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Fernando Aramburu: ãDie MauerseglerÒ
Ein Leben in der Luft
Wer kann, der kann: Fernando Aramburu hŠlt die Leser 800 Seiten lang mit einem zu Tode gelangweilten Ungustl bei der Stange
Ein guter Roman sollte bereits auf den ersten paar Seiten einen Satz au!ie54 Jahre auf diesem Planeten sind genug, Þndet er: ãWas einem das Leben bis da ten, der seinem Leser oder seiner Lese rin kurz die GesichtszŸge entgleisen lŠsst. Hier ist es auf Seite zwšlf so weit. ãTatsŠch lich wŸnschte ich mir schon als Kind, spŠ ter einmal Vater zu sein, um meine Kinder schlagen zu kšnnen.Ò
Und es kommt noch dicker, es wird un sŠglich traurig und tragisch, brutal komisch und abgrŸndig, kurz, es werden alle Regis ter gezogen. Fernando Aramburu hat nicht nur eine gute Story, er hat unzŠhlige Ge schichten parat. Und er will sie uns alle er zŠhlen. Sein desillusionierter Held Toni be kommt Ÿber 800 Seiten Platz, um ein Jahr seines Lebens in Tagebuchform abzuhan deln. Und zwar jenes, das sein letztes auf Erden sein soll.
Toni, der als Gymnasialprofessor lust los Philosophie unterrichtet, ist nach 16 Jahren unglŸcklicher Ehe endlich geschie den, resignierter Vater eines leicht minder bemittelten Sohnes, den er, anders als er es sich vorgenommen hatte, nie geschla gen hat, und lebt mit seiner HŸndin Pepa nun wieder allein.
Gesellscha" leistet ihm eine Sexpuppe, die er seinem einzigen Freund, einem aus tragischen GrŸnden gehbehinderten Im mobilienmakler, den er insgeheim Hum pel nennt, abgekau" hat.
Zuvor war er jahrelang zu Prostituier ten gegangen, nachdem seine Frau nach der Geburt ihres einzigen Kindes kein Interesse mehr am Geschlechtsverkehr zeigte. Blieb ihm ja nichts anderes Ÿbrig. ãDa Amalia mir verwehrt war, hatte ich keine weibli che Kšrperš#nung zur VerfŸgung, in die ich mich gratis und ehelich ergie§en kšnnte.Ò Toni kommt, man merkt es bald, nicht sonderlich sympathisch rŸber. In seiner scho nungslosen O#enheit legt er es aber auch Ÿberhaupt nicht darauf an, denn: ãNichts von dem, was um mich herum geschieht, interessiert mich. Nicht einmal ich selbst interessiere mich.Ò hin noch nicht gegeben hat, wird es wohl auch jenseits der fŸnfzig nicht mehr herausrŸcken.Ò Man kann diesbezŸglich allerdings auch †berraschungen erleben. Aramburu gibt sich in seinem neuen Roman, im spanischen Original fŸnf Jah re nach seinem noch etwas umfŠngliche ren Welterfolg ãPatriaÒ (2016) erschienen, erneut ungezŸgelter ErzŠhllust hin. Er tut dies mit erheblichem handwerklichen Ge schick und dem Willen zum gro§en Bogen. Der Trick mit der Tagebuchform ist clever, nahezu jedes der 365 Kapitel wartet mit einem starken Schlusssatz auf, der entwe der amŸsiert oder schockiert, jedenfalls ver lŠsslich zum Weiterlesen animiert. Hohe schreiberische Kunstfertigkeit ist auch vonnšten, wenn man seine Leser und ins besondere seine Leserinnen nach 300 Sei ten noch fŸr weitere 500 begeistern mšch te, in denen der trŸbsinnige Toni sich mit SŠtzen wie diesem o#enbart: ãDas intime Leben mit einer intelligenten Frau habe ich als unablŠssige Strapaze empfunden.Ò Aramburu lŠsst sich Zeit. Die titelgeben den Mauersegler tauchen erst nach hun dert Seiten das erste Mal auf. Man erfŠhrt, dass Toni gern so wie sie wŠre, er sucht sie mit seinen Blicken am Himmel, er trŠumt von ihnen. In RŸckblenden erzŠhlt er sei ne Familiengeschichte, dunkle Geheimnis se werden angedeutet, RŠtsel nicht gelšst, AbgrŸnde erkennbar. Die Gegenwart schildert er meist emo tionslos, den selbst auferlegten Schluss strich stets im Blick. Die Spannung re sultiert daraus, dass man den Suizid abwechselnd fŸr durchaus mšglich, sogar wahrscheinlich, nachgerade unausweichlich hŠlt Ð und dann wieder nicht. Irgendwann mittendrin hat man aber von dem ganzen Nihilismus und Zynismus langsam genug und wŸrde dem Protagonisten gerne nahe legen, es doch mal mit Antidepressiva oder einer Therapie zu versuchen.
Fernando Aramburu: Die Mauersegler. Roman. Aus dem Spanischen von Willi ZurbrŸggen. Rowohlt, 832 S., ! 29,50 Die ganze Zeit Ÿber kreist das Denken die ses Mannes nur um seine eigene BeÞndlich keit. Die LebensrealitŠt der Frauen in seiner Umgebung, Ÿber die Generationen hinweg, bleibt ihm, so ausfŸhrlich er auch davon be richtet, in Wahrheit verborgen, oder bes ser gesagt: Auch sie interessiert ihn nicht.
Dabei kommen in Tonis Aufzeichnungen viele Frauen vor, sogar mehr, als in dem Perso nendiagramm am Anfang verzeichnet sind Ð und bis auf ganz wenige Ausnahmen leiden sie alle, was dem ErzŠhler in den seltens ten FŠllen zu denken gibt. Seine Ich -Bezogenheit ist grenzenlos, die SelbstverstŠnd lichkeit, mit der er nimmt und nichts gibt, erschŸtternd.
Aramburus Meisterleistung besteht da rin, vor dem Hintergrund der egozentri schen, biograÞschen ErzŠhlung seines Anti helden die Geschichten all dieser Frauen dennoch plastisch hervortreten zu lassen. Zwar ist immer nur der lebensmŸde Ma cho am Wort, doch wŠhrend dieser durch aus gebildete, umfassend belesene Mann sich in niemanden hineinversetzen kann Ð weder in seine Mutter, deren spŠtes Lebens glŸck er zerstšrt hat, noch in die Frauen, die ihn lieben oder einmal geliebt haben Ð, beschreibt er, bestŠndig mit sich selbst be schŠ"igt, die Tragik all dieser Frauen, ohne es selbst zu bemerken.
Eine geradezu unheimlich treue Seele, die Jugendfreundin çgueda, taucht nach 27 Jahren plštzlich wieder auf, und es dauert eine Weile, bis Toni klar wird, dass er in ihrem Leben eine grš§ere Rolle gespielt hatte, als er dachte, worauf nicht nur hin deutet, dass sie in der langen Zeit der Tren nung drei Hunde hintereinander nach ihm benannt hat.
Gegen Ende hin kommt es zu erwartba ren Zweifeln und unerwarteten Wendungen, bitteren Erkenntnissen und zagha"en Zu gestŠndnissen. Ein Vorhaben wird wie ge plant in die Tat umgesetzt, ein anderes ver eitelt. Es bleibt spannend bis zu Schluss.