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Nicolas Mathieu: ãConnemaraÒ

Wie frŸher ihre Eltern

Nicolas Mathieu bleibt mit ãConnemaraÒ auf dem Terrain seines fulminanten Gesellscha!sromans ãWie spŠter ihre KinderÒ

Nein, mit Irland hat der jŸngste Ro man von Nicolas Mathieu so gut wie gar nichts zu tun. Der Titel spielt auf Mi chel Sardous ãLes Lacs du ConnemaraÒ an. Das bombastische Chanson von 1981 Ð auf Youtube (inklusive Cover-Versionen): knapp 130 Millionen Klicks Ð ist eines jener Mu sikstŸcke, das einen fŸr Minuten zum Teil eines von WeltumarmungsgefŸhlen eupho risierten Kollektivs werden lassen oder noch tiefer in die kalte Hšlle einsamer Depres sion stŸrzen kann: ã[E]r hatte den Kleinen schon bei seiner Mutter abgeladen, da skan dierte die Stimme, autour des lacs, cÕest pour les vivants, und allein am Lenkrad wusste er weder, wo er essen sollte, noch mit wem, so weit war es gekommen, die Haare spŠr lich, das Hemd spannte am Bauch [É]. Das GefŸhl von Verschwendung, Verdrossenheit, unmšglicher Wiedergutmachung.Ò

Die Rede ist von Christophe Marchal: um die 40, Beziehungswrack, teilzeiterzie hender Vater und ehemaliger Eishockey crack in der Mannscha! von ƒpinal, dem Geburtsort des Autors. Nach gescheiterten Versuchen als Hotelier und Betreiber eines CafŽ-Restaurants arbeitet er mittlerweile als Vertreter fŸr Hundefutter und ist nach der Trennung von seiner Frau bei seinem ver witweten Vater eingezogen. Aus dem Þk tiven Ka" CournŽcourt in der NŠhe des realen ƒpinal ist er sein Leben lang nicht rausgekommen. Mathieu, Jahrgang 1978, grei! in ãConne maraÒ die Themen, Konstellationen und Motive wieder auf, die man bereits aus sei nem vor vier Jahren erschienenen und všl lig zurecht mit dem Prix Goncourt ausge zeichneten Roman ãWie spŠter ihre KinderÒ kennt. Das Lothringen der Þktiven Stahl - È stadt Heillange, in der dieser spielt, wur de 2016 mit Elsass und Champagne-Arden - Nicolas Mathieu ne zur Region Grand-Est fusioniert Ð ein ist ein Schri! Vorgang, der nun in ãConnemaraÒ zur Spra che kommt: ãEine Region zu erÞnden, dazu steller, der sehr brauchte man schon eine gewisse Dreistig - vieles, ja fast alles keit und eine Menge Unwissenheit darŸber, kann: Sex, Land was im Leben der Menschen los war, [É] die Ÿber ihrem Teller vor sich hin grummel ten, sich ungehšrt, unverstanden, nicht res scha!, Dialoge, Innenschau und pektiert und vom Monatsende, der Migra - Totale tion und den Bossen bedroht fŸhlten und sich seit gut fŸnfzig Jahren in ihrem pat riotischen Stolz und in ihrem Fortschritts glauben gekrŠnkt sahen.Ò KrŠnkung, Ehrgeiz, Wut und Scham liefern wie schon im VorgŠngerroman den Brenn sto", der die Protagonisten antreibt. An der Schnitt- und Bruchlinie all dieser A"ekte und Ambitionen hat der Autor diesmal HŽ l•ne platziert. Als Tochter einer SekretŠrin und eines ehemaligen Fabrikarbeiters hat es die begabte und ambitionierte SchŸlerin zu einem gut dotierten Posten in einer Consul ting Firma, zu einem noch besser gestellten Mann, zwei Tšchtern und einem luxuriš sen Haus in der NŠhe von Nancy gebracht. Nichtsdestotrotz erlebt sie ihr Dasein als ãein stŠndiges Zuviel und ZuwenigÒ.

HŽl•ne ist die klassische Aufsteigerin, die es gescha"t und dabei Klassenverrat began gen hat. Darin erinnert sie an die AutoÞc tion eines Didier Eribon (ãRŸckkehr nach ReimsÒ) oder der frischgebackenen Litera turnobelpreistrŠgerin Annie Ernaux. Aber obwohl sie noch keine 40 ist, verspŸrt sie bereits den Druck der nachfolgenden Ge neration im RŸcken. Verkšrpert wird diese von ihrer ebenso jungen wie abgebrŸhten Arbeitskollegin Lison, von der sie sich Ÿber ãdie neuen Regeln des Fickens und FŸhlensÒ au#lŠren lŠsst und die spŠter eine Sexint rige gegen ihre Vorgesetzten einfŠdelt, die auch HŽl•ne zum VerhŠngnis werden wird.

Es herrscht ein bestŠndiger Kleinkrieg zwischen den Klassen, Generationen und Geschlechtern, und die Ausweitung der Kampfzone droht alle Augenblicke zu eska lieren. ãUnd wŠhlt richtig!Ò lautet das Man tra jener, die in der bevorstehenden Stich wahl von 2017 auf der Seite von Marine Le Pen stehen.

Wie seinem Landsmann Michel Houel lebecq geht es auch Nicolas Mathieu dar um, nicht blo§ ein Milieu darzustellen, son dern mit soziologisch informiertem Blick das gro§e Ganze, die Gesellscha! im Auge zu behalten, so fragmentiert diese auch sein mag. Alle sind letztendlich Gefangene ihrer Familien und Milieus, aber zugleich verfŸgt der Autor Ÿber hinreichend Empa thie, um seinen Protagonisten auch Ver schnaufpausen, kleine Triumphe und Eks tasen zuzugestehen.

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Nicolas Mathieu: Connemara. Roman. Aus dem Franzšsischen von Lena MŸller und AndrŽ Hansen. Hanser Berlin, 432 S., # 26,80 Die A"Šre etwa, die HŽl•ne mit ihrem Jugend schwarm Christophe Ð der seinerzeit frei lich ihre beste Freundin gevšgelt hat Ð an fŠngt, ist zwar von allerlei Asymmetrien gekennzeichnet, aber der episch und en de tail beschriebene Sex ist toll, sorgt fŸr gu ten Schlaf, Muskelkater und BlasenentzŸn dung. Und bei aller Scheu, sich mit einem jener ãAllerweltsdeppen, die auf Fu§ball, gro§e Karren und €rsche standenÒ, ernst ha! einzulassen, Þnden die beiden fŸr Mo mente dann doch zu einem ãWirÒ, das Ÿber die keuchende und schwitzende Zusam menkun! in Hotelzimmern hinausgeht.

Nicolas Mathieu ist ein Schri!steller,der sehr vieles, ja fast alles kann: Sex, Land scha!, Dialoge, Innenschau und Totale. Wenn er eine SchwŠche hat, dann ist es die, durch mitunter etwas ausufernde und mei nungsstarke ErzŠhlkommentare noch ein mal zu erklŠren, was Sache ist, anstatt es anhand seines Personals vorzufŸhren bezie hungsweise darauf zu vertrauen, dass es die Leserinnen und Leser auch selber zu ent schlŸsseln vermšgen.

Als Sequel von ãWie spŠter ihre KinderÒ Ÿberzeugt ãConnemaraÒ nur teilweise. Das Drama von PubertŠt und Erwachsenenda sein wird nun nicht nur an Eltern und de ren Kindern, sondern Ð mithilfe zahlreicher RŸckblenden Ð an den beiden Protagonisten selbst vorgefŸhrt. Statt Fu§ball-WM gibt es diesmal Eishockey der Regionalliga, statt ãSmells Like Teen SpiritÒ eben ãLes Lacs du ConnemaraÒ. Mehr vom selben, blo§ nicht mehr neu Ð und nicht ganz so gut.

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