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ãZamiÒ, die AutobiograÞe der Audre Lorde

Eingebrannt wie seelische Tattoos

Die US-amerikanische Dichterin und Aktivistin Audre Lorde legt in ãZamiÒ ihr Leben als schwarze, lesbische Frau o!en

Ihre erste Liebe stirbt tragisch frŸh. Als sich die Schulfreundin mit Arsen vergif tet, ist Audre gerade 16 Jahre alt. Den Ver lust muss sie alleine bewŠltigen. Die El tern haben andere Sorgen, ihre Mutter sagt: ãSieh vor, mit wem du dich einlŠsst!Ò ãZamiÒ, so sagt man auf der karibischen Insel Carriacou zur Freundscha! unter Frauen. Frauen, die zusammenhalten, wŠh rend ihre EhemŠnner auf hoher See sind. Frauen, die sich lieben. Und ãZamiÒ lautet auch der Titel des autobiograÞschen Ro mans der schwarzen US-Amerikanerin Au dre Lorde. Erschienen war das 400 Seiten starke Memoir bereits 1983. Drei§ig Jahre nach Lordes Tod kommt das bereits 1983 erschienene Buch nun in einer aktualisier ten NeuŸbersetzung.

Der Roman puzzelt Lordes Leben aus Begegnungen mit Frauen zusammen. Am Anfang steht die Ur-Beziehung zur stren gen, namenlos bleibenden Mutter, die aus der Karibik in die USA emigriert ist. Be tritt sie den Raum, stockt der Tochter der Atem vor Furcht und Ehrfurcht. Audre ver ehrt ihre Mutter zwar, ihre Beziehung zu ihr bleibt aber distanziert bis unterkŸhlt. Zeit fŸr Zuwendung gibt es keine. Audre Lorde gilt als bedeutende Dichterin der USA. Ihre Lyrik verstand sie als politisch, sie kŠmp!e als Aktivistin gegen Rassismus, Klassismus und Homophobie. Sie studierte Bibliothekswissenscha! in New York, ver brachte einige Zeit in Mexiko und verfass te spŠter auch theoretische Schri!en zum Feminismus. 1992 verstarb sie an Brust krebs. Eine besondere Beziehung verband sie zu Deutschland, wo sie wiederholt als Gastprofessorin an der Freien UniversitŠt Berlin lehrte und in den 1980er-Jahren zur PionierÞgur der schwarzen Community der Hauptstadt wurde.

In ãZamiÒ grei! Lorde auf ihre ersten Erinnerungen als kleines MŠdchen zurŸck. Sie wŠchst im New Yorker Stadtteil Harlem auf. Die Eltern sind Einwanderer, schwarz und trotz erfolgreicher GeschŠ!igkeit BŸr ger zweiter Klasse. ãMeine Mutter und mein Vater glaubten, dass sie ihre Kinder am besten vor der rassistischen RealitŠt in Amerika schŸtzen kšnnten, indem sie die se weder beim Namen nannten noch je Ÿber ihr Wesen sprachen.Ò Nur ja nicht au"allen, nicht anecken, so trichtern es die Eltern den drei Tšch tern ein. Audre ist schwer kurzsichtig und beinahe blind. Erst als sie mit vier Jahren eine dicke Brille bekommt, entdeckt sie Nu ancen und Details ihrer Umgebung. Diese frŸhkindlichen Jahre rŸcken sie ins Abseits der NormalitŠt. Zeit ihres Lebens wird sie sich als Au§enseiterin begreifen, eine Rol le, die sich ãstets richtig anfŸhltÒ. ãZamiÒ erzŠhlt von Einsamkeit und dem verzwei felten Wunsch, sich einer Gemeinscha! zu gehšrig zu fŸhlen. Als schwarzes MŠdchen ist Audre Lorde nicht nur ãandersÒ, ihr sind viele Dinge verbo ten. Etwa Eis im EisgeschŠ! zu essen. Oder sich im Bus hinzusetzen. Mit zwšlf Jah ren kommt sie auf eine neue Schule, sie ist dort die einzige Schwarze. Die Familie zieht um, kurz darauf erhŠngt sich der jŸ dische Vermieter der Wohnung im Keller. Die Daily News berichtet, er habe es aus Verzweißung getan, da er an Schwarze habe vermieten mŸssen. In der Schule macht der Zeitungsbericht schnell die Runde. ãEr war Jude gewesen, ich war schwarz. Das mach te uns beiden zu Freiwild fŸr die grausame Neugier meiner vorpubertŠren Klassenka meradinnen und -kameraden.Ò Die HŠrte jener Zeit schildert die Auto rin in unverblŸmtem Stil. Ihr Memoir be schwichtigt nichts, ist frei von Jammer. Ge rade deshalb rŸckt die rassistische RealitŠt beim Lesen bedrŸckend nahe. An der Schule ist Audre Lorde die Klas senbeste. Sie mšchte sich als Klassenspre cherin aufstellen lassen, in der †berzeu gung, den Posten verdient zu haben. Doch weder wird sie von der Lehrerin unter stŸtzt noch von ihren MitschŸlerinnen ge wŠhlt. TrŠnenŸberstršmt lŠu! sie nachhau -

Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens. Aus dem Englischen von Karen Nšlle. Hanser, 416 S., " 26,80 se. ãHab ich dir nicht gesagt, du sollst dich nicht in die Angelegenheit anderer Leute einmischen!Ò, herrscht sie die Mutter an und gibt ihr eine Ohrfeige.

Dergleichen Diskriminierungen wecken Au dres aktivistischen Geist bereits im Kindes alter. Mit 17 Jahren zieht sie von zuhau se aus, Þnanziert sich das College selbst, steht auch eine gefŠhrliche Abtreibung al leine durch. Es sind Frauen, die ihr helfen und von denen sie angezogen wird.

Ihre erste Liebhaberin hei§t Ginger. Die beiden arbeiten gemeinsam in einer Fabrik fŸr RšntgengerŠte. Mit Ginger macht die Autorin ihre erste sexuelle Erfahrung, die sie poetisch lustvoll verdichtet. ãIch tauchte hinunter in ihre NŠsse, ihren Du!; die sei dige Insistenz der Rhythmen ihres Kšrpers weckte meine eigenen GelŸste.Ò

Als schwarze Lesbe fŠllt Audre Lorde doppelt aus der Norm. Und auch die Su che nach Zugehšrigkeit ist fŸr sie schwe rer. Viele schwarze Lesben, so erklŠrt Lor de, hŠtten ihre SexualitŠt versteckt, da sich die Schwarze Community nicht fŸr sie in teressierte. In einer wei§en Umgebung habe es genŸgend andere Probleme gegeben. Lie be oder Sex auszuleben war damals ein Lu xus, den sich viele nicht leisten konnten.

Lorde lebt ihre lesbische IdentitŠt auch mit wei§en Frauen. Sie erblickt darin ein gesellscha!spolitisches Potenzial. Vielleicht, so mutma§t sie, waren lesbische Frauen in den 1950er-Jahren die ersten, die sich von der Frage der Hautfarbe lšsten. Ihre Sexua litŠt hŠtte sie verbunden, ins GesprŠch ge bracht und Ÿber Rassismen hinweggesetzt.

Wie ãseelische TattoosÒ brennen sich die Begegnungen mit Frauen ein. Sie formen Lordes Charakter und geben Antwort auf ihre eingangs gestellte Frage: ãWem verdan ke ich die Frau, zu der ich geworden bin?Ò

Audre Lordes ãZamiÒ ist ein eindrucks volles Zeugnis einer Zeit voll haarstrŠuben der Ungerechtigkeit, dessen LektŸre nichts destotrotz zur sinnlichen Erfahrung wird.

LINA PAULITSCH

Was wir zu verlieren haben zu verlieren haben

Eine Frau lebt auf einer tropischen Insel. Berichtartig gibt sie Auskunft Ÿber unheimliche Dinge, die plštzlich passieren. BŠume, die sich schwarz fŠrben und heimliche Dinge, die plštzlich passieren. BŠume, die sich schwarz fŠrben und massenhaft tote Fische am Strand. Und in ihr wŠchst die Angst vor denen, die im Norden der Insel leben. Sie baut ihr Haus zu einer Festung aus, stŠndig gefasst auf den Angri! ihrer Feinde. Eine hochspannende Parabel.

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