-Klimabeschluss 29
Das BVerfG bejahte zwar ebenfalls den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter aus Umweltbelastungen und damit auch vor den Gefahren des Klimawandels.32 Zudem betont es ebenfalls im Hinblick auf die grundrechtlichen Schutzpflichten die notwendig internationale Tragweite auch des nationalen Klimaschutzes. Daher muss der deutsche Staat Lösungen des Klimaschutzes auch auf internationaler Ebene suchen und im Rahmen internationaler Abstimmungen mit anderen Staaten etwa durch Verhandlungen, in Verträgen oder Organisationen auf Klimaschutzaktivitäten hinwirken, und zwar eingebettet in diese und für deren Realisierung nationale Maßnahmen zum Stopp des Klimawandels ergreifen.33 Daraus ergibt sich schon eine Wechselwirkung zwischen ambitioniertem nationalen Klimaschutz und Fortschritten auf internationaler Ebene. c)
Ausprägung der objektiven Funktion der Grundrechte
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Im Übrigen aber zeigt sich der Charakter der grundrechtlichen Schutzpflichten als Ausprägung der objektiven Funktion der Grundrechte.34 Daraus folgt ihre Unbestimmtheit, weshalb der Gesetzgeber einen breiten Einschätzungs-, Gestaltungs- und Wertungsspielraum hat und nur dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz des Rechtsguts zu ergreifen, woraus eine nur begrenzte verfassungsrechtliche Kontrolle folgt: Wurden Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen? Sind sie offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich, das gebotene Schutzziel zu erreichen? Bleiben sie erheblich hinter dem Schutzziel zurück?35
31
Daraus folgt, dass das BVerfG die grundrechtlichen Schutzpflichten durch das KSG nicht verletzt sah.36 Zudem zog es aus ihnen für die internationale Tragweite des Klimaschutzes nur begrenzte Konsequenzen und behielt diese seinem eigentlichen Ansatz eines wirksamen Klimaschutzes für die jungen Generationen aus den Freiheitsrechten i. V. m. dem Umweltstaatsziel vor.
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR rs20210324.1bvr265618, Ls. 1, Rn. 144, 148. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR rs20210324.1bvr265618, Rn. 149. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR rs20210324.1bvr265618, Rn. 146. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR rs20210324.1bvr265618, Rn. 152. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR rs20210324.1bvr265618, Rn. 151.
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2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021:
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d) Genügen des Paris-Ziels als solchem Insoweit genügte es dem BVerfG, dass der Gesetzgeber das Paris-Ziel zugrunde gelegt hat und damit in § 1 Satz 3 den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen will. Diese Verständigung des Pariser Klimaübereinkommens konnte der Gesetzgeber angesichts seines großen Spielraums wählen37 und auch dem IPCC-Sonderbericht ist nicht präzise zu entnehmen, die Erderwärmung müsse auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden.38 Die Klimakonferenz von Glasgow legte dieses Ziel nur faktisch zugrunde (Ziff. 21; näher Frenz, Ergebnisse COP26, Einf. N Rn. 1 ff.).
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Demgegenüber sieht das BVerfG dieses Ziel durch das Klimaschutzgebot 33 nach Art. 20a GG als „aufgegebene Anstrengung“, auch wenn sich die Begrenzung bei 1,75 Grad Celsius noch im Bereich des rechtlich Zulässigen bewegt.39 Damit ist im Ergebnis zwar die Zielmarke parallel, aber die Ausdrucksweise für Art. 20a GG stärker, auch wenn es sich dabei um eine Staatszielbestimmung handelt – ein Widerspruch, der wiederum unterstreicht, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten die passendere Ableitung gewesen wären, verstärkt um die dogmatische Figur des Voraussetzungsschutzes für die Entfaltung der Abwehrgrundrechte (näher Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 39 ff.). Diese Abstufung zeigt sich auch in dem Offenlassen der Problematik, dass die in § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 3 KSG 2019 i. V. m. Anlage 2 bis zum Jahr 2030 geregelten Reduktionsvorgaben möglicherweise schon nicht ausreichten, um das Paris-Ziel zu erreichen: Insoweit verweist das BVerfG auf die freiheitsrechtliche Prüfung i. V. m. dem Umweltstaatsprinzip.40 Für die grundrechtlichen Schutzpflichten verweist das BVerfG auf mögliche Anpassungsmaßnahmen und auf mögliche Nachbesserungen.41 In diesem Umfang sieht das BVerfG auch die Schutzpflicht aus Art. 14 Abs. 1 GG erfüllt.42
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 162. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 159 ff. Bereits Frenz, Kohleausstieg en marche – Konsequenzen des Kommissionsberichts vom 26. 01. 2019 und der Klimakonferenz von Kattowitz, RdE 2019, 159 ff. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 235 zur von ihm faktisch zugrunde gelegten Berechnung des nationalen Restbudgets durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 167. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 167, 170. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 171 ff.
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e) Gegenüber im Ausland lebenden Beschwerdeführenden 35
Die internationale Tragweite des Klimaschutzes enthält auch Maßgaben für die Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht gegenüber den in Bangladesch und in Nepal lebenden Beschwerdeführenden, deren Berufung auf eine solche Pflicht nicht ausgeschlossen, sondern mit möglichen Ansatzpunkten verbunden wird.43 Wegen mangelnder Möglichkeit Deutschlands, im Ausland lebenden Personen effektiven Schutz zukommen zu lassen, ergeben sich aber stark abgemilderte Pflichten. So kann Deutschland keine Anpassungsmaßnahmen durchführen, sondern nur finanzielle Hilfe gewähren, was Art. 9 Abs. 1 des Pariser Klimaabkommens vorsieht.44 Es genügt insoweit, wenn sich Deutschland international für den Klimaschutz einsetzt und zu konkreten Maßnahmen schreitet, um das international zum Klimaschutz Vereinbarte umzusetzen.45
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Immerhin sieht damit aber das BVerfG Schutzverpflichtungen auch gegenüber im Ausland lebenden Personen. Dies korrespondiert mit dem Ansatz des OLG Hamm, das in der Beweisaufnahme dafür eintrat, ob RWE gegenüber einem peruanischen Bauern haftet, der Schutzvorkehrungen vor den negativen Wirkungen des Klimawandels treffen musste (näher (abl.) Frenz, Klimaschadensrecht, Einf. L Rn. 1 ff.).46 Jedoch ist eine Zurechnung insoweit nicht fest etabliert. Umgekehrt arbeitet aber das BVerfG für den Staat heraus, dass er für den internationalen Klimaschutz tätig werden muss, ohne auf die Untätigkeit anderer Staaten verweisen zu können. Auch hängen die Handlungsverpflichtungen nicht von bestimmten Verursachungsbeiträgen ab. f)
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Loslösung der staatlichen von den privaten Handlungspflichten
Damit ist die Handlungspflicht staatlicher Organe losgelöst von der privater zu sehen. Im Übrigen verurteilte der Gerichtshof von Den Haag47 Shell zu einer Reduktion seiner Emissionen um 45 %, allerdings vor dem Hintergrund, dass große Firmen mehr zum CO2-Ausstoß beitragen als kleine Staaten und Letztere ihren – vom EGMR bislang freilich sehr offen formulierten48 (Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 71) – Umweltschutzverpflichtungen aus Art. 8 EMRK praktisch nicht nachkommen können, wenn nicht die großen Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen reduzieren.
43 44 45 46 47 48
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BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 175. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 178 f., 181. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 181 a. E. OLG Hamm, Beweisbeschl. v. 30. 11. 2017 – 5 U 15/17, ZUR 2018, 118. Gerichtshof Den Haag, Uitspraak op 26. 05. 2021 – C/09/571932/HA ZA 19-379, ECLI:NL:RBDHA:2021:5337. Etwa EGMR, Nr. 23225/05, Rn. 31 ff.; Nr. 29121/95 – Assenbourg u. a.; Groß, Die Ableitung von Klimaschutzmaßnahmen aus grundrechtlichen Schutzpflichten, NVwZ 2020, 337 (338).
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
Erst recht müssen dann Staaten ihre Emissionen reduzieren, um den weltwei- 38 ten Temperaturanstieg und Klimawandel zu stoppen. Ansonsten würden auch Verpflichtungen der Unternehmen, wie sie der Gerichtshof von Den Haag angenommen hat, leerlaufen. In Deutschland existiert jedoch kein solches Judikat, dessen Übertragbarkeit im Übrigen daran scheitert, dass Deutschland als großes Land nicht derart von den Emissionen eines Unternehmens geprägt wird wie die Niederlande durch Shell. Auch der Fall vor dem OLG Hamm ist anders gelagert. Dementsprechend bedarf es in Deutschland der Verpflichtung der Unternehmen durch den Staat. Das gilt auch für weltweit tätige Unternehmen. Diese unterliegen aber nur insoweit, als sie in Deutschland tätig sind, der Hoheitsgewalt des hiesigen Staates. Muss daher Deutschland im Hinblick auf die Auswirkungen der Braunkohleverstromung nachsteuern? Wegen dieser wurde RWE Power von einem peruanischen Landwirt vor dem OLG Hamm verklagt, der finanzielle Aufwendungen von RWE Power verlangt, damit er sich vor den Folgen des Klimawandels in Peru durch abschmelzende Gletscher und ansteigendes Wasser schützen kann. Das OLG Hamm ist in das Beweisverfahren eingetreten und schließt eine solche Haftung für Klimaschäden nicht aus.49 Spricht das OLG Hamm dem peruanischen Landwirt Schadensersatz zu, setzt es sich über die bisher notwendige individuelle Zurechnung von Schäden im Rahmen des Rechts der unerlaubten Handlung hinweg (o. Frenz, Klimaschadensrecht, Einf. L Rn. 64 f.).50
39
Dann ist allerdings der Damm dafür gebrochen, dass grundsätzlich jeder 40 Verursacher für die weltweiten Konsequenzen seines Handelns herangezogen werden kann, auch wenn sich die Ursachen summieren und erst dadurch in der Gesamtheit der sich zeigende Klimawandel verursacht wurde. Dann aber wird auch relevant, dass nationale Behörden die Genehmigungen für solches Handeln erteilt bzw. überhaupt den Rahmen geschaffen haben, in dem sich etwa die Kohleverstromung entfalten und etablieren konnte. Unter Verweis darauf wird teilweise eine Zurechnung an den Staat bejaht.51 Sie wird allerdings im Rahmen der herrschenden Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten zu Recht abgelehnt.52 Das Genehmigungsverfahren ist gerade Teil der Schutzkomponente, indem auf seiner Basis die aufeinander prallenden Grundrechtsbelange ausgeglichen und dabei die durch ein etwa industrielles Verhalten gefährdeten privaten Eigentums- und Gesundheitsbe-
49 50 51
52
OLG Hamm, Beweisbeschl. v. 30. 11. 2017 – 5 U 15/17, ZUR 2018, 118 ff. Ausführlich Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 1399 ff. Krit. auch Chatzinerantzis/Appel, Haftung für den Klimawandel, NJW 2019, 881 ff. Dafür etwa Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr – Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion, EuGRZ 1984, 457 (464 ff.); Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 56; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 219; vgl. auch Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 91 ff., aber auch S. 109 sowie später Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 387 ff. Näher Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 442 ff.
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KSG § 1
Allgemeine Vorschriften
lange geschützt werden.53 Diese Gefährdung geht aber immer noch von dem privaten Antragsteller der Genehmigung aus. Der Staat versucht sie nur zu kontrollieren und gegebenenfalls durch Auflagen oder gar eine Ablehnung der Genehmigung abzumildern bzw. auszuschließen. Dadurch wird indes nicht er zum Gefährder. Damit enthält dann die Schutzpflicht die Rechtfertigung dafür, dass gegen den Verursacher vorgegangen wird, und trägt von daher in einer bestimmten Konstellation ein Vorgehen gegen den Verursacher,54 nicht aber dessen Entlastung von eigener Verantwortung. Das Risiko bleibt also beim Verursacher und wird nicht auf den Staat verlagert.55 Diesem sind also nicht etwa die CO2-Emissionen zurechenbar, die deshalb ausgestoßen werden, weil ein bestimmtes Verhalten bzw. Vorhaben nicht verboten, sondern genehmigt wurde. 41
Allerdings stellt sich das Problem, wenn Unternehmen nicht mehr zahlungsfähig sind. Immerhin wurden schon bei der Klimakonferenz von Kattowitz die Schäden und Verluste aufgrund des Klimawandels gemäß einer langen Forderung armer Entwicklungsländer und bedrohter Inselstaaten erfasst, was auf der Folgekonferenz in Glasgow verstärkt wurde (näher o. Frenz, Ergebnisse COP26, Einf. N Rn. 23 ff.).56
42
Daher ist nicht auszuschließen, dass im Gefolge der weiteren Klimaverhandlungen auch eine Staatenverantwortlichkeit festgelegt wird für Klimaschäden, welche durch die nationalen Unternehmen verursacht werden. Gerade Staaten ist es schwerlich zumutbar, einzelne Unternehmen international zu verklagen. Da liegt es näher, sich an die Sitzstaaten der entsprechenden Unternehmen zu wenden. Oder aber es wird ein internationaler Fonds eingerichtet, der bereits jetzt existiert, um die besonders durch den Klimawandel geschädigten Staaten zu schützen. Dieser Fonds könnte sich dann auf den Ersatz der durch den Klimawandel geschädigten Privatpersonen beziehen.
43
Jedenfalls zeigt die Klage vor dem OLG Hamm, die nicht a priori abgewiesen wurde wie noch in der Vorinstanz,57 dass sich im Bereich von weltweiten Klimaschäden und ihrer Ersetzung Einiges bewegt. Auch deshalb ist der Bezug von § 1 auf die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels sachgerecht. Das KSG versucht, diese Auswirkungen möglichst effizient zu begrenzen und damit etwaige Schadensersatzzahlungen zu vermeiden, weil durch wirksamen staatlichen Schutz möglichst wenig Schäden eintreten sollen.
53 54 55 56 57
556
Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz? Möglichkeiten und Grenzen grundrechtlicher Klimaklagen in Deutschland, DVBl 2020, 1389 (1392). Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 101. Etwa bereits Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 92 f.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 425; Alexy, Theorie der Grundrechte, 5. Aufl. 2006, S. 417 ff. Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 55, 62 f. LG Essen, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 O 285/15, NVwZ 2017, 734.
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
3. Konsequenzen auf der Basis des Klimaschutzgebots i. V. m. den Freiheitsgrundrechten a) Notwendige internationale Kooperation Das BVerfG legt den Schwerpunkt seiner Entscheidung nicht auf die grundrechtlichen Schutzpflichten, sondern auf das Klimaschutzgebot i. V. m. den Freiheitsgrundrechten. Das gilt auch für die internationale Tragweite des Klimaschutzes, aus der es konkrete Folgerungen zieht.
44
Das BVerfG sieht die Freiheitsrechte der jungen Generationen verletzt, weil der Gesetzgeber keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat, die Emissionsminderungspflichten grundrechtsschonend zu bewältigen.58 Aufgrund ihrer wegen des Klimawandels notwendigen Begrenztheit wird die Ausübung CO2-relevanter Freiheit rechtfertigungspflichtig. Das insgesamt zulässige Maß erwächst aus dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG, welches zugleich die Zulassung CO2-relevanter Freiheit begrenzt, um nicht die künftige Freiheit junger Generationen infolge zu starker Klimaschutzlasten zu gefährden.59 Diese und das Umweltstaatsziel verpflichten daher den Staat zu effektivem Klimaschutz, dem nicht entgegensteht, dass Klima und Klimaerwärmung globale Phänomene sind und daher die Klimaschutzbeiträge eines Staates nicht ausreichen.60 Im Gegenteil ist Klimaschutz wegen der tatsächlichen Gegebenheiten des Klimawandels und seiner Abmilderung nur in einer internationalen Kooperation zu erreichen.61
45
Diese „internationale Dimension“62 verlangt vom Staat ein international ausgerichtetes Handeln und damit einen substanziellen Beitrag zu weltweiter Klimaneutralität.63 Daher kann der Staat nicht darauf verweisen, dass es auch Treibhausgasemissionen in anderen Staaten gibt.64 Er ist unabhängig davon zum Handeln verpflichtet, und zwar für sich selbst, aber am besten im Wege international vereinbarter Maßnahmen, die dann auch tatsächlich zu ergreifen sind.65 Innerstaatlich sind sie wirksam umzusetzen.
46
58 59 60 61 62 63 64 65
BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 182 f. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 188, 190. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 199. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 200. Bereits Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 20a Rn. 11. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 201 f. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 203.
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Allgemeine Vorschriften
b) Vorbildfunktion 47
Der Staat darf daher „für andere Staaten keine Anreize setzen, dieses (notwendige) Zusammenwirken zu unterlaufen. Er soll durch sein eigenes Handeln auch internationales Vertrauen stärken, dass Klimaschutz, insbesondere eine Umsetzung vertraglicher vereinbarter Klimaschutzziele, auch mit Blick auf grundrechtliche Freiheiten zu lebenswerten Bedingungen gelingen kann“.66 Deutschland soll damit eine Vorbildfunktion wahrnehmen67 und zum positiven Musterbeispiel für den weltweiten Klimaschutz werden. Erfolge im Innern sollen zu Erfolgen weltweit führen, indem eine Atmosphäre des Vertrauens in der internationalen Staatengemeinschaft gefördert wird und so alle Staaten gemeinsam dazu beitragen, mehr Klimaschutz zu betreiben. Deutschland soll insoweit ein Leuchtturm sein.
48
Diese Vorbildfunktion nach außen setzt ambitioniertes Handeln im Innern voraus. Dadurch wirkt die Internationalität des Klimaschutzes auf den innerstaatlichen Bereich zurück. Dabei bestimmt der Gesetzgeber, welche Bereiche wie stark zum (international vorbildhaften) Klimaschutz beizutragen haben. Aus der Art. 20a GG zu entnehmenden klimabezogenen Vorbildfunktion Deutschlands folgt also nicht notwendig eine Vorbildfunktion aller CO2relevanten Bereiche und Aktivitäten. Nur in ihrer Gesamtheit müssen sie ein weltweites Musterbeispiel formen.
49
Allerdings werden angesichts der Reduktionslasten und der dafür erforderlichen tiefgreifenden Verhaltensumstellung in diversen Feldern68 viele Bereiche betroffen sein müssen. Auch die EU-Kommission betont in ihrem Klimapaket „Fit for 55“ vom 14. 07. 202169 die Notwendigkeit verschiedener Maßnahmen in zahlreichen Sektoren von der Gebäudeenergieeffizienz über die Energieerzeugung und die Mobilität bis zur Land- und Forstwirtschaft, die erst in ihrem Zusammenwirken die notwendige CO2-Reduktion bringen.
50
Daher braucht es gerade für die vom BVerfG geforderte Vorbildfunktion, die für die EU auch die Kommission anstrebt,70 einer Betrachtung aller Sektoren, um ein für den Klimaschutz effektives Gesamttableau zu entfalten. Dabei liegt es nahe, die dafür den wirksamsten Beitrag liefernden Sektoren besonders herauszugreifen, ohne dass aber große Bereiche ausgespart werden können. Es muss nur nicht jedes Feld Musterbeispiel sein. Die vom BVerfG 66 67 68 69
70
558
BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. So bereits Frenz, in der Vorauflage, § 1 KSG Rn. 14. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 249. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen v. 14. 07. 2021, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen v. 14. 07. 2021, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final, S. 15.
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§ 1 KSG
angesprochenen lebenswerten Bedingungen71 legen auch eine Einbeziehung wirtschaftlicher Folgen nahe. Für jeden erfassten Bereich bedarf es einer normativen Festlegung von Standards etwa für bestimmte Verhaltensweisen oder für CO2-Reduktionspflichten,72 wie dies die EU-Kommission in ihrem Klimapaket „Fit for 55“ vorgegeben hat. c)
Verdichtung völkerrechtlicher Regelungen
Durch diese Vorbildfunktion Deutschlands für die wirksame Umsetzung ver- 51 traglich vereinbarter Klimaschutzziele zu lebenswerten Bedingungen verdichtet das BVerfG zugleich völkerrechtliche Verpflichtungen. Es verweist eigens auf den freiwilligen Mechanismus nach dem Pariser Klimaabkommen,73 verlangt aber die Umsetzung vertraglich vereinbarter Vertragsziele. Damit ist Deutschland praktisch verpflichtet, dieses Abkommen möglichst klimaschützend zu verwirklichen. Das Klimaziel ist in § 1 Satz 3 einfachgesetzlich festgelegt und damit durch die Wechselwirkung und als Ausdruck des Umweltstaatsziels verfassungsfest. Es muss so umgesetzt werden, dass andere Staaten Vertrauen in die deutschen Klimaschutzanstrengungen entfalten und so dazu bewogen werden, auch eigene Maßnahmen zu ergreifen. Insofern kann und soll Deutschland Vorbild sein. Daher bedarf es ambitionierter Umsetzung und Realisierung im Innern, damit die Zielvorgaben des Pariser Klimaabkommens möglichst wirksam zur Geltung kommen können, und zwar weltweit. Zu dieser ambitionierten Vorgehensweise gehört, dass lebenswerte Bedingungen verbleiben, auch mit Blick auf grundrechtliche Freiheiten.74 Werden diese allzu stark beeinträchtigt, geht die positive Vorbildfunktion für andere Staaten verloren. d) CO2-Restbudget Korrespondierend zu der gebotenen Vorbildfunktion legt das BVerfG Deutschland auch ein restriktiv berechnetes CO2-Restbudget zugrunde, ohne es rechtlich verpflichtend zu machen, ohne aber auch große Abweichungen zu ermöglichen.75 Daran zeigt sich allerdings die Problematik, wenn völkerrechtliche Festlegungen vom BVerfG verdichtet werden und zu konkreten Folgerungen Anlass geben (näher u. Rn. 103 ff.).
52
Ansatzpunkt dafür ist auch die Irreversibilität des Klimawandels, aus der die Berücksichtigung der aus einem qualitätssichernden Verfahren hervorgegangenen Schätzungen des IPCC zur Größe des verbleibenden globalen CO2-
53
71 72 73 74 75
BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. Näher zur Kreislaufwirtschaft Frenz, 2022, Rn. 540 ff. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 204. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 203. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 rs20210324.1bvr265618, Rn. 228 f.
BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021:
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Restbudgets folgt, wenn sich daraus die mögliche Überschreitung der verfassungsrechtlich maßgeblichen Temperaturschwelle ergibt.76 Daran kann die Vereinbarkeit des KSG im Hinblick auf die zugelassenen Emissionsmengen „dem Grunde nach gemessen“ werden,77 auch wenn die (bisherigen) Unsicherheiten in der Berechnung „derzeit“ noch keine Heranziehung als zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle erlauben, wie das BVerfG für das vom Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelte CO2Restbudget Deutschlands entschied, welches auf den Schätzungen des IPCC zur Wahrung einer 1,75 Grad Celsius-Temperaturschwelle beruht.78 e) Dynamische Betrachtung auf der Basis des aktuellen IPCC-Berichts 54
Angelegt ist damit aber eine Prüfung des KSG darauf hin, ob die Zahlengrundlagen des Sachverständigenrates für Umweltfragen auf der Basis der IPCC-Schätzungen gewahrt sind. Letztere sind damit im Ergebnis höhergestellt als das KSG, jedenfalls wenn die noch vorhandenen Unsicherheiten verschwunden sind. Das KSG muss damit zumindest in der Zukunft den Standards und Berechnungen entsprechen, welche der IPCC heranzieht und die nunmehr auch schon faktisch zugrunde gelegt werden. Das legt einen dynamischen Prozess nahe.
55
Die Berechnungen des IPCC von 2018, die auf der Kattowitz-Konferenz nur in ihrer zeitlichen Fertigstellung begrüßt wurden, sind zwar vom BVerfG zugrunde gelegt, wurden aber durch den neuen IPCC-Bericht vom 09. 08. 2021 abgelöst, der wesentlich dramatischere Berechnungen enthält. In der Konsequenz sind daher diese zugrunde zu legen. Auf sie bezogen ist nunmehr zu prüfen, ob die Unsicherheiten und Wertungen immer noch so stark sind, dass eine Heranziehung für die juristische Prüfung ausscheidet.
56
Daran zeigt sich zugleich die Unsicherheit über den juristischen Prüfungsmaßstab: Ist dieser nun unter strikter Beachtung der Berechnungen von IPCC und Sachverständigenrat für Umweltfragen zu wählen oder können diese nur berücksichtigt werden, sodass der Gesetzgeber ihnen nur Rechnung getragen haben muss? Insoweit braucht auch der Gesetzgeber Verlässlichkeit, muss er doch sonst bei jeder Verfassungsklage erst einmal abwarten, ob das BVerfG IPCC-Schätzungen und Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen als verbindlich oder lediglich als zu berücksichtigenden Posten heranzieht. Oder aber greifen mit der Regulierung im Zuge des EU-Klimapakets nur noch die europäischen Festlegungen und auch Grundrechte, die kein Klimaschutzgebot enthalten (näher o. Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 102 f.)?
76 77 78
560
BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 229. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 216 a. E. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236.
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§ 1 KSG
Jedenfalls muss das KSG nach diesem Maßstab anhand des neuen IPCCBerichts vom 09. 08. 2021 überprüft werden, ob die angestellten Prognosen auch mit diesem übereinstimmen und inwieweit davon ausgehend schärfere Reduktionsziele und Minderungsmaßnahmen zu ergreifen sind. Ansatz dafür ist aber letztlich ein auf völkerrechtlicher Ebene eingesetztes Gremium, dessen Arbeit von der Staatengemeinschaft indes als nicht verbindlich zugrunde gelegt wird, wie die Konferenz von Kattowitz 2018 zeigte.79 f)
57
Innerstaatliche Verbindlichkeit
Durch die verfassungsrechtlich vorgegebene Internationalität und Vorbildfunktion Deutschlands wird das auf freiwilligen Mechanismen und einem keineswegs fest vereinbarten, sondern als Zielmarke fungierenden Klimaziel beruhende Pariser Klimaabkommen für Deutschland innerstaatlich verbindlich, während ansonsten die Staaten selbst darüber zu entscheiden haben, wie genau sie auf dieses Ziel hinarbeiten.80
58
Dabei muss der deutsche Gesetzgeber noch beobachten, ob das von ihm gesetzte Klimaschutzziel möglicherweise schärfer zu fassen ist, um seiner Anpassungspflicht an die neuesten Entwicklungen und Kenntnisse in der Wissenschaft nachzukommen, vergleichbar zur Risikovorsorge im Hinblick auf die Kernenergie.81 Daraus ergibt sich damit ein strenger Maßstab. Eine Absenkung des Klimaziels ist dementsprechend kaum zu rechtfertigen.82
59
Vielmehr ist der aktuelle IPCC-Klimabericht vom 09. 08. 2021 ein Weckruf, 60 um zu prüfen, ob angesichts der eingeleiteten irreparablen Entwicklungen, wie das Ansteigen der Meeresspiegel, nicht doch die Reduktionsziele anzupassen und zu verschärfen sind. Darüber muss aber der Gesetzgeber entscheiden (u. Rn. 114). Je konkreter der IPCC Bericht erstattet und Unsicherheiten über künftige Entwicklungen verschwinden, desto schärfer wird die Kontrolle des BVerfG ausfallen und daher die normative Konkretisierung überprüft werden. Dabei muss dann aber auch berücksichtigt werden, wenn der IPCC feststellen sollte, dass das 1,5 Grad-Ziel weltweit gar nicht mehr erreicht werden kann. Dann kann Deutschland noch zu hohen Anstrengungen verpflichtet sein, aber nicht mehr zur Erreichung eines gar nicht mehr zu schaffenden Ziels. Die in § 1 Satz 1 festgelegte weltweite Bedeutung des Klimaschutzes ist damit verfassungsfest und durch den Klimabeschluss des BVerfG erheblich konkretisiert sowie verdichtet worden. Die Vorbildfunktion Deutschlands führt zu konkreten staatlichen Verhaltenspflichten, die im Lichte der weltweiten Tragweite des Klimaschutzes auszulegen und aus dieser Sicht regelmäßig so 79 80 81 82
Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 38 f. Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 39. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 212. Unter Verweis auf Beschl. v. 08. 08. 1978 – 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (130, 132) zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 212 a. E.
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Allgemeine Vorschriften
zu interpretieren sind, dass sie die Vorbildfunktion Deutschlands möglichst wirksam zur Geltung kommen lassen. Die Grenze dafür ist allerdings die in § 1 ebenfalls enthaltene Berücksichtigung nicht nur der ökologischen, sondern auch der ökonomischen und sozialen Folgen, wie es dem Zieldreieck der nachhaltigen Entwicklung entspricht (näher u. Rn. 85). Insoweit ist jedoch näher zu untersuchen, inwieweit in Deutschland nach dem BVerfG-Klimabeschluss die ökologische Seite einen zumindest relativen Vorrang besitzt (Rn. 86 ff.).
IV. Bedeutung für die Gesetzesanwendung 1. Generelle Leitlinie für Interpretation und Handhabung 62
Damit wird durch § 1 ein sehr weiter Rahmen gesteckt. Dieser ist maßgeblich für die Auslegung der folgenden Vorschriften des KSG. Es ist bei Umweltgesetzen mittlerweile Standard, dass die Zweckvorschrift die Interpretation und Handhabung des Normwerkes insgesamt prägt. Das gilt auch für die Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen (näher u. Frenz/Schink, § 1 BEHG Rn. 2 ff.).83 Auch wenn konkretisierende Maßnahmen ergriffen werden, so durch die Festlegung der Klimaschutzziele nach § 3 Abs. 4, die Erarbeitung und der Beschluss von Sofortprogrammen bei der Überschreitung der Jahresemissionsmengen sowie von Klimaschutzprogrammen, ist die Zielsetzung nach § 1 von maßgeblicher Bedeutung. So müssen diese Programme hinreichend anspruchsvoll sein, um die angestrebten Ziele zu erreichen.
63
Das ist aber zugleich Ausdruck der effektiven Umsetzung von Unionsrecht, bezieht sich doch bereits § 1 auf die europäischen Zielvorgaben. Diese sind damit auch über § 1 relevant, soweit sie nicht schon unmittelbar in die Handhabung von § 9 einfließen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie das europäische Recht nochmals verstärkend auch indirekt über die Zweckvorschrift des § 1 wirken kann (s. o. Rn. 22). Das gilt namentlich für das Sofortprogramm bei Überschreitung der Jahresemissionsmengen nach § 8, handelt es sich doch dabei um ein nationales Instrument, das gleichwohl der effektiven Umsetzung von Unionsrecht dient.
64
Die Zwecknorm des § 1 bedarf damit vor allem der näheren Ausfüllung durch weitere Maßnahmen, welche durch sie dann gesteuert wird. Zugleich werden wichtige Eckpunkte festgelegt, welche bei etwaigen Einschätzungen und Abwägungen zu wahren sind. Das gilt für die sogleich zu erläuternde Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen nach § 1 Satz 2. Damit wird zugleich das weitere Vorgehen bei der Entwicklung des Klimaschutzes näher vorgezeichnet.
2. Bedeutung in der Abwägung nach dem BVerfG-Klimabeschluss 65
Damit bildet § 1 eine spezifische Leitlinie und Prinzipiennorm, indem zugleich die vorzunehmende Abwägung näher gestaltet wird. Damit dürfen
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Vgl. etwa Jarass, in: ders./Petersen, Kreislaufwirtschaftsgesetz, 2014, § 1 Rn. 31.
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
etwa ökonomische Folgen nicht unberücksichtigt bleiben. Das ergibt sich auch daraus, dass zwar nach dem Green Deal und dem EU-Klimapaket „Fit for 55“ das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt werden soll, zugleich aber weiterhin vorausgesetzt wird. Auch daraus folgt die notwendige Verbindung von Ökonomie und Ökologie (o. Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 13). Diese Verbindung besteht vor dem Hintergrund des BVerfG-Klimabeschlusses fort, auch wenn dieser einen – wenn auch nicht unbedingten – Vorrang des Klimaschutzes befürwortet und das relative Gewicht des Klimaschutzgebotes in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel immer weiter zunehmen lässt.84 Dadurch wird zwar § 1 verfassungsrechtlich geprägt. Indes verlangt auch das BVerfG im Konfliktfall einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien.85 Dieser ist daher auf jeden Fall durchzuführen.
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Eine andere Frage ist das Ergebnis der konkreten Abwägung, das mit zunehmender Bedrohung durch die Folgen des Klimawandels immer stärker hin zu möglichen Einschränkungen tendieren wird. Diese stärkeren Konsequenzen, die immer konkreter und fassbarer werden, zeigten in Deutschland die extremen Hochwasserfolgen vom Juli 2021 sowie auf die gesamte Erde bezogen die alarmierenden Aussagen des IPCC-Klimaberichts vom 09. 08. 2021. Gravierende Einschränkungen treffen aber die Grundrechte der Betroffenen hart, was in der Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenfalls zu berücksichtigen ist.86 Das überwölbende Dach dafür ist der Nachhaltigkeitsgrundsatz, der in Art. 3 Abs. 3 EUV für das Unionsrecht zentral ist und der jedenfalls für den unionsgeprägten Klimaschutz heranzuziehen ist – zusammen mit den EU-Grundrechten, welche die wirtschaftlichen Belange nicht als nachrangig schützen (Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 124 sowie ders. Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 94).
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Damit ist das Wirtschaftswachstum beizubehalten, darf also nicht gänzlich durch den Klimaschutz zum Erliegen kommen. Es ist aber entsprechend dem EU-Klimapaket „Fit for 55“ klimafreundlich zu gestalten: Wirtschaftswachstum durch Klimaschutz im Gebäudebereich, in der (E-)Mobilität, in der Produktion etwa durch Wasserstoff etc. (Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 57 ff.). Jedoch gibt es Wirtschaftszweige, in denen dies (noch) nicht geht, sodass sich auch darauf die Abwägung erstrecken muss. Darauf ist etwa auch bei den Sofortprogrammen nach § 8 bzw. den Klimaschutzprogrammen nach § 9 zu achten. Erfolgt eine solche Abkoppelung und Ausblendung ökonomischer Belange, ist das Vorgehen rechtswidrig wegen Verstoßes gegen die Zwecknorm des § 1. Von daher sind gegenläufige Gesichtspunkte bereits in
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84 85 86
BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 198. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 198. S. Beckmann, Das Bundesverfassungsgericht, der Klimawandel und der „intertemporale Freiheitsschutz“, UPR 2021, 241 (250).
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KSG § 1
Allgemeine Vorschriften
der Zwecknorm genannt und müssen so unter dem Dach der nachhaltigen Entwicklung zusammengeführt werden.
3. Weiterhin fehlende unmittelbare Einklagbarkeit 69
Die Zweckvorschrift prägt Inhalte anderer Bestimmungen, welche der Einzelne einfordern kann, ist aber selbst nicht einklagbar. Ohnehin sind Adressaten des KSG öffentliche Stellen der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen: Sie werden nach der Gesetzesbegründung durch die Vorgaben des Gesetzes in ihren Rechten weder beschränkt noch können sie Rechte daraus ableiten. Nicht öffentliche Stellen werden grundsätzlich erst nach entsprechender Normsetzung in dafür vorgesehenen, separaten Verfahren verpflichtet.87
70
Das ändert aber nichts daran, dass gegen ein unzureichendes KSG auf der Basis der Grundrechte geklagt werden kann, wie dies im BVerfG-Klimabeschluss wegen einer Verletzung der Freiheitsgrundrechte künftiger Generationen durch unzureichende Beschränkungen des CO2-Ausstoßes für die jetzt Lebenden und defizitäre Zuweisungen der für bestimmte Zeiträume insgesamt zugelassenen Emissionsmengen erfolgreich gelang.88 Gegebenenfalls können vor dem Hintergrund der Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021 auch die mittleren und älteren Generationen erfolgreich auf der Basis der grundrechtlichen Schutzpflichten klagen (näher Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 27 ff.), die das BVerfG wegen ihrer Unbestimmtheit durch das KSG als derzeit erfüllt ansah.89 Diese Klagen betreffen aber nicht die Zweckvorschrift, sondern den Gehalt des KSG vor allem in Form der zugestandenen CO2-Emissionen.
71
Implizit wird allerdings die Einhaltung der Zweckvorschrift darüber geprüft, dass diese konkretisierenden Rechtsvorschriften, die in gesonderten Verfahren erlassen werden, dann im Lichte der Zweckvorschrift auszulegen sind. Erfolgt dies nicht, kann eine Rechtswidrigkeit gegeben sein.
4. Strengere Einhegung staatlichen Handelns a) Maßgaben des BVerfG und des Unionsrechts 72
Allerdings ist die Maßstabsfunktion von § 1 bei isolierter Betrachtung vor allem durch die notwendige Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Belange beschränkt, da dadurch dem Staat ein großer Spielraum erwächst, den er aber sowohl nach dem BVerfG-Klimabeschluss als auch nach den im Gefolge des EU-Klimapakets „Fit for 55“ zu erwartenden unionsrechtlichen Regulierungen klimafreundlich auszufüllen hat. Im Ausgangs-
87 88 89
564
Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 24 f. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Ls. 4 und 5. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 151 ff.
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
punkt des § 1 Satz 2 ist zwar eigentlich nur die Berücksichtigung aller drei Eckpunkte sowie ihre vertretbare Abwägung überprüfbar. Jedoch sind die Maßgaben des BVerfG zu wahren, ebenso die unionsrechtliche Zielsetzung sowie deren Ausgestaltung und Berücksichtigung auch in den nationalen Klimaschutzplänen,90 durch welche der allgemeine Rahmen des § 1 konkretisiert wird. Gerade das EU-Klimapaket nimmt immer wieder auf die Nachhaltigkeit Bezug und gestaltet diese näher aus, sodass davon auch die sich nunmehr entfaltende EU-Regulierung geprägt sein wird und so wiederum auf das deutsche Umsetzungsrecht einwirkt. b) Entfallen der bloßen Verfolgung der Treibhausgasneutralität bis 2050 Die bisherige Auflockerung dadurch, dass das Ziel der Treibhausgasneutrali- 73 tät bis 2050 nicht verbindlich festgeschrieben (s. o. Rn. 15), sondern nach § 1 Satz 3 KSG 2019 als langfristiges Ziel zu verfolgen war, ist im Zuge der KSGNovelle entfallen. Es ist in § 3 Abs. 2 ohne die bisherigen Relativierungen des § 1 Satz 3 KSG 2019 festgelegt und auf 2045 vorgezogen. Unionsrechtlich erfolgte ebenfalls eine verbindliche Festschreibung im EU-Klimagesetz (Art. 2 Abs. 1), wenn auch mit Zieldatum 2050. Lediglich das Erreichen negativer Emissionen ab 2050 ist nicht unbedingt verbindlich festgeschrieben, in § 3 Abs. 2 Satz 2 mit „sollen“, in Art. 2 Abs. 1 EU-Klimagesetz wird dieses Ziel angestrebt. c)
Praktisch keine Abweichungen mehr wegen Corona
Wegen der langfristigen Zielsetzung muss der erreichte Verlauf allerdings nicht notwendig stringent sein. Das gilt aber nur bei Wahrung des Rahmens, wie er in den näheren Ausgestaltungen des KSG festgelegt ist, so durch den mittlerweile auch über 2030 hinausreichenden festen Reduktionspfad nach Anlage 3 zu § 4. Die zu reduzierenden Jahresemissionsmengen sind weiterhin in Anlage 2 zu § 4 nur bis 2030 festgeschrieben, aber im Zuge der KSGNovelle erheblich verschärft worden. Darüber hinaus bedarf es weiterer Festlegung und auch bis 2030 erlaubt § 4 Abs. 3 eine gewisse Flexibilität.
74
Durch die notwendige Berücksichtigung ökonomischer Belange sind Abwei- 75 chungen denkbar, so nach oben in wirtschaftlich leistungsfähigen Zeiten oder nach unten in Phasen, in denen eine Krise wie z. B. die Corona-Krise überwunden werden soll. Zu solchen wirtschaftlichen Krisensituationen wurden freilich oft (deutlich) weniger Treibhausgase emittiert, sodass die Klimazielsetzung leichter gewahrt werden kann. Daher geht es spezifisch um Phasen eines Wiederaufbaus und Steigerns der Wirtschaftsleistung nach einem vorliegenden Ausfall wie im Zuge der Corona-Krise. Insoweit können stärker wirtschaftliche Belange zum Tragen kommen, die auch die Handhabung von § 4 Abs. 3 mit steuern.
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Zu dieser Begleitung durch die Kommission näher Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 214 ff.
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KSG § 1 76
Allgemeine Vorschriften
Jedoch sind auf jeden Fall die unionsrechtlichen Vorgaben zu wahren. Diese werden im Zuge des EU-Klimagesetzes und des EU-Klimapakets „Fit for 55“ weiter verschärft werden, sodass für Lockerungen wenig Raum bleibt. Die EU will die Corona-Krise durch Klimaschutz überwinden. Das bedeutet mehr und nicht weniger Klimaschutz aus wirtschaftlichen Gründen.
V. Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen 1. Aktuelle Ausfüllung 77
Eine wesentliche Direktive von § 1, welche bei der Auslegung des KSG wie bei der folgenden Normsetzung im Bereich des Klimaschutzes zu wahren ist, ist in Satz 2 festgelegt, nämlich die Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen. Damit steht nicht etwa der Klimaschutz isoliert, sondern er ist untrennbar mit ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen verbunden sowie bei der weiteren Entwicklung fortlaufend mit diesen abzugleichen. Dieser Gedanke der Verbindung lag auch dem Bündnis zur Klimarettung zugrunde, das Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am 11. 09. 2020 vorstellte: Noch vor der Bundestagswahl sollten Bundestag und Bundesrat eine „Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand“ verabschieden. Es ging um 20 konkrete Vorschläge und dabei nicht nur um die Festschreibung der Klimaneutralität bis 2050, sondern um konkrete Minderungsziele für jedes einzelne Jahr ab 2022, die Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen, die Klimaneutralität schon bis 2035 zu erreichen sowie Unterstützungen und Investitionszuschüsse für Unternehmen, die sich zu einem schnelleren CO2-freien Arbeiten verpflichten; die EEG-Umlage sollte weiter sukzessiv gesenkt werden.91 Nunmehr ist sie ohnehin auf 3,7 Ct/kWh gefallen92 und wird zum 01. 07. 2022 ganz abgeschafft.
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Noch vor der Bundestagswahl wurde die Novelle des KSG verabschiedet – mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und schärferen Reduktionsleistungen bzw. verminderten Jahresemissionsmengen in den einzelnen Sektoren, für die aber starke Belastungen erwartet werden, welche durch Förderungen aufgefangen werden sollen. Nach dem Gesetzgeber ergeben sich erhebliche zusätzliche volkswirtschaftliche Minderungskosten, nämlich für die Industrie 3,496 Mrd. EUR, für Gebäude 1,075 Mrd. EUR, für den Verkehr 1,039 Mrd. EUR, für die Landwirtschaft 0,445 Mrd. EUR und für sonstige Sektoren 91
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Pressemitteilung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie v. 11. 09. 2020 „Altmaier stellt Vorschlag für eine Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand vor“, abrufbar unter https://www.bmwi.de/ Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/09/20200911-altmaier-stellt-vorschlagfuer-eine-allianz-von-gesellschaft-wirtschaft-und-staat-fuer-klimaneutralitaet-undwohlstand-vor.html (letzter Abruf: 15. 10. 2021). Tagesschau v. 15. 10. 2021, „EEG-Umlage sinkt 2022 deutlich“, abrufbar unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eeg-umlage-125.html (letzter Abruf: 15. 10. 2021).
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0,195 Mrd. EUR, insgesamt also 6,25 Mrd. EUR zusätzliche Kosten.93 Die Kosten der Energiewirtschaft folgen aus den Steigerungen der Zertifikatspreise für EU-Emissionshandelszertifikate sowie auch nationale Brennstoffzertifikate nach dem BEHG. Gleichwohl werden die verschärften Zielwerte aufgenommen – auch bereits mit Blick auf verschärfte EU-Klimaziele.94 Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit erheblicher Investitionen in Forschung, Entwicklung und Skalierung, welche mittels „verbesserter politischer Rahmenbedingungen und einer adäquaten Förderkulisse, insbesondere einer deutlichen Verbreiterung der Fördertatbestände im Bereich der klimaneutralen Industrie und einer Erhöhung der damit verbundenen Fördersummen“ aufgefangen werden sollen, „um eine drohende Überlastung der Industrie mit all ihren Konsequenzen zu verhindern“.95
79
Daraus folgt die Ausfüllung des durch den Ausgleich von ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen markierten Spielraums durch eine ambitionierte Klimapolitik, welche die ökonomischen und auch sozialen Folgen im Blick hält, aber offenbar für akzeptabel erachtet und vor allem durch Förderung auffangen will.
80
2. Abgleich mit dem BVerfG-Klimabeschluss a) Intergenerationeller Ansatz Dieses Vorgehen entspricht dem BVerfG-Klimabeschluss, wonach „selbst gravierende Freiheitseinbußen künftig zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und gerechtfertigt sein“ können.96 Das BVerfG argumentiert von der intergenerationellen Gerechtigkeit her, ebenfalls einem entscheidenden Eckpfeiler der nachhaltigen Entwicklung, und leitet diese auch aus dem objektiv-rechtlichen Schutzauftrag des Art. 20a GG ab. Die Pflicht zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen zielt nicht nur auf den Erhalt dieser Lebensgrundlagen, sondern auch auf die Verteilung von Umweltschutzlasten zwischen den Generationen und damit die Hinterlassung dieser Lebensgrundlagen an die Nachwelt, sodass „nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten“.97
81
Nur entsprechend begrenzt können daher heute noch CO2-relevante Freiheitsausübungen zugelassen werden, um das Risiko unzumutbarer Freiheits-
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93 94 95 96 97
Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, S. 16. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, S. 18. Stellungnahme Bundesrat zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, Anlage 3, S. 34. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 192. BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 193; Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, S. 535 m. w. N.
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einbußen in Zukunft wenigstens zu begrenzen.98 Dies entspricht dem Kernbestandteil der nachhaltigen Entwicklung in Gestalt des notwendigen Ausgleichs der Bedürfnisse künftiger Generationen mit denen heutiger Generationen nach der intergenerationellen Gerechtigkeit. Diese Ausrichtung hatten bereits die Brundtland-Kommission und die Rio-Deklaration (Grundsatz 3). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit langfristig konzipierter präventiver Maßnahmen entsprechend dem Vorsorgegrundsatz (Grundsatz 15 der RioDeklaration und auch Art. 191 Abs. 2 Satz 2 AEUV),99 wie sie auch das BVerfG bejaht, selbst wenn wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Zusammenhänge besteht: Belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen genügen.100 83
Diese Zukunftsbezogenheit des Klimaschutzes folgt nach dem BVerfG aus den Auswirkungen des Klimawandels auf den verbleibenden Freiraum künftiger Generationen, die nicht durch übermäßige Klimaschutzlasten infolge der Untätigkeit der heute Lebenden allzu sehr eingeschränkt werden dürfen. Zudem geht es um die natürlichen Lebensgrundlagen kommender Generationen, welche auch das BVerfG anspricht, aber mit Blick auf die Einschränkung künftiger Freiheitsrechte zu ihrer Bewahrung.101 Dabei folgt unabhängig von einer solchen Einschränkung bereits aus der Menschenwürde, dass die Existenzgrundlagen auf einem Niveau zu halten sind, welches eine würdige Zukunft und eine subjektive Entfaltung des Menschen erlaubt102 (näher Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 52). b) Dominanz der ökologischen Seite im Gegensatz zu gleichseitigem Zieldreieck
84
Die ökonomischen und sozialen Belange werden vom BVerfG in diesem Kontext nicht erwähnt und auch im Weiteren wird ein einseitiger Vorrang des Klimaschutzes herausgearbeitet. Damit dominiert die ökologische Seite des Zieldreiecks einer nachhaltigen Entwicklung, welches auch im GG enthalten
98 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 194. 99 Frenz, in: ders./Müggenborg/Cosack/Hennig/Schomerus, EEG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rn. 26, 29 f. 100 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Ls. 1 b). 101 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 193. 102 Diesen Ansatz nur bei apokalyptischen Verhältnissen vertretend BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021:rs20210324.1bvr265618, Rn. 114.
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ist103 und das EU-Umweltrecht prägt (s. Art. 3 Abs. 3 EUV).104 Dieses Zieldreieck ist aber gekennzeichnet durch einen Ausgleich zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen, nicht durch eine einseitige Prägung. Es geht also nicht um eine einseitige Verwirklichung des Umweltschutzes, sondern dieser ist mit sozialen und wirtschaftlichen Aspekten in Einklang zu bringen. Gefordert ist nicht ein rein ökologisches Konzept, sondern eine ganzheitliche Betrachtung, welche alle drei genannten Ziele und deren Wechselwirkungen einbezieht, untereinander betrachtet und dabei zu einem gerechten Ausgleich kommt. Somit sind bei jeder primär wirtschaftlichen Entscheidung auch die Aspekte der ökologischen und sozialen Verträglichkeit zu betrachten. Umgekehrt sind beim Umweltschutz die ökonomischen Auswirkungen einzubeziehen. Dies entspricht dem klassischen Verständnis der nachhaltigen Entwicklung und damit dem Begriff „Sustainable Development“ nach der Brundtland-Kommission, welcher dann in der Rio-Deklaration aufgenommen wurde.105 Damit stellt sich die Frage, ob im Rahmen von § 1 Satz 2 das Konzept des BVerfG angepasst werden muss.
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3. Konvergenz mit Unionsrecht Die Festlegung dieses Zieldreiecks entspricht auch dem Verständnis im Europarecht. Traditionelles Instrument für die Verwirklichung des Klimaschutzes ist dabei der EU-Emissionshandel. Dazu hat das EuG sehr früh entschieden, dass ökonomische und soziale Aspekte bei der Umsetzung miteinzubeziehen sind. Mit der Emissionshandelsrichtlinie sollte „ein effizienter europäischer Markt für Treibhausgasemissionszertifikate unter möglichst geringer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage geschaffen werden.“106 Das Ziel der Verringerung der Treibhausgase entsprechend den damaligen Verpflichtungen der Union und der Mitgliedstaaten im Rahmen des Protokolls von Kyoto „muss … weitestgehend unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der europäischen Wirtschaft verwirklicht werden.“107
86
Damit geht es nicht um einen einseitigen Vorrang des Klimaschutzes. Dieser bildet zwar ein Hauptanliegen, der Weg dahin ist aber so zu gestalten, dass die Bedürfnisse der europäischen Wirtschaft berücksichtigt werden, so wie es auch § 1 Satz 2 vorsieht. Umweltbelange sind nicht einseitig vorrangig, son-
87
103 Ausführlich etwa Frenz, Sustainable Development durch Raumplanung, 2000, S. 56 ff.; Art. 20a GG enthält nur die ökologische Nachhaltigkeit; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 10. 104 Näher Frenz, in: ders./Müggenborg/Cosack/Hennig/Schomerus, EEG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rn. 66 ff. m. w. N.; für Vorrang der Umweltbelange aber vielfach die deutsche Dogmatik, etwa Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 AEUV Rn. 21. 105 Näher Frenz, in: ders./Müggenborg/Cosack/Hennig/Schomerus, EEG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rn. 25 ff. 106 EuG, Urt. v. 23. 11. 2005 – T-178/05, ECLI:EU:T:2005:412, Rn. 60 – Vereinigtes Königreich/Kommission. 107 EuG, Urt. v. 23. 11. 2005 – T-178/05, ECLI:EU:T:2005:412, Rn. 60 – Vereinigtes Königreich/Kommission.
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dern gleichrangig. Dies entspricht den generellen Vorgaben des europäischen Umweltrechts.108 88
Also sind Umweltbelange gleichgewichtig mit ökonomischen und sozialen Aspekten zu versöhnen. Damit bildet die nachhaltige Entwicklung auch keinen bloßen Umweltgrundsatz, sondern auch einen Wirtschaftsgrundsatz, der zentral im Europarecht in der Grundlagenvorschrift des Art. 3 Abs. 3 EUV verankert ist.109 Also bewegt sich § 1 Satz 2 auf dem Boden auch des europäischen Rechts, welches im Bereich des Klimaschutzes mittlerweile dominiert und daher auch die Auslegung nationaler Vorschriften prägt (s. o. Rn. 21 ff.).
89
Damit wird aber auch relevant, dass die EU-Kommission in ihrem EU-Klimapaket die Wirtschaft durch Klimaschutz voranbringen will. Damit werden die ökonomischen Belange durch den Klimaschutz verändert. Die Wirtschaft hat nur durch eine Ausrichtung auf den Klimaschutz eine Zukunft (näher o. Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 57 ff.). Sie muss sich damit entsprechend den Maßgaben des EU-Klimapakets und seiner Konkretisierung in der weiteren Regulierung klimafreundlich ausrichten. Darauf fokussiert die EU-Kommission die wirtschaftlichen Belange. Dadurch stellt sich aber die Frage, ob die ökonomischen Belange solchermaßen durch eine notwendige Ausrichtung auf den Klimaschutz determiniert werden können und dürfen, wird doch der Schutzbereich der Grundrechte gerade nicht verengt und sind daher staatliche Maßnahmen im Interesse des Klimaschutzes auch nach dem BVerfG-Klimabeschluss rechtfertigungsbedürftig, wenn dies auch immer leichter fällt: Das relative Gewicht der CO2-relevanten Freiheitsbetätigung sinkt bei fortschreitendem Klimawandel aufgrund der immer intensiveren Umweltbelastungen – wie sie durch Jahrhunderthochwasser und IPCC-Bericht vom Sommer 2021 deutlich wurden – immer weiter.110 Die CO2-relevante Freiheitsentfaltung ist also immer noch grundrechtlich geschützt, auch wenn sie immer weniger möglich sein kann. Klimaschädliche Verhaltensweisen fallen mithin nicht bereits aus dem grundrechtlichen Schutzbereich (näher Frenz, Klimaschutz und Grundrechte, Einf. E Rn. 1 ff.).
90
Indes bildet der Klimawandel als solcher ein festes Faktum. Auf dieses muss sich die Wirtschaft unweigerlich einstellen. Tut sie dies nicht, unterhöhlt sie ihre eigenen Grundlagen, die sie für ihre Arbeit benötigt. Sie zerstört sich praktisch selbst. Das aber kann nicht in ihrem eigenen Interesse sein. Darauf haben sich auch die abzuwägenden ökonomischen Belange auszurichten. Die Grundrichtung der Wirtschaft zu Klimaschutz ist bereits ökonomisch vorgezeichnet.
108 Ausführlich dazu Frenz, in: ders./Müggenborg/Cosack/Hennig/Schomerus, EEG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rn. 66 ff. 109 M. w. N. Frenz, in: ders./Müggenborg/Cosack/Hennig/Schomerus, EEG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rn. 60 ff. 110 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 185.
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Zweck des Gesetzes
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Die nähere Ausgestaltung dieses Weges erfolgt allerdings durch Regulierung. Bei dieser sind dann die Belange der Wirtschaft gleichgewichtig mit den sozialen und ökologischen Belangen abzuwägen. Das gilt etwa im Hinblick auf das mögliche Tempo zu mehr Klimaschutz. Insoweit ist dann entsprechend dem EuG-Urteil zum Emissionshandel111 darauf zu achten, dass die Bedürfnisse der Wirtschaft möglichst weitgehend gewahrt und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Auf lange Sicht ist dies aber nach dem EU-Klimapaket ohnehin nur noch auf der Basis einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise möglich (o. Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 60 ff.). So ist die Automobilindustrie weltweit kaum wettbewerbsfähig, wenn sie sich nicht auf E-Mobilität einstellt und darauf ihre Produktionsweise sowie die Arbeitsplätze ausrichtet.
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Daher ist eine Ausrichtung auf den Klimawandel durch EU- sowie nationale 92 Regulierung vorgezeichnet. Sie ist nicht als solche zu modifizieren bzw. durch ökonomische Belange wegzuwägen und damit zu verdrängen, sondern nur in der Ausgestaltung mit allen Belangen abzugleichen. Dabei besteht ein großer Spielraum, der allerdings durch die gefassten Klimaziele eingeschränkt ist (o. Rn. 69).
VI. Pariser Klimaübereinkommen als Grundlage § 1 Satz 3 benennt den Hintergrund und die Grundlage des nationalen Klima- 93 schutzes wie auch des europäischen Klimaschutzes, nämlich das Klimaübereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Die Klimarahmenkonvention stammt von 1992 und konkretisierte auf der Basis der Arbeiten der Brundtland-Kommission und der Umweltkonferenz in Rio und damit entsprechend dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung mit seinem Zieldreieck ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte (s. o. Rn. 77 ff.) sowie dem Ausgleich der Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen den Klimaschutz. Nach ihrem Art. 2 ist ihr Hauptziel eine „Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird.“ Das Klimasystem soll zum Wohle heutiger und künftiger Generationen geschützt sowie das Vorsorgeprinzip soll verwirklicht werden (Art. 3 KRK), um eine nachhaltige Entwicklung in allen Vertragsparteien zu erreichen (Art. 3 Abs. 5 KRK).112 Das Pariser Klimaübereinkommen definierte dann dieses bereits in der Klimarahmenkonvention angesprochene Niveau, um eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems durch Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre zu verhindern. Danach gilt es den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wie § 1 111 EuG, Urt. v. 23. 11. 2005 – T-178/05, ECLI:EU:T:2005:412, Rn. 60 – Vereinigtes Königreich/Kommission. 112 Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 1 ff. mit weiteren Aspekten zur Entwicklung des UN-Klimaschutzes auch für das Folgende.
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Satz 3 aufnimmt. Dabei wird allerdings keine konkrete Einzelverpflichtung begründet, sondern eine Rahmenordnung aufgestellt, in welcher einzelne Staaten Verpflichtungen übernehmen können, welche dann vom UN-Klimasekretariat kontinuierlich kontrolliert werden. 95
Diese Ordnung wurde näher auf der UN-Klimakonferenz in Kattowitz festgeschrieben, welche zwar das 1,5 Grad Ziel verstärkt in den Blick nahm, aber ebenfalls insoweit keine feste Verpflichtung begründete, sondern nur auf den Sonderbericht des Klimarates Bezug nahm, welcher verstärkte Anstrengungen anmahnte, und „die rechtzeitige Fertigstellung des Berichtes begrüßt(e).“113 Die Basis für die Einhaltung und Verwirklichung dieses Zieles ist das gegenseitige Vertrauen in die jeweiligen Beiträge der Staaten, welche durch regelmäßige Berichte vor allem zur Entwicklung des CO2-Ausstoßes und zu den jeweils erbrachten Leistungen für den Klimaschutz und für die Anpassung an den Klimawandel flankiert werden sollen.
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Das Übereinkommen von Paris wurde von Deutschland ratifiziert, und zwar mit dem Gesetz zu dem Übereinkommen von Paris vom 12. 12. 2015.114 Deutschland ist dann konkrete Verpflichtungen eingegangen, die im Klimaschutzplan 2050 enthalten sind. Mit ihm hat die Bundesregierung im November 2016 die „Strategie für kohlenstoffarme Entwicklungen“ nach Art. 4 VO (EU) 525/2013115 beschlossen. Dieser Klimaschutzplan wurde dann als deutsche Langfriststrategie für die Minderung von Treibhausgasen in Deutschland bei der UN hinterlegt,116 wie es das Pariser Weltklimaübereinkommen vorsieht. Darin verpflichtet sich Deutschland zu Minderungszielen für einzelne Sektoren für das Jahr 2030 sowie das Langfristziel der weitgehenden Treibhausgasneutralität als Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken.117
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Damit ist Deutschland gegenüber der UN Verpflichtungen eingegangen, die praktisch dem EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gleichkommen. Dieses Ziel entspricht der Zielsetzung des Art. 4 Abs. 1 des Weltklimaübereinkommens von Paris, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts weltweit ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen und dem Abbau solcher Gase herzustellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf dem UN Klimagipfel am 23. 09. 2019 in New York dieses Ziel der
113 Näher Frenz, Grundzüge des Klimaschutzrechts, 2. Aufl. 2022, Rn. 25 ff. 114 BGBl. 2016 II Nr. 26 vom 30. 09. 2016, S. 2082. 115 VO (EU) 525/22013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21. 05. 2013 über ein System für die Überwachung von Treibhausgasemissionen sowie für die Berichterstattung über diese Emissionen über andere klimaschutzrelevante Informationen auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 280/2004/EG, ABl. 2013 L 165, S. 13. 116 Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 24. 117 Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 24.
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Klimaneutralität bis 2050 für die Bundesrepublik Deutschland bekräftigt.118 Das dort abgelegte Bekenntnis wurde vor der KSG-Novelle im Gefolge des BVerfG-Klimabeschlusses in § 1 eigens erwähnt und unterstrich den notwendigen deutschen Beitrag für den weltweiten Klimaschutz (s. auch o. Rn. 15) unter dem Dach der Vereinten Nationen. Dieser Beitrag ist nunmehr nach dem BVerfG-Klimabeschluss mit seiner internationalen Komponente119 erst recht erforderlich und verfassungsrechtlich geboten, und zwar ohne bloße Verfolgung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050: Dieses Ziel ist verbindlich aufgrund des Klimaschutzgebotes und wurde durch den Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 auf 2045 vorverlegt. Bei der Erreichung dieser Zielsetzung des Weltklimaübereinkommens von Paris haben Industriestaaten wie Deutschland eine besondere Verantwortung, weshalb sie einen hohen Minderungsanteil übernehmen müssen. Das gilt für Deutschland aufgrund seiner überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf Emissionen und dem überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf Einkommen innerhalb der Europäischen Union; daraus ergibt sich für das Ziel der Nettotreibhausgasneutralität eine erforderliche Minderung der Treibhausgasemissionen in Deutschland um rund 95 % gegenüber dem Basisjahr 1990. Dies wurde schon in der Gesetzesbegründung für das ursprüngliche KSG anerkannt und ist erst recht auf der Basis des BVerfG-Klimabeschlusses zu verfolgen, der zwar für Deutschland kein konkretes CO2-Restbudget auf der Basis der Zahlen des Sachverständigenrats für Umweltfragen und der Schätzungen des IPCC rechtlich zugrunde legt, aber faktisch heranzieht und eine Berücksichtigung verlangt (s. sogleich ausführlich Rn. 103 ff.). Die auf dieser Grundlage verbleibenden Treibhausgasemissionen gilt es dann auszugleichen, indem Treibhausgase aus der Atmosphäre abgebaut werden, vor allem durch die langfristige Bindung von Treibhausgasen in natürlichen Kohlenstoffsenken und damit etwa im Boden, in Wäldern und in Gewässern.120 Dieser Ansatz ist nunmehr in § 3a verwirklicht.
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Damit wird in der Gesetzesbegründung der Solidaritätsgedanke angesprochen, der entsprechend dem generellen Charakter dieses Grundsatzes im Unionsrecht und dabei spezifisch im Energiebereich121 auch im EU-Klimagesetz (Art. 2 Abs. 2) zutage tritt, dass nämlich die leistungsfähigeren EU-Staaten stärkere Anstrengungen zu unternehmen haben als die weniger leistungsfähigen (s. o. Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 41). Damit laufen die europäische und die internationale Ebene parallel. In jedem Fall hat Deutschland eine besondere Verantwortung für den Klimaschutz und muss dieser durch anspruchsvolle Zielsetzungen nachkommen, die schon ange-
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118 Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 24. 119 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 200 ff. 120 Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 24. 121 EuGH, Urt. v. 15. 07. 2021 C.848/19 P, ECLI:EU:C:2021:598, Rn. 37 ff. – Deutschland/Polen.
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sichts der neuen Zwischenziele der EU-Kommission seit der Rede zur Lage der Union vom 16. 09. 2020 und nunmehr vor dem Hintergrund von deren Festlegung im EU-Klimagesetz zu schärfen sind (o. Rn. 17 ff.), wie es in der KSG-Novelle bereits erfolgte.122 Diese gilt es der Interpretation des KSG sowie der seiner Verwirklichung dienenden Regelwerke zugrunde zu legen. 100
Dabei sind aber die Bedürfnisse der Wirtschaft nicht zu vernachlässigen. Vielmehr ist nach § 1 Satz 2 nicht nur der Umweltschutz von Bedeutung, sondern im Rahmen des Zieldreiecks der nachhaltigen Entwicklung ebenso der ökonomische und der soziale Aspekt (s. Rn. 64). In diesem Rahmen ist dann die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels sicherzustellen, wie es die Gesetzesbegründung zusammenfasst.123 Dabei ist aber im Gefolge des EU-Klimapakets „Fit for 55“ zu berücksichtigen, dass die ökonomischen Belange von vornherein darauf ausgerichtet sind, dass die Wirtschaft klimafreundlicher wird und den Klimaschutz zu ihrem zentralen Inhalt erhebt (näher Frenz, Klimaschutz in der EU, Einf. A Rn. 57 ff.). Auf diese Weise kann Deutschland in Übereinstimmung mit den letztlich entscheidenden Vorgaben der EU effektiv zur Realisierung des Pariser Weltklimaübereinkommens als Grundlage des KSG beitragen und zugleich zu seinem eigenen Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels den weltweiten Klimaschutz befördern.
VII. Konkretes nationales Restbudget von 6,7 Gigatonnen? 1. Rückgriff auf IPCC und SRU 101
Zwar gibt Art. 20a GG selbst keinen genauen Verteilungsschlüssel und vor allem keinen spezifischen Lastenanteil Deutschlands zur CO2-Reduktion aus Gerechtigkeitsgründen vor. Gleichwohl verlangt die aus der Umweltstaatszielbestimmung folgende Verpflichtung der Realisierung des Klimaschutzziels in internationaler Zusammenarbeit nach dem BVerfG einen deutschen Beitrag, der klar „wechselseitiges Vertrauen der Vertragspartner in den Realisierungswillen fördert, nicht aber Anreize setzt, diese zu unterlaufen“.124 In der näheren Bestimmung bestehen zwar Unsicherheiten, weshalb eine verbindliche Zugrundelegung für die verfassungsrechtliche Kontrolle (noch) nicht möglich ist.125 Indes ist die erforderliche Temperaturanstiegsschwelle von deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst von 1,5 Grad Celsius in eine entsprechende CO2-Emissionsmenge umzurechnen. Für diese Umrechnung greift das BVerfG auf die Zahlen des IPCC zurück, der verschiedene Berech-
122 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/30230, S. 18. 123 Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einem Bundesklimaschutzgesetz, BT-Drs. 19/14337, S. 24. 124 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. 125 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236 a. E.
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nungsmodelle mit einem globalen CO2-Restbudget zwischen 420 und 1170 Gigatonnen ab 2018 geschätzt hat.126 Auf dieser Basis wiederum hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen für das Ziel, den Anstieg der mittleren Erdtemperaturen mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % auf 1,75 Grad Celsius zu begrenzen, ein ab 2020 verbleibendes konkretes nationales Restbudget von 6,7 Gigatonnen abgeleitet.127
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2. Keine feste Zahl Die Abhängigkeit der Ableitung des Sachverständigenrats für Umweltfragen von Wertungen und auch von Unsicherheiten in der Berechnung erkennt zwar auch das BVerfG an und sieht hier erhebliche Unsicherheiten, weshalb daraus noch kein „zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle“ und keine Beanstandung der gesetzlichen Regelungen bis 2030 folgt,128 legt diese Berechnung aber gleichwohl seinen näheren Untersuchungen zugrunde.129 Inzwischen konkretisierte der IPCC-Bericht vom 09. 08. 2021 die bisherigen Entwicklungen und konstatierte irreversible Ereignisse wie das Ansteigen der Meeresspiegel. Unabhängig davon müssen nach dem BVerfG die gesetzlichen Reduktionsmaßgaben den bisherigen Zahlenwerten Rechnung tragen.130 Ausgehend von dem durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelten Restbudgetwert von 6,7 Gigatonnen hielt das BVerfG zwar § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG 2019 i. V. m. Anlage 2 hinsichtlich der bis 2030 zugelassenen CO2-Mengen für verfassungsgemäß, betont aber, dass damit das zugrunde gelegte Restbudget bis 2030 bereits weitgehend aufgezehrt wird.131
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Damit wird das vorhandene Budget praktisch ausgeschöpft und so den künftigen Generationen alsbald nach 2030 kein Raum mehr zu CO2-relevanten Freiheitsausübungen gelassen (kaum ein Jahr).132 Das würde dafür sprechen, schon stärkere Reduktionslasten vor 2030 als verpflichtend anzusehen. Sie
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126 IPCC, Special Report on Global Warming of 1,5 °C, 2018, Chapter 2, S. 108 Tabelle 2.2. 127 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 219; SRU, Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa, Umweltgutachten 2020, S. 52, 88, Rn. 111. Näher Rn. 30. 128 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236 f. 129 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, explizit Rn. 231. 130 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 229, 237. 131 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 230 ff. 132 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 246.
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sind in der Argumentation angelegt.133 So weit geht das BVerfG aber nicht.134 Die Rechnung, dass das CO2-Budget bis 2031 aufgebraucht ist, kann daher nur beispielhaften Charakter haben.135 105
Die endgültige Festlegung obliegt dem Gesetzgeber, wie auch das BVerfG betont.136 Dieser reagierte prompt mit einem erhöhten CO2-Änderungsziel bis 2030 in Höhe von 65 %, aber ohne Festlegung eines Gesamtemissionshöchstbudgets. Aber auch dazu besteht keine explizite Verpflichtung (s. sogleich Rn. 107). Die Union einigte sich am 21. 04. 2021 auf eine Reduktionsmenge von 55 % und schrieb diese im mittlerweile verabschiedeten EU-Klimagesetz in Art. 4 Abs. 1 fest, zu verwirklichen über eine Gesamtheit von Maßnahmen, welche die EU-Kommission in ihrem Klimapaket „Fit for 55“ vom 14. 07. 2021 vorgezeichnet hat.
3. Gleichwohl vorprägende Bedeutung trotz anderer Berechnungsmöglichkeiten auch nach Völkerrecht 106
Durch mangelnde Festlegungen für die Zeit nach 2030 sieht das BVerfG die aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgende Pflicht des Gesetzgebers verletzt, die in Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.137 Dies erfolgt allerdings faktisch auf der Basis der Annahme des Restbudgets nach dem Sachverständigenrat für Umweltfragen, obwohl damit erhebliche Unsicherheiten verbunden sind.138 Zudem ist der Bericht des IPCC zu den Klimazahlen auf der Klimafolgenkonferenz in Kattowitz zwar begrüßt, aber nicht als verbindlich zugrunde gelegt worden (s. o. Rn. 7 f.). So legt das BVerfG wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Berechnung zugrunde, die völkerrechtlich nicht fest anerkannt ist. In Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens ist nur die Verpflichtung auf absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele vorgesehen, nicht auf feste Budgets (näher Rn. 5, 107).
133 Frenz, Klimaschutz nach BVerfG-Beschluss und EU-Klimagesetz, EnWZ 2021, 201 (202). 134 Auch Faßbender, Der Klima-Beschluss des BVerfG – Inhalte, Folgen und offene Fragen, NJW 2021, 2085 (2090). Kritisch dagegen Clever, der schon die Konzeption eines CO2-Restbudgets und das Anlegen eines darauf basierenden Reduktionspfads als einen Eingriff in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers beanstandet, s. Clever, Der Klimaschutz-Beschluss des BVerfG – Fernglas ohne Justierschraube?, ER 2021, 179 (181 f.). 135 S. bereits Frenz, Anmerkung zum BVerfG, Beschluss vom 24. 03. 2021 (1 BvR 2656/18 u. a.), Freiheitsbedingter Klimaschutz für die junge Generation, DVBl 2021, 810 (818). 136 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 236 a. E. 137 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 273. 138 S. hierzu auch Clever, Der Klimaschutz-Beschluss des BVerfG – Fernglas ohne Justierschraube?, ER 2021, 179 (180 f.).
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Zweck des Gesetzes
§ 1 KSG
In Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens ist für entwickelte Länder zwar eine Führungsrolle vorgesehen, aber nur durch die Verpflichtung auf absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele, nicht notwendig feste Budgets. Deren Notwendigkeit hat das BVerfG der internationalen Tragweite des aus Art. 20a GG abgeleiteten Klimaschutzgebotes und der daraus folgenden vertrauensbildenden Musterfunktion Deutschlands entnommen (näher o. Rn. 25), ohne dass sich aber aus Art. 20a GG ein genauer Verteilungsschlüssel entnehmen lässt139 oder gar eine entsprechende völkerrechtliche Festlegung besteht. Die Entwicklungsländer sollen nur allgemein ihre Minderungsanstrengungen verstärken und werden ermutigt, mit der Zeit angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten auf gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktions- oder -begrenzungsziele überzugehen. Dass die entwickelten Länder sogleich solche Ziele ansetzen, ist ihr verstärkter Beitrag. Dieser besteht daher nicht notwendig in konkreten, festgefügten CO2-Budgets.
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Ebenso wenig völkerrechtlich herzuleiten ist die Bemessung des auf Deutschland entfallenden Restbudgets nach seinem Anteil an der Weltbevölkerung i. H. v. 1,1 %.140 Dabei liegen seine CO2-Emissionen derzeit bei 2 %.141 Zwar erfüllt es damit eine Führungsrolle entsprechend Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens. Zudem müssen viele Länder erst noch eine Entwicklung bewältigen, um auf einen Standard zu kommen, wie ihn die Industrieländer haben, welche früher schon in erheblicher Weise CO2 emittierten. Jedoch ist eine Ausrichtung am Anteil an der Weltbevölkerung nicht zwingend. Art. 2 Abs. 2 des Pariser Klimaabkommens, den das BVerfG in Bezug nimmt,142 sieht eine Durchführung nach dem Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und den jeweiligen Fähigkeiten angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten vor.
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Daher können auch ökonomische und soziale Aspekte entsprechend der in Art. 2 Abs. 1 des Pariser Klimaabkommens genannten nachhaltigen Entwicklung hereinspielen. Es ist also nicht eine Ausrichtung auf den Anteil an der Weltbevölkerung gefordert, die ohne eine tiefgreifende Deindustrialisierung und Wohlstandsverringerung schwerlich möglich sein wird, außer es gelingt sehr rasch, Wirtschaftswachstum klimaneutral zu bewältigen, wie es die EU-Kommission in ihrem Green Deal propagiert.143 Das Beispiel der Stahlpro-
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139 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. 140 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. S. bereits vorstehend Rn. 384. 141 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 202. 142 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 225. 143 Ziff. 1 (Einleitung) der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – „Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa, Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal“, COM(2020) 21 final; näher dazu Rn. 81.
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duktion auf der Basis von Wasserstoff (Green Steel) zeigt aber, dass dieser Prozess erst begonnen hat und nicht notwendig sogleich vollzogen werden kann. 110
Jedoch auch auf dieser Basis gilt die Ausrichtung auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse und damit die Erhaltung der Wirtschaft, wie auch die Union in ihrem EU-Klimapaket „Fit for 55“ betont. Das legt eine Ausrichtung an den bestehenden CO2-Emissionen nahe, die dann möglichst rasch zu reduzieren sind, und damit ein doppelt so hohes CO2-Restbudget für Deutschland als vom Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelt. Auch nach Art. 2 Abs. 1 des Pariser Klimaabkommens sind auf dieser Ebene die Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsplätze einzubeziehen und jeder Vertragsstaat kann diese Komponenten eigenständig gewichten, ohne dass der Klimaschutz dominieren muss, solange der Vertragsstaat seinen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten entsprechend auf das Paris-Klimaziel hinarbeitet und dafür Maßnahmen ergreift.
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Art. 2 und Art. 4 Abs. 4 des Pariser Klimaabkommens verlangen damit nicht das vom BVerfG herangezogene CO2-Restbudget für Deutschland von 6,7 Gigatonnen ab 2020, ja nicht einmal ein festes Budget. Die Führungsrolle der Industriestaaten, die das BVerfG für Deutschland konkretisiert, wird durch absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele erfüllt, so wie sie die EU und Deutschland durch Minderungsquoten von 55 % bzw. 65 % bis 2030 festgelegt haben. Insoweit genügten auch die bisherigen 55 % nach § 3 KSG 2019. Eine völkerrechtliche Vorbildfunktion haben die nunmehr normierten 88 % CO2-Reduktion bis 2040.
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Das Pariser Klimaabkommen lässt also andere Berechnungen für ein nationales CO2-Restbudget zu als vom BVerfG in Anlehnung an den Sachverständigenrat für Umweltfragen faktisch zugrunde gelegt, ja verpflichtet nicht zu dessen Festlegung. Eine Pflicht zu dessen Berechnung leitet das BVerfG aus der internationalen Tragweite des Klimaschutzgebotes nach Art. 20a GG ab, um das Vertrauen anderer Staaten in den Willen Deutschlands zur Realisierung des Klimaschutzes zu fördern. Diese internationale Tragweite definiert es aber auch selbst und verknüpft sie mit völkerrechtlichen Setzungen, die es wiederum im Lichte dieses international auszurichtenden Klimaschutzgebotes definiert.
4. Im Widerspruch zur Wesentlichkeitstheorie 113
An anderer Stelle betont das BVerfG, dass der Gesetzgeber die maßgeblichen Entscheidungen treffen muss. So verweist es darauf, dass das Gesetzgebungsverfahren dem erforderlichen Interessenausgleich die gebotene Legitimation vermittelt.144 Wenn dem aber so ist, so können auch nur die Inhalte zugrunde gelegt werden, welche auch Inhalt des Gesetzgebungsverfahrens waren. Es erfolgte im KSG 2019 keine Festlegung, nach welchen Parametern
144 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 213 in Bezug auf § 1 Satz 3 KSG.
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Frenz
Aus: Prof. Dr. jur. Walter Frenz (Hrsg.), Klimaschutzrecht. EU-Klimagesetz, KSG Bund und NRW, BEHG, Steuerrecht, Querschnittsthemen. Gesamtkommentar © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2022
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Begriffsbestimmungen
§ 2 KSG
das auf Deutschland entfallende Restbudget bemessen werden soll, um das in § 1 zugrunde gelegte globale Klimaziel zu erreichen. Dabei hängt von diesen Parametern maßgeblich ab, inwieweit tatsächlich von Deutschland Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen sind. Schon die Annahmen des IPCC für die weltweiten Reduktionserfordernisse ab 2018 für eine 67-prozentige Wahrscheinlichkeit der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius lagen bei 420 Gigatonnen weltweites Restbudget, im Hinblick auf ein 2-Grad-Celsius-Ziel aber bei 1170 Gigatonnen.145 Bei einer solchen Bandbreite, die maßgeblich für sämtliche weitere Grundrechtsbeeinträchtigungen für eine Reduktion des CO2-Ausstoßes ist, hätte es damit gleichfalls einer gesetzlichen Entscheidung bedurft, wie das deutsche Restbudget berechnet wird. Diese verlangt das BVerfG für die Festlegung der weiteren Maßnahmen zur CO2-Reduktion mit einer Perspektive weit über 2030 hinaus.146 Davon hängt ab, wie tiefgreifend Wirtschaftsaktivitäten und private Verhaltensweisen (Fleischkonsum, Flugreisen, Autofahrten etc.) umzugestalten sind. Dabei kann auch nicht einfach die Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius und selbst auf 1,75 Grad Celsius herangezogen werden, weil diese Vorgabe völkerrechtlich nicht verbindlich ist, wie die Kattowitz-Folgekonferenz zeigte (o. Rn. 55).147 Die in § 1 in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen festgelegte Obergrenze liegt bei deutlich unter 2 Grad Celsius, ohne dass völkerrechtlich ein genauer Wert definiert ist.
114
Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Glasgow 2021 legen auch nur faktisch – aber nicht rechtlich verbindlich – das 1,5-Grad-Ziel zugrunde (Ziff. 21; näher Frenz, Ergebnisse COP26, Einf. N Rn. 1 ff.). Damit bleibt es bei der Bandbreite nach § 1 Satz 3, die dem Pariser Klimaabkommen entspricht und vom Gesetzgeber für Deutschland zu konkretisieren ist, ohne dass überhaupt ein Gesamtrestbudget gefordert ist (o. Rn. 107, 111).
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§2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetz ist oder sind: 1. Treibhausgase: Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Schwefelhexafluorid (SF6), Stickstofftrifluorid (NF3) sowie teilfluo145 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE:BVerfG:2021: rs20210324.1bvr265618, Rn. 219; IPCC, Special Report on Global Warming of 1,5 °C, 2018, Chapter 2, S. 108 Tabelle 2.2. 146 In diesem Zusammenhang hält Clever aber das Vorgehen des BVerfG im Hinblick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers insofern für problematisch, als es durch die Konzeption eines CO2-Restbudgets samt eines darauf basierenden Reduktionspfads auf das „Wie“ der Zielerreichung Einfluss nehme, s. Clever, Der Klimaschutz-Beschluss des BVerfG – Fernglas ohne Justierschraube?, ER 2021, 179 (181 f.). 147 Etwas anders BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a., ECLI:DE: BVerfG:2021:rs20210324.1bvr265618, Rn. 235: „aufgegebene Anstrengung, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen“.
Franßen/Operhalsky
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