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ãEmilÒ vonMariam KŸhsel-Hussaini
Ekelattacken mit EinstecktŸchlein
Martin Mosebach zelebriert den Verfall kunstsinnigen BŸrgertums auf gewohnt kunstsinnige Weise
Zwei, die irgendwie dabei gewesen sind
Nazi-Sympathisant Emil Cioran und Gestapo-Chef Rudolf Diels sind die Protagonisten in KŸhsel-Hussainis ãEmilÒ
selbst zu kaufen Ð mit Geld, das als Fšrderung fŸr ein Verlagsprojekt ein geworben worden war.
Die eigentliche Tragšdie dieser Figuren ereignet sich aber nicht auf der Handlungsebene, sondern be steht darin, dass jedes BemŸhen um Distinktion vergeblich ist. All die kulturvollen Anstrengungen, was unternommen wird, um sich einen kulturvollen Raum zu scha!en, ist lŠngst spie§ig geworden: das Reisen und der Aufenthalt im Mittelmeer raum Ð Mosebachs bevorzugter lite rarischer Region Ð sowieso, aber auch das Verlegen hochgeistiger Margina lia und das Sammeln von Kunst, das eher einer Kapitalanlage gleicht, als dass es etwas mit €sthetik und Ge schmack zu tun hŠtte. Das Bedauern Ÿber den Verlust von Schšnheit prŠgt Mosebachs Stil. Er schreibt gewisserma§en mit Einsteck tŸchlein und manikŸrten FingernŠ geln. ãBetrŠchtlichÒ ist eines der Wor te, die er bevorzugt. Ob Wertzuwachs, Altersunterschied, Prestige oder Dis tanzen Ð alles ist so ãbetrŠchtlichÒ wie diese Prosa selbst. Mosebachs stets auf Vornehmheit bedachten SŠtze leuchten wie der Samtbeschlag an der Wand, den Ruprecht anbringen lŠsst, um ãTaube und WildenteÒ besser zur Geltung zu bringen.
Die Spannung dieser Prosa liegt in der Sprache selbst, weil nicht zu unterscheiden ist, ob Mosebach das wirklich so meint oder ob er damit seine Figuren kennzeichnet; ob der Ekel, den er damit hervorru", beab sichtigt oder unfreiwillig ist. Stil und Inhalt entsprechen sich vollstŠndig. Die Dekadenz ist diesem Stil eben so eingeschrieben wie die emotiona le Distanz, an der noch die grš§ten Gemeinheiten und Katastrophensze narien abperlen. Es geht den Prota gonisten und mit ihnen Martin Mosebach um ãHaltungÒ, und so ist es schon der Gipfel der GefŸhlsausbrŸ che, wenn Marjorie am Ende, als sie dann doch noch einmal, allerdings ohne ihn zu berŸhren, neben Rup recht liegt und meint, ein LŠcheln bei ihm identiÞziert zu haben. Man kann das fŸr gro§e Kunst oder fŸr gro§en Kitsch halten. Reizlos ist es nicht Ð genau wie ãTaube und WildenteÒ von Otto Scholderer. J…RG MAGENAU
Es gibt keine einzige Figur in die ser kleinen Gesellscha", die sym licher Reichsfeind Nummer 1Ò. Die Aussage hinter der nicht un pathisch wŠre. Das ist man von Mar - problematischen Figurenkonstella tin Mosebach so gewšhnt. Der hat tion? Sowohl die erratischen Au!as sich auf den Verfall spezialisiert, auf sungen weiter Teile der Intellektuellen moralisch AnrŸchiges, auf bŸrgerli - als auch das Versagen politischer und che Dekadenz Ð allerdings stets in administrativer Akteure trugen erheb einer kostbaren Sprache und in aus - liche Mitverantwortung fŸr den Auf gewŠhlter Kulisse, mit Sinn fŸr er - stieg des Bšsen Ð eine letztlich bana lesene Details und guten Geschmack. le Einsicht, kaum dazu angetan, ein ãGrausamkeit. Zuschauen, wie etwas neues Licht auf lŠngst erforschte Tat Schšnes zerfetzt wirdÒ, lautet der ers - sachen zu werfen. €hnlich wenig er te, durchaus programmatische Satz, tragreich fallen die Introspektionen in notiert von einer der HauptÞguren, die TŠter aus. Soll man Diels, dessen dem Verleger Ruprecht Dalandt, der Vergehen trotz all seiner Beschwich in einem Landhaus in der Provence tigungsversuche in der Nachkriegszeit beobachtet, wie eine Katze mit einer allesamt o!enbar wurden, nach die Zikade spielt und diese genŸsslich sem Buch etwa doch ãnurÒ als Oppor tštet. tunisten ansehen?
Dalandt, Mitte 60, trŠgt das silber ne Haar halblang. Er leitet den Ver - Noch kruder muten die amateurpsy lag Papyros Press, der sich mit feinen chologischen Deutungen mancher BildbŠnden und hermetischer Lyrik NebenÞguren an, darunter auch ein so Renommee und kulturelles Kapital prominenter Verbrecher wie der KZerarbeitet hat. Verkau#arkeit ist nicht Arzt Josef Mengele. In einem Kapi so wichtig, denn Dalandts Frau Mar - tel zu seinen grausamen Versuchen an jorie ist Erbin eines betrŠchtlichen Fa - Zwillingen hei§t es, dass sich dieser milienvermšgens, das ein paar Gene - ãŸberaus christlichÒ vorgekommen sei rationen zuvor mit der Ausbeutung Ð ãund so Þel ihm auch nicht auf, dass von BodenschŠtzen und Arbeitern die Biologie der Untermenschen doch im Kongo erworben worden ist. Seit - eigentlich nicht seiner herrenmensch her gibt es nichts mehr zu tun, als lichen Kšrperkunde dienen konnteÒ. den Reichtum zu verwalten. Dabei ist Ob ironisch gebrochen oder ernst Marjorie jedoch an eine Sti"ung ge - gemeint Ð KŸhsel-Hussainis Bestre bunden, der auch das Haus in SŸd - ben, uns die WidersprŸche im Natio frankreich gehšrt. nalsozialismus aus dem Inneren der
Au§er dem sich in langjŠhrig ein - Figuren heraus vor Augen zu fŸhren, geŸbter €quidistanz kaum noch ver - Ÿberzeugt nicht. Angesichts ihrer Ver bundenen Ehepaar versammeln sich suche, sich in die Protagonisten hin dort Marjories unnahbare Tochter einzudenken und deren Motive ver Paula mit Enkelin Nike und deren stehen zu wollen, drŠngt sich die unbedar"em Freund, dem Mšch - Frage auf, wie weit ein solches Ver tergernpianisten Max; die Verlags - stehen von einer Exkulpierung noch mitarbeiter Fritz Allmendinger und entfernt ist. Sieglinde Stiegle, die sich schlie§lich Abgesehen von diesen UnzulŠng aus nichts als karrieristischen GrŸn - lichkeiten scheitert der Roman aller den im Dienst einer Gro§intrige ver - dings auch auf literarischer Ebene, heiraten; ein englischer Maler, der Ce - indem er unzŠhlige, mitunter unfrei zanne-Skizzen fŸr Touristen kopiert willige Komik produzierende StilblŸ und im Haus an den WŠnden herum - ten hervortreibt. Zum Worst-of gehšrt marmoriert; sowie das etwas mu$ge etwa die ãGi"mischungÒ aus Hitler portugiesische Hausverwalterehepaar und Goebbels, die ãvon solcher †berDos Santos. ExplosionÒ war, ãdass der Augen blick selbst ohnmŠchtig wurde und All diese von Neid, Missgunst und Lieb- kollabierteÒ. Bei Passagen, in denen losigkeit gezeichneten Figuren sind vom ãEingang in ein ortloses ZeltÒ damit beschŠ"igt, sich zu belauern die Rede ist oder von ãtrunken rau und in fragwŸrdige amouršse Bezie - nenden, neblig wippenden BŠumenÒ hungen zu verstricken, denen jede drŠngt sich wieder einmal die Frage emotionale Tiefe abgeht. Im Zent - auf: Wo war der Lektor? rum der Aufmerksamkeit aber steht BJ…RN HAYER ãTaube und WildenteÒ, ein Stillleben des eher unbedeutenden Malers Otto Scholderer, das zu der von Marjories Gro§vater angelegten Kunstsamm lung gehšrt und in das sich Ruprecht Ð die Grautšne! Ð verliebt hat. Doch um die notwendige Dachreparatur be zahlen zu kšnnen, will Marjorie aus gerechnet dieses Bild Ð Spielball und Einsatz der Eheentfremdung Ð verŠu §ern, sodass Ruprecht beschlie§t, es
Wahrheit oder É Fiktion? Schon mit ihrem Roman ãTschudiÒ (2020) hat sich Mariam KŸhsel-Hus saini fŸr ein spannendes Dazwischen entschieden. Darin setzt sie eine rea le Persšnlichkeit ins Zentrum ihrer Geschichte und ergŠnzt mit erzŠh lerischer Verve die uns unbekannten Stationen. Die Rede ist vom einsti gen Direktor der Berliner Nationalga lerie, Hugo von Tschudi, der um 1900 subversiv die weltanschaulich vereng te Kunstpolitik des Kaisers zuguns ten einer welto!enen Werkschau zu unterlaufen wusste. Nun bringt uns die Autorin er neut zwei historische Personen nŠ her, nŠmlich den Philosophen Emil Cioran und den ehemaligen Chef der Gestapo (1933Ð1934), Rudolf Diels, beides Ÿberzeugte Faschisten Ð soll te man meinen. In KŸhsel-Hussainis AnnŠherung werden allerdings die unterschiedlichen Schattierungen der Charaktere deutlich. Der rumŠnische Essayist, den es 1933 anlŠsslich eines Alexander-vonHumboldt-Stipendiums nach Ber lin verschlug, gilt als Antisemit und zeitweise verblendeter Faschist. Die se Einordnung grei" der Autorin al lerdings zu kurz, sie entwir" stattdes sen das PortrŠt eines Ÿber den Dingen schwebenden Decadents. ãIch habe zu viel erblickt, habe zu viel gefunden, alle Einsichten, alle See len-Karten abgenagtÒ, beschreibt sich der Denker in den Worten der Auto rin. Und Ÿberhaupt erscheint ihm die ãganze MaterieÒ als ãeinziger Skan dal aus dem Scho§ des NichtsÒ. WŠh rend manche seiner Zeitgenossen im FŸhrer die gro§e Erneuerungskra" sehen, erblickt sie Cioran im Tod, als dem einzigen Ereignis in einer ent leerten Welt. Zumindest unbotmŠ§ige Gewalt zu verhindern ist hingegen parado xerweise der Wunsch DielsÕ. Zuneh mend geht er auf Distanz zum Terror von SA und SS, gebŠrdet sich gar als Martin Mosebach: Opponent im UnterdrŸckungsstaat, ja Taube und Wild - erscheint in seiner Selbstdarstellung ente. Roman. dtv, bei den NŸrnberger Prozessen, wo er 336 S., ! 25,50 als Zeuge au"ritt, geradezu als ãheim -
ÈDie Introspektion der TŠter wir! die Frage auf, wie weit diese von der Exkulpierung noch entfernt ist Mariam KŸhsel-Hussaini: Emil. Roman. Kle"-Co"a, 320 S., ! 24,70