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Romane von Elisabeth R. Hager und Helena Adler Martin Mosebachs ãTaube und WildenteÒ und

Von GÕstopften und Ausgestopften

Elisabeth R. Hager ist in ihrem Roman ãDer tanzende BergÒ dem Zusammenhang von Heimat und TierprŠparation auf der Spur

Die Geschichte beginnt mit ihrem Ende: Sprengt Marie die dekadente Pyjama WŠhrend sie das HŸndchen aus der Decke schlŠgt, hadert Marie damit, wie viel Geld party mit einer in der Literaturgeschichte einzigartigen Bombe Ð oder ist das nur das Feuerwerk zur Mitternacht? Relativ einzig artig ist jedenfalls der Beruf der Mittdrei§i gerin, der wir einen denkwŸrdigen Tag lang folgen: Sie hat ihren Job beim ãKultursen derÒ in Wien (die Auswahl ist ja nicht gro§) geschmissen und versucht, die TierprŠpara tionswerkstatt ihres verstorbenen Onkels weiterzufŸhren.

Der hatte ihr, die frŸh Waise geworden war, das Handwerk beigebracht, und sie hat es zu schŠtzen gelernt: ãDer vom Willen verlassene Kšrper breitete sich vor Marie aus und wurde zum Material, das sie nach Belieben formen konnte.Ò

Aber trotz der Hilfe ihrer resoluten Tan te gehen die GeschŠ!e schlecht, das Pat riarchat sitzt am Fu§e des Wilden Kaisers noch fest im Sattel und wŸrde seine Tro phŠen nie einer Frau anvertrauen. Also verschwendet Marie ihre Kunstfertigkeit an Wolpertinger, die sie Touristen andreht. Oder sie konserviert die Haustiere der HautevolŽe Ð etwa den Chihuahua ãKingÒ, den sie binnen zwšlf Stunden in lebendi ge Form gebracht haben soll, damit ihn die Hotelerbin noch pŸnktlich zum Hšhepunkt ihrer 30er-Feier Ÿberreicht bekommt. Der Countdown beginnt. und Liebe die Reichen in ihre Tiere inves tieren, wŠhrend es allen egal ist, dass ihre Jugendliebe Youni vor sechs Wochen unter ungeklŠrten UmstŠnden ums Leben gekom men ist. Als unbegleiteter minderjŠhriger FlŸchtling war er ins Dorf gekommen und hat trotz zŠher Versuche nie eine Chance be kommen Ð au§er als Drogendealer. Wegen seines in der Werkstatt gebunkerten Mari huanas steht nun auch plštzlich Younis Ge schŠ!spartnerin Butz vor der TŸr, ein ãun bŠndiges WeibÒ, das noch einmal Schwung in die Handlung bringt. ãDer tanzende BergÒ ist Elisabeth R. Hagers dritter Roman. Die Schri!stellerin und KlangkŸnstlerin stammt selbst aus St. Jo hann, pendelt mit ihrer Familie zwischen Berlin, Tirol und Neuseeland. Ihre Kri tik an der Verkommenheit KitzbŸhels hat nichts von der ãPie#e SagaÒ. Die schreibt mit einem Quantum Humor, aber deÞni tiv keine drollige Anti-Anti-Heimatliteratur im Stil von ãBlasmusikpopÒ. Es lebte sich gut hier zwischen den Bergen, wŠren da nicht die depperten autochthonen Herren und die dummen Reichen mit ihren dum men Streichen. Elisabeth R. Hager: Es wird schon nicht allzu Þktiv sein, dass Der tanzende Berg. die Zweitwohnsitzler glŸcklosen Bergbau - Roman. Kle!-Co!a, ern, wie etwa dem Vater der Butz, deren S. 256, " 22,70 Hšfe zum Spottpreis abknšpfen und sich statt des Viehs verwšhnte Doggen zulegen, die tŠglich Filet mignon fressen. ãDie Welt von denen, die man so gut sehen kann, steht auf dem Schutthaufen von denen, dieÕs zer bršselt hatÒ, sagt die Butz.

Wie man einen Hund prŠpariert (nennen Sie es nie ãausstopfenÒ!), hat Hager augenschein lich genau recherchiert. Den fŸr viele un gustišsen Vorgang schildert sie so, dass es bei der LektŸre nicht zu sehr graust. Man gewinnt einen Eindruck von der Kunst fertigkeit, die es braucht, damit das Tier nicht zu einer unheimlichen Karikatur sei ner selbst wird.

Wer das Tote so darstellen mšchte, dass es nicht befremdlich wirkt, muss ein schar fes Auge fŸr alles Lebendige haben Ð was ja auch fŸr die Literatur gilt. Was Hager anhand der Taxidermie Ÿber den Gegen satz von Schšnheit und Lebendigkeit, Natur und Kunst, Konkretheit und Abstraktion festhŠlt, besitzt hohe Šsthetische QualitŠt.

Hagers Roman geht, no na, unter die Haut, aber die Autorin arbeitet so kunst fertig wie ihre HauptÞgur. Der Titel indes fŸhrt ein wenig in die Irre. Die Berge tanzen nicht, sie bršckeln. Was tanzen soll, sind die versteinerten VerhŠltnisse, um Marx zu bemŸhen. Das Alpen-Patriarchat soll zur Schutthalde werden, auf dem Neues wŠchst.

DOMINIKA MEINDL

Alles auf Anschlag, bis zum Buzerl

Die Infantin, Teil zwei: In ãFre!enÒ beeindruckt Helena Adler wieder mit Sprachgewalt Ð trotz AbzŸgen bei den Haltungsnoten

Mit ãDie Infantin trŠgt den Scheitel linksÒ hat die Salzburgerin Helena Adler den erfrischendsten Roman des Jah res 2020 geschrieben. Ihre halb autobio graÞsche, halb hemmungslos geßunkerte Coming-of-Age-Story zeigt, was sich aus dem doch schon sehr verbrauchten Genre Anti-Heimatroman noch rausholen lŠsst, wenn man derart originell und bildha! zu schreiben versteht wie sie.

Adler kommt von der Malerei und hat jedes Kapitel in dem Buch nach einem Bild benannt Ð von Bruegel bis Kiefer. Dennoch sei anlŠsslich ihres neuen Romans ãFrettenÒ eine Analogie aus der Musik gestattet: Nach einem Hit mŸssen sich Bands entscheiden, ob sie diesem Sound treu bleiben oder sich neu erÞnden wollen Ð der Ansatz von Wan da vs. das Modell Bilderbuch. Adler geht den Wanda-Weg und lŠsst ãFrettenÒ wieder auf dem Šrmlichen Bauernhof spie len, auf dem die Infantin in einer dysfunk tionalen Gro§familie aufwŠchst: der Vater Biobauer mit missionarischen Tendenzen; die Mutter ebenso wahnha! religišs wie die Gro§mutter vŠterlicherseits, die im Alltag den Ton angibt, wŠhrend die Šlteren Zwil lingsgeschwister der Ich-ErzŠhlerin das Le ben zur Vorhšlle machen.

So weit, so bekannt. Die ersten 30 Sei ten kšnnten auch aus der ãInfantinÒ stam men; und die Kapitel sind wieder nach Ge mŠlden benannt. Warum nicht? Auch zwei Ahnherren, die bisweilen aus Adlers Texten winken, haben sich in puncto Sto", Motiven oder Handlungsort wiederholt. Mit Thomas Bernhard verbindet die Autorin der bšse Blick auf die Umgebung sowie der Hang zur †bertreibung. Die Katholiken und Bauern und Fleischhauer auf dem Land Ð durch die Bank sind sie schlecht und hinterfotzig. An den KŠrntner Josef Winkler wieder um erinnert das bestŠndige Abarbeiten an der Kindheitslandscha!, die der Ich-ErzŠh lerin verhasst ist und von der sie doch nicht loskommt. Die Infantin braucht den Mist, der sie umgibt und in dem sie sich auch ausgiebig suhlt, als DŸnger fŸr ihre ins Kraut schie§enden Wortschšpfungen. Und der Furor der zu nŠchst noch jugendlichen ErzŠhlerin ist enorm. Sie schlie§t sich einer Bande an derer Au§enseiter an, es wird mit Fleisch und Drogen gedealt und in den HŠusern der Reichen gefeiert und randaliert Ð mit einer unglaublichen Wut, die die Heldin zum Teil auch gegen sich selbst richtet. Das liest sich Ÿber weite Strecken beein druckend und verfŸgt Ÿber einen mitrei§en den Rhythmus. Um bei der Musik zu blei ben: Die einzige wirkliche SchwŠche des Texts besteht darin, dass der Pegel fast im mer im roten Bereich ist. Adler spielt am liebsten mit voller LautstŠrke. Der Hang zur Alliteration wirkt geradezu manisch. Auf einer einzigen Seite im Buch Þnden sich folgende Konstruktionen (Lis te unvollstŠndig!): ãRatten-ResortÒ, ãWar zenwahrzeichenÒ, ãBonzenbordellÒ, ãKoks kapazunderÒ, ãGrottengru!Ò, ãHeroin fŸr die HeroenÒ, ãWirtscha!swichte in Win delnÒ, ãLuxuslagerhausÒ.

Das ist zu viel des Guten, und der E"ekt der in Ma§en genossen sehr witzigen NeuprŠgun gen nutzt sich ab. Und doch wird man die sem Sprachkunstwerk, dessen Wirkung ir gendwo zwischen Achterbahnfahrt nach zu viel Langos und Geisterbahnbesuch chan giert, nicht gerecht, wenn man es kleinkrŠ merisch zerpߟckt. Man sollte sich darauf einlassen und die Fahrt genie§en.

Denn Adler betritt auch Neuland. Plštz lich ist ein Kind an der Seite der Infantin, was deren Wahrnehmung beinahe komplett verŠndert. MuttergefŸhle schie§en ihr ein, und obwohl die Sprachmachine immer noch hochtourig lŠu!, Þnden sich in der zweiten HŠl!e des Romans vermehrt zarte Tšne.

Die Autorin beweist, dass sie weder One-Hit-Wonder noch One-Trick-Pony ist; auch wenn sie das Schimpfen und WŸ ten immer noch am besten beherrscht. Al lein die Geburtsszene, in der es die Infantin mit einer grausamen Hebamme aufnehmen muss, ist den Kauf des Buches wert.

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