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Jan Faktors Schelmenroman ãTro"elÒ
Die vierte Matratzeninternationale
Mit barockem Wortwitz erzŠhlt Jan Faktor ãTro!elÒ als einen sozialistischen Schelmenroman vor tragischem Hintergrund

Ein Trottel ist ein Idiot ist ein Privatmann. Dostojewskis FŸrst Mysch kin und der brave Soldat Schwejk zŠhlen ebenso dazu wie die Komiker aller Herren LŠnder gegen den Geist ihrer Zeit. Vor al lem, wenn sie sich an Robert Musil hiel ten: ãDas Dumme, worŸber ich mich lus tig mache, bin auch ich selbst.Ò Aus dem Kampf mit der Welt geht nur kein Trottel unbeschŠdigt hervor. FŸr Jan Faktor gilt das allemal und ganz besonders fŸr sei nen jŸngsten Roman ãTrottelÒ. Diesem vo rangestellt ist ein Motto aus eigener Feder: ãWas ist der Grund meiner guten Laune? Einfach Alles.Ò
Der 1951 in Prag geborenen Faktor Ÿbersiedelte 1978 nach Ostberlin, wo er bald Zugang zur literarischen Subkultur in Prenzlauer Berg fand. Obschon mit der Tochter von Christa Wolf verheiratet, zog er die dissidente Existenz als KindergŠrtner und Schlosser den Privilegien des sozialis tischen Dienstadels vor und schrieb experi mentelle Literatur: ãIch bin als ein Trottel auf die Welt gekommen, bin wie ein Trot tel aufgewachsen und musste folgerichtig einer bleiben Ð zu retten oder gutzureden war da nichts.Ò
Dieses Eingangsstatementwird allerdings wie fast alles, was auf knappen 400 Seiten und 262 Fu§noten folgt, un zŠhlige Male unterlaufen und Ÿberboten: ã†berraschenderweise kam alles anders.Ò Man kšnnte ãTrottelÒ als zeitgenšssischen Schelmenroman bezeichnen, voller Witz und sarkastischen Wortspielen, stŸnde da nicht auch eine Tragšdie im Hintergrund dieser hšheren, quasi autobiograÞschen Blšdelei. ãManche Erkenntnisse habe ich in meinem Leben spontan im Terrain ge wonnen, ohne sie spŠter mŸhsam aus einem Prostata- oder Nasensekret extra hieren zu mŸssen.Ò È Bei Jan Faktor ist fŸr alles Platz: vom Gruppensex im Sozialismus Ÿber illegale Wohnungsdurch brŸche bis zur HŠsslichkeit des Alexanderplatzes


Schon die zwei Dutzend barocken KapitelŸberschri!en darf man sich auf der Zun ge zergehen lassen: ãPatschulischock im AnmarschÒ oder ãKarpfen- und Forellen teich Ð Ein …dem auf Schmetterlingsratten, Darmhornissen, Ameisenhornochsen, Aug apfelwŸrmer und ZungenbrecherÒ.
Aufgerollt, zerrissen und verquer wieder zusammengefŸgt werden noch einmal ei nige tschechoslowakische Kindheits- und Jugenderinnerungen, um die es in Fak tors ãGeorgs Sorgen um die Vergangen heit oder Im Reich des heiligen Hoden sack-BimbamsÒ schon einmal ging. Dann stehen wir am Prager AltstŠdter Ring vor den TrŸmmerresten des russischen Ein marsches von 1968. Auf Anraten seiner Tante, die den merkwŸrdigen Posten einer Abteilungsleiterin fŸr ãMarketing im So zialismusÒ innehat, beginnt der ErzŠhler ein Studium der Computerwissenscha!en, was in der Praxis bedeutet: Erkenntnisse Ÿber ãdie fŸhrende Rolle der KPdSU bei der Berechnung des Toilettenpapierbedarfs der befreundeten Bruderstaaten im alltŠg lichen KatastrophenmodusÒ.
Dieser will allerdings Ÿberwunden wer den, etwa durch ãStandsaufenÒ in Pra ger Weinschenken. Trotz strebenden Be - Jan Faktor: mŸhens wird der Protagonist nicht zum Tro!el. Roman. studentischen ãJungalkoholikerÒ, schŠr! Kiepenheuer & vielmehr seine Beobachtungsgabe, wovon Witsch, 399 S., der ErzŠhler noch ein halbes Jahrhundert " 25,50 spŠter proÞtiert. MŠnner sa§en da ãhalb arschÒ auf Barhockern und starrten ins Nichts. Das war die ãsozialistische Peep showÒ! Ausgeschenkt wird ein mŠhrischer Tropfen und dazu gesellt sich eine ãMŠh rinÒ, die sich spŠter als ãvulvalÒ trocken erweist. Der ErzŠhler gebietet seinem glitschigen Altherrenwitz rasch Einhalt, wechselt das The ma und erzŠhlt etwa aus der Zeit, als das sozialistische Kantinenessen so manche †berraschung bot: einen Þlzigen Wischlap pen, der in den So§enkessel gefallen und stundenlang mitgekocht worden war. ãIch hatte aber Hunger und konnte trotz meiner relativ klaren Spontandiagnose nicht auf hšren zu essen.Ò
Die †bersiedelung in die DDR erfolgt aus amouršsen GrŸnden; was als mehrjŠh rige A"Šre mit einer Ostberlinerin beginnt, die von ihrem Ehemann stŠndig betrogen wird, endet mit einer Hochzeit Ð selbst redend an einem 1. April. Die ãDeutsche rundumordnungsliebende RepublikÒ ist fŸr den Undergroundautor wie gescha"en: ãDie SchŠbigkeit des Landes wurde mein For schungsthema, und ich fŸhlte mich in Ost berlin sofort wie zu Hause, obwohl ich dort lange Zeit Ÿberhaupt kein Zuhause hatte.Ò Schon an der Grenze hat er seine Freude an den MŠnnern in Naziuniform: ãPasskontrr rolle É -olle, -olle! PersonaldokumenTE É -enTE, -enTE, bŸtte!Ò Als ãDeutsche ReichsbananenrepublikÒ wird das bezeichnet, und dennoch kommt die DDR bei Faktor nicht nur schlecht weg: Ostdeutsche machen aus einfachen Lat ten neue Mšbel; ein Lob ergeht an klo bige DDR-FahrrŠder; der oppositionel len Dreifaltigkeit von Pfarrer, Kirche, Pogo fŸhlt sich der ErzŠhler ohnedies nahe, auch wenn den nachgeborenen Kindern des Wes tens erst der Sinn von ãUndergroundÒ er klŠrt werden muss: Es hatte eben nichts mit ãradikaler Abgrenzung, konsequenter Kommerzferne oder einfach der Kampfan sage an den Mainstream zu tunÒ, sondern bedeutete vielmehr, mit einem Fu§ im Ge fŠngnis zu stehen. In Jan Faktors ãTro!elÒ ist fŸr alles Platz: vom Gruppensex im Sozialismus (ãdie vier te MatratzeninternationaleÒ) Ÿber illegale WohnungsdurchbrŸche bis zur HŠsslich keit des Alexanderplatzes. Und auf beina he mysterišse Weise fŸgen sich all diese Ab schweifungen zu einem Roman. Der Grund dafŸr ist nicht der Zwischenruf des ErzŠh lers in eigener Sache, nur ja keinen ãWen deromanÒ zu schreiben, sondern vielmehr die tragische Geschichte des Sohnes, der als junger Mann Selbstmord beging. Die das ganze Buch in immer neuen AnlŠu fen durchziehenden Versuchen, darŸber zu schreiben, sind das Auge im Sturm einer ErzŠhlung von absoluter Phrenesie. ERICH KLEIN

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